Heike-Solweig Bleuel (Hg.)

Generation Handy. Grenzenlos im Netz verführt

Heike-Solweig Bleuel (Hg.), Generation Handy. Grenzenlos im Netz verführt, Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2007, 271 Seiten, 19.80 Euro.


Ob Mobil- und Kommunikationsfunk gesundheitsschädliche Auswirkungen hat, gehört mittlerweile in den weiten Bereich der Weltanschauungsfragen und der Deutung unserer komplexen Wirklichkeit. Denn die Lager sind gespalten, die Beweislage ebenfalls. Und das ist merkwürdig genug! Im Internet-Portal des „Bundesamts für Strahlenschutz“ stößt man auf die Feststellung: „Die Zahl der Geräte, die hochfrequente elektromagnetische Felder erzeugen, nimmt ständig zu. Die Frage, ob die Gesundheit dadurch beeinträchtigt wird, bewegt daher viele Menschen.“ Dabei spielen ideologisch-spiritualistische Perspektiven eher eine geringere Rolle. Es geht hier vielmehr auf der einen Seite um körperlich erfahrbare Leiden und Gefährdungen – und auf der anderen um eine hohe Anzahl von begeisterten Nutzern sowie um hohe Investitionssummen von Seiten der Industrie. Gibt es doch heute schon mehr Handys als Einwohner in Deutschland! Ungewollt „vielbefunkte“ Zeitgenossen, teilweise organisiert in Hunderten von Bürgerinitiativen hierzulande, sowie mehrere Ärzteinitiativen kämpfen um das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit, und die Mobilfunkindustrie kämpft um Profitsteigerung.

Steht zwischen beiden Lagern der neutrale Staat? So einfach kann man es schwerlich sagen – das hier vorzustellende Buch erläutert den Grund dafür. Der Bund hält in Deutschland „immer noch 30% der Aktien von Telekom ... Unvergessen ist, dass der Staat etwa 100 Milliarden DM ersteigerte, als er die Frequenzen für die neue UMTS-Technologie meistbietend auf dem Markt anbot. Als Gegenleistung erhielten die Betreiber für ihre Technologie per Gesetz ein privilegiertes Baurecht. Die Plätze für die Sendeantennen, die so genannten Basisstationen, konnten sich die Betreiber je nach Bedarf selbst aussuchen ...“ (51). Wie die Verflechtungen laufen, zeigt beispielsweise der Umstand, dass der Leiter der Planungsgruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Mark Speich gleichzeitig Leiter der Corporate Responsibility und Stiftungen bei Vodafone sowie Geschäftsführer der Vodafone Stiftung Deutschland GmbH ist. Die schmerzliche Erfahrung zahlloser Bürgerinitiativen, dass die Mobilfunkindustrie am längeren Hebel sitzt, begründen im „B.U.N.D.“-Magazin 1/2008 die Professoren Helmut Horn und Wilfried Kühling mit der Bemerkung: „Verlässliche Studien belegen gesundheitliche Folgen, die – legte man das Grundgesetz und die fachgesetzlich normierte Vorsorge entsprechend aus – der Gesetzgeber ausschließen müsste. Allerdings ist die Politik derzeit nicht gewillt, dem Rechnung zu tragen.“

Aber schützen nicht doch die Behörden, die Gesundheitsämter? So einfach kann man es schwerlich sagen, denn die werden von besagter Politik gesteuert. Die in Deutschland geltenden Grenzwerte sind im internationalen Vergleich sehr hoch – und höchst umstritten. Sie gehen auf Empfehlungen der ICNIRP zurück, eines privaten, industriefreundlichen, demokratisch nicht legitimierten Privatvereins; die WHO hat diese Werte übernommen, und unser Staat hat sie in eine Verwaltungsverordnung überführt. Daran sollen sich seither die Behörden orientieren! Bei ihrer Festlegung war freilich nur der Aspekt der kritischen Erwärmung, also die thermische Wirkung geprüft, gleichzeitig jedoch betont worden, dass die Mikrowellen-Pulsung von Handys eventuell einen nicht wärmebezogenen Effekt auf den menschlichen Körper haben könnte. Politisch gebotene Gesundheitsvorsorge sollte sich mit dem damit eingeräumten Risiko nicht zufriedengeben, fordert der Politologe Ralf Ott (21ff).

Indes – tritt nicht die Presse für eine Offenlegung der kritischen Zusammenhänge ein? So einfach kann man es schwerlich sagen. Uwe Krüger hat bereits in einem Artikel unter der Überschrift „Tabu-Thema Mobilfunkstrahlung. Funkstille über Strahlungsschäden“ (message 1/2007) die Verflechtungen von Politik, Industrie und Medien (!) offen gelegt. Auch darüber berichtet dieses Buch.

Aber trägt nicht die Wissenschaft zu hilfreichen Klarstellungen auf diesem Gebiet bei? So einfach kann man es schwerlich sagen, denn auch „Wissenschaft“ findet nicht nur in unabhängigen Zusammenhängen statt. Von einer schlichtweg neutralen „Wissenschaftlichkeit“ auszugehen, wäre hermeneutisch naiv. Oft genug hängen Wissenschaftler von bestimmten Förderinstitutionen ab, die entweder direkt von der Industrie finanziert oder indirekt von der Mobilfunk-Lobby beeinflusst werden. Der Mediziner Rainer Frentzel-Beyme schließt hierbei in einem Aufsatz über das „Vorgehen der Mobilfunkindustrie gegen kritische Wissenschaftler“ (45ff) sogar das „Bundesamt für Strahlenschutz“ ein, das eine Herabsetzung der geltenden Grenzwerte für „nicht erforderlich“ hält. Außerdem informiert er über die auffällige „Verzögerung der Untersuchung von Schlaf-, Lern- und Befindlichkeitsstörungen“ infolge von Mobilfunkwellen (37ff). Von der Problematik eines blinden Vertrauens in wissenschaftliche Harmlosigkeitsbescheinigungen handelt übrigens die neue Studie „Die Fälscher. Mobilfunkpolitik und Forschung“ (hg. vom Verein zum Schutz der Bevölkerung vor Elektrosmog, Stuttgart 2008).

Doch treten nicht die Kirchen für eine offene Wahrnehmung der Gesundheitsgefahren durch Mobil- und Kommunikationsfunk ein? So einfach kann man es schwerlich sagen. Die beiden eingangs genannten Lager durchdringen nicht zuletzt die christlichen Kirchen, so dass man z. B. einerseits Kritik an Mobilfunkantennen auf Kirchtürmen begegnet und andererseits Gemeinden solche Antennen sehr sinnvoll finden, weil sie Geld in ihre Kassen spülen. Es gibt Pfarrer, die warnen, und es gibt z. B. das unkritische Portal „www.Kirchenhandy.de“. Dass die Schöpfung nicht zuletzt vor einem Übermaß an elektromagnetischer Überfrachtung zu bewahren sei, muss von der theologischen Ethik weithin erst noch entdeckt werden. Hat das von der Biologin H.-S. Bleuel herausgegebene Buch Recht mit den Aussagen über Verflechtungen von Staat, Industrie, Wissenschaft und Medien, dann könnten und sollten gerade die Kirchen sich als eine Kraft erweisen, die für die Schwachen und Gefährdeten Partei ergreift. Der im Röhrig Universitätsverlag erschienene Band liefert in gut verständlicher Sprache Argumente für eine sensible, verbreitete Tabus aufbrechende Wahrnehmung der Mobilfunk-Problematik.

Zu seinen Schwerpunkten gehören umfassende Analysen der Gefahrenlage gerade für Kinder und Jugendliche. Besonders erhellend ist in diesem Zusammenhang die Beleuchtung des psychologischen Aspekts der Handy-Nutzung durch den Diplompsychologen Mark Schlotterbek (117ff) und weitere Autoren. Ein Suchtpotential ist für Heranwachsende wie für erwachsene Nutzer gleichermaßen gegeben. Bereits im Vorwort bemerkt dazu Karl Richter: „Dass sich die Kommunikationshilfe, die Nähe und Ferne überbrückt, jedoch zunehmend als Kultur- und Kommunikationsersatz aufspielt, wird immer deutlicher als geschichtliche Fehlleistung erkennbar. Das scheinbare Paradies der Schnurlosigkeit hält seine Jugend im kulturfernen Netz des SMS-Codes und der Second-hand-Kommunikation gefangen.“ Tipps für einen angemessenen Umgang mit Handys beschließen den empfehlenswerten Band.


Werner Thiede, Regensburg