Ulrich Niemann, Marion Wagner (Hg.)

Exorzismus oder Therapie? Ansätze zur Befreiung vom Bösen

Ulrich Niemann, Marion Wagner (Hg.), Exorzismus oder Therapie? Ansätze zur Befreiung vom Bösen, Verlag F. Pustet, Regensburg 2005, 141 Seiten, 16,90 Euro.

 

Immer wieder wird der umstrittene Ritus des Exorzismus zum Medienthema, zuletzt durch den auf der Berlinale ausgezeichneten Spielfilm „Requiem”, der sich stark an den historischen (und tragischen) Fall der Anneliese Michel 1976 in Klingenberg anlehnt. Um so wichtiger ist ein solides Hintergrundwissen darüber, wie in der katholischen Kirche heute über Teufel und Dämonen und den Umgang mit ihnen nachgedacht wird. Dazu bietet das vorliegende Buch reizvolle Ansätze aus den Bereichen Exegese, Dogmatik, Pastoraltheologie, Liturgiewissenschaft und Psychiatrie/Psychotherapie. Eine Zusammenfassung in 11 Thesen am Schluss bündelt die gemeinsame Analyse und Praxis-Empfehlung. Dabei wird eine gemeinsame Linie deutlich, die in den einzelnen Artikeln weiter entfaltet wird.

1. Die Rede vom Teufel entsteht in der Bibel relativ spät, gehört aber im Judentum zur Zeit Jesu und auch bei Jesus selbst zweifellos zum Weltbild. „Satan“ hat jedoch immer die untergeordnete Rolle eines Versuchers, eines Störers und stellt keine gleichwertige oder gleich starke „böse“ Macht gegenüber dem guten Gott dar.

2. Menschen erfahren sich immer wieder in Strukturen kollektiver Bosheit (Auschwitz!), denen gegenüber sie sich machtlos fühlen. Die Rede vom Teufel als Person ist dann eine eher metaphorische, bestenfalls analoge Aussage. Sie stellt den Versuch dar, „über die furchtbare Realität des Abgrundbösen etwas mehr auszusagen als nichts“.

3. Ob es so etwas wie dämonische Besessenheit gibt, ist weder zu beweisen noch zu widerlegen. Möglicherweise bieten Medizin/Psychiatrie und Theologie einfach unterschiedliche Deutungsmuster der gleichen verstörenden Phänomene. Die klassischen Kriterien, um „Besessenheit“ und „Krankheit“ zu unterscheiden, sind vor dem Hintergrund heutiger humanwissenschaftlicher Erkenntnisse untauglich.

4. Als seelsorgliche Hilfe empfiehlt sich statt des klassischen Exorzismus eine „Liturgie zur Befreiung vom Bösen“, die im Gebet mit dem Kranken und im Ritus um Befreiung vom Bösen bittet. Dazu haben Mitarbeiter dieses Bändchens (Klemens Richter, Manfred Probst) an anderer Stelle weiter führende Vorschläge entwickelt.

Fazit: Das vorliegende Buch bietet eine vorzügliche Einführung in die theologische und psychologische Problematik des Umgangs mit dem Bösen. Es steuert sicher zwischen zwei bei diesem Thema drohenden Fallen hindurch: einer Banalisierung des Bösen einerseits, einer fundamentalistischen Dämonisierung der Welt andererseits. Auch wenn es sich auf den ersten Blick um eine innerkatholische Diskussion handelt, sind die Beiträge auch im ökumenischen Kontext sowohl theologisch als auch praktisch-seelsorglich interessant und weisen einen Weg aus einer unfruchtbaren Konkurrenz: nicht Seelsorge oder Therapie ist die Frage, sondern Seelsorge und Therapie sind gefordert in der Hilfe für dramatisch verstörte und verstörende Menschen.


Lutz Lemhöfer, Frankfurt a. M.