Neuapostolische Kirche

Fünf Jahre Stammapostel Leber

(Letzter Bericht: 1/2010, 5ff) An Pfingsten 2005 wurde Wilhelm Leber als achter Stammapostel der Neuapostolischen Kirche (NAK) berufen. Während die Mitgliederzahlen der NAK in Mitteleuropa heute rückläufig sind, steigen sie vor allem in Afrika weiterhin an. Kein Wunder, dass der Stammapostel den zentralen Pfingstgottesdienst in diesem Jahr in dem weltweit größten Kirchengebäude der NAK in Tafelsig (Südafrika) leitet! Der Gottesdienst wird per Satellit in 100 Länder übertragen, so dass ihn rund 1,2 Millionen Gläubige miterleben werden. Seit fünf Jahren leitet Leber, ein promovierter Mathematiker, die Geschicke der zahlenmäßig größten christlichen Sondergemeinschaft, was Anlass zu einem kurzen Rückblick gibt.

• Innerkirchliche Umstrukturierungen und Reformwille: Neben dem internationalen Kirchenpräsidenten sind heute weltweit 19 Bezirksapostel, 11 Bezirksapostelhelfer und 326 Apostel tätig. Lebers Führungsverhalten kann als kollegial beschrieben werden. Wurde früher die weltweite Kirche zentral von Deutschland und der Schweiz aus dirigiert, förderte Leber die Verselbstständigung der Gebietskirchen. So wurde zum Beispiel Madagaskar mit 60 000 neuapostolischen Christen, die zuvor von Süddeutschland betreut wurden, von der Gebietskirche Südostafrika übernommen. Diese Dezentralisierung unterstreicht die Bemühungen des Oberhaupts der NAK, Verantwortung abzugeben und zu teilen. Ein besonderes Anliegen von Leber ist augenscheinlich, die innere Einheit der NAK zu stärken. Dies scheint auch dringend nötig zu sein, weil seit vielen Jahren ungeduldige Reformkräfte einerseits und traditionalistische Ströme andererseits den Zusammenhalt und die Identität der NAK bedrohen. Ganz offensichtlich zählt Leber zu den reformwilligen Kräften. Seinen Standpunkt versucht er allerdings nicht autoritär durchzusetzen – er will überzeugen. Nach Beschreibungen von Mitarbeitern zeichnen den Kirchenpräsidenten dabei eine uneitle Art und eine offene Kommunikation aus. Dies habe zu einer intensiven Gesprächskultur innerhalb der Bezirksapostelversammlung, dem zentralen Entscheidungsgremium der NAK, geführt. Darin liegt jedoch auch eine gewisse Problematik, denn manche erwarten ein anderes Führungsverhalten von einem Stammapostel. Anders formuliert: Wie viel Demokratie verträgt eine theokratische Organisation, ohne ihr Profil zu verlieren?

• Handwerkliche Fehler: In Lebers Amtszeit sind einige handwerkliche Fehler geschehen. Nachdem in der Uster-Erklärung 2006 die Taufe anderer christlicher Konfessionen anerkannt wurde, riefen Aussagen des 2. Informationsabends 2007 über das Selbstbild der Neuapostolischen Kirche und die Ergebnisse einer „Arbeitsgemeinschaft Geschichte“ heftige Widersprüche hervor: Viele stießen sich an der Aussage, dass das Heil „durch Gottes Willen“ auch in anderen Kirchen erlangt werden könnte, jedoch die NAK das Werk Gottes und die Kirche der wahren Apostel Jesu sei. Die stark interpretationsbedürftige Aussage, dass die Sündenvergebung an das Apostelamt gebunden sei, relativierte Stammapostel Leber Ende 2008 dahingehend, dass die Sünden schlussendlich „souverän“ durch Gott selbst erlassen würden. Diese und andere Nachbesserungen weisen darauf hin, dass manche Aussagen des Stammapostels theologisch nicht gründlich genug durchdacht worden sind. Allerdings zeugt es von Mut und Veränderungswillen, wenn ein Stammapostel Mängel eingesteht. So gab Leber im Rahmen des Europäischen Jungendtages 2009 in Düsseldorf unumwunden zu, dass gegenüber der Vereinigung Apostolischer Gemeinden (VAG) Fehler gemacht worden seien. Die NAK will sich unter Lebers Leitung einem wunden Punkt der Vergangenheit zuwenden: der Aussöhnung und der gemeinsamen Geschichtsaufarbeitung mit den ehemaligen Neuapostolischen, die ihre Kirche nach der umstrittenen „Botschaft“ des Stammapostels Johann Gottfried Bischoff im Jahr 1951 verlassen hatten. Der Kirchenpräsident hat nach missverständlichen früheren Aussagen die VAG um Verzeihung gebeten und versichert, für eine neue und objektivere Aufarbeitung zu sorgen.

• Ökumenische Öffnung: Schon Lebers Vorgänger Richard Fehr (Amtszeit 1988–2005) rief 1999 die Projektgruppe Ökumene ins Leben. Der ökumenische Dialog wird von Leber weiter vorangetrieben. Weil aber in einigen grundlegenden Lehrfragen nach wie vor Differenzen zur christlichen Tradition bestehen, ist bisher keine neuapostolische Gemeinde in einer der bundesweit 14 regionalen Arbeitsgemeinschaften Christlicher Kirchen (ACK) vertreten. Lediglich in sieben von 250 örtlichen ACK-Gruppen haben einzelne NAK-Gemeinden in den letzten Jahren den Status einer Gastmitgliedschaft erhalten. Diese Ausnahmen sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das anvisierte Ziel der ökumenischen Gemeinschaft noch in weiter Ferne liegt. Erst der in Aussicht gestellte neue Katechismus kann Aufschluss über die theologischen Veränderungen in der NAK geben.


Michael Utsch