Wolfgang Wippermann

Fundamentalismus. Radikale Strömungen in den Weltreligionen

Wolfgang Wippermann, Fundamentalismus. Radikale Strömungen in den Weltreligionen, Herder-Verlag, Freiburg i. Br. 2013, 176 Seiten, 16,99 Euro.

Das Schlagwort Fundamentalismus bildet auch im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts einen zentralen Bestandteil gesellschaftlicher Diskurse in Deutschland. Es gibt kaum einen Feuilleton-Artikel zu Fragen der Migrations-, Integrations- oder Sicherheitspolitik, in dem nicht früher oder später der Begriff Fundamentalismus fällt. Vielfach ist dabei zu beobachten, dass dieser relativ unbestimmt, aber dafür umso polemisch aufgeladener gebraucht wird. Ein Grund für die oftmals schwammige Verwendung ist sicherlich, dass er in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen wie den Religionswissenschaften, der Politikwissenschaft oder der Soziologie auf je eigene Art angeeignet, interpretiert und verwendet wird, wobei der Gebrauch des Begriffs auch innerhalb der entsprechenden Fächer nicht einheitlich ist.

Der Autor des vorliegenden Buches, der aus der Perspektive eines Historikers für Neuere Geschichte schreibt, möchte sich mit seiner Veröffentlichung explizit in die breiten gesellschaftlichen Diskurse einschalten. Er betont daher, dass das Buch in einer „knappen Form“ und „in einer allgemeinverständlichen Sprache geschrieben“ sei (10). Im Bewusstsein des vielfältigen Gebrauchs des Begriffs Fundamentalismus stellt er zunächst seine Arbeitsdefinition auf. Er bestimmt Fundamentalismus als „eine Ideologie, durch welche die Religion politisiert, die Politik dagegen sakralisiert und zur ‚politischen Religion‘ gemacht wird“ (7). Er sieht den Zweck des Buches nicht in der breiten Erörterung theoretischer Diskussionen, sondern er möchte seine zentrale These auf erzählende Weise darlegen.

Die im Buch illustrierte These besteht darin, dass „Fundamentalismus in jeglicher Form und Gestalt ... gefährlich [ist]. Dies aber nur dann, wenn politische religiöse Dogmen und religiös begründete politische Einstellungen gegen die universalistischen Werte von Menschenrecht und Menschenwürde verstoßen und wenn ihre Verwirklichung nicht mit den demokratischen Prinzipien und Regeln vereinbar ist“ (10). Um diese These zu untermauern, präsentiert er, in eigenen Worten, eine „globale[] Ideologieschichte des Fundamentalismus“ (9), die exemplarisch vorgeht. Ob eine Globalgeschichte in Exempeln schon einen Widerspruch in sich darstellt, soll hier nicht weiter erörtert werden. Diese Geschichtsdarstellung berücksichtigt drei Ausprägungen des Christentums (Protestantismus, Katholizismus, Orthodoxie), Islam, Judentum, Hindu-Religionen und Buddhismus. Jedem Beispiel wird ein eigenes Kapitel gewidmet, wobei im Blick auf christlichen Fundamentalismus die Geschichte der USA, Spaniens und Russlands in den Fokus gerückt wird. Islamischer Fundamentalismus wird anhand des Nahen und Mittleren Ostens illustriert, beim jüdischen Fundamentalismus thematisiert der Autor die Vorgeschichte und die Geschichte des Staates Israel, beim Hindu-Fundamentalismus die Geschichte Indiens, und buddhistischer Fundamentalismus wird am Beispiel Tibet dargestellt. Der jeweilige Kapitelumfang beträgt zwischen 25 Seiten für die Geschichte des „protestantischen Fundamentalismus“ innerhalb der USA und 12 Seiten für den Buddhismus und die Geschichte Tibets. Die Kapitel schließen jeweils mit einem Fazit. Das Buch endet mit einer Zusammenfassung, die noch einmal die eingangs angeführte These präsentiert. Literaturverzeichnis und Endnoten sind angefügt. Ein Register findet sich nicht.

Globalgeschichtliche Betrachtungen sind in der Wissenschaft und auf dem Buchmarkt im Zuge der gegenwärtigen Globalisierungsdiskurse en vogue. Das Erzählen von Geschichte kann durchaus ein weiterführender Ansatz sein, um komplexe theoretische Überlegungen in den wissenschaftlichen Diskurs einzuspeisen. Dies demonstrierte vor über 30 Jahren Tzvetan Todorov mit seiner Publikation „La conquête de l’Amérique. La question de l’autre“ in beeindruckender Weise. Es stellt sich jedoch durchaus die Frage, ob es sinnvoll sein kann, auf 140 Seiten Text gewissermaßen mehrere tausend Jahre Religionsgeschichte unter dem Blickwinkel der Fragestellung des Verhältnisses zwischen Religion und Politik darstellen zu wollen und dies für sieben religiöse Traditionen durchzuexerzieren, deren jeweilige Geschichte bewegt und verzweigt ist. Die Fokussierung auf beispielhafte Regionen hilft wenig über dieses grundsätzliche Problem hinweg. So entstehen teilweise so verdichtete Darstellungen, dass sie kaum dem gegenwärtigen Forschungsstand gerecht werden. Als Beispiel hierfür kann das Unterkapitel „Hirten und Herrscher“ dienen (95f). Der Diskussionsstand der historisch-kritischen Exegese und der Altorientalistik in Bezug auf die Ethnogenese Israels und die Ausbildung monotheistischer Glaubensvorstellungen wird hier nicht annähernd wiedergegeben. Warum der Autor in diesem Zusammenhang nicht darauf verweist, dass im 14. Jahrhundert v. Chr. in Ägypten mithilfe monotheistischer Rhetorik und Symbolik Politik betrieben wurde, verwundert, da doch das Thema Religion in ihrer politischen Dimension im Mittelpunkt des Interesses des Autors steht.

Primärquellen lässt Wippermann kaum zu Wort kommen. Eine Eigenart der Darstellung besteht darin, dass immer wieder wertende Kommentare des Autors eingeflochten werden, die nicht zu einem tieferen Verständnis der historischen Kontexte beitragen, sondern anachronistische Bewertungsmaßstäbe anlegen. Es muss auch festgestellt werden, dass sein Umgang mit religionswissenschaftlicher Terminologie äußerst unpräzise ist. So argumentiert er zum Beispiel einerseits, dass der Buddhismus eigentlich gar keine Religion sei, sondern eine Philosophie (130), spricht dem Dalai Lama aber einen „Priesternamen“ zu (129, 139). Weitere Beispiele terminologischer Inkonsistenz könnten aufgeführt werden.

Mit dem Buddhismus und der Geschichte Tibets scheint der Autor nicht näher vertraut zu sein, schätzt sie aber sehr, und so reproduziert er vielfach die positiven Klischeevorstellungen gebildeter Westeuropäer. Dass Buddhisten nicht missionierten und Andersgläubige niemals verfolgten, wie Wippermann behauptet (130), erscheint gerade im Blick auf die von ihm als Beispiel angeführte Geschichte Tibets und der Mongolei als eine wohlmeinende, aber historisch nicht zu belegende Behauptung. Bön-Meister und Schamanen, deren Kultorte sich buddhistische Mönchsorden sozusagen durch feindliche Übernahme angeeignet haben, könnten dieser Einschätzung wohl so nicht zustimmen.1 Die sogenannte Zähmung des/der Dämonen des Landes durch die buddhistischen Mönchsgemeinschaften sollte man sich nicht als durchweg pazifistisch vorstellen.

Wippermanns Aussagenverknüpfungen führen zu Formulierungen wie folgender: „Die Gottheiten, die Buddhisten bildnerisch darstellen und auch anbeten, sind nach dem Verständnis der monotheistischen Religionen allenfalls Götzen. Einige Buddhisten haben sich zudem gegen derartigen Götzenkult ausgesprochen. Dazu gehört der gegenwärtige Dalai Lama. Er hat den tibetischen Buddhisten die Verehrung einer Schutzgöttin namens Dorje Shugden untersagt“ (174). Was der Autor damit aussagen möchte, sei einmal dahingestellt, jedenfalls werden durch solche Äußerungen die religionspolitischen Hintergründe des Konflikts um die Dorje-Shugden-Verehrung nicht offengelegt, und das Anliegen des Dalai Lamas wird verzeichnet. Wippermann zeichnet das Bild eines Dalai Lama, dem es um die Abschaffung der Verehrung von Schutzgottheiten insgesamt geht. Das trifft in dieser Form sicherlich nicht zu. Es soll hier nun nicht auf weitere Behauptungen im Buddhismus-Kapitel oder in den anderen Kapiteln eingegangen werden, die kritisch zu hinterfragen sind, sondern ein Fazit gezogen werden.

Dem Anliegen des Autors, den Begriff des Fundamentalismus diskursiv zu präzisieren und seinen Gebrauch als leeres Totschlagargument zu hinterfragen, ist beizupflichten. Leider greift sein erzählender Zugang, der auf den Rückgriff auf allgemeine Konflikttheorien2 verzichtet, zu kurz. Verstärkt wird dieses Problem dadurch, dass sich Essentialisierungen religiöser Einstellungen einschleichen, die für einen Historiker verwunderlich sind, etwa die Behauptung: „Buddhisten sind im Prinzip Pazifisten und können eigentlich keine Bellizisten sein“ (174). Was nun unter einem „Bellizisten“ genau zu verstehen ist, wird nicht gesagt. Die enge Verbindung führender Zen-buddhistischer Schulen mit der imperialistischen Politik des kaiserlichen Japan zeigt jedoch, dass auch im Rahmen buddhistischer Hermeneutik aggressive Außenpolitik und Kriegsführung gestützt und glorifiziert werden konnte.3

Wippermann müsste auch andernorts seine Definitionen genauer fassen. Was versteht er unter „sakralisieren“? Es stellt sich die Frage, welchen Sinn es ergibt, eine solche Fundamentalismus-Definition anzuwenden auf Kontexte, die gar keine analytische Kategorie „Religion“ kennen. Muss nach Wippermanns Definition in solchen Kontexten nicht notwendigerweise Fundamentalismus praktiziert werden? Was wäre durch eine solche Erkenntnis gewonnen? Zeigt Wippermanns Charakterisierung der lateinamerikanischen Befreiungstheologie als eine Form des („ungefährlichen“) „katholischen Fundamentalismus“ (145) nicht das grundlegende analytische Problem des Buches an: Müsste der Autor nicht viel genauer das jeweilige Zueinander von Politik und Religion bedenken, statt einfach zwischen einem gefährlichen und einem guten Fundamentalismus zu unterscheiden? Vertreterinnen und Vertreter befreiungstheologischer Ansätze betreiben in ihrem Selbstverständnis wohl in den seltensten Fällen eine Sakralisierung der Politik und leiten politische Forderungen nicht durch eine Kurzschlusshermeneutik aus heiligen Texten ab. Sie stehen im Gegenteil zumeist kritisch gegenüber Vorstellungswelten, die getragen werden von metaphysisch begründeten Konzepten des „Sakralen“. Stellt für Wippermann jedes politische Engagement von Menschen mit religiöser Bindung eine Form des Fundamentalismus dar?

Es stellt sich die Frage, welchen Leserkreis das Buch ansprechen soll. Wer eine verlässliche Einführung in das Themengebiet Fundamentalismus sucht, wird enttäuscht werden, da sich, wie aufgezeigt, zu viele Ungenauigkeiten finden. Wer primär am Literaturverzeichnis interessiert ist, um weiterführende Literatur zu erschließen, wird rasch an die Grenzen des Literaturverzeichnisses stoßen. Diese zeigen sich nicht nur im Blick auf die Themenfelder Hindu-Nationalismus und Buddhismus. Dass es zu Ersterem „relativ wenige Studien“ gäbe, wie Wippermann behauptet (172), ist schwer nachzuvollziehen. Ein Blick in Zeitschriften, deren Schwerpunkt Südasien bildet, wie „Indian Sociology“ und „South Asia Research“ oder in Kataloge einschlägiger Verlage wie „Oxford University Press India“ hätte rasch zur Füllung des Literaturverzeichnisses führen können. Wer das Buch zur Hand nimmt, um weiterführende Anregungen theoretischer Art zu suchen, wird diese nur in eingeschränktem Maße finden.

Die beiden Haupterkenntnisse des Buches, dass Menschen mit religiöser Bindung nicht per se aus der Politik ausgeschlossen werden dürfen und dass Fundamentalismus kritisiert werden darf, insbesondere wenn er sich gegen Menschenrechte richtet und antidemokratisch eingestellt ist, dürften wohl nicht neu sein. So kann abschließend festgestellt werden, dass das Buch etwa so subtil daherkommt wie der auf dem Schutzumschlag abgebildete Baseballschläger und der dort zu sehende Molotowcocktail.


Harald Grauer, Sankt Augustin


Anmerkungen

  1. Vgl. z. B. Walther Heissig, A Mongolian Source to the Lamaist Suppression of Shamanism in the 17th Century, in: Anthropos 48 (1953), 493-536; Derek F. Maher, The Rhetoric of War in Tibet, in: Journal of Political Theology 9 (2008), 179-191.

  2. Vgl. z. B. Günther Schlee, Wie Feindbilder entstehen, München 2006.
  3. Vgl. etwa Brian Daizen Victoria, Zen at War, Boulder 22006.