Ulrike Schiesser

Flirting with Disaster

Erklärungsansätze für Faszination und Angst in Bezug auf Weltuntergangsvorhersagen

Wirtschaftskrisen, Umweltkatastrophen, atomare Bedrohungen und historische Kalendersysteme, die angeblich den Untergang verkünden – apokalyptische Szenarien haben Hochkonjunktur. Über alle Kulturkreise hinweg, in der Vergangenheit wie in der Gegenwart, haben sich Menschen mit dem Ende der Welt beschäftigt, davor gewarnt, sich darauf vorbereitet und sich davor gefürchtet (Tilly 2012). Und obwohl diese Vorhersagen bisher nicht eingetroffen sind, übt dieses Thema eine ungebrochene Faszination aus. Eine verbreitete Auseinandersetzung damit hat 1999 im Umfeld der Jahrtausendwende stattgefunden, und zuletzt stießen Vorhersagen einer weltweiten Katastrophe oder zumindest einer globalen Transformation für die Tage um den 21.12.2012 auf eine erstaunliche Resonanz. Eine Flut an Büchern, Artikeln und Webseiten nimmt sich des Themas an, ein ganzer Wirtschaftszweig scheint sich um das Ende der Welt und ein mögliches Überleben zu bilden. Dabei werden sowohl spirituell inspirierte Szenarien diskutiert als auch weltliche Bedrohungsszenarien und Umweltkatastrophen.

Michael Shermer beschreibt den Menschen als „pattern seeking belief engine“ (Shermer 2011), immer auf der Suche, aus der überwältigenden Flut an Informationen, aus den chaotischen, oft widersprüchlichen Eindrücken und Erfahrungen des kleinen Ausschnitts der Welt, der uns zugänglich ist, eine in sich schlüssige, sinnstiftende Welt zu extrahieren, eine Welt, in der wir uns zurechtfinden, die nach verständlichen Gesetzen zu funktionieren scheint. Auch in den Warnungen vor einem Weltuntergang werden Orientierung, Handlungsanweisungen und Erklärungsmodelle vermittelt.

In der aktuellen Fachliteratur, die sich mit Weltuntergangsankündigungen auseinandersetzt, wird das Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert. Im Folgenden werden die verschiedenen Betrachtungen mosaiksteinartig in sieben Themenblöcken zusammengefasst. Der Begriff „Apokalypse“ wird dabei im umgangssprachlichen Gebrauch synonym zum Begriff Weltuntergang verwendet und nicht in christlich-theologischer Interpretation.

1. Apokalypse als Gegenwartsphänomen

Durch die mediale Vernetzung leben wir heute in einem „globalen Dorf“. Naturkatastrophen, Unfälle in Atomreaktoren, technische Pannen mit bedrohlichen Konsequenzen sind Teil der täglichen Berichterstattung, auch wenn sie an weit entfernten Orten stattfinden. Dadurch mag der Eindruck entstehen, dass sich menschheitsbedrohende Vorfälle häufen, dass die Bedrohung allgegenwärtig ist. Es gibt keine Garantie mehr für materielle Sicherheit, einen lebenslangen Arbeitsplatz, sichere Pensionsversorgung. Der Glaube an den technischen Fortschritt ist in eine Krise geraten und schwenkt zuweilen in eine Skepsis gegenüber wissenschaftlichen Erkenntnissen, medizinischen Entwicklungen und in Technologiefeindlichkeit um (Utsch 1999).

Die Warnungen vor einer Katastrophe und die Auseinandersetzung mit Katastrophenszenarien sind seit einigen Jahrzehnten ein verbreitetes Motiv in Literatur und bildender Kunst, in Musik und Film, in der Friedens- und Umweltschutzbewegung. Die Menschheit scheint fortlaufend am Rande einer globalen Katastrophe zu stehen, ein Bedrohungsszenario folgt auf das andere. „Viele halten die Menschheitsdämmerung für unausweichlich“ (Körtner 1999, 7). Die Bandbreite der Untergangsszenarien reicht von atomarer Bedrohung (Atomkrieg, Reaktorunfall, atomarer Müll), ökologischen Gefahren (Klimaerwärmung, Ressourcenknappheit, Artensterben, Umweltverschmutzung), demografischen Bedrohungen (Überbevölkerung, Überalterung), medizinischen Herausforderungen (AIDS, Vogelgrippe, resistente Keime) bis zu technologischen Entwicklungen, die als bedrohlich wahrgenommen werden (Gentechnik, Artificial Intelligence). Die Gegenwart wird von vielen als sehr unsicher erlebt. „Es zeichnet die zeitgenössische Diskussion um die ökologische Krise und die Gefahr eines atomaren Weltkrieges aus, daß sie in abgewandelter Form von apokalyptischen Deutungsmustern Gebrauch macht, die von den angesprochenen Gefahren unabhängig bestehende Bewußtseinsphänomene sind“ (Körtner 1999, 8).

Im Gegensatz zu christlichen apokalyptischen Vorstellungen fehlt den säkularen Szenarien die Hoffnung auf Erlösung, auf eine bessere Welt nach dem Untergang (Körtner 2010). In bestimmten esoterischen Deutungen wird diese Hoffnung wieder eingeführt. Eine Erleuchtung der Menschheit soll zu einem globalen Umdenkprozess führen, ein Aufstieg in eine „höhere Energiedimension“ die Probleme lösen.

Neben einem latenten Gefühl der Bedrohung der menschlichen Existenz spielt eventuell ein zweites alltägliches Phänomen eine Rolle: Die Zeit scheint stets zu knapp zu sein. Die Anforderungen des Alltags lassen sich nicht mehr in der vorhandenen Zeit bewältigen. Michael Nüchtern schreibt dazu: „Weltuntergangsbilder entsprechen darüber hinaus in unheimlicher Weise unserem Gefühl von Zeit. Das Ende der Zeit verkürzt die Gegenwart. Apokalyptik bedeutet, keine Zeit mehr zu haben“ (Nüchtern 1998, 4). Und dieses Gefühl, zu wenig Zeit zu haben, scheint heute allgegenwärtig. „Die immer kürzer werdenden Halbwertszeiten von Wissen, Gebrauchsgegenständen und menschlichen Beziehungen lassen ‚Gegenwart’ immer mehr schrumpfen ... Die Erfahrung, dass nichts bleibt und alles veraltet, ist allgemein. Wo soviel Untergang erlebt wird, bekommt die These, dass bald alles untergehen wird, etwas zutiefst Plausibles – und geradezu Beruhigendes. Ist das kosmische Endspiel doch nur die Verdichtung und Steigerung dessen, was man tagtäglich im Kleinen so und so erlebt: Untergang“ (Nüchtern 1998, 4).

2. Die Apokalypse löst jedes Problem

Die Vorstellung eines Weltuntergangs kann auch entlastend wirken, sowohl in Bezug auf individuelle Nöte als auch auf gesellschaftliche Spannungen. Im Angesicht der Apokalypse werden Alltagssorgen relativiert, und für eine Reihe von Problemen liefert sie eine radikale Lösung.

Die Beschäftigung mit apokalyptischen Szenarien ist besonders intensiv in sozio-kulturellen Krisenzeiten, in Kulturen, die sich bedroht fühlen, die unter psychosozialem Stress stehen (Didymus 2011). Sie ist damit Ausdruck eines Krisenbewusstseins, das auf gesellschaftliche oder politische Umbrüche reagiert, einer Unzufriedenheit mit der Gesellschaft, Frustration über aktuelle soziale Entwicklungen (Bloom 2009). „Die jeweilige Gegenwart wird als Krise erlebt, welche mit Hilfe apokalyptischer Denkmuster gedeutet und auf diese Weise bewältigt werden soll“ (Körtner 1999, 4). Sie kann auch auf eine Nichtbewältigung eines gesellschaftlichen Umbruchs hindeuten (Graf-Stuhlhofer 1999). „Das Dasein läßt dem Apokalyptiker keine Handlungsmöglichkeiten mehr. Er erlebt sich der Welt gegenüber als völlig ohnmächtig, und zwar nicht nur etwa in politischer Hinsicht, sondern auch existentiell“ (Körtner 1999, 5). Der Psychiater Caspar Kulenkampff deutet zum Beispiel Weltuntergangsängste bei Schizophrenen als „sackgassenartige Weltstruktur“ mit der „Vorstellung des Weltuntergangs aus der Erfahrung des Überwältigtwerdens durch eine übermächtige und durch das eigene Handeln nicht mehr beeinflussbare Außenwelt“ (Kulenkampff 1963, zit. nach Körtner 1999, 5).

In Weltuntergangsansagen manifestiert sich auf diese Weise Kritik an bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Sie transportieren moralische Wertvorstellungen und religiöse Forderungen. Zugleich dienen sie als politisches Instrument, um Reformen durchzusetzen (z. B. im Umweltschutz), Ausgaben zu rechtfertigen und sicherheitspolitische Maßnahmen zu legitimieren (Wuketits 2012). Katastrophenszenarien sollen ein Bewusstsein schaffen für Probleme wie Klimaerwärmung, Umgang mit Ressourcen, technische Gefahren und Überbevölkerung. Dabei werden aktuelle Zeitereignisse als Schlüsselsignale für eine End- bzw. Wendezeit interpretiert (Murken 2009).

Wenn die Katastrophe bereits allgegenwärtig scheint, ein Gefühl von Hetze und Zeitdruck sich ausbreitet, gepaart mit einem Eindruck von Hilflosigkeit, dann scheinen Untergangsszenarien logisch und bestätigen die persönliche Erfahrung. „Apokalyptik kommt aus der Erfahrung des Fremdseins in der Welt und weist einen Weg aus dieser bedrückenden Spannung“ (Nüchtern 1998, 4). Vor einer globalen Bedrohung treten die persönlichen Nöte zurück und lassen sie im Vergleich geringer erscheinen. Das persönliche Scheitern, die eigene Unvollkommenheit scheinen vergleichsweise unbedeutend, wenn die gesamte Menschheit auf dem Prüfstand steht und als mangelhaft bewertet wird. Es tröstet, nicht der Einzige zu sein.

Die Vorstellung eines Weltuntergangs relativiert persönliche Probleme, zugleich bietet sie auch eine Lösung an. Wenn die Zukunftsängste übermächtig werden, die Welt auf einen Untergang zusteuert und das Individuum keine ausreichende Möglichkeit sieht, Einfluss zu nehmen, wird der Wunsch größer nach einer übermächtigen Kraft, die Ordnung schafft, nach Rettung von außen. Man kann von einer kindlichen Sehnsucht sprechen, nach einer „großen Macht“, der alle Probleme überantwortet werden können und die wie ein guter Vater oder eine gute Mutter für die Menschen sorgt. Dabei sollen die „Guten“ belohnt und die „Bösen“ bestraft werden. Um das zukünftige Paradies zu schaffen, muss die aktuelle Welt zuvor zerstört werden. Nach dem Weltuntergang soll ein goldenes Zeitalter beginnen oder zumindest ein Neuanfang nach vorangegangener „Reinigung“. Kurz gesagt: „Der Weg zum Heil führt durch die Katastrophe“ (Körtner 2010, 245).

3. Apokalypse vermittelt Sinn

Das griechische Wort apokalypsis bedeutet „Enthüllung“: Die wirkliche Natur der Welt enthüllt sich im Untergang. Apokalyptische Visionen sind auch Erzählungen, die dem Leben Sinn geben, weil es auf ein Ziel zuläuft. Die Erzählung von den letzten Dingen gibt Handlungsanweisungen fürs Leben (Mesenhöller 2012) nach dem Motto: „Tue dies und jenes und du wirst am Ende belohnt werden, alle anderen werden bestraft.“

Apokalyptik, insbesondere in der Auslegung christlicher Theologinnen und Theologen, verharrt nicht nur in einer Stimmung der Weltangst, sondern gibt auch Hoffnung. Der drohende Untergang erscheint als Übergang oder Durchgang, die Katastrophe wird zur Krise, die Neues entstehen lassen kann. Aus der Angst vor dem Ende und dem Tod wird die Gebärangst, die Angst vor einer schwierigen Zeit des Umbruchs, hinter der aber ein Versprechen auf eine bessere Weltordnung liegt (Körtner 1999).

Endzeitgruppen interpretieren die Gegenwart häufig als bedrohlich, ungerecht, falschen Werten unterworfen, sündig. Die eigene Gruppe wird im Gegensatz dazu als weiter entwickelt, moralisch höherstehend, im Besitz besonderen Wissens und des „wahren“ Glaubens erlebt. Der Weltuntergang betrifft in erster Linie „die anderen“ – die eigene Gruppe wird gerettet oder in ein Paradies geführt. Die Kernaussage lautet meist: Wir sind die Guten in einer bösen Welt. Die apokalyptischen Visionen dieser Gruppen erzählen eine kraftvolle Geschichte mit Helden und Schurken, mit einem monumentalen Endkampf und einem Happy End für die Angehörigen der Gruppe. Die Grautöne zwischen Gut und Böse verschwinden, die Komplexität der Welt wird auf eindeutige Kontraste, einfache Aussagen, klare Wenn-Dann-Erklärungen reduziert (Grüter 2011).

Je undurchsichtiger gesellschaftliche oder wirtschaftliche Zusammenhänge scheinen, desto attraktiver wird die neue Übersichtlichkeit, die in Weltuntergangsbotschaften häufig vermittelt wird. „Endzeitpropheten bringen die verwirrende Vielfalt der Wirklichkeit auf einen Begriff ... Widersinniges, Unsinniges und Undurchsichtiges bekommt plötzlich einen Sinn, einen schwarzen zwar, aber der scheint manchen immer noch besser als keiner“ (Nüchtern 1998, 5). Die Attraktivität von Endzeitbildern speist sich auch aus der Sehnsucht, aus der verwirrenden Wirklichkeit durch eineDeutung eine eindeutige Zielrichtung zu erhalten (Nüchtern 1998).

Da das Ende der Welt als unmittelbar bevorstehend verkündet wird, werden von den Mitgliedern totale Hingabe an die Gruppe und hohes Engagement bei der Verbreitung der Lehre erwartet. Die Tendenz, sich abzuschotten, steigt. Die diesseitige Welt wird zunehmend abgewertet, zunehmend als feindlich und verloren interpretiert. Engagement dafür lohnt sich nicht, alle Hoffnungen auf eine Verbesserung werden auf eine göttliche Kraft oder die „neue Weltordnung“ nach der Katastrophe gerichtet. Durch hingebungsvolle Mission sollen möglichst viele Menschen noch rechtzeitig vor dem Weltende in die Gruppe gebracht und damit gerettet werden. Die Bindung an die Gruppe wird durch diese rastlose Tätigkeit gestärkt, Außenbindungen gelockert oder abgebrochen. Je stärker die Anfeindungen der Umwelt, desto enger wird der Zusammenhalt (Grüter 2011). Die verheißungsvolle Zukunft legitimiert das aktuelle Leiden. Bei militanten Gruppen kann in dieser Phase die Gewaltbereitschaft steigen, die sich gegen die „schlechte Welt“ richtet, wie bei der japanischen Aum-Bewegung, die mit Anschlägen wie den Giftgasattacken in der U-Bahn Tokios den „letzten Krieg“ aktiv herbeiführen wollte (Grüter 2011).

Die Sehnsucht nach einer besseren Welt kann in extremen Fällen auch zum kollektiven Selbstmord einer Endzeitgruppe führen, wie zum Beispiel 1993 bis 1997 bei den „Sonnentemplern“, die sich durch den Selbstmord einen „Transit in eine höhere Form“ erhofften, und 1997 bei den Anhängern von „Heaven’s Gate“, die erwarteten, von Außerirdischen in einem Ufo abgeholt zu werden (Murken 2009). In beiden Gemeinschaften herrschte die Überzeugung, dass die Welt unmittelbar vor einem Untergang stünde. Der kollektive Selbstmord (in einigen Fällen auch Mord) war nicht als Weg in den Tod, sondern als Ausweg vor dem Tod gedacht. Eingebunden in die Rituale der Gruppe würde die Seele den nicht mehr benötigten Körper verlassen und in einer anderen Welt weiterleben.

4. Gemeinsam fällt das Sterben leichter

In der Angst vor dem Ende der Welt setzt sich der Mensch auch mit der Angst vor dem eigenen Tod auseinander. Die Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit ist für viele ein schwieriges Thema. Die Beschäftigung mit einem bevorstehenden Weltuntergang kann auch als Übertragung dieser Ängste nach außen interpretiert werden (Mesenhöller 2012). Damit ist das befürchtete Weltende letztendlich eine Projektion der „inneren Apokalypse“, des eigenen, ganz persönlichen Todes. Man kann somit apokalyptische Vorhersagen und Erzählungen als kulturelles Äquivalent zur Beschäftigung des Individuums mit dem persönlichen Tod sehen (Weston La Barre nach Didymus 2011). Das Grauen vor dem eigenen Tod wird in apokalyptische Bilder übersetzt und scheint so, losgelöst vom eigenen Schicksal, leichter zu bewältigen zu sein.

Apokalyptik wird zum Ausdruck der „Daseins-Unsicherheit, der Weltangst des Menschen, der Angst vor der Welt und vor sich selbst“ (Jonas 1964, 143, zit. nach Körtner 1999, 4). Sie entspringt dem Gefühl grenzenloser Einsamkeit, der „Gewissheit des eigenen Sterbenmüssens und der Vergänglichkeit aller weltlichen Erscheinungen. Weltangst ist demnach die Entdeckung der Endlichkeit unserer selbst wie der Welt, in der wir leben“ (Körtner 1999, 4). Möglicherweise ist es einfacher, sich mit dem bevorstehenden Ende der Welt auseinanderzusetzen als mit dem bevorstehenden Ende der eigenen Existenz. Der eigene Tod ist unausweichlich, der angekündigte Weltuntergang lässt meist eine Hintertür offen: Wer die richtigen Rituale ausführt, Mitglied der richtigen Gruppe ist, den richtigen Glauben hat, wird verschont oder in ein „ewiges“ Leben transformiert. Auf diese Weise kann der eigene Tod „besiegt“ werden.

Zudem setzt ein genaues Datum dem Warten ein Ende. Es ist nicht mehr nötig, sich vor einem unberechenbaren und doch stets lauernden Tod zu fürchten. „Hier kann ein sicher vorhergesagtes Ende beruhigender und stabilisierender wirken als permanente Unsicherheit“ (Utsch 1999, 327). Ein rigides Glaubenssystem, das von einem definitiven Ende ausgeht, kann unter Umständen mehr Sicherheit vermitteln als die pluralistische Beliebigkeit unendlicher Möglichkeiten. Apokalyptische Gruppen „nehmen den unter Weltangst Leidenden eine große Last ab, indem sie ihre existentielle Verunsicherung durch die Enthüllung zukünftiger Ereignisse in ‚Gewißheit’ verwandeln“ (Utsch 1999, 328). Wie ein Sprichwort sagt: „Besser ein (vorhergesagtes) Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.“ Das scheinbar sichere Wissen um das Ende der Welt reduziert Komplexität und vermittelt ein Maß an Kontrolle.

Dazu kommt, dass für manche Menschen der eigene Tod leichter zu ertragen scheint, wenn alle gemeinsam sterben. Es bleiben keine trauernden Angehörigen zurück, niemand wird „im Stich gelassen“. Gläubige Menschen erhoffen nach dem Tod ein Wiedersehen in einer „besseren Welt“. Es scheint leichter, die Welt zu verlassen, wenn sie mit dem eigenen Weggang zu existieren aufhört.

5. Es kommt nichts Besseres nach

Vielleicht entspringt die Faszination der Menschen durch Weltuntergangsszenarien auch einem egozentrischen Weltbild: Jede Generation empfindet sich als eine „auserwählte Generation“, eine Elite (Graf-Stuhlhofer 1999) oder auch als eine besonders bedrohte Generation, die sich gegen außergewöhnliche Widerstände bewähren muss. In der Überzeugung „Mit mir hat die Welt ihren Höhe- und Schlusspunkt erreicht“ zeigt sich eine narzisstische Komponente.

Es gibt eine gesellschaftliche Tendenz, die jeweils aktuelle Zeit als besonders bedeutend, häufig auch als besonders düster und gefährdet zu interpretieren. Dabei verbindet sich eine skeptische Wahrnehmung der Gegenwart mit eher pessimistischen Erwartungen der Zukunft bei nostalgischer Verklärung der Vergangenheit.

Weltuntergangserwartung scheint zu manchen Zeiten eine kollektive Grundbefindlichkeit zu sein. Sie durchzieht Texte und Kunstwerke quer durch die Geschichte der Menschheit, unabhängig von Kultur und spirituellem Hintergrund (Braun 1998). In einigen Hindu-Traditionen besteht die Überzeugung, dass jedes Zeitalter schlechter ist als das vorhergehende, weil das „Recht“ (dharma) immer mehr abnimmt. Am Schluss erfolgt dann die Auflösung des Kosmos (pralaya), was zugleich den Beginn des nächsten Zyklus einleitet. Bislang haben sich die Anhänger dieser Philosophie immer interpretiert als Teilnehmende am schlechtesten Zeitalter, dem Kali-yuga, dem Kali-Zeitalter, das mit Krieg, Tod und Verderben endet. Aus dieser besonderen Wahrnehmung der jeweils eigenen Zeitgeschichte folgt mitunter eine übermäßig pessimistische Haltung gegenüber der Zukunft: „Es kommt nichts Besseres nach – nach mir die Sintflut.“

6. „Ich weiß etwas, was du nicht weißt!“

Der Endzeitprophet kennt das geheime Gesetz, das hinter allem steht. Er kann die Zeichen der Zeit deuten, er verfügt über besonderes Wissen und sieht sich in speziellem Kontakt zu mächtigen Wesen oder Kräften. Er kann Rettung anbieten und gibt klare Orientierung, macht komplexe Zusammenhänge einfach und liefert einen Katastrophenfahrplan (Nüchtern 1998). „Es gibt heute zahlreiche Gruppen, die sammeln geradezu die Bedrohungsgefühle der Menschen und bieten Methoden zu ihrer Überwindung an. Bedrohungsszenarien geben den Überzeugungen Gewicht und machen Druck. Dabei wird stets dasselbe Muster variiert: Du musst jetzt in der Gegenwart dies oder jenes tun (dich unserer Gruppe anschließen, meditieren, dich in bestimmter Weise ernähren ...), um der zukünftigen Gefahr zu entgehen“ (Nüchtern 1998, 6). Je größer die (scheinbare) Bedrohung, desto mehr Wichtigkeit erlangt die Person, die Hilfe anbieten kann. Die Mitgliedschaft in einer Endzeitgruppe ermöglicht den Ausstieg aus der eigenen Bedeutungslosigkeit in eine aktive Rolle als warnender, wissender, rettender Mensch.

7. Der Weltuntergang ist Party und Geschäft

Der Weltuntergang bringt Geld und Quote. Mit dem Verkauf von Büchern, Filmen, Seminaren und Produkten, die helfen sollen, die angekündigten Katastrophen zu überleben, wird viel Geld verdient. Die Medien, die sich insgesamt sehr ausführlich mit dem Thema beschäftigen, verzeichnen gute Einschaltquoten und Verkaufszahlen. Das Geschäft mit der Angst ist ein lukrativer Wirtschaftsfaktor (Freistetter 2012). Die Werbeindustrie greift das Thema zumeist ironisch-humorvoll auf. Ein Deo wird unter „2012 – The Final Edition“ verkauft, in Werbespots wird die Arche Noah vom Stapel gelassen, und es wird darüber spekuliert, welche Automarke sich am besten in der postapokalyptischen Welt bewähren wird.

Die Apokalypse wird aber auch zur Inszenierung. Der 21.12.2012 wurde zum Event, zur Party des Jahres ausgerufen. In zahlreichen Foren im Internet wurde mit Slogans wie „2012 – Party like there’s no tomorrow“ zu Weltuntergang-Aftershow-Partys geladen. Eine große Gruppe von Menschen sieht das Thema als amüsante Abwechslung und Anlass für Scherze.

Wie in der Geisterbahn würzt eine kleine Prise „Angst-Lust“ den Alltag. Und wie bei einem Horrorfilm im Kino kann man sich ein wenig vor den „Was-wäre-wenn-Szenarien“ gruseln und sich doch dabei (relativ) sicher fühlen. Die Unterhaltungsindustrie bedient die Nachfrage nach lustvoller Angstspannung mit zahlreichen Produktionen. Katastrophenfilme bilden ein eigenes Genre, das großen Zuspruch findet, wie die Anzahl von Filmen mit apokalyptischer Thematik in den vergangenen Jahren zeigt (Pöhlmann 2009). Um nur einige Beispiele zu nennen: 2012, Armageddon, Melancholia, Legion, Deep Impact, The Day After Tomorrow, The Core, Das siebente Zeichen, End Day, Doomsday, Krieg der Welten, I Am Legend, 28 Weeks/Days later, Scorcher – Die Erde brennt, The Stand – Das letzte Gefecht.

Schlussbemerkungen

Die Auseinandersetzung mit Weltuntergangsszenarien findet auf sehr unterschiedliche Weise statt. Manche fürchten eine völlige Zerstörung der Welt, der nur eine Gruppe auserwählter Menschen durch Intervention einer höheren Macht entgehen wird, andere erwarten den Anbruch einer neuen und besseren Zeit, wieder andere warnen vor ökologischen, technischen und ökonomischen Entwicklungen, die als bedrohlich empfunden werden. Sowohl Menschen mit einem spirituellen als auch Menschen mit einem säkularen Weltbild wollen Warnungen aussprechen, Veränderungen herbeiführen, belehren und bekehren und letzten Endes ihre Vision einer „besseren“ Gesellschaft verwirklichen. Die bevorzugte Methode, um Aufmerksamkeit und Unterstützung dafür zu gewinnen, sind Horrorvisionen von Untergang und Zerstörung des gesamten Planeten, Bilder einer gewaltigen globalen Bedrohung.

Zugleich ist die Angst vor apokalyptischen Szenarien auch ein Kristallisationspunkt von Ängsten verschiedener Art, insbesondere der Angst vor dem Tod. In der Angst vor dem Ende der Welt kann unter Umständen die Angst vor dem eigenen, ganz persönlichen Ende mitschwingen und mitbearbeitet werden. Der Gedanke, gemeinsam zu sterben, scheint für manche leichter zu ertragen, als alleine gehen zu müssen. Zudem beinhalten religiös-spirituelle Ansätze meist ein Versprechen im Blick auf ein Weiterleben in einem paradiesischen Zustand als unmittelbare Belohnung für zuvor definiertes „richtiges“ Verhalten im Sinn dieser Gemeinschaft, zum Beispiel durch Befolgung von moralischen Leitlinien, Ernährungsvorschriften, durch Rituale oder Gebete.

Im Gegensatz zu den spirituellen Untergangsvorstellungen haben die weltlichen Bedrohungsszenarien weniger Hoffnung zu bieten. Aber auch hier wird ein bestimmtes Verhalten als Schlüssel zur „Rettung der Erde“ vermittelt, zum Beispiel achtsamer Umgang mit Ressourcen, Maßnahmen zum Umweltschutz, Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie oder Einschränkungen in der Nutzung von Gentechnik.

Apokalyptische Visionen können ein Unbehagen in Bezug auf gesellschaftliche Entwicklungen ausdrücken. Sie können ein Indikator für Unzufriedenheit, Resignation und Zukunftsangst in einer Gesellschaft sein. Wenn die Anspannung als zu groß und die persönliche Wirkungskraft als zu gering erlebt wird, steigt die Sehnsucht nach einer übermächtigen Kraft, die alles wieder ins Lot bringt. Dabei wird die eigene politische oder religiöse Überzeugung als überlegen eingeschätzt, die eigene Gruppe als überlebende und zukünftige Führungsmacht erwartet. Komplexe Zusammenhänge werden auf einfache Formeln reduziert, eine Schwarz-Weiß-Zeichnung vermittelt klare Orientierung. Für Menschen, die sich von der Fülle an Informationen und Entscheidungsmöglichkeiten, die uns täglich geboten werden, überwältigt fühlen, kann eine solche Reduzierung erleichternd wirken.

Die Erfahrung aus der Beratung Betroffener und ihrer Angehörigen zeigt, dass es durchaus Menschen gibt, die in großer Angst vor einer real befürchteten Katastrophe leben, wenn auch ihre Anzahl eher gering zu sein scheint. Eine größere Gruppe von Menschen äußert ein mehr oder weniger vages Unbehagen, oft begründet damit, dass etwas dran sein müsse, wenn so viele darüber reden. Über ihre Ängste sprechen diese Menschen eher mit anderen, die solche Befürchtungen teilen. Generell scheinen Sorgen über einen Zusammenbruch des Wirtschaftssystems derzeit am stärksten vertreten zu sein. Betroffene wenden sich auf der Suche nach Orientierung und Sicherheit an selbsternannte „Experten“, häufig über Internetkontakte. Durch eine gegenseitige Bestärkung wird die Katastrophenerwartung verfestigt.

Die eigenen Sorgen relativieren sich im Angesicht einer globalen Apokalypse. Die Frage „Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch ein Jahr zu leben hätten?“ nehmen manche sehr ernst. Einige bereiten sich auf eine Krise vor, indem sie Lebensmittel einlagern, Notquartiere einrichten und ihre Bankkonten auflösen. Andere finden in dieser subjektiv erlebten „Ausnahmesituation“ den Mut, Entscheidungen zu treffen, die sie bereits seit längerer Zeit treffen wollten, es aber bisher nicht gewagt hatten. Sie beenden zum Beispiel ihre Beziehung, kündigen ihre Arbeit, wenden sich einem Hobby zu, besuchen Kurse und Ausbildungen, die häufig im Bereich der Spiritualität oder der Esoterik liegen. In diesen Fällen dient die Angst vor einer Katastrophe als Katalysator der Veränderung, sie motiviert zum Handeln und stärkt die eigene Position.

Manche Kinder zeigen sich verunsichert durch Kommentare zum angeblichen Weltuntergang, die sie eventuell in Gesprächen und Medienbeiträgen aufschnappen. Die Ironie einiger dieser Aussagen oder Werbungen ist für sie nicht immer erkennbar. Beratungseinrichtungen verzeichnen jedenfalls eine verstärkte Frequenz von Kindern, die sich mit solchen Ängsten an sie wenden.

Last, but not least, ist der Weltuntergang auch ein großes Geschäftsfeld. Katastrophenszenarien befriedigen ein Bedürfnis nach Angst-Lust, nach Sensation, nach Event und Spaß. Diese Bedürfnisse werden marktwirtschaftlich genutzt, den Konsumentinnen und Konsumenten werden Bücher und Kurse, Produkte und Ideologien verkauft. Mit der Angst und der Faszination rund um das Thema Weltuntergang kann viel Geld verdient oder zumindest Aufmerksamkeit, die neue Währung im Informationszeitalter, erreicht werden.

Die Gründe, warum sich die Menschheit schon seit jeher mit apokalyptischen Vorstellungen befasst hat, sind vielfältig. Die germanischen Stämme lauschten an ihren Lagerfeuern Erzählungen über die Weltenschlange, die die Erde verschlingt; der Internet-Surfer heute besucht Seiten über den bevorstehenden Polsprung – die Faszination der „Erzählung von den letzten Dingen“ scheint ungebrochen.


Ulrike Schiesser, Wien


Literatur

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Grüter, Thomas (2011): Faszination Apokalypse. Mythen und Theorien vom Untergang der Welt, Frankfurt a. M.

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Kulenkampff, Caspar (1963): Zum Problem der abnormen Krise in der Psychiatrie, in: Erwin Straus / Jürg Zutt (Hg.): Die Wahnwelten. Endogene Psychosen, Frankfurt a. M., 258-287

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Mesenhöller, Mathias (2012): Die Lust am Untergang, in: Geo 2/2012, 84-89

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Wuketits, Franz (2012): Die Lust an Katastrophen, in: Psychologie Heute 3/2012, 40-43