Michael Plathow

„Glück” ist mehr

Theologische Gesichtspunkte zur Wiederkehr eines immer neuen Themas

 

Hat der christliche Glaube etwas zum Thema „Glück” beizutragen? Was meint „Glück“? Was ist sein Gegenteil? Wenn wir „Glück und Segen” wünschen, bewegen wir uns dann nicht in unterschiedlichen Sprachwelten? Gibt es ein theologisches Verständnis von dem, was „Glück” zum Ausdruck bringt? Kann Segen, wie Dietrich Bonhoeffer vorschlägt, als „theologischer Zwischenbegriff” zwischen Gott und Glück verstanden werden? Inwiefern kann vom „Glück des Glaubens” gesprochen werden?

Diese Fragen stellen sich für eine öffentliche Theologie und einen lebensweltlich verantworteten Glauben angesichts des Booms an glückstheoretischen Ratgebern und an Anweisungen zum Glück und Glücklichwerden: „Freu dich des Lebens. Die Kunst beliebt, erfolgreich und glücklich zu werden”, „Carpe Vitam. Nutze das Leben”, „Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein”, „Der schmale Pfad zum Glück” und weitere Glückskonzepte.2

Diese Fragen stellen sich angesichts der Inflation von Glücksbringern, Glücksmachern und Glücksgefühlen in der Werbe- und Konsumindustrie: Käufer in glänzenden Autokarossen erfahren den Kick, jugendlich machende Make-ups lassen „happiness“ aufleuchten, leckere Schokoladen machen glücklich, weil sie Glückshormone ausstreuen. Pillen sollen das Glück geistiger und körperlicher Leistung steigern. Die Tourismusindustrie verspricht Wellness durch Traumreisen zu Sonne und Strand während der schönsten Tage des Jahres. Die Werbeanzeigen der Glücksspiele stellen mit dem gekauften Glückslos Gewinne in Aussicht.

Diese Fragen stellen sich auch angesichts der Fülle esoterischer und alternativer Sinn- und Heilungsangebote, die mit der Definition von „Gesundheit” der WHO (1948) als „Zustand vollkommenen physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens, nicht lediglich der Abwesenheit von Krankheit” und mit der populären Wertigkeit der Gesundheit als „höchstem Gut” spirituelle Heilung, Ganzheitlichkeit, beglückende Ausgeglichenheit und Glück und Erfolg versprechende Kraftenergien ansprechen.3

„Glück” erweist sich heute als postmodernes Sehnsuchtswort menschlicher Bedürfnisse und menschlicher Existenz, wie es schon seit der Antike menschliches Suchen und Denken prägte, denkt man nur an die von Marcus Terentius Varro zusammengetragenen 268 Glücktheorien mit denen von Aristoteles, Epikur, der Stoa, an Augustinus und weiter an Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer bis in die Gegenwart.4

Die mehrdimensionale Konnotation von „Glück”

Mit seinen mehrdimensionalen Konnotationen stellt Glück einen mit einem Konglomerat positiver Empfindungen und Gefühlen besetzten Container- und Selbstbedienungsbegriff dar. Gleichwohl lassen sich folgende Bedeutungsaspekte herausschälen: • der Glücksfall, den Fortuna oder Tyche aus ihrem Füllhorn dem Glückspilz blind schickt, der sich aber auch mit dem Tüchtigen als Wohltat verbinden kann. Die sehr eingeschränkte Bewahrheitung des Sprichwortes „Jeder ist seines Glückes Schmied” haben nicht nur Gottfried Keller und Odo Marquard5, sondern auch Dietrich Bonhoeffer6 gezeigt. Dem Glück ist nur in ganz geringem Maße die Kategorie des Machens eigen.

• die Glücksgüter, die bei einer gewissen Entsprechung von Lebensbedürfnissen und Wohlstand mit

• emotionalem Glücklichsein, Wohlergehen und Wohlfühlen auf gute materielle, physische, psychische und soziale Voraussetzungen von Glück und Wohlergehen verweisen. Gesellschaftliche Grundwerte und Grundrechte sind Bedingungen für individuelles und subjektiv erfahrenes Glück: Frieden in Freiheit, Rechtssicherheit in Gerechtigkeit, Solidarität aufgrund der Menschenwürde, Gemeinwohl bei Chancengleichheit und auch persönliches Wohlbefinden in einer gepflegten und bewahrten Mitwelt.Glück als Glücksfall, Glücksgüter, Glücklichsein signalisiert eine emotionale Beziehung, die einem Menschen widerfährt, eine Gestimmtheit, die ihm von außen zukommt und die – subjektiv und objektiv erfahren – an andere im Teilhaben und Teilgeben weitergegeben wird.Das Thema Glück hat neben der individuellen und sozialen auch eine ethische Dimension. Die miteinander verbundenen drei Aspekte (persönliche Glücksfälle, Glücksgüter und Glücksempfindungen) mit ihrer semantischen Entsprechung im altgermanischen Begriff „Wohl”7 schließen die ethische Dimension sozialer Verantwortung ein, um Glück als „gelingendes und erfülltes Leben”8, als Wohlergehen auch durch die Befriedigung von Bedürfnissen zu erweisen und nicht als hedonistische Lustmaximierung selbstproduzierter „Glücke” einer „schönen neuen Welt” oder der medialen Werbe- und Konsumgesellschaft („Wir amüsieren uns zu Tode”9) in billiger Weise pervertieren zu lassen. Vielmehr ist das Wort Glück – übrigens erst 1160 im deutschen Sprachraum nachweisbar – in der etymologischen Bedeutung von „öffnen, erschließen”10 und „gelingen”, „gedeihen“, „zu einem guten Abschluss bringen” der „Deckname” für das inhaltlich zu bestimmende Verständnis von „Sinn” und füllt mit den sich darin widerspiegelnden Sehnsüchten häufig die Leerstellen einer Werte, Sinn und Orientierung suchenden Gesellschaft aus.

Glücklichsein und das Weitergeben von Glück, Wohlergehen und Wohltun sind im Projekt gelingenden Lebens als persönliche und soziale Verantwortung in das Gemeinwesen und das Gemeinwohl eingebunden. Zugleich zeigt die Erfahrung, im sprachlichen Ausdruck der Sprichwörter geronnen, dass Glück und Wohl kein sicherer Besitz sind. Ihnen ist beschleunigte Veränderung, Fragilität und Fragmentarität eigen. Die Kategorie des Habens ist ihnen nicht angemessen. Sie sind den Bedingungen der Zeitlichkeit und Endlichkeit unterworfen; zugleich öffnen sie sich damit für ein Mehr.

„Glück” im theologischen Gespräch

Als Erleben von zufallendem Glück und Wohl, als Widerfahrnis von Glücks- und Wohltaten, als Grunderfahrung von Glücklichsein und Wohlfühlen haben auch Theologinnen und Theologen in den letzten Jahrzehnten das Thema Glück bedacht12, bisweilen mit der Zuordnung zum Thema „Leid und Leiderfahrung”13; angezeigt wird dabei, dass Leid kein Gegenbegriff zu Glück – und Leiderfahrung kein bloß defizienter Modus von Glückserfahrung ist. Nun drohten in der Kirchen- und Theologiegeschichte eschatologische Eudaimonia-Vorstellungen einer leibfeindlichen Weltverachtung platonischer Provenienz oder einer idealistischen Jenseitserwartung Glück und Wohl zum theologischen Stiefkind zu machen; dem begegnete eine Verdiesseitigung, Materialisierung und Individualisierung von Glück und Wohl in der Moderne und Postmoderne.

Es war Dietrich Bonhoeffer, der zum säkularen Begriff Glück eine Entsprechung im biblischen Verständnis des Segens erkannte.14 Segen kommt etymologisch vom lateinischen signum her15, ist jedoch inhaltlich durch das hebräische barak und das griechische eudokia sowie das lateinische benedictio bestimmt. Bonhoeffers Beobachtung und den gegenwärtigen Glücksboom als Herausforderung aufnehmend, soll im Sinne eines öffentlichen, in die Öffentlichkeit hineinsprechenden Bedenkens eine systematisch-theologische Entfaltung des Themas Glück vorgenommen werden.

Zunächst sei differenziert, dass Dietrich Bonhoeffer Segen als „theologischen Zwischenbegriff” zwischen Gott und Glück verstehen will. Darauf deutet, dass die in empirischer Erfahrung begründete altisraelitische (Spr 16,9) und neuisraelitische (Gen 50,20; Hi 1,21) Weisheit in ihrer Profanität das Wissen von Gottes erhaltendem und lenkendem Mitsein, die Gewissheit, dass „die Furcht Gottes aller Weisheit Anfang ist”, zur Voraussetzung hat (Spr 1,7; Hi 28,28; Sir 25,15).

Die „Einheitsübersetzung” überträgt den hebräischen Begriff thob, das Gute, in das moderne „Glück”. „Ich hatte erkannt: Es gibt kein in allem Tun gründendes Glück, es sei denn, ein jeder freut sich, und so schafft er sich Glück, während er noch lebt, wobei zugleich immer, wenn ein Mensch isst und trinkt und durch seinen ganzen Besitz das Glück kennen lernt, das ein Geschenk Gottes ist” (Koh 3,12f). Das Gute, das Glück, wird als Geschenk Gottes in der Beziehung zu Gott erfahren; dem Glückserleben entsprechen die menschlichen Affekte Dankbarkeit, Freude und Zuversicht.

Der Gegenbegriff zum Guten, zu Glück und weiter zu Weisheit, Liebe, Leben ist nicht Unglück16, sondern das „Böse” und weiter Irrtum, Finsternis, Tod (Sir 11,14f) mit Affekten wie Sorge, Angst, Trübsal. Das Gute und das Böse erweisen sich als menschliche Erfahrung gelingenden Lebens aus der offenen Beziehung mit Gott oder als verwirktes Leben aus der Selbstverschließung gegen Gott, als Glaube oder als Unglaube. Erfahrungen von Gutem oder Bösem sind dabei der Vergänglichkeit menschlichen Lebens zugehörig.

Diese Aspekte aufnehmend und ausweitend, bringt das theologische Verständnis von Segen und Segnen die Erfahrung sinnerfüllter und gedeihlicher Beziehungen mit Gott, vor Gott und auf Gott hin, zum Nächsten, zur Mitwelt und zu sich zum Ausdruck; sie ist gerichtet gegen die Leben zerstörenden und Zukunft verschließenden Fluchkräfte selbstproduzierter Glücksmaximierung, die einer zwanghaften Gier sich steigernden Machens und Habens oder einer verhältnislosen Selbstabschließung erwachsen.

Segen und Segnen

Segen wird als sinnerfülltes Leben durch Gottes fürsorgendes Begleiten verstanden, wie es vielstimmig in den Verheißungen Jahwes im Alten Testament ausgesagt wird: „Ich bin da für dich als der ich da sein werde” (Ex 3,14); „ich will mit dir sein”, „dich zu einem großen Volk machen”, „dich schützen und bewahren” (Gen 12,2f; 28,15; Ex 3,12). In den Segensbildern der Vollmachtsworte Jesu kommt es zum Ausdruck: „Ich bin das Licht, das Brot, der Weinstock, der Weg, das Leben” (Joh 6, 35; 8, 12; 14, 6; 15, 1). In seinen Heilungen wird es bezeugt: „Steh auf und geh”, „sei geheilt”(Mt 9, 1ff; Lk 18, 35ff). Segen wird in den Gleichnissen vom angebrochenen und sich vollendenden Reich Gottes verkündigt (Mt 13) und in den Seligpreisungen (Mt 5,3ff) als Glück des Glaubens im Reich Gottes proklamiert: „Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, so wird euch alles andere zufallen” (Mt 6,31ff; Phil 4,6). Das Trachten nach dem Reich Gottes steht hier im Widerspruch zu der selbstbezogenen Lebenssorge und der ängstlichen Sorge, keine Zukunft zu haben. Auch die Rede von den Gaben und Früchten des Heiligen Geistes ist in der Segenssprache gehalten (Gal 5,22; 1. Kor 12,1-11). In den triadischen Briefgrüßen des Neuen Testaments schließlich wird der Segen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes verheißen und zugesprochen (2. Kor 13,13).17

Anders als in der alttestamentlichen Wissenschaft herrschte ein gewisses „Segensschweigen” in der Systematischen Theologie.18 „Segen” wurde oft nur im Zusammenhang mit der Vorsehungslehre erwähnt, d. h. der göttlichen Erhaltung, Begleitung und Führung des Einzelnen und der Welt als Schöpfung Gottes. Das hat sich im deutschsprachigen Raum durch die fast gleichzeitig 1998 erschienenen Segenstheologien von Dorothea Greiner19 und Magdalena L. Frettlöh20 geändert. Nachhaltig haben die Theologien des Segens auf die Segenfrömmigkeit und auf Segensrituale im familiären, gemeindlichen, ökumenischen und öffentlichen Leben gewirkt. Beide Werke ergänzen sich bei ihrer jeweils lutherischen und reformierten Geprägtheit.

Magdalena L. Frettlöh zeigt den alttestamentlich-jüdischen Traditionszusammenhang des christlichen „Mitgesegnet mit Abraham” in partikularer und universaler Perspektive auf. Dorothea Greiner entfaltet trinitarisch den Segen Gottes Immanuel, indem sie – anders als Martin Luthers21# Unterscheidung zwischen leiblichem und geistlichem Segen und Claus Westermanns22# Distinktion zwischen Gottes rettendem und segnendem Handeln – Wohl und Heil, Leibliches und Geistliches, Heilung und Heil, Vorletztes und Letztes, eben Schöpfung, Versöhnung und Erlösung in ihrer Bezogenheit verbindet. Mit diesen Entwürfen seien im Rückbezug auf die biblisch-theologischen Aussagen im trinitarischen Begründungs- und Verstehenszusammenhang folgende Leitlinien des christlichen Segensverständnisses thetisch genannt:• Der dreieine Gott bejaht als der segnende Schöpfer und Erhalter zukunfteröffnend und lebensfördernd seine Schöpfung und geleitet und begleitet als Immanuel die Menschen trotz der Sünde mit der Zuschreibung der Gottebenbildlichkeit als seine Mitarbeiter und Mitgesegneten mit Abraham (Gen 1,27f, 12,1-3; Num 6,22-27).

• Im Predigen und Wirken Jesu Christi sind der Geber und die Gabe des Segens in der Weise verbunden, dass Segen sich als Rettung aus dem Fluchbereich der Gottesferne der Sünde, des Bösen und des Todes für die Glaubenden in der Gemeinschaft mit Gott erweist. Diese sind nun von Christus zum Segnen beauftragt (Mk 10,13-16; Gal 3,8f, 3,13; Apg 3,25f; Eph 1,3; 1. Petr 3,9).

• Der Segen des Heiligen Geistes erweist sich als Gegenwart und Kraft des dreieinen Gottes in den Glaubensfrüchten und in den Charismen, den geistlichen und natürlichen, als Gabe und Aufgabe (Lk 6,27f; Röm 12,14; Gal 5,22; Röm 12,7ff).Nur für das Erkennen sind die eigentümlichen Wirkweisen des dreieinen Gottes zu unterscheiden; das Segenswirken des dreieinen Gottes an den Menschen in der Welt ist untrennbar eins. Es richtet sich gnädig und barmherzig gegen die Verstrickungen in die Fluchräume der Gemeinschaftslosigkeit mit Gott und der Selbstverschließung gegen den guten Lebenswillen Gottes mit den Folgen von Lebenszerstörung und Zukunftsverschließung.

Glück als „profaner Zwischenbegriff“ für Segen

Glück bezeichnet im profanen Sprachraum ein Widerfahrnis (durch Zufall, Umstände oder Menschen) nicht verfügbarer Guttaten, die mit subjektiven Affekten von Freude und Dankbarkeit Leben fördern und Zukunft erschließen, indem Glücklichsein und Glücklichmachen gelebt werden. Glück erweist sich als subjektives Wohlempfinden in der Gegenwart, das wunsch- und bedürfniserfüllend in gegenseitiger Achtsamkeit und in sozialen Bezügen verantwortet wird. Es pervertiert durch Verabsolutierung, Instrumentalisierung und Ideologisierung eskalierenden Glückstrebens, letztgültiger Glücksgüter und egoistischer Vergnügungen. Der wirklich Glückliche weiß um die Zerbrechlichkeit und Zeitlichkeit des Glücks und erahnt zukünftige Glückseligkeit.

Als Gegenbegriff zu „Glück” im alle seine Aspekte umfassenden Sinn ist nicht Unglück oder Leid23 anzusehen, sondern mit Jesu Predigt vom Reich Gottes die Macht der Sorge: die Lebenssorgen, die man sich selbst macht, die im Innern nagen, den Atem nehmen und blind machen für den anderen, die Zukunftssorge, die in Selbstsorge Zukunft verschließt. Sorgen schleichen sich einfach ein. Erinnert sei an die Szene „Mitternacht” in Goethes Faust II: Vier graue Weiber treten auf: Mangel, Schuld, Not und Sorge. Die ersten drei können nicht ins Haus eindringen, die Tür ist verschlossen, worauf die Sorge entgegnet: „Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein. Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.” Sich sorgend das Leben sorglos machen wollend, begleitet von den Affekten Trübsal und Angst, manifestieren Sorgen sich in den tödlichen Untugenden Gier, Neid und Geiz.

Wirkliches Glück erfüllt mit Freude und Dankbarkeit. Freude zeigt sich als beglückendes Widerfahrnis, als spontan oder zeitlich begrenzte Erfüllung von Bedürfnissen, Wünschen und Hoffnungen mit befreiendem Lebensgefühl. Dankbarkeit ist zum einen das Erkennen und Anerkennen empfangener Wohltaten, die affektive Haltung, die das geschenkte Gute wahrnimmt und annimmt, ohne es einzufordern oder abzulehnen. Zum anderen meint sie die grundlegende, Leben bestimmende Sicht des Sich-Verdankens, ein Daseinsvertrauen, das die staunende Offenheit für das Nicht-Machbare und Nicht-Habbare einschließt.24 Eine religiöse Dimension öffnet sich da: die der Gnade und Barmherzigkeit Gottes.

Dieses wirkliche Glück, das mit Freude und Dankbarkeit erfüllt, wird „schon” erfahren als Glück des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung gegen sorgende Angst, Egoismus und Selbstverschließung. Sören Kierkegaard25 spricht von der glücklichen Leidenschaft des Glaubens im Augenblick, da das Paradox sich selbst hingibt und der Verstand sich beiseite schafft, da Gott Mensch wird, das Ewige in die Zeit kommt im Widerfahrnis von Gottes zukunfteröffnender Gnade als Berufung zum Glauben. Das Glück des Glaubens als gelingende Beziehung mit Gott erweist sich in der lebensfördernden Gewissheit von Heil und Wohl, reformatorisch gesprochen, in der Rechtfertigung des Sünders allein aus Gnade; das Glück der Liebe erwächst aus der menschenfreundlichen Liebe Gottes in Jesus Christus als gedeihende Gemeinschaft mit Gott und mit den nahen und fernen Mitmenschen zu segensreichem, erfülltem Leben – bei aller Bruchstückhaftigkeit und Begrenztheit; das Glück der Hoffnung durch Gottes Kommen im Heiligen Geist wird zu zukunfteröffnendem Leben im „Vorletzten” hier und heute und im „Letzten” zu „beseligender Schau” Gottes, der „wahres Glück verleiht”.26

Segen ist im christlich-theologischen Wahrnehmungs- und Sprachraum Gabe Gottes, des dreieinen Gottes, der so eine Beziehung zu den Menschen aufnimmt. Das personale Verhältnis konstituiert das Verständnis von Segen und Segnen, gerade weil Segen in den Schöpfungsgaben, dem Heil in Jesus Christus, den Früchten und Gaben des Geistes als Widerfahrnis „von außen” zufallend erfahren wird. Der dreieine Gott erweist sich, Wohl und Heil verbindend, als Subjekt, als Geber seiner Segensgaben. Seine partikulare und universale Evidenz erschließt der Segen des dreieinen Gottes den mit Abraham (Gen 12,2) gesegneten Glaubenden an Jesus, den Christus, als Kinder und Erben der „neuen Schöpfung” (2. Kor 5,17) in der Spannung des „Schon jetzt” und „Noch nicht”. In mit Wohlbefinden und Wohlfühlen verbundener Freude und Dankbarkeit, die in Gottes geduldigem Wohlgefallen an den in Sünde und Sorge, in Ichsucht und Todesverfallenheit lebenden Menschen wurzeln als Früchte des Heiligen Geistes, antworten die Glaubenden auf das geschenkte Heil und Wohl. Es ist die Freude und Dankbarkeit des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung. Aus der herabkommenden Bewegung des Segens des dreieinen Gottes werden die Glaubenden in die zu Gott aufsteigenden Antworten hineingenommen, indem sie zum einen als von Gott Gesegnete Segen sind und zum Segen werden für andere gegen die Fluchräume (Mt 5,44). Die Gesegneten wirken so in der göttlichen Erhaltung und Bewahrung der Schöpfung Gottes mit – auf die endgültige Vollendung durch Gott hin. Zum anderen wirken sie als Segen bzw. Gesegnete, indem sie auf Gottes Segen antworten im Lobpreis des Schöpfers, Versöhners und Neuschöpfers (Eph 1,3; 1. Petr 3,8) und in der geistgewirkten Bitte um den Segen Gottes.

Es mag deutlich geworden sein, dass die Rede von Glück und die Rede von Segen im jeweiligen Beziehungsgefüge formale Entsprechungen aufweisen: Dies zeigt sich besonders im Widerfahrnischarakter der Gaben und Empfindungen, die spontan oder in ihrer Dauer begrenzt und fragmentarisch über sich hinausweisen und zugleich in der Haltung der Freude und Dankbarkeit die soziale Dimension einschließen und sich darin gegen selbstproduziertes Machen und sich steigerndes Haben richten.

Im Unterschied zur Verortung des Glücks im profanen Wirklichkeitsverständnis ist die Rede von Segen und Segnen für ein christliches Wirklichkeitsverständnis wesentlich. „Glück mit Gott” und „Glück ohne Gott” stehen sich gegenüber. Segen als „Glück mit Gott” ist bestimmt durch das Verhältnis des dreieinen Gottes zum Glaubenden und das Leben der Glaubenden „vor Gott“ und „mit Gott“. Gott und Glaube gehören zusammen wie auch Gott und der „theologische Zwischenbegriff”27 Segen sowie Segen und Glaube, wenn Segen im „Streit zwischen Glaube und Unglaube um die Wirklichkeit”28 sich nicht in Magie verkehren soll. Für Glück und Segen gelten zudem auch osmotische Zuordnungen. Als „theologischer Zwischenbegriff” ist einerseits die Bilder- und Metaphernwelt des Segens ein semantisches Ausdrucksmittel für die unterschiedenen, doch nicht voneinander getrennten Aspekte des Glücks. Auch schreibt sich für manche Gottes Segen in den anonymen Glückszufall ein, weil Gott die „Finger im Spiel hat” beim Erfahren von Glück. Andererseits transzendiert sich das profane Glück in Glückseligkeit und öffnet sich damit auch für den von Gott gegebenen Segen.

Glück vermag der „profane Zwischenbegriff” für Segen und Segnen, für die Rede vom Segen des dreieinen Gottes zu sein, eine semantische Entsprechung für eine in die Öffentlichkeit hinein sprechende „Sache” der Theologie: das Evangelium von der befreienden Kraft der Rechtfertigung des dreieinen Gottes allein aus Gnade zur Eröffnung eines neuen Menschen- und Wirklichkeitsverständnisses in der Glaubensgemeinschaft mit Christus.

So ist es in einer vom christlichen Glauben geprägten pluralistischen Zivilgesellschaft sachgemäß, sich „Glück und Segen” zu wünschen – im Bewusstsein, dass wir selbst und unser Zusammenleben von Voraussetzungen bestimmt sind, die wir uns nicht selbst gegeben haben und geben können. Der dreieine Gott ist es, der sie gegeben hat und geben kann, wie die Christen bekennen.


Michael Plathow, Heidelberg


Anmerkungen

1 Dale Carnegie, Freu dich des Lebens. Die Kunst beliebt, erfolgreich und glücklich zu werden, München 1985; Daniel E. Könner, Carpe Vitam. Nutze das Leben, München 2003; Anthony de Mello, Der springende Punkt. Wach werden und glücklich sein, Freiburg i. Br. 2007; Jürgen Kramke, Der schmale Pfad zum Glück, Norderstedt 2007.

2 Hermes Andreas Kick (Hg.), Glück. Ethische Perspektiven – aktuelle Glückskonzepte, Berlin 2008.

3 Vgl. Simone Ehm / Michael Utsch (Hg.), Wie macht der Glaube gesund? Zur Qualität christlicher Gesundheitsangebote, EZW-Texte 199, Berlin 2008.

4 Verena Thielen / Katharina Thiel (Hg.), Klassische Texte zum Glück, Berlin 2007; Günther Bien, Glück – was ist das?, Frankfurt a. M. 1999; Robert Spaemann, Glück und Wohlwollen, Stuttgart 1989; Wolf Schneider, Glück – was ist das?, Reineck 1981; Paulus Engelhardt, Glück und geglücktes Leben, Mainz 1985; Das Glück. Kursbuch 95, Berlin 1989.

5 Gottfried Keller, Der Schmied seines Glücks, in: Die Leute von Seldwyla, Sämtliche Werke VIII, hg. von Jonas Fränkel, Erlenbach 1927; Odo Marquard, Zur Diätetik der Sinnerwartung, in: ders., Apologie des Zufälligen, Stuttgart, 1987, 33ff; ders. Ende des Schicksals?, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, Stuttgart 1981, 67ff.

6 Vgl. Michael Plathow, Die Mannigfaltigkeit der Wege Gottes: Zu D. Bonhoeffers kreuzestheologischer Vorsehungslehre, in: ders., Ich will mit dir sein, Berlin 1994, 87ff.

7 Grimm, Deutsches Wörterbuch XIV/II, 1026: in der Bedeutung von „günstig, glücklich, angenehm“.

8 Günther Bien, Die Philosophie und die Frage nach dem Glück, in: ders. (Hg.), Die Frage nach dem Glück, Stuttgart 1978, XVI.

9 Neil Postman, Wir amüsieren uns zu Tode, Frankfurt a. M. 1988.

10 Grimm, Deutsches Wörterbuch IV/I, V, 226.

11 Odo Marquard, Zur Diätetik der Sinnerwartung, a.a.O., 42.

12 Vgl. Gerhard M. Martin, Wir wollen hier auf Erden schon. Das Recht auf Glück, Stuttgart 1970; Gisbert Greshake, Gottes Heil. Glück des Menschen, Freiburg i. Br. 1983; Helmut Röhrbein, Der Himmel auf Erden. Plädoyer für eine Theologie des Glücks, Frankfurt a. M. 1978; Heinrich Buhr, Das Glück und die Theologie, Stuttgart / Berlin 1969; Dorothee Sölle, Phantasie und Gehorsam, Stuttgart 1968; Bernhard Grom / Hans-Wolfgang Schillinger, Glück und Sinn, Düsseldorf 1980; Michael Plathow, Glück – Ein theologisches Thema, in: Deutsches Pfarrerblatt 93 (1994), 307-309.

13 Vgl. Michael Plathow, „Glück“ und „Leid“. Theologisches Bedenken im Anschluß an D. Bonhoeffer, in: ders. Ich will mit dir sein, a.a.O., 119-137; Regina Ammicht-Quinn, Glück – der Ernst des Lebens, Freiburg i. Br. 2006.

14 Dietrich Bonhoeffer, WEN, 406f, Brief an Eberhard Bethge vom 28.7.1944.

15 Grimm, Deutsches Wörterbuch X/I, 100.

16 Vgl. auch Dietrich Bonhoeffers Gedicht „Glück und Unglück“: Beide „im Anfang ununterscheidbar nah“ brechen ungeschieden „aus dem Ewigen“ ins menschliche Leben, werden „leuchtend und drohend“, „segnend zugleich und vernichtend“ in die Polyphonie des Lebens, in die Vielfalt der Lebenslandschaften. „Erst die Zeit teilt beide“ und wandelt das „jähe Ereignis“ zu ermüdend quälender Dauer“ der „wahren Gestalt“ des Unglücks. Das ist der Moment „gemeinschaftlicher Bezüge und Erfahrungen des Unglücks“. „Die Meisten“ wenden sich ab. „Das ist die Stunde der Treue, die Stunde der Mutter und der Geliebten, die Stunde des Freundes und Bruders. Treue verklärt alles ‚Unglück‘ und hüllt es leise in milden überirdischen Glanz“ und lässt so „Glück“ im „Unglück“ erfahren (Michael Plathow, „Glück“ und „Leid“, a.a.O).

17 Vgl. Claus Westermann, Der Segen in der Bibel und im Handeln der Kirche, München 1968; Gerhard Wehmeier, Der Segen im Alten Testament, Basel 1970; Ulrich Heckel, Der Segen im Neuen Testament, Tübingen 2002; Arnoldshainer Konferenz (Hg.), Segen in der kirchlichen Praxis, 1978; Michael Plathow, „Glück. Ein theologisches Thema, a.a.O.

18 Anders Peter Brunner, Der Segen als dogmatisches und liturgisches Problem, in: ders., Pro Ecclesia, Bd. II, Berlin / Hamburg 1966, 339-351.

19 Dorothea Greiner, Segen und Segnen, Stuttgart 1999.

20 Magdalena L. Frettlöh, Theologie des Segens, Gütersloh 1998; dazu die Rezension: Michael Plathow, in: ThLZ 124 (1999), 793f.

21 Vgl. Martin Luther, WA 30 III, 574-582.

22 Vgl. Claus Westermann, Der Segen in der Bibel, a.a.O.

23 Siehe Anm. 16.

24 Michael Plathow, Danken und Dankbarkeit in der Betrachtung des Glaubens, in: ThBeitr 27 (1996), 274-284.

25 Sören Kierkegaard, Philosophische Brocken (1844), Kap V.

26 Augustin, De Civitate Dei 6, 12.

27 Siehe Anm. 14.

28 Vgl. Gerhard Ebeling, Glaube und Unglaube im Streit um die Wirklichkeit, in: ders., Wort und Glaube, Bd. I, Tübingen 1962, 393-406.