In eigener Sache

Exkursion der EZW nach München

Im Juni 2012 hatte die EZW wieder evangelische und katholische Kollegen sowie Absolventen des EZW-Curriculums Religions- und Weltanschauungsfragen zu einer dreitägigen Exkursion eingeladen. Dieses Mal war das Ziel München. Zur Einführung gab der Beauftragte zur Beratung über neue religiöse Bewegungen im Dekanatsbezirk München, Rudolf Forstmeier, einen Überblick über die religiöse Vielfalt in der Stadt. München habe sich zu einer säkularen Stadt entwickelt, berichtete Forstmeier. Erstmals sei die Zahl der Christen katholischer und evangelischer Prägung zusammen unter 50 Prozent gesunken.

Einen exemplarischen Einblick in die Vielfalt religiöser und weltanschaulicher Gemeinschaften konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion in fünf Begegnungen gewinnen.

1. Am Gespräch mit der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) nahmen unter anderem das Ratsmitglied der DBU Michael Schmidt, die Chefredakteurin der Zeitschrift „Buddhismus aktuell“ Michaela Doepke und eine Bewohnerin des gastgebenden Hauses, Drikung Garchen Institut e.V., teil. Die Gesprächteilnehmer betonten in der Selbstdarstellung den weltweit einmaligen Zusammenschluss ganz unterschiedlicher buddhistischer Richtungen unter dem Dach der DBU und unter einem „Bekenntnis“. Sie äußerten sich über Aufnahmebedingungen für neue Mitglieder, stellten ihre Orientierungshilfe „Heilsame und unheilsame Strukturen in Gruppen“ vor und berichteten von der Arbeit an einem Papier zur Ethik. Deutlich wurden Spannungen zum Diamantweg-Buddhismus des Ole Nydahl. Perspektivisch erwartet Michael Schmidt die Entwicklung eines „deutschen Buddhismus“. Sichtbar war allerdings im Kontrast zu dieser Erwartung in der Ausstattung des Drikung Garchen Instituts die Orientierung an traditionellen östlichen Formen des Buddhismus, wie hier dem tibetischen Buddhismus.

2. Gesprächspartner im Islamischen Zentrum München (IZM) in der Freimann-Moschee war Ahmad Al-Khalifa, ein Mitglied des Zentralrats der Muslime in Deutschland. Das IZM steht von Anfang an der ägyptischen Muslimbruderschaft nahe und gehört zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD). Aufgrund der engen Verbindung zur Muslimbruderschaft und islamistischer Tendenzen werden die IGD und das IZM vom Verfassungsschutz beobachtet. Erst im vergangenen Jahr sind zwei Bücher erschienen, die sich mit der verwickelten Geschichte der Freimann-Moschee beschäftigen. Der Titel von Ian Johnsons Buch „Die vierte Moschee. Nazis, CIA und der islamische Fundamentalismus“ (Stuttgart 2011) spielt auf die Bedeutung der Moschee an, die in einschlägigen islamistischen Publikationen schon zu den vier wichtigsten Moscheen der Welt gezählt wurde, neben der Großen Moschee in Mekka, dem Felsendom in Jerusalem und der Blauen Moschee in Istanbul. Der Autor des zweiten Buches, Stefan Meining, konzentriert sich stärker auf den deutschen Kontext (Eine Moschee in Deutschland. Nazis, Geheimdienste und der Aufstieg des politischen Islam im Westen, München 2011). Ahmad Al-Khalifa bezeichnete die Bücher als spannende Lektüre, unterstellte den Autoren aber, sich an vielen Stellen zu irren oder Unwahres zu schreiben. Eine Rolle im Gespräch spielte unter anderem die Forderung nach eigenen rechtlichen Regelungen für Muslime z. B. im Scheidungs- und Erbrecht. Die kirchlichen Gesprächsteilnehmer betonten dagegen die unbedingte Notwendigkeit der religiösen Neutralität von Verfassung und Recht, was Sonderrechte für bestimmte religiöse Gruppierungen ausschließe. Auch Ahmad Al-Khalifa, der 1977 aus Ägypten nach Deutschland gekommen war, hofft, dass sich ein typisch „deutscher Islam“ entwickeln möge. Als Beispiel der Integration, wie er sie sich vorstellen könne, nannte er deutsche Trachten vor 200 Jahren, die muslimische Frauen heute tragen könnten. Gerade diese Vorstellung zeigt die Schwierigkeiten der Integration und die Spannungen, in denen sich Teile des Islam zur Moderne befinden.

3. Beim Besuch des Gospel Life Centers in Feldkirchen bei München empfing der Gemeindegründer und Pastor John Angelina die Exkursionsteilnehmer. Bisher war die Freikirche in enger Beziehung zur Wort-des-Glaubens-Bewegung wahrgenommen worden. Die Begegnung zeigte, dass sich die 1982 von den beiden amerikanischen Künstlern John und Mirjana Angelina gegründete Gemeinde offenbar davon entfernt hat. Damals trug sie noch programmatisch den Namen „Wort des Glaubens – Christliches Zentrum“. Mit der Namensänderung ging nach heutigem Eindruck eine Veränderung der inhaltlichen Ausrichtung einher. Im Gespräch begegnete uns John Angelina offen, reflektiert und seelsorgerlich umsichtig. Er erzählte unter anderem, wie er in der Evangelischen Allianz um einen verständnisvollen Umgang mit Homosexuellen werbe, was nicht einfach sei. Mit Kreativität und Engagement gestalten zahlreiche Ehrenamtliche das Gemeindeleben in allen Altersgruppen. Einen Eindruck davon vermittelten die einladend gestalteten und sehr gut ausgestatteten Räume, unter anderem für Gottesdienst und Theater, für Kinder und Jugendliche, in dem weiträumigen Wirtschaftsgebäude, das das Gospel Life Center gemietet hat. Ein problematischer Punkt blieben für die Weltanschauungsbeauftragten die Aktivitäten von Stephan Steinle, Missionsleiter im Gospel Life Center und Gründer und Leiter von „International Harvest Plan“, einer Organisation, über die Steinle vor allem in Pakistan Evangelisationsveranstaltungen durchführt.

4. Die Gralsbewegung ist eine zahlenmäßig kleine Gemeinschaft aus dem Bereich der klassischen Systemesoterik. Sie vertritt ein gnostisch-naturphilosophisches Welt- und Menschenbild auf der Grundlage der Lehre von Oskar Ernst Bernhardt (1875-1941), der seine „Gralsbotschaft“ in dem Werk „Im Lichte der Wahrheit“ niedergelegt hat. Bernhardt, der sich selbst Abd­ru-shin nannte, verstand seine Person als den im Johannesevangelium verheißenen Tröster und eine Art besseren Christus. Für seine Anhänger spielt aber das schriftlich niedergelegte Werk Bernhardts als religiöse Offenbarung eine weitaus größere Rolle als die Person Bernhardts selbst. Die Gralsbewegung Deutschland hat ihren Sitz in einer vornehmen Münchner Villa. Dort trafen die Exkursionsteilnehmer mehrere Gralsanhänger zum Gespräch. Hauptsächlich Martin Schott, Vorsitzender der Gralsbewegung Deutschland, stellte die Gemeinschaft vor. Der Stil des Andachtsraumes („Lichtstätte“) erinnerte in seiner nüchternen Ästhetik und der Beschränkung auf zentrale Symbole (Kelch, sieben Lichter, Gralskreuz) an die etwa zeitgleich entstandene gnostisch-esoterische Gemeinschaft Lectorium Rosicrucianum. International verzeichnet die Gralsbewegung in Afrika steigende Anhängerzahlen. Martin Schott nannte unter anderem Nigeria und Kongo. Nach einer Erklärung gefragt, führte er das dortige Interesse auf die allgemein hohe Religiosität in den Ländern bei einer großen Pluralität der im weitesten Sinne christlichen Kirchen zurück. Der sonntägliche Gang zu einer Kirche gehöre dort dazu, und so besuchen eben auch zahlreiche Menschen regelmäßig die Sonntagsandachten der Gralsbewegung. Diese bestehen hauptsächlich aus Instrumentalmusik zu Beginn und zum Abschluss und dazwischen einer Lesung aus den Vorträgen Bernhardts. Die anwesenden Gralsanhänger bedauerten die Entwicklungen auf dem Vomperberg, dem einstigen Zentrum der Gralsbewegung in Tirol, seit der in die Familie Bernhardt eingeheiratete Siegfried Bernhardt sich die Gralssiedlung durch eine Schenkung seiner Frau angeeignet habe. Die Absicht Oskar Ernst Bernhardt sei es dagegen gewesen, die Vermögenswerte in eine Stiftung einzubringen. Das Verhalten Siegfried Bernhardts hat nicht nur zu einer Spaltung der Gralsanhängerschaft geführt, sondern ist aus Sicht der Gralsbewegung Deutschland auch ein Verrat an Leben und Werk des Gründers der Gralsbewegung und seiner direkten Nachfahren. Zwar ist die Gralsbewegung stolz auf die große Auflagenhöhe von Bernhardts Hauptwerk „Im Lichte der Wahrheit“ (1,4 Millionen Exemplare in 17 Sprachen), aber die Anhänger sehen es nicht gern, wenn die Schrift eher beliebig in esoterischen Kreisen gelesen und entsprechend frei ausgelegt wird. Ebenso war Martin Schott darum bemüht, sich von gegenwärtig populären und marktförmigen Formen der Esoterik abzugrenzen.

5. Die fünfte Begegnung fand mit Alfred Zeisel statt, der von 1980 bis 1993 Mitglied von Scientology war und über seine Mitgliedschaft und das System Scientology das knapp 600 Seiten umfassende Buch „Scientology schafft uns ab“ geschrieben hat. In dem Buch, das derzeit nur online verfügbar ist (http://scientologyschafftunsab.npage.de), beschreibt er Traumata seiner Kindheit, seinen eigenen Weg durch Scientology und die dort angewandten Psychotechniken. Im Gespräch mit den Exkursionsteilnehmern stellte er vor allem das Auditing vor. Er betonte, dass Scientology ganz „Technologie“ sei und nichts mit Religion zu tun habe. Erst nach seinem Ausstieg habe er zum Beispiel erfahren, dass es sonntägliche Andachten bei Scientology gibt. Auch die sogenannten „Geistlichen“ sowie „Seelsorge“ und „Gebete“ seien nur Publicity nach außen und hätten nichts mit der tatsächlichen Praxis von Scientology zu tun. Zeisel beschrieb, wie das Auditing zu Hochgefühlen führe – man fühle sich „high“, überlegen, stark und befinde sich im Glauben, tatsächlich Probleme zu lösen – während man intimste Dinge aus seinem Leben preisgebe. Besonders deutlich wurde bei seinen Schilderungen die Diskrepanz zwischen den erzeugten positiven Gefühlen auf der einen Seite bei gleichzeitiger systematischer Demütigung, Konzentration auf Schwächen und negative Gefühle sowie Hervorrufen von Angstgefühlen auf der anderen Seite. Sichtbar wurde in dem Gespräch der menschenunwürdige Umgang von Scientology mit seinen Mitgliedern. Es drängt sich der Eindruck auf, dass durch die Praktiken gerade bei Menschen, die Hilfe suchen und brauchen, Probleme ausgenutzt und verstärkt werden.

Die Begegnung mit Vertretern religiöser und weltanschaulicher Bewegungen und Gemeinschaften ist ein unverzichtbarer und wertvoller Bestandteil der kirchlichen Religions- und Weltanschauungsarbeit. Menschen und Räume vermitteln einen anderen Eindruck, als dies Schriften allein können. Der Veranstaltungsrahmen ermöglicht einen unmittelbaren und intensiven Austausch der Kollegen über die gemeinsamen Erfahrungen.


Claudia Knepper