Eugenia Roussou / Clara Saraiva / István Povedák (Hg.)

Expressions of Religion. Ethnography, Performance and the Senses

Eugenia Roussou / Clara Saraiva / István Povedák (Hg.): Expressions of Religion. Ethnography, Performance and the Senses, LIT Verlag, Berlin 2019, 295 Seiten, 39,90 Euro.

Innerhalb der Religionswissenschaften haben derzeit Forschungen Konjunktur, die sich auf die sinnliche Wahrnehmung oder die physische Erfahrung religiöser Praktiken beziehen und religiöse Rituale im Rahmen von Performance-Theorien interpretieren. Dieser Forschungstrend führte wohl dazu, diese Textsammlung unter einem zwar modisch klingenden, aber wenig aussagekräftigen Titel zu veröffentlichen.

Der Band präsentiert, eingeleitet von einer knappen Einführung, elf in mehrfacher Hinsicht heterogene Beiträge. Sie befassen sich zumeist anhand von Fallbeispielen mit zeitgenössischen Erscheinungsformungen von Religion in Europa. Diese Diversität betrifft sowohl die behandelten Themen und die methodischen Zugänge als auch die analytische Tiefe der Texte. Letztere schwankt einerseits zwischen treffenden Beschreibungen und weiterführenden Interpretationen, die ein besseres Verstehen der herausgearbeiteten Phänomene ermöglichen, und andererseits sehr oberflächlichen Darlegungen, die sich in allzu vertrauten Bahnen bewegen.

Der Band vereint Beiträge zu Themen wie Capoeira-Gruppen in Berlin, Revitalisierung religiöser Feste, neopagane Lesarten christlicher Symbolik im Kontext osteuropäischer ethnonationalistischer Bewegungen, Kunstaktionen der Wiener Aktionskünstler der 1960er und 1970er Jahre oder (hiermit wird dann der Kontext Europas verlassen) Übergangsrituale in islamisch geprägten malaiischen Fischergesellschaften. Die Beiträge werden den Themenbereichen „Ethnography and the Senses“, „Visual Representations of Religion“ und „Ritual, Performance and the Past“ zugeordnet. Im Folgenden sollen drei Beiträge vorgestellt werden:

1. „Transnational Capoeira Angola and its Religiosity: An Ethnography about the Production of Afro-Brazilian Religious Sensibility in Berlin, Germany“ von dem brasilianischen Ethnologen Celso de Brito (35-57): Der Autor rückt eine Capoeira-Gruppe in Berlin, deren Leiter und dessen internationale Vernetzung in den Mittelpunkt seines Beitrags. Er zeichnet zunächst die Geschichte des brasilianischen Kampfsportes oder Kampftanzes Capoeira nach, wobei er auch auf die Rolle der brasilianischen Militärdiktatur der späten 1960er und 1970er Jahre und die Einbindung in die staatliche Kultur- und Tourismuspolitik eingeht. Der mögliche Einfluss japanischer Kampfsporttraditionen, die durch die starke japanische Einwanderung nach Brasilien in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg in Brasilien etabliert wurden, auf die Ausformulierung bestimmter Aspekte des institutionalisierten Capoeira, wie das über farbige Gürtel fixierte Gradsystem und die Betonung der Traditionslinien, wird nicht angesprochen. Hinsichtlich seiner Forschung in Berlin hat der Autor Akteure und Gruppen im Blick, die sich selbst der Richtung des sogenannten „Capoeira Angola“ zuordnen, einer Strömung innerhalb des Capoeira, die sich stark den afrikanischen bzw. afro-brasilianischen Wurzeln des Sports verpflichtet fühlt. In diesem Feld findet sich die Tendenz, Capoeira spirituell aufzuladen und mit der Weltsicht des Candomblé zu verflechten. So kommt es in der untersuchten Gruppe zu einem vom Gruppenleiter intendierten Ineinanderschieben von Capoeira- und Candomblé-Ritualen und -Praktiken (47f). Der brasilianische Ethnologe formuliert hinsichtlich eines Capoeira-Workshops, den er in Berlin besucht hat: „After immersing in the Afro-Brazilian universe in the afternoon workshops, the Candomblé ritual becomes a representation of a roda de capoeira – or vice versa“ (51). Der Leiter der Gruppe, der auch in Berlin einen Candomblé-Terreiro (Tempel) etablierte, formuliert sein Selbstverständnis: „My dances and my presentations are not just so I can make money and live here: they are a way to teach Germans to understand – that is, to feel – Afro-Brazilian religion” (40). Der Beitrag bietet Einblicke in ein innerhalb Deutschlands von den Medien wenig beachtetes religiöses Feld und eine Form der missionierenden Kontaktaufnahme zu außenstehenden Personen. Leider übernimmt der Autor viele Begriffe aus dem Candomblé und dem Capoeira, ohne sie ausreichend zu erklären. Die Abbildungen sind dagegen sehr treffend ausgewählt und ermöglichen es, sich ein Bild vom Setting der Capoeira-Workshops und -Übungsstunden und des Einbezugs von Candomblé zu machen.

2. „Sensing Monasticism: Spiritualization in Religious Performances of Contemporary Hospitality“ von der spanischen Soziologin Anna Clot Garrell (89-107): Der Beitrag befasst sich unter dem Stichwort „hospitality“ (Gastfreundschaft), das als Bezugspunkt für die Analyse des herausgearbeiteten Befundes dient, mit dem Besucherangebot eines katalanischen Benediktinerinnenklosters. Klostertourismus erfreut sich auch in Deutschland in unterschiedlichen Ausprägungsformen einer nicht zu unterschätzenden Beliebtheit und ist in der medialen Öffentlichkeit durchaus positiv konnotiert, trotz eines negativen Images des (katholischen) Ordenslebens an sich. Gleichzeitig ist festzustellen, dass nicht wenige dieser klösterlichen Angebote an die Wellness-Welle anknüpfen und nicht selten (reflektiert oder unreflektiert) in das Feld esoterischer Therapien und Psychotechniken diffundieren. Der Aufsatz reiht sich in Untersuchungen ein, die sich mit dem Boom klösterlicher Urlausangebote befassen, und mag zu Vergleichszwecken von Interesse sein. Die Autorin skizziert zunächst Geschichte und Gegenwart des katalanischen Klosters. Es handelt sich um eine Gründung aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil während der Franco-Diktatur. Das Kloster besteht aber heute noch als lebendige Gemeinschaft, die Schwestern aus drei Generationen umfasst. Während das Kloster vor dem Konzil einer strengen Abschottung von der Welt verpflichtet war, wurde bereits in den späten 1960er Jahren ein Gästebereich eingerichtet. Dies geschah unter Verweis auf den in der Benediktsregel thematisierten Topos der Gastfreundschaft. Heute erscheint das Angebot stark diversifiziert, wobei es sowohl klar christlich fundierte Angebote umfasst als auch solche aus dem Wellnessbereich und dem psychotherapeutischen Feld. Diese Heterogenität spiegelt sich in den Besuchern wider. Während viele andere spanische Klöster mit ihren Angeboten noch weiterhin auf die christliche Motivation ihrer potenziellen Gäste ausgerichtet sind, ist der Gastbereich dieser Gemeinschaft seit geraumer Zeit allgemein offen. Das Gästebuch zeugt von der religiös-weltanschaulichen Vielfalt der Besucher. Die Autorin arbeitet heraus, wie das Stichwort Gastfreundschaft genutzt wird, um die breit gefächerten und nicht einheitlichen spirituellen und therapeutischen Angebote des Klosters untereinander zu versöhnen. Sie zeigt auch auf, dass die einzelnen Angebote in monastische Traditionslinien verankert werden und es so den Gästen ermöglicht wird, ihre individuelle Spiritualität durch das Kloster in der katholisch-monastischen Tradition zu verorten.

3. „New National Mythologies: Re-Paganization of Christian Symbolism in Hungarian and Romanian Ethno-Pagan Culture“ von István Povedák und László Attila Hubbes (245-289): Die Autoren befassen sich mit Ausprägungen des Neopaganismus in Ungarn und Rumänien, die im Feld ethnonationalistischer Bewegungen derzeit in den beiden Ländern einen Aufschwung erleben. Letztlich knüpfen diese Bewegungen ungebrochen an nationalistische Diskurse des 19. Jahrhunderts und ihre faschistische Fortführung in der Zwischenkriegszeit an, wobei für Rumänien festzustellen ist, dass es dort auch während der kommunistischen Zeit Phasen gab, in denen ein von der Romantik geprägter Ethnonationalismus Teil der Staatsdoktrin war (250). Die Autoren heben hervor, dass der von ihnen für Ungarn und Rumänien beschriebene Neopaganismus sich grundlegend von den meisten Formen des westeuropäischen Neopaganismus unterscheide. Die ungarischen und rumänischen Beispiele zeichnen sich dadurch aus, dass sie einer rekonstruktiven Ideologie folgen und zur Legitimation eines ethnonationalen Staates beizutragen suchen. Ihr Bestreben besteht somit darin, die „ursprüngliche“ Religion der Rumänen bzw. der Thrako-Dakier in ihrer vollen Form wieder aufzurichten. Hinsichtlich des ungarischen Neopaganismus steht ein Schamanismus im Mittelpunkt der Bemühungen, während in Rumänien der Kult des thrakischen Gottes Zalmoxis revitalisiert werden soll. Diese Revitalisierungsbestrebungen gehen auch damit einher, dass für die Beibehaltung „traditioneller“ Geschlechterrollen und eine konservative Staatsform optiert wird. Beides läuft der Mehrheitsmeinung unter den sog. „Neuen Hexen“, die in westeuropäischen Staaten das Feld des Neopaganismus prägen, entgegen, da diese sich zumeist als Teil einer emanzipatorischen Bewegung verstehen.

Die drei Beiträge laden dazu ein, hinter die Kulissen gegenwärtiger religiöser Diversifikationsprozesse zu schauen. Während das erste Beispiel zeigt, dass dort, wo der Kampfsport Capoeira draufsteht, nicht immer nur Kampfsport betrieben, sondern auch manchmal die afroamerikanische Religion des Candomblé vermittelt wird, zeigt das zweite Beispiel, wie klösterliche Urlaubsangebote untersucht und analysiert werden können. Das dritte Beispiel zeigt, dass Religionen, die unter ein „Label“ wie Neopaganismus gefasst werden, in unterschiedlichen Ländern Europas höchst unterschiedlich gefüllt sein können und dass Verknüpfungen von ethnonationalistischem Denken und religiösen Revitalisierungsbestrebungen auch im zeitgenössischen Europa anzutreffen sind.


Harald Grauer, Sankt Augustin