Evangelikale Bewegung

Fototermin mit Bibel – US-Evangelikale distanzieren sich von Trump

Mitten in den landesweiten Unruhen nach der Tötung des Afroamerikaners George Floyd durch einen Polizisten in Minneapolis hat ein symbolpolitischer Akt des US-Präsidenten Donald Trump vom 1. Juni 2020 für Diskussionen gesorgt – auch unter Evangelikalen.1 Nach einem Auftritt im Rosengarten des Weißen Hauses, bei dem Trump ein hartes Durchgreifen gegen Randalierer angekündigt hatte, machte er sich zu Fuß auf den Weg zur nahen St. John’s Episcopal Church. Auf die Kirche war eine Nacht zuvor ein Brandanschlag verübt worden, das Feuer konnte aber rasch gelöscht werden. Um den Weg zur Kirche freizumachen, ließ der Präsident Menschen, die größtenteils friedlich gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstrierten, unter Einsatz von Gummigeschossen und Tränengas vertreiben. Vor der Kirche posierte Trump dann für die Kameras mit finster-entschlossener Miene – und mit einer Bibel in der Hand. Dabei äußerte er: „Wir haben ein großartiges Land. Das großartigste der Welt. Und wir machen es noch großartiger.“

Zweifellos war der Auftritt vor St. John’s mitsamt dem „freigekämpften“ Fußweg dorthin sorgsam inszeniert. Das Bild des martialisch dreinblickenden Präsidenten mit Bibel wird im Gedächtnis bleiben. Es hat in seinem Symbolgehalt freilich eine gewisse Unschärfe. Handelt es sich um eine Solidaritätsbekundung für die angegriffene Kirche oder für potenziell bedrohte Kirchen oder religiöse Stätten überhaupt? Offensichtlich mehr als das. Die demonstrative Präsentation der Bibel indiziert ein Bekenntnis zum Christentum – oder spezifischer: zum protestantischen, oder noch spezifischer: zu einem „bibeltreuen“, evangelikalen Christentum –, was angesichts der Wahlen im November, für die Trump seine evangelikalen Anhänger mobilisieren muss, politisch naheliegt. Hier steht der Präsident, der wie kein anderer den Einfluss „der Bibel“ und „der Bibeltreuen“ in der US-Politik garantiert und damit die Einheit von konservativem Christentum und Patriotismus verkörpert – das ist die unübersehbare Kernbotschaft des Fotos.

Berücksichtigt man den Kontext der politischen Unruhen und Randale sowie die Selbstdarstellung als „Law and Order“-Präsident, die mit der Vertreibung der Demonstranten auf dem Weg zur Kirche untermauert wurde, rückt noch eine weitere Bedeutungsnuance in den Blick. Im Rosengarten hatte Trump die Unruhen mit ihrem Vandalismus als „Angriff auf die Menschlichkeit und ein Verbrechen gegen Gott“ bezeichnet, dem mit der Staatsgewalt Einhalt zu gebieten sei.2 Vor diesem Hintergrund kann man das Bild vom mächtigen Mann mit der Bibel zusätzlich im Sinne einer Inszenierung als Werkzeug oder gar als Stellvertreter Gottes mit der Ermächtigung zur Wiederherstellung der gottgewollten Ordnung lesen. Damit sollte wohl auch ein Gegenbild zu der „durchgestochenen“ Nachricht produziert werden, wonach Trump wenige Tage zuvor in einen Bunker des Weißen Hauses gebracht worden war, um ihn vor den Unruhen in Washington in Sicherheit zu bringen. Dieses Bild der Feigheit und Schwäche sollte am 1. Juni vermutlich mit der Pose eines starken Oberbefehlshabers auf dem Schlachtfeld, streitend im Namen des Gottes von Gesetz und Ordnung und mit der Bibel als Feldzeichen, überschrieben werden.

Doch bei den bevorzugt adressierten Evangelikalen stieß diese Bilderbotschaft keineswegs auf einhellige Zustimmung. Deutlicher als bisher wurde sichtbar, dass die konservativen Protestanten nicht so geschlossen hinter Trump stehen, wie man angesichts prominenter Unterstützer und überaus zahlreicher Wähler aus dieser Gruppe meinen konnte (auch wenn man es sich angesichts von Trumps offenkundig wenig bibelorientiertem Charakter wiederum nur schwer erklären konnte). Dass sich afroamerikanische Evangelikale distanzieren, verwundert besonders in der derzeitigen Situation wenig. So hat Pastor Walter Arthur McCray, der Präsident der „National Black Evangelical Association“, herausgestellt, dass sich die meisten schwarzen Evangelikalen ohnehin in Distanz zu Trump und seinen weißen evangelikalen Unterstützern halten, „die zu einem pathologischen Lügner und Rassisten stehen, der die Spaltung innerhalb der USA schürt“. Auch bei Jim Wallis, dem Gründer und Präsidenten der linksevangelikalen „Sojourners Community“, kommt die Kritik nicht überraschend. Wallis war 2018 einer der Unterzeichner des Bekenntnisses „Reclaiming Jesus“3, einer unverkennbar Trump-kritischen Erklärung politisch besorgter US-Christen. Das Fotoshooting vom 1. Juni beurteilte er nun mit deutlichen Worten als „Sakrileg und Blasphemie“. Die Aussage vor der St. John’s Church, Amerika sei das großartigste Land der Welt, sei angesichts der jüngsten Vorkommnisse „ein zynischer und gefährlicher Appell an den christlichen Nationalismus und ein Affront gegen den Auftrag der Kirche und die Integrität des Evangeliums"4.

Indessen hat auch der einflussreiche, durchaus rechtsevangelikale Fernsehprediger und -moderator Pat Robinson Trumps Gebaren breitenwirksam kritisiert. Es sei in der gegenwärtigen Krise eigentlich „an der Zeit zu sagen ‚Ich verstehe euren Schmerz, ich will euch trösten‘“, anstatt mit Law-and-Order-Gesten zu drohen, so der 90-Jährige in seiner Sendung „The 700 Club“. Auch verbiete es sich, die Gouverneure der Bundestaaten im Streit um den richtigen Umgang mit den Unruhen wie „Idioten“ zu behandeln. „So etwas tut man einfach nicht, Mr. President. Das ist nicht cool!“5 Russell Moore, Präsident der „Ethics & Religious Liberty Commission“ der „Southern Baptist Convention“, erklärte: „Friedlich protestierende Leute mit Gummigeschossen und Tränengas zu beschießen ist moralisch falsch. Was wir jetzt brauchen, ist moralische Führung“.6 Just am 1. Juni erschien im Übrigen eine Essaysammlung mit dem sprechenden Titel „The Spiritual Danger of Donald Trump. 30 Evangelical Christians on Justice, Truth, and Moral Integrity“7.

Allerdings fanden sich auch nicht wenige prominente Evangelikale, die Trumps bibelgestützte Publicity-Aktion begrüßten. Robert Jeffress, Pastor der „First Baptist Church“ in Dallas (Texas) und ein Vertrauter Trumps, sagte bei „Fox News“, der Präsident habe mit dem Foto vor St. John’s ein „vollkommen angemessenes“ Zeichen gegen die Angriffe auf Kirchen gesetzt. „Indem er die Bibel hochhielt zeigte er uns, dass sie lehrt, dass Gott Rassismus als etwas Verachtenswertes hasst; aber auch, dass er Gesetzlosigkeit hasst“.8 Ähnlich wertete der Evangelist Franklin Graham, Sohn des berühmten Billy Graham und Präsident der Wohltätigkeitsorganisation Samaritan’s Purse, Trumps Auftritt vor der Kirche als „wichtiges Statement, dass die Gesetzlosigkeit aufhören muss“9. Johnnie Moore, Präsident des „Congress of Christian Leaders“, schrieb: „Ich werde das Bild nie vergessen, wie Trump langsam und mit totaler Kontrolle zur St. John’s Kirche geht und damit denen die Stirn bietet, die unsere nationale Heilung verhindern wollen, indem sie Angst, Hass und Anarchie verbreiten.“10

Martin Fritz

 

Anmerkungen

1    Vgl. zum Folgenden: idea-Pressedienst vom 8.6.2020, Nr. 119, 15-18; www.theguardian.com/us-news/2020/jun/04/trumps-bible-photo-op-splits-white-evangelicals; www.theatlantic.com/politics/archive/2020/06/trumps-biblical-spectacle-outside-st-johns-church/612529 (Abruf der Internetseiten: 11.6.2020).
2    Vgl. https://edition.cnn.com/2020/06/01/politics/read-trumps-rose-garden-remarks/index.html.
3    www.reclaimingjesus.org; deutsche Übersetzung mit Einleitung in: Theologische Beiträge 50 (2019), 98-105.
4    Vgl. https://sojo.net/articles/prayer-essential-protest-required-policy-necessary.
5    Vgl. https://edition.cnn.com/2020/06/03/politics/pat-robertson-donald-trump/index.html.
6    Vgl. www.theguardian.com/us-news/2020/jun/04/trumps-bible-photo-op-splits-white-evangelicals.
7    Hg. von Ronald J. Sider, Eugene / Oregon 2020.
8    Vgl. https://thehill.com/blogs/blog-briefing-room/news/500763-robert-jeffress-trump-photo-at-church-amid-protests-completely.
​​​​​​9    Vgl. www.foxnews.com/us/trump-bible-photo-franklin-graham.
10   Vgl. www.theatlantic.com/politics/archive/2020/06/trumps-biblical-spectacle-outside-st-johns-church/612529.