John Lennox

Gott im Fadenkreuz. Warum der Neue Atheismus nicht trifft

John Lennox, Gott im Fadenkreuz. Warum der Neue Atheismus nicht trifft, SCM R. Brockhaus, Witten 2013, 318 Seiten, 19,95 Euro.

Das Buch von John Lennox über den „Neuen Atheismus“ ist – wie zwei frühere Werke von ihm – in der Reihe „Glaube und Wissenschaft“ erschienen, die von Jürgen Spieß (Marburg) herausgegeben wird. Ich kann es nicht zur Lektüre empfehlen, weil ich nicht will, dass mit Neuen Atheisten und ihren Überzeugungen so umgegangen wird, wie der Autor es tut. Lennox betrachtet die Polemik der Neuen Atheisten als Rechtfertigung für eine eigene Polemik, die nur graduell sachlicher ausfällt. Man kann sie nicht auf die Übersetzung schieben: Der Mathematiker und bekannte protestantische Apologet Lennox ist dem Vernehmen nach äußerst sprachgewandt, man muss annehmen, dass er auch auf Deutsch das schreibt, was er schreiben will. Bereits der deutsche Titel – der englische ist noch schlimmer: Gunning for God (Oxford 2012) – und die ersten Sätze des Buches sind schwer erträglich: „Der Atheismus ist in der westlichen Welt auf dem Vormarsch. Lautstark. Mit einer konzertierten Aktion versucht man, die atheistischen Getreuen zusammen zu bringen und sie zu ermutigen, sich ihres Atheismus nicht zu schämen, sondern aufzustehen und als vereinte Armee zu kämpfen. Der Feind ist Gott. Sie schießen auf Gott. Ihr größtes Kaliber ... war bisher Richard Dawkins ... Im Kielwasser von Dawkins schwimmt eine ganze Phalanx von im Verhältnis zu ihm eher kleinkalibrigen, aber ebenso schießwütigen Revolverhelden ...“

Das ist noch nicht einmal sachlich korrekt. In der „westlichen Welt“, nämlich in West-, Nord- und Mitteleuropa, nicht jedoch in Amerika, Süd- und Osteuropa, ist die religiöse Indifferenz auf dem Vormarsch oder, wenn man so will, die Konfessionslosigkeit. Sämtliche einschlägige Erhebungen zeigen, dass nur eine kleine Minderheit dieser Menschen Neue Atheisten im Sinne von Richard Dawkins oder überhaupt Atheisten sind, die rationale Gründe für ihre Überzeugung haben (eine kurze Übersicht findet sich bei Michael Utsch, MD 11/2013 423-424). Die Mitgliederzahlen der Giordano-Bruno-Stiftung bzw. der Humanistischen Union sind überschaubar, ihr Anspruch, die mehr als 30 Prozent deutschen Konfessionslosen zu vertreten, hat wenig Grundlage. Was zutrifft, ist, dass die Neuen Atheisten es seit einem Jahrzehnt verstehen, mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und dass sie dadurch in gewissem Umfang politischen Einfluss ausüben. Man hat den Eindruck, die öffentlichen, von Massenmedien transportierten und oft militanten Debatten im angelsächsischen Raum sind die Welt des Autors, dort sammelt er seine Eindrücke. Die nüchternen Ergebnisse der empirischen Religionssoziologie sind jedoch andere.

Aber selbst in Bezug auf die polemisch aufgeheizten Kontroversen in den USA und Großbritannien sind die Wildwest-Bilder des Autors unangemessen. Christliche Apologetik hört und versteht, bevor sie unterscheidet und urteilt, und sie verurteilt niemanden. Wenn man sie denn verstehen will, kommt man darauf, dass der Feind der Neuen Atheisten nicht Gott ist, sondern die Religion, die religiösen Institutionen, besonders die Kirchen. Warum sollten sie eine für sie illusionäre Entität bekämpfen? Sie bekämpfen die Illusion in den Köpfen, allenfalls diejenigen, die sie aus ihrer Sicht zum Schaden der Menschen pflegen. Und Gott ist umgekehrt nicht der Feind der Neuen Atheisten, denn Gott ist keines Menschenkindes Feind. Deshalb sollten wir keine Feindseligkeit verbreiten.

Lennox beschäftigt sich viel zu sehr damit, die Polemik von Dawkins und Co. anzuprangern. Müssen wir als Christen wirklich die Behauptung widerlegen, dass religiöse Menschen in einem „mentalen Infantilismus“ gefangen seien (67f), oder die, dass Religion ein psychiatrisch zu diagnostizierendes Wahnsystem sei (58-60), oder darum streiten, ob und inwiefern Albert Einstein ein religiöser Mensch war (62-64)? Müssen wir begründen, dass Atheisten nicht fröhlicher und sorgloser leben als Christen? Warum müssen wir uns über drei Seiten lang (17-19) mit dem Vorwurf beschäftigen, die „Brights“ (eine studentische Gruppe) seien arrogant, weil sie sich „bright“ nennen, also schlau oder helle? All das sind polemische Reaktionen auf Polemik, ein rundum unfruchtbares Wechselspiel. Sämtliche Beispiele stammen aus der Einleitung und dem ersten Kapitel, und es sind bei Weitem nicht alle. Das bedeutet nicht, dass Lennox keine eigenen Argumente gegen diejenigen der Neuen Atheisten anführen könnte. Aber oft sind die Argumente zwar im Kern solide, in der polemischen Form, in der er sie vorbringt, jedoch falsch.

Lennox betont zum Beispiel in Kapitel 1 mit Recht, dass die Erkenntnistheorie Neuer Atheisten oft widersprüchlich sei. Einerseits wird das menschliche Gehirn als Produkt von Naturprozessen betrachtet, die es keineswegs auf die Erforschung abstrakter und allgemeiner Wahrheiten hin optimierten, sondern auf ökologische Effektivität. Auf der anderen Seite wird aber von der Wissenschaft, einem Produkt eben dieses Gehirns, zuversichtlich erwartet, sie liefere die einzig gültigen, allgemeinen Wahrheiten. Das ist so nicht haltbar, und philosophisch gebildete Atheisten sind sich darüber im Klaren. Eine ebenso berechtigte Kritik des Autors zielt auf den Wissenschaftsglauben. Er betont, dass die Methodologie der Naturwissenschaft auf Voraussetzungen beruht, die nicht selbst naturwissenschaftlich sind, zum Beispiel auf der Prämisse, dass Naturprozesse von regelmäßigen kausalen Wechselwirkungen abhängen, die unsere Vernunft nachvollziehen kann. Und der historische Forschungsprozess wird von metaphysischen Leitideen beeinflusst, die aus der Weltanschauung der Forscher stammen. Aber dann überzieht Lennox diese Argumente, indem er zum Beispiel unter Berufung auf Robert Spaemann behauptet, dass es, „wenn wir Gott aus der Gleichung ausklammern, keine rationale Basis für die Wissenschaft gibt“ (72) oder dass atheistische Naturwissenschaftler gezwungen seien, „um die eindeutigen Hinweise auf die Existenz einer göttlichen Intelligenz hinter der Natur zu umgehen ... immer unplausibleren Kandidaten wie der Masse, der Energie oder den Naturgesetzen kreative Kräfte zuzuschreiben“ (44).

Manche tun es vielleicht, aber gezwungen sind sie dazu keineswegs. Man kann die Begründungsdefizite in atheistischen Erkenntnistheorien anders auflösen, zum Beispiel durch einen konsequenten Agnostizismus. Allein in Deutschland ließen sich mehrere Autoren nennen, die diese Leistung erbringen. Und „eindeutige Hinweise auf die Existenz einer göttlichen Intelligenz“ würden einen physiko-teleologischen Gottesbeweis liefern, wenn es sie denn gäbe. Aber anders als Lennox, Spaemann und das „intelligent design movement“ meinen, ist die Naturwissenschaft – so kann man es ausdrücken – ontologisch unterbestimmt. Weder der Atheismus noch der Schöpfungsglaube können sich naturwissenschaftlich legitimieren. Das liegt genau an dem Sachverhalt, den Lennox mit Recht ins Feld führt: dass die Naturwissenschaft ontologische Prämissen voraussetzt und dass diese nicht eindeutig, sondern mehrdeutig sind.

Nicht alle Argumente des Autors gehen derart daneben. In Kapitel 2 (90-106) liefert er Hinweise zur Gewaltgeschichte des Christentums und zur angeblichen Gewaltneigung des Monotheismus. Der Vergleich mit der Gewalttätigkeit moderner Ideologien fällt, wie er mit Recht erläutert, zu deren Ungunsten aus. Dass Atheismus nicht totalitär werden könne, wie Richard Dawkins meint, ist geschichtlich widerlegt (112-124). Dass der christliche Glaube nicht vernunft- und wissenschaftsfeindlich ist und es niemals war, wird von Lennox ebenso erläutert. Auch dass die Autoren des Neuen Atheismus wenig über Religion wissen und häufig grob verallgemeinern, trifft zu. Dass die philosophische Begründung für eine humane Ethik bei den Atheisten weniger konsistent ist als bei Christen – ein weiterer Punkt des Autors, den er in Kapitel 4 ausführt – trifft ebenfalls mehr oder weniger zu. Seine Kritik an der evolutionären Ethik kann man nachvollziehen.

Die Kapitel 5 bis 8 beschäftigen sich stärker mit theologischen Fragen, zwar auch im Blick auf die Neuen Atheisten, aber häufig geht es Lennox um Positionen, die weit über sie hinaus zur Geschichte neuzeitlicher Religionskritik gehören. Fast ein ganzes Kapitel ist zum Beispiel der Philosophie David Humes gewidmet. Kapitel 5 beschäftigt sich vorwiegend mit dem alttestamentlichen Gottesbild, Kapitel 6 mit der christlichen Soteriologie, Kapitel 7 mit den biblischen Wundern und Kapitel 8 schließlich mit der Bibel, ihrer Entstehung und ihrer Beweiskraft. Theologinnen und Theologen bewegen sich dabei auf vertrautem Grund, deshalb sollen diese Kapitel hier nur pauschal erwähnt werden. Ob sich die Lektüre lohnen würde, vermag der Rezensent (ein gelernter Naturwissenschaftler) kaum zu beurteilen, vermutlich eher im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung als im Sinne der Fortbildung.

Die Stärke des Buches ist, dass es die Rechthaberei der „Neuen Atheisten“ entlarvt. Die Schwäche des Buches ist, dass es zu viel christliche Rechthaberei an deren Stelle setzt. Ist es denn so schwierig, den Ertrag von dreihundert Jahren abendländischer Geistesgeschichte zu akzeptieren, nach dem die menschliche Vernunft keine Waage zur Verfügung hat, um Plausibilität und Unplausibilität existenzieller Grundfragen abzuwägen? Ist es plausibel, dass diese Welt aus dem schaffenden Willen Gottes hervorgeht und in ihm ihren Grund hat? Ist es plausibel, dass diese Welt ein System selbstlaufender Prozesse ist, die in keiner Realität außerhalb ihrer selbst gründet? Die Antwort hängt von Entscheidungen ab, die nicht selbst plausibel oder unplausibel sind. Richard Dawkins ist nicht deshalb Atheist, weil er das menschliche Weltwissen falsch beurteilt hätte, und der Rezensent ist nicht deshalb Christ, weil er es besser gemacht hätte. Würde man per impossibile Richard Dawkins zu einem hervorragenden Philosophen und Theologen machen, wäre das Ergebnis ein Atheist mit besseren Argumenten, kein überzeugter Christ. Unser Glaube ist – immanent gesprochen – von unserer Person, unserer Lebensgeschichte und unserer Umwelt abhängig, er fällt uns zu. Wir Christen – sofern wir Intellektuelle sind – haben sehr wohl die Aufgabe, vernünftig zu argumentieren, aber um Raum für die Möglichkeit des Glaubens zu schaffen, nicht um die Vernunft für uns allein zu reklamieren. Was hätten wir auch davon?


Hansjörg Hemminger, Stuttgart