Christian Ruch

Extra ecclesiam etiam salus?

Ritualdesign im außerkirchlichen Bereich

Wie und warum stoßen Rituale, die vor allem anlässlich von Lebensübergängen im außerkirchlichen Bereich angeboten werden, auf eine anscheinend wachsende Akzeptanz? Die Frage stellt sich schon deshalb, weil sie für einen Teil des kirchlichen Personals eine veritable und daher zumindest teilweise ebenso unerwünschte wie lästige Konkurrenz darstellen. In diesem Zusammenhang ist neuerdings auch immer wieder von „Ritualdesign“ die Rede, ein Begriff der erst nach dem Jahr 2000 aufgetaucht ist.2 Die Schweizer Fernsehjournalistin Andrea Meier (bekannt als Moderatorin der „Kulturzeit“ auf 3sat), die sich im Rahmen ihrer Masterarbeit mit Ritualdesign befasst hat, meint dazu, dass dieser Begriff einem „Spannungsmomentum ausgesetzt“ sei, denn „beide Begriffe, Ritual und Design, trennt erst einmal ein beträchtlich gefühlter Altersunterschied. Rituale gibt es, seit der Mensch kulturelle Handlungen vollziehen kann. Sie haben mit dem Urwesen des Menschen zu tun. Dasselbe gilt natürlich für die Gestaltung. Doch sprechen wir heute von Design, verbinden wir dies mit einer modernen Lebenskultur, ganz egal ob es sich dabei um Architektur, Kunst oder Lifestyleprodukte handelt. Design ist der stetigen Wandelbarkeit unterworfen und folgt den Bedürfnissen der Gesellschaft. Auch Rituale und ihre Konstruktion folgen diesem Bedürfnis, doch stehen sie eben auch für das Urwesen jenseits von Raum und Zeit. Die Spannung, die diese beiden Worte vereint und gleichzeitig trennt, verbindet uns auch mit einem starken Gefühl des modernen Lebensmenschen. Einerseits freut er sich täglich über den technischen Fortschritt und genießt den modernen Lebenswandel mitsamt seiner Beschleunigung, andererseits sehnt er sich nach Langsamkeit und den Wurzeln der Weisheit und seines Urwesens. Mit diesem Gefühl, von dem Fortschritt getragen werden zu wollen, gleichzeitig aber in den Wurzeln des Urwesens ein Aufgehobensein zu finden, tritt die Klientel an den Ritualdesigner. Wenn er es gut macht, schafft er es, ein Stück gefühlte Zeit und Sehnsucht in ein modernes Ritual des Augenblicks zu verwandeln.“3

Doch was ist eigentlich ein Ritual? Der Soziologe Niklas Luhmann definierte Rituale kurz und bündig als „Prozesse feierlicher, wichtiger Kommunikation“.4 In dieser knappen Definition ist schon ein ganzes Bündel an Fragen angelegt: Was wird kommuniziert? Was heißt „feierlich“, was „wichtig“? Da die Systemtheorie davon ausgeht, dass soziale Systeme nur aus Kommunikation – und eben nicht aus Menschen! – bestehen, ist m. E. auch der thesenhafte Umkehrschluss zulässig, dass es sich bei Ritualen um soziale Systeme bzw. Kommunikation handelt – allerdings selbstverständlich nicht um dauerhafte soziale Systeme wie einen Staat, eine Familie oder eine Religionsgemeinschaft, sondern um ein zeitlich und räumlich sehr beschränktes System. Interessant ist an Luhmanns Definition, dass – im Gegensatz zu den zahllosen anderen Beschreibungen von Ritualen – aus seiner Sicht das Moment der Wiederholung offenbar nicht zwingend ein Merkmal rituellen Handelns sein muss. Darauf hinzuweisen ist gerade im Zusammenhang mit außerkirchlichen Ritualen sehr wichtig, weil deren Anbieter nämlich gerne darauf hinweisen, dass ihre Rituale individuell zugeschnitten sind und sich damit als einmaliges Ereignis im wahrsten Sinne des Wortes vom angeblich standardisierten kirchlichen Ritual abheben.

Soziale Systeme zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich von ihrer Umwelt unterscheiden. Es muss also auch im sozialen System Ritual etwas geben, das es in der Umwelt des Systems nicht gibt, d. h. es existiert ein binärer Code, an dem sich die Unterscheidung zwischen System und Umwelt festmachen lässt. Berücksichtigen wir Luhmanns Definition, ist es wohl der binäre Code feierlich/profan und wichtig/unwichtig. Die Kommunikation des Rituals ist also feierlich und hebt sich damit vom profanen Alltag ab. Und sie hat einen wichtigen Inhalt, der das Ritual überhaupt erst rechtfertigt. Dass diese binären Codes im Zusammenhang mit den sogenannten „Alltagsritualen“ problematisch werden, sei hier nur kurz angemerkt, kann aber für unsere weitere Betrachtung wohl unberücksichtigt bleiben, gerade weil die Rituale zu Anlässen wie Beerdigungen und Hochzeiten die Alltagskommunikation unterbrechen. Rituale ziehen also damit in zweifacher Weise eine Grenze zwischen dem System und seiner Umwelt: räumlich, indem das Ritual in einem separaten lokalen Setting stattfindet (im Falle einer Hochzeit unter einem Baum, auf einem Ausflugsschiff, in einer konfessionell nicht gebundenen Kapelle oder zumindest einem abgetrennten Seitenraum des Restaurants, in dem anschließend gefeiert wird, und im Falle einer Bestattung auf dem Friedhof oder der dazugehörigen Räumlichkeit); sowie zeitlich, indem sich das Ritual vom Vorher und Nachher logischerweise unterscheidet, unterscheiden muss, sonst wäre das Ritual als solches gar nicht mehr erkennbar. Das erscheint jetzt vielleicht etwas banal, aber ich denke, es schadet nichts, sich diese Charakteristik eines Rituals zu vergegenwärtigen, denn sie erklärt, warum sich auch Menschen, die eigentlich gar nichts mit kirchlichen Ritualen, mit kirchlicher Feierlichkeit zu tun haben wollen, im Rahmen ihrer Hochzeit eben doch mehr wünschen als die nüchternen und eben auch oft standardisierten Worte eines Standesbeamten. Erst das Ritual markiert „so richtig“ die Wichtigkeit des Ereignisses und grenzt es vom Alltag ab.

Das eigentliche Design des Rituals hängt im Wesentlichen von den Kunden und dem Anbieter ab. Wer sich auf schamanische Lebensübergangsrituale spezialisiert hat, bietet möglicherweise keine schlicht gehaltene, für nüchterne Atheisten kompatible Zeremonie an. Kompliziert wird die Ritualgestaltung damit durch die doppelte Kontingenz. Kontingenz ist ein wichtiger Schlüsselbegriff in der Soziologie und umfasst alles, was auch anders möglich wäre, in diesem Falle also auf Kundenseite die Vielzahl von möglichen Erwartungen und Bedürfnissen, auf Anbieterseite die Vielzahl möglicher Ritualformen. Diese doppelte Kontingenz hat nun zur Folge, dass der Ritualanbieter abschätzen und bestmöglich herausfinden muss, was seine Kunden eigentlich von ihm erwarten und verlangen; die Kunden müssen ihrerseits abschätzen und bestmöglich herausfinden, ob der Ritualanbieter ihrer Wahl eigentlich der Richtige ist und ihnen das bietet, was sie sich wünschen. Dass viele Kunden aufgrund zum Teil sehr diffuser und fluider religiöser Vorstellungen gar nicht so genau wissen, wie sie die Trauzeremonie oder die Beisetzung gestaltet und inhaltlich ausgestattet haben möchten, erschwert das Problem natürlich zusätzlich. Das erfolgreiche Ritualdesign setzt also vor allem auf Kundenseite ein gewisses Maß an Selbstreferenz voraus. Unter diesem Aspekt ist das kirchliche Personal im Vorteil: Es bietet in der Regel ein standardisiertes Sample von Ritualen an, sodass man als Kirchensteuer zahlender Kunde ungefähr weiß, worauf man sich einlässt. Eine Art Rest-Kontingenz bleibt natürlich auch im Falle kirchlicher Kasualien bestehen, denn es kann ja immer noch sein, dass der Pfarrer einen schlechten Tag hat und völlig verheerend predigt. Trotzdem dienen Rituale vor allem dazu, Kontingenz zu reduzieren. Gemäß dem Medienästhetiker Norbert Bolz geschieht dies durch eine „Kommunikationsvermeidungskommunikation“5. Dieser schöne Begriff will sagen, dass Rituale an die Stelle einer Kommunikation treten, die – man denke vor allem an den Fall eines Begräbnisses – aufgrund fehlender Praxis und Erfahrung schnell peinlich werden kann oder vielleicht sogar aufgrund der psychischen Ausnahmesituation der Betroffenen gar nicht möglich ist. Erst „die Vertrautheit“ – man könnte auch sagen: die Verträglichkeit – „des Rituals macht das Unerträgliche erträglich“, es stellt gemäß Niklas Luhmann eine „Konsensschaltung“ dar.6

Ein Beispiel

Ich möchte nun eine der bekanntesten Schweizer Anbieterinnen nichtkirchlicher Rituale vorstellen: Gisula Tscharner, wohnhaft in der Nähe von Chur (Kanton Graubünden) ist insofern die wohl interessanteste Schweizer Ritualanbieterin außerhalb der Kirche, als sie als eine der wenigen Anbieter von ihren Dienstleistungen leben kann und von Haus aus eigentlich reformierte Pfarrerin ist. Zudem hat sie ein Buch über ihre Ritualarbeit verfasst.

Gisula Tscharner schreibt auf ihrer Internetseite über sich: „Geboren 1947 am Zürichsee, in einem Haus mit viel Kindern, Freunden, Begegnungen. Weite Sicht in die Alpen. Theologiestudium in Zürich/Basel. In Graubünden grosse Liebe und Familiengründung. 20 Jahre lang als ambulante Pfarrerin in ganz Mittelbünden, Erwachsenenbildung und Gemeindepolitik. Seit 1993 freiberufliche Theologin für Zeremonien zu Lebensübergängen, in Stil und Inhalt konfessionsunabhängig und persönlich abgestimmt. Begegnungen faszinieren mich, mit Menschen, Tieren, Pflanzen, Erde und Kosmos ... Die langjährige intensive Beschäftigung mit der Natur hat auch meinen Glauben verändert, ausgebaut, vertieft im wörtlichen Sinn: Die Verwurzelung im gewachsenen uralten und wandlungsfähigen Boden der Erde hält mich ebenso in der Kraft wie das Ausfahren der Antennen in einen weniger bekannten ‚Himmel‘ und beides ist wichtig und hält mich in der Spannung, in der Wachheit.“7

Was Gisula Tscharner hier nur diskret umschreibt, ist die Tatsache, dass sie, als sie die „große Liebe“ fand, bereits verheiratet war, sich deshalb scheiden ließ und als Folge ihre Anstellung als Pfarrerin der evangelisch-reformierten Kirche Graubündens verlor. Ihre Arbeit deklariert sie seitdem als „konfessionsfrei“ und schreibt dazu: „Damit ist gemeint, dass jemand nicht als zahlendes Mitglied einer christlich-kirchlichen Institution angehört. Die grossen Konfessionen ... sind geschichtlich gewachsene Formen von kirchlicher Verwaltung ... Konfession heisst wörtlich ‚Bekenntnis‘. Das Wort stammt aus der Anfangszeit, wo die frisch bekehrten Christen sich klar von den damaligen Staatsreligionen abgrenzen mussten ... Keiner Konfession anzugehören, heisst nicht zwangsläufig, dass man nicht religiös-gläubig ist. Jeder Mensch hat seinen eigenen Zugang zu den Geheimnissen, die grösser sind als Menschenwerk. Das ist zu respektieren.“8

Die Ritualdesignerin bietet eine ganze Palette von Zeremonien an, und dies nicht nur zu den klassischen Anlässen wie Taufe, Hochzeit oder Begräbnis, sondern auch zu Ereignissen wie Genesung, Wohnungs- und Berufswechsel, Trennung bzw. Scheidung und „anderen folgenreichen Entscheidungen“.9 In ihrem Buch „Werkstatt Zeremonie und Ritual“ zeigt Gisula Tscharner, wie sie ihre Ritualarbeit vorbereitet: Mit verschiedenen Symbolen wie z. B. „Auge“, „Knoten“ oder „Schnecke“ und sechs bis acht Farben wird der Ablauf des Rituals zu Papier gebracht, wobei jedes Symbol und jede Farbe eine ganz bestimmte Dynamik und Intention der Ritualdesignerin und Teil im Ablauf des Rituals darstellt.10

Doch sehen wir uns ein Ritual von Gisula Tscharner näher an: In ihrem Buch stellt sie ein „Trennungsritual“ vor, das sie für ein Ehepaar, das kurz vor der Scheidung stand und drei halbwüchsige Kinder hatte, gestaltet und durchgeführt hat. Sie schreibt: „Das Ritual findet auf Wunsch der Ehefrau und mit Zustimmung der anderen Familienmitglieder statt. Ort: in der Nähe des bisherigen Wohnorts, abends, in völliger Dunkelheit. Für den ersten Teil haben alle fünf Beteiligten auf meine Anregung hin auf einen Zettel geschrieben, was sie am meisten persönlich belastet und verbittert. Diese Zettel werden nun im ersten Teil zusammen mit Gegenständen, Gedanken und Gefühlen in einem Feuer verbrannt, das heißt gereinigt und verwandelt.“ Dies dauere anderthalb bis zwei Stunden. Schließlich „gehen alle, jeweils allein, zu einem Baum; sie suchen und stützen dort die eigene Erneuerungskraft“. Den Schluss markieren ein gemeinsamer, von Gisula Tscharner zubereiteter Imbiss am Waldrand und ein „kräftiger Reisesegen fürs Leben“.11

Gisula Tscharners Rituale zeichnen sich dadurch aus, dass sie nicht zu einem bloßen Beobachten und einer Art „Ritualkonsum“ einladen, indem man nur zusieht, was „die Frau da vorne“ macht, sondern es geht um Partizipation und Interaktion. Die Beteiligten werden zu Mitgestaltern des Rituals. Was Gisula Tscharner anbietet, lässt niemanden kalt, viele sind begeistert, einige wenige nach dem Ritual erst recht skeptisch. Bei vielen evangelisch-reformierten Pfarrern des Kantons Graubünden und darüber hinaus ist die ehemalige Kollegin dagegen geradezu ein rotes Tuch – nicht nur weil sie eine Abtrünnige ist, sondern auch wegen ihres Erfolgs und – wer weiß – vielleicht auch wegen ihrer sehr unreformierten, da sinnenfreudigen Art der Ritualgestaltung.

Die Kirchen und die Ritualdesigner

Wie reagieren eigentlich die Kirchen auf ihre Konkurrenz im außerkirchlichen Bereich? Generelle Aussagen sind sicher schwierig, denn es gibt von einer friedlichen Koexistenz bis zu schroffer Ablehnung eine ganze Palette von Reaktionen. Ein katholischer Pfarrer in der Schweiz meinte einmal, er sei ganz froh, dass es die freien Ritualanbieter gebe, denn so müsse er nicht jeden Blödsinn mitmachen (im konkreten Fall, der ihn zu dieser Aussage veranlasste, sollte der Hund des Brautpaars auf einem Kissen im Maul die Eheringe bringen).

Da ich aber nun doch versuchen will, die kirchlichen Reaktionen auf einen Nenner zu bringen, komme ich zu folgendem, sicher etwas undifferenzierten Schluss: Während in der katholischen Kirche den Ritualanbietern gegenüber eine mehr oder weniger freundlich-herablassende Haltung zu überwiegen scheint und es zumindest in der Schweiz sogar in der Kirche beschäftigte Katechetinnen gibt, die nebenbei mit Wissen und Billigung ihrer Kirchengemeinde nichtkirchliche Rituale anbieten, ist bei den evangelischen Kirchen eine ziemlich deutliche und jedenfalls weitaus größere Ablehnung auszumachen.

Woran liegt das? Nun, die Freundlichkeit der katholischen Kirche ist ebenso gelassen wie herablassend, weil die „Una Sancta“ – markttechnisch gesprochen – über eine „Unique Selling Proposition“ (USP) verfügt, über die Ritualdesigner eben gerade nicht verfügen: Nur sie, die katholische Kirche, bietet sakramentale Handlungen an. Nur das von einem Priester getraute Paar führt eine kirchenrechtlich gültige Ehe. Die USP der katholischen Kirche ist also genau genommen sogar eine doppelte: Sakramentalität und kirchenrechtliche Relevanz. Sakramental ist eine Ehe nach Auskunft der Deutschen Bischofskonferenz als „eheliche Gemeinschaft eines Mannes und einer Frau, die durch Glauben und Taufe am Leben Christi teilhaben und in die Kirche eingegliedert sind“12 – und zu dieser Eingliederung gehört natürlich auch eine kirchliche Trauung. Wer sich also durch einen Ritualanbieter trauen lässt, unterstreicht dadurch nicht nur formal seinen Verzicht auf Sakramentalität.

Gerade den konservativen Kreisen, die in der katholischen Kirche derzeit tonangebend sind, ist das übrigens ganz recht. Ihnen geht Qualität vor Quantität, d. h. dass aus ihrer Sicht eine sinkende Zahl kirchlicher Eheschließungen an sich nicht zu beklagen ist, solange diejenigen, die sich noch kirchlich trauen lassen, dogmatisch zuverlässige Kirchenmitglieder sind. Jene, die im Traugottesdienst nicht einmal mehr das Vaterunser zustande bringen, überlässt man daher gerne den Ritualanbietern. Insofern sind – so paradox das klingen mag – gerade die konservativen Kirchenkreise ganz froh um die Ritualdesigner, die durch ihr Alternativangebot dazu beitragen, die Kirchen vor unerwünschten „U-Boot-Christen“ zu bewahren, die nur zur Hochzeit und zu Beerdigungen auftauchen. Etwas polemisch gesagt: Die Ritualanbieter wirken – ob sie das nun wollen oder nicht – an einer Art Arbeitsteilung und an der dogmatischen Unbeflecktheit der Kirche des „heiligen Rests“ mit.

Anders im Protestantismus, der keine vergleichbare USP kennt: Seine Traugottesdienste sind keine sakramentalen Akte, sondern Feiern anlässlich einer zuvor zivilrechtlich geschlossenen Ehe, „ein weltlich Ding“, wie es Martin Luther so schön nannte. Damit aber besitzen die evangelischen Traugottesdienste nichts, was Ritualanbieter nicht auch leisten könnten – und wahrscheinlich rührt gerade daher die Animosität auf evangelischer Seite. Die Ritualanbieter sind anders als im Falle der katholischen Kirche eine echte Konkurrenz. Es kommt hinzu, dass sich das Kundenreservoir der Ritualanbieter nach meiner Beobachtung aus wesentlich mehr ehemaligen bzw. noch Kirchensteuer zahlenden evangelischen als katholischen Kirchenmitgliedern rekrutiert. Natürlich gibt es auch praktizierende Katholiken, die Ritualanbieter beschäftigen, so etwa im Falle einer Trauung, wenn ein Partner schon einmal kirchlich geheiratet hat. Aber diese Klientel der wiederverheirateten Geschiedenen will die katholische Kirche ja ohnehin nicht; insofern ergibt sich auch hier eine Art kirchlicherseits insgeheim willkommene, wenn auch gerade deshalb wahrscheinlich etwas unheilige Arbeitsteilung.

Fazit

Ich glaube, dass das außerkirchliche Ritualdesign gerade für die protestantischen Kirchen eine große Herausforderung ist – weniger für die katholische, die, wie gesagt, im Bereich der Hochzeit auf die USP Sakrament und kirchenrechtliche Relevanz bauen kann. Abgesehen davon setzt sie immer noch und im Zuge der neo-konservativen Restauration, die derzeit in Gang ist, erst recht auf liturgische Effekte, die aufgrund ihrer Fremdheit oft und gerade auch für Außenstehende und Nichtkatholiken beeindruckend sind (man denke an ein weihrauchgeschwängertes Pontifikalamt oder eine tridentinische Messe). Insofern denke ich, dass sich die katholische Kirche gegen die Konkurrenz der Ritualdesigner noch eine Weile besser schützen kann als die evangelische. Die Betonung liegt auf „noch eine Weile“, denn die Entkirchlichung macht auch vor der katholischen Kirche bekanntlich nicht Halt, sodass der Bedarf an Ritualdesignern meiner Meinung nach in Zukunft auch auf katholischer Seite eher noch wachsen wird. Denn mag die Lust auf Kirche auch noch so sehr abhandengekommen sein – das Bedürfnis nach rituellen Handlungen ist es ganz und gar nicht und wird im Vakuum, das die Entkirchlichung geschaffen hat, zwangsläufig nach neuen Ausdrucksformen suchen – und damit auch nach Menschen, die solche Ausdrucksformen anbieten.

Wie sollen die Kirchen darauf reagieren? Ich denke, mit großmütiger Gelassenheit und der Einsicht, dass die allermeisten Kunden der Ritualdesigner von der Kirche ohnehin nichts wissen wollen. Insofern ist die Inanspruchnahme solcher Angebote Folge und nicht Ursache der Entfremdung von den Kirchen. Vielleicht hilft ja dabei die Erkenntnis, dass Gott dem heiligen Augustinus gemäß auch auf krummen Zeilen schreiben kann. Dass aus kirchlicher Sicht an außerkirchlichen Ritualen inhaltlich, formal und vielleicht auch und gerade theologisch manches krumm und schief ist, sollte nicht zu der Arroganz verleiten, nicht zuzugestehen, dass auf dem Ritualdesign „extra ecclesiam“ nicht vielleicht doch auch ein göttlicher Segen ruhen und das außerkirchliche Ritual damit segensreiches Handeln sein könnte. Denn wenn die Mutter einer jungen, psychisch kranken Frau, die sich zwei Tage vor Weihnachten vor den Zug geworfen hat, vom Begräbnis ihrer Tochter kommt, ist es m. E. völlig unerheblich, ob die Beisetzung nun kirchlich war oder nicht – entscheidend ist, ob sie sich in ihrem Schmerz angenommen fühlte und Tröstung erfahren hat. Insofern gilt für kirchliche Rituale dasselbe wie für nichtkirchliches Ritualdesign: Zu fragen ist, ob sie ein kleines Stück dazu beigetragen haben, in Form von segensreichem Handeln am Reich Gottes mitzuwirken.


Christian Ruch, Chur/Schweiz


Anmerkungen

1 Bei diesem Artikel handelt es sich um die gekürzte Version eines Vortrags im Rahmen der EZW-Fortbildungstagung „Kraftlose Zeichen oder heilende Symbole? Umgang mit Ritualen in neuen religiösen Bewegungen“ vom 24. bis 26.2.2012 in Berlin.

2 Vgl. Andrea Meier, Ritualdesign. Eine Analyse zu den performativen Designprozessen von Ritualen, unveröff. Masterarbeit, Zürich 2012, 11f.

3 Ebd., 12.

4 Niklas Luhmann, Funktion der Religion, Frankfurt a. M. 1982, 81.

5 Norbert Bolz, Das Wissen der Religion. Betrachtungen eines religiös Unmusikalischen, München 2008, 121.

6 Ebd.

7 Zit. nach www.gisula.ch/cms/ueber_mich.html (die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden am 19.3.2012 abgerufen).

8 Zit. nach www.gisula.ch/cms/konfessionsfrei.html

9 Zit. nach www.ritualnetz.ch/index.php/personen/44-tscharner-gisula-gr.html.

10 Vgl. Gisula Tscharner, Werkstatt Zeremonie und Ritual. Feiern, Feste und Alltagsrituale gestalten, Baden (Schweiz) 2004, 18-32.

11 Ebd., 92f.

12 Zit. nach http://de.wikipedia.org/wiki/Kirchliche_Trauung.