Johannes Kandel, Reinhard Hempelmann

„Evangelisch aus fundamentalem Grund“?

Zur Kritik an der Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ (Teil 2)

Anfang Oktober 2007 wurde das von Jürgen Micksch herausgegebene und 335 Seiten umfassende Buch „Evangelisch aus fundamentalen Grund. Wie sich die EKD gegen den Islam profiliert“ vorgestellt (Verlag Otto Lembeck, Frankfurt a. M. 2007). Es enthält zahlreiche Beiträge von hauptsächlich evangelischen Theologieprofessoren, die darin ihren Widerspruch gegenüber der EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft. Christen und Muslime in Deutschland“ (EKD-Texte 86) zum Ausdruck bringen. Johannes Kandel und Reinhard Hempelmann antworten auf die Kritiker der Handreichung. Nachdem wir in MD 1/2008 den ersten Teil ihrer Antwort dokumentierten, folgt nun der zweite Teil. Die Auseinandersetzung spiegelt Ausschnitte aus einem Diskussionsprozess wider, der Grundfragen einer theologischen Verhältnisbestimmung zum Islam, des interreligiösen Dialoges und der Urteilsbildung zu integrationspolitischen Themen berührt.

 

„Islamophobie“?

Just erhebt den Vorwurf, dass sich die Handreichung (HR) zwar „ausführlich all den Gräueln, die irgendwo auf der Welt im Namen des Islam begangen werden“ (S. 228), widme, aber die deutlich zunehmende „Islamophobie“ ignoriere. Er geht ganz selbstverständlich davon aus, dass es „Islamophobie“ gibt und das in der Öffentlichkeit vorherrschende Islambild „verzerrt“ ist und „Ängste“ schürt. Sein Beitrag liest sich streckenweise wie ein Aufrechnungsverfahren nach dem Muster: Sprichst Du vom „Ehrenmord“, der „Zwangsehe“ und Gewalt gegen Frauen in islamischen Gesellschaften, dann musst du auch über Gewalt in westlichen Gesellschaften und den „Blutopfern amerikanischer Aggressionspolitik (Beispiel Irak)“ reden (S. 234). Es liegt auf der Hand, dass man mit einer solchen Vorgehensweise, die alles gleich gültig werden lässt, nicht weiterkommt. Zunächst ist zu fragen, was mit jenem Phänomen „Islamophobie“ gemeint ist und in welchem Umfang es die gesellschaftliche Situation in Deutschland bestimmt. Die HR hat davon abgesehen, sich mit dieser Frage intensiv zu befassen; es hätte eine eigene Studie erfordert. Zudem liegen, worauf Just selbst verweist (S. 230ff), zahlreiche Stellungnahmen der evangelischen Kirche zu den Themen Diskriminierung, Rassismus, Xenophobie und politischer Extremismus vor. Sicherlich wäre es hilfreich gewesen, auf die Problematik in wenigen Sätzen hinzuweisen. Ganz ignoriert wird sie aber auch nicht (HR, S. 50).

Just referiert über „Islamophobie“, als ob dies ein klar erkennbares, definiertes und objektiv messbares Phänomen sei („Islamophobie in Deutschland“, S. 222), und leitet weit reichende Schlussfolgerungen für seine Kritik an der HR daraus ab. Das ist zu hinterfragen. Der Begriff „Islamophobie“ hat spätestens seit 2004, als der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan ihn in den Status eines offiziellen politischen Begriffs erhob, seinen mediengestützten Siegeszug im Islam-Diskurs angetreten und wird als unbezweifelbares Faktum verhandelt. Er ist gleichwohl vage, unklar und weist geringe Trennschärfe auf. Es besteht die Gefahr, auch völlig legitime Kritik an Doktrinen und Praktiken des Islam als „islamophob“ zu denunzieren. So wird z. B. von manchen muslimischen Organisationsvertretern schon eine allgemeine Skepsis gegenüber der Religion als „islamophob“ abgetan. Der Chefredakteur der britischen Zeitschrift „Muslim News“, Ahmed Versi, bezeichnete die legitime Aufforderung von Franco Frattini, Vizepräsident der Europäischen Kommission, an die Adresse der Muslime, sich um einen europäischen Islam zu bemühen, als „rassistisch“ und „islamophob“: „Talks about creating a ‚European Islam’ not only indicates that the EU is planning to impose their own version of Islam on Muslims but will create more anti-Western and anti-Christian feeling in the Muslim community.“1 Die Islamische Weltliga und verwandte Organisationen haben längst die Chance entdeckt, den Begriff für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Befriedigt nahm der Vorsitzende der „Organisation der Islamischen Konferenz“ (OIC), Ekmeleddin Ihsanoğlu, zur Kenntnis, dass die Sozialdemokratische Partei in Europa eine Kommission zur Beschäftigung mit „Islamophobie“ eingesetzt hat. „Seit Jahren“, so erklärte Ihsanoglu, „arbeiten wir in dieser Richtung und begrüßen jeden Schritt, der zur Aufklärung auf nationaler und kultureller Ebene beiträgt.“ Schon ist das Ziel erreicht, „Islamophobie“ mit Antisemitismus zusammenzubinden. In Deutschland zielt diese Strategie darauf, einen Zusammenhang zwischen Judenfeindschaft und Judenverfolgung in Deutschland und „Islamophobie“ herzustellen, eine vor dem Hintergrund des Holocaust absurde These. Selbst die höchst ambivalenten Kriterien des „Runnymede Trust“ von 1997 zur Typologisierung von Islamophobie schließen eine solche Analogie aus.

Problematisch sind die Belege, die Just für „Islamophobie“ in Deutschland nennt. Er verweist auf eine Studie von Kai Hafez und Carola Richter2, die ermittelt haben wollen, dass die Berichterstattung von ARD und ZDF zum Islam (Magazin- und Talksendungen) in über 80% der Fälle „negativ“ besetzt sei, vor allem stünden „Konfliktthemen“ wie z. B. „Terrorismus und Extremismus“ (mit 23%) im Vordergrund. Welche Aussagekraft das haben soll, bleibt unklar. In der Logik der Medienpräsentation liegt es jedoch, dass der Faktor „Konfliktberichterstattung“ dabei einen hohen und völlig legitimen Stellenwert hat. Hafez und Richter unternehmen nicht einmal den Versuch zu zeigen, wie die inkriminierten Beiträge gestaltet sind. Doch erst Inhalts- und Methodenanalysen würden den Vorwurf der Einseitigkeit belegen können.

Im nächsten Schritt zitiert Just zwei völlig unterschiedliche, nicht vergleichbare empirische Untersuchungen und rubriziert alles unter „Islamophobie“. Erst wird die berühmte Allensbach-Umfrage vom 17. Mai 2006 genannt, dann die Studien des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer „Deutsche Zustände“. Bei jeder Umfrage ist zunächst der Kontext zu berücksichtigen. Die Allensbach-Umfrage wurde zu einem Zeitpunkt durchgeführt, als der so genannte „Karikaturenstreit“ erst langsam aus den Schlagzeilen zu verschwinden begann.3 Viele Menschen hatten noch die Bilder von brennenden Botschaften und Zerstörungen im Kopf. Es war eine Momentaufnahme, nicht mehr.

Just zitiert sodann die Untersuchungen des Soziologen Wilhelm Heitmeyer „Deutsche Zustände“ und konstatiert, dass dieser „zu ähnlichen Ergebnissen“ komme (S. 223). Doch erstens sind beide Untersuchungen methodisch gar nicht miteinander zu vergleichen und zweitens hat das Heitmeyersche Analysekonzept („Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“) Schwächen in der Aussagekraft für „Islamophobie“.

Heitmeyer stellte in seiner ersten Untersuchung „Deutsche Zustände“ 2002 fest, dass es „keine generelle Islamfeindlichkeit“ gebe, aber 48,6% der Befragten Probleme hätten, „in Gegenden zu ziehen, in denen viele Moslems wohnen“. Knapp die Hälfte der Bevölkerung sähe im Ausbau der religiösen Infrastruktur von Muslimen eine problematische Machtausdehnung und entwickle Ängste. Heitmeyer fügte aber relativierend hinzu, dass „in bezug auf Haltungen gegenüber Muslimen bisher keine verlässlichen Daten, schon gar nicht im Längsschnitt“ existieren. Jürgen Leibold und Steffen Kühnel kamen in derselben Studie zu dem Ergebnis, dass sich die „Behauptung von einem besonderen ‚Feindbild Islam’, das aus unterschiedlichen Motiven zum Teil von bundesdeutschen Intellektuellen und zum Teil von islamischen, bzw. islamistischen Gruppen beschworen wird, nicht bestätigen“ lässt. Auch die weiteren Untersuchungen in den Fortsetzungen der Serie „Deutsche Zustände“ konnten ein nachhaltiges Feindbild Islam oder einen signifikanten Anstieg von „Islamophobie“ nicht empirisch untermauern.4

Die von Heitmeyer und Mitarbeitern verwendete Definition von „Islamophobie“ ist problematisch, weil sie nicht trennscharf und spezifisch genug ist. „Islamophobie bezeichnet Bedrohungsgefühle und die ablehnenden Einstellungen gegenüber der Gruppe der Muslime, ihrer Kultur und ihren öffentlich-politischen wie religiösen Aktivitäten.“5 Es gibt zweifellos „Bedrohungsgefühle“ in Deutschland, was angesichts des weltweiten islamistischen Terrors und der realen Gefährdungslage auch nicht verwunderlich ist. Gleichwohl ist es keineswegs zwingend, dass sich diese und/oder „ablehnende Einstellungen“ pauschal gegen die „Kultur“ sowie gegen die „öffentlich-politischen und religiösen Aktivitäten“ der (!) Muslime richten müssen, woraus eine generelle Abwertung von Muslimen abgeleitet werden könnte. Die für die Befragung gewählten Items lassen eine zu große Bandbreite an möglichen Antworten zu. Zur Messung von „genereller Ablehnung von Muslimen in Deutschland“ 2003-2005 werden zwei „Itemformulierungen“ gewählt. „Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden“. Das bejahen mit sinkender (!) Tendenz knapp 27% der Befragten. Es ist also eine deutliche Minderheit, die eine generelle Ablehnung von Muslimen erkennen lässt. Einerseits ist ein solches Ergebnis unerfreulich, andererseits auch wiederum nicht so erstaunlich, da fremdenfeindliche Einstellungen relativ stabil um 30% liegen und „Islamophobie“ ein Teil von ihnen ist. Die zweite Formulierung: „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ bejahen mit steigender Tendenz fast 34%. Auch das ist eine Minderheit. Und es ist keineswegs zwingend, dass sich hinter der Bejahung dieser Frage eine „generelle Ablehnung“ verbirgt. Sie kann auch Ängste und Besorgnisgefühle auf den Punkt bringen, dass die eigene – wie auch immer definierte – Identität bedroht erscheint, ohne eine generelle Wendung gegen „die“ Muslime auszudrücken.

Sind alle jene „islamophob“, denen bestimmte religiöse Praktiken „fremd“ sind und die z. B. die Praxis des Schächtens, vielleicht aus sehr vernünftigen Gründen des Tierschutzes, nicht akzeptieren? Sind alle jene „islamophob, die z. B. am Kopftuch muslimischer Frauen Anstoß nehmen, weil sie – auch nicht ganz unbegründet – meinen, das Kopftuch sei ein Symbol für die Diskriminierung von Frauen und eine rigide Politik der Geschlechtertrennung, die sie nicht mit den Grundwerten des GG in Einklang sehen? Sind alle jene „islamophob“, die nicht im Einflussbereich islamistischer Gruppen oder islamistisch beeinflusster Moscheen leben wollen? Sind die Bedenken von Anwohnern gegen den Bau von Moscheen von vornherein als „islamophob“ zu brandmarken? Sind Christen „islamophob“, die sich dagegen aussprechen, christliche Kirchen, die nicht mehr genutzt werden können, an islamische Organisationen zu verkaufen? In der Bejahung der „Fremdheitsfrage“ kann sich auch berechtigte Kritik am Islam manifestieren. Eine solche Kritik gestehen die Autoren von „Deutsche Zustände“ auch ausdrücklich zu. Doch der Begriff der „Islamophobie“, so wie er inzwischen – vor allem in muslimischen Kreisen – verwendet wird, nimmt inzwischen, wie erwähnt, den Charakter eines Kampfbegriffes an, um unliebsame Kritik an religiösen Doktrinen und bestimmten religiösen Praktiken abzulenken bzw. zu ersticken.

Im Diskurs über „Islamophobie“ fällt auf, dass die Ursachenanalyse stets zu kurz kommt. Woher kommen „islamophobe“ Einstellungen und Haltungen? Für Just sind in monokausaler Verengung „die Medien“ in einer „islamfeindlichen“ Mehrheitsgesellschaft verantwortlich. Häufig werden auch schlicht dieselben Ursachen angenommen, die in der Forschung für fremdenfeindliche und rechtsextremistische Orientierungen genannt werden: von sozioökonomischen bis zu sozialpsychologischen Faktoren. Das ist sicherlich nicht falsch. Doch muss auch thematisiert werden, welchen Anteil islamistisch-extremistische Bewegungen und die aktuelle dschihadistisch-terroristische Bedrohung an der Ausformung islamfeindlicher Haltungen haben. „Bedrohungsgefühle“ und „ablehnende Einstellungen“ gegenüber Ideologie und Bewegung des Islamismus, der vom Islam nicht abzulösen ist, sind nur allzu verständlich und angesichts der Sicherheitslage mehr als gerechtfertigt. Man muss diese Besorgnisse und Ängste ernst nehmen, anstatt sie als „Islamfeindschaft“ pauschal zu verteufeln.

Micksch greift zu der sachlich falschen und empirisch völlig unbelegbaren Behauptung, dass „islamfeindliche Einstellungen ... gegenwärtig die am meisten verbreitete Form des Rassismus“ seien (S. 11). Dass „Islamfeindlichkeit“ dem Rassismus zugerechnet wird, ist absurd. Hier wird der Begriff des Rassismus, der historisch auf soziobiologischen Ideologien aufbaut, vollends entwertet und aufgelöst, denn Muslime sind zweifellos keine „Rasse“ im ethnischen Sinne. Es ist nicht sinnvoll, hier den Begriff des Rassismus zu verwenden. Selbst wenn man „islamfeindliche“ Einstellungen, die noch zu definieren wären, als „rassistisch“ bezeichnete, gäbe es keinen empirischen Beleg dafür, dass diese „am meisten verbreitet“ wären.

Kopftuch

Micksch unterstellt der HR „pauschal ablehnende Einstellungen zum Kopftuch“, die „einseitig Frauen diskriminieren“ und „sexistisch“ seien (S. 13). Er bleibt den Beleg schuldig, aus welchen Passagen der HR dieses harsche Urteil abzuleiten ist. An keiner Stelle der HR wird eine „pauschal ablehnende“ Haltung zum Kopftuch sichtbar. Der Rat der EKD hat sich in seiner Erklärung vom 10. Oktober 2003 mit der Frage des Kopftuchs im Schuldienst befasst und im Lichte der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 24. September 2003 die Neutralitätspflicht von Beamten und die Güterabwägung zwischen konkurrierenden Grundrechten unterstrichen. Diese Erklärung wurde, wie ausdrücklich vermerkt wird, vom Rat selbst in die HR eingefügt. Im Ergebnis der Güterabwägung und unter Berücksichtigung „der Bedeutung des Kopftuchs im Islam“ kommt der Rat darin zu dem Schluss, dass das Begehren „einer muslimischen Bewerberin für eine Lehrtätigkeit an öffentlichen Schulen unter Berufung auf ihre Religionsfreiheit“ ein Kopftuch zu tragen „Zweifel an ihrer Eignung als Lehrerin an einer staatlichen Schule“ begründe. Man mag das kritisch beurteilen – wie in den Diskussionen innerhalb der ad-hoc-Kommission auch sichtbar wurde –, aber darauf den Vorwurf des „Sexismus“ zu gründen, ist eine polemische Verzeichnung.

Karakasoglu z. B. erhebt diesen Vorwurf nicht. Sie erregt sich aber darüber, dass sich die EKD das Recht herausnähme, „den inhaltlichen Gehalt eines religiös konnotierten Kleidungsstücks einer anderen Religionsgemeinschaft zu bestimmen und gleichzeitig abzuwerten“ (S. 243). Ferner würden Probleme nur beim islamischen Kopftuch gesehen, während „Erkennungszeichen der jüdisch-christlichen Tradition“ nicht als Auffassungen interpretiert würden, „die in einem Spannungsverhältnis zu den der deutschen Verfassungsordnung zugrunde liegenden Wertentscheidungen stehen“ (HR, S. 64).

In dem heftigen „Kopftuchstreit“ 2003/2004 verwischten sich oft die Ebenen, und gelegentlich wurde von muslimischer Seite der Eindruck erzeugt, als ginge es generell gegen das Kopftuch. Doch es ging immer um das Kopftuch im Staatsdienst. Es gibt sehr verschiedene Deutungen des Kopftuchs. Wenn der öffentliche Dienst betroffen ist, dann gilt eben nicht exklusiv das Selbstverständnis der Kopftuchträgerinnen, sondern hier kommen auch die Deutungen des Staates und der Eltern mit ins Spiel. Es gibt also eine Abwägung von Rechtsgütern und Deutungen. Der Vorwurf von Karakasoglu, dass die EKD damit „den betroffenen Frauen individuelle Handlungs- und Entscheidungskompetenzen“ (S. 244) abspräche, ist somit nicht zutreffend, und es liegt keineswegs eine Verletzung der von der HR befürworteten Zielsetzung vor, dem Partner auf gleicher Augenhöhe zu begegnen.

Defizitäre Theologie?

Immer wieder wird in dem Buch von Jürgen Micksch eine vermeintlich fehlende theologische Klarheit (auch im Vorspann S. 11) unterstellt, bei Arnulf von Scheliha ein nicht vorhandenes religiöses Interesse am Islam (S. 69ff), bei Martin Stöhr eine fehlende Berücksichtigung von Gemeinsamkeiten und eine unterentwickelte Theologie (S. 91ff), bei Johannes Triebel angeblich selbstwidersprüchliche Aussagen zur Gottesfrage (S. 138f). Karl-Josef Kuschel würdigt zwar die Handreichung mit wenigen Sätzen – vor allem in ihren Passagen zu Brennpunkten gesellschaftlicher Integration –, um dann zu einem Generalangriff überzugehen. Die HR sei restriktiv und widersprüchlich, sie weise vor allem theologisch „erschreckende Defizite“ (S. 46) auf. Eine ausgearbeitete gemeinsame Glaubensbasis zwischen Christen und Muslimen sei – so Kuschel – notwendig, um in den gesellschaftlich-politischen Konfliktfeldern weiterzukommen (S. 48). Ein minimaler Konsens in Glaubensfragen schmälere entsprechend die Aussicht auf Verständigung. Als gemeinsame Glaubensbasis seien der Schöpfungsglaube (S. 52ff) und der gemeinsame Ursprung in Abraham anzusehen (S. 55ff). In Kuschels Konzept wird das Gelingen des interreligiösen Dialogs von einer inhaltlichen Übereinstimmung in Glaubensfragen abhängig gemacht. Das ist fragwürdig, denn dann zielt der interreligiöse Dialog auf die Harmonisierung der Religionen und ihrer Glaubensorientierungen. Eine solche Zielperspektive ist unrealistisch.

Christoph Bultmann vermisst in der HR eine ausgearbeitete Schöpfungstheologie, die den Brückenschlag zum Islam ermöglichen könnte (S. 152ff). Kuschel (S. 52ff) und Johannes Lähnemann (S. 106ff) sehen es ähnlich. Sie lassen dabei unberücksichtigt, dass in den einleitenden Passagen mehrfach auf Gemeinsamkeiten zwischen Christen und Muslimen hingewiesen wird, „die sich aus dem Glauben an Gott den Schöpfer“ ergeben (HR, S. 20). Scheliha behauptet, es gebe einen wichtigen „Ertrag der schöpfungstheologischen Diskurse im deutschsprachigen Islam der Gegenwart“ (S. 77), und verweist auf die Arbeiten von Falaturi und Balic, die im Blick auf die individuelle Würde des Menschen (qua „Geschöpflichkeit“) einen Anschluss „an das westliche Menschenrechtsdenken“ formuliert hätten. Dieser „wichtige Ertrag“ ist allerdings zweifelhaft, wenn man sich die von Scheliha zitierten Balic und Falaturi genau anschaut. Balic bleibt in seiner Einschätzung der islamischen Menschenrechtserklärungen von 1981 und 1990, die eben keine Akzeptanz der Universalität der Menschenrechte enthalten, höchst ambivalent und kann gerade deshalb nicht den Anschluss an „westliches Menschenrechtsdenken“ begründen. Falaturis Position als schiitischer Rechtsgelehrter ist eine sehr honorige, gleichwohl isolierte Meinung. Über das islamische Menschenbild ist zu streiten, wenn Scheliha behauptet, dass sich die islamische Konzeption vom Menschen als dem „Statthalter Gottes“ („Kalif“) „stärker als es die Handreichung zugeben will – der gegenwärtigen christlichen Idee der Gottesebenbildlichkeit“ nähert (S. 78). Das Verhältnis Gott und Mensch ist im Christentum ein wesentlich anderes als im Islam.

In den Aussagen zur gemeinsamen Weltverantwortung und zum Thema Frieden sieht Bultmann „die Handreichung auf einem positiv orientierten Weg (S. 162), der „einen ersten Schritt zu hermeneutischem Problembewusstsein“ (S. 162; vgl. dazu HR, S. 19ff) darstellt. Die theologischen Orientierungen der HR sieht er allerdings durch einen „apologetisch oder polemisch funktionalisierten Eklektizismus“ (S. 167f) bestimmt. Auch ist er verärgert darüber, dass keine Bibelwissenschaftler in der Kommission beteiligt waren, die die Handreichung vorbereitete. Seine Stellungnahme ist durch Schlagworte und einseitige Wahrnehmungen bestimmt. Immer wieder ist er darum bemüht, einzelne Aussagen der HR in einen Gegensatz zu früheren EKD-Stellungnahmen zu bringen, zum Beispiel zu den Leitlinien „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“. Im Blick auf die Ausführungen zur „Nähe des Schöpfers zu allen Menschen“ stellt er fest: „Die Handreichung 2006 zeigt sich jedoch dem Text von 2003 und den von ihm gestellten Herausforderungen nicht gewachsen“ (S. 154). Vergleicht man die Texte sorgfältig miteinander, kommt man allerdings zu ganz anderen Ergebnissen. Bultmanns Ausführungen erschöpfen sich im Widerspruch zur HR und bleiben in ihren Intentionen unklar.

Die angebliche Nichtberücksichtigung der „Gemeinsamkeiten der abrahamischen Religionen Judentum, Christentum und Islam“ wird gleich in der Einleitung von Micksch als großer Mangel benannt (S. 12). Damit soll der Eindruck erweckt werden, es gebe für den spannungsvollen Dialog der Religionen in der abrahamischen Tradition so etwas wie eine vorhandene Friedensquelle, auf die man nur zurückgreifen müsse.

Unberücksichtigt bleibt dabei, dass die Figur Abrahams in ihrer islamischen Rezeption dem jüdischen und dem christlichen Verständnis von Abraham pointiert entgegengesetzt ist.

Die Unterschiede der Zugangsweisen und Verarbeitungen der jeweiligen Traditionen zu Abraham dürfen nicht eingeebnet werden. Der Verweis auf Abraham erfolgt aus islamischer Perspektive auch immer im Sinne eines Überlegenheitsanspruches (Abraham als der „hanif“, der Gottsucher, der „erste Muslim“).

Mission und Dialog

Das Thema Mission und Dialog wird in zahlreichen Beiträgen des Buches aufgegriffen. Gleich am Anfang bemerkt Micksch: „Die Aufgabe der Mission wird so undifferenziert beschrieben, dass bei Muslimen die Sorge entsteht, jede Einladung und jeder Dialog mit evangelischen Christen sei eine Form der Mission“ (S. 11). Diese Kritik wird auch von Bultmann (S. 149ff) und Ziemer (S. 312ff) geteilt. Zurückgewiesen wird der Anspruch des Missionarischen ebenso in den beiden muslimischen Beiträgen des Buches (Yasemin Karakasoglu, S. 238ff, und Hamideh Mohagheghi, S. 253ff). Auch die muslimischen Verbände haben im Blick auf das Thema Mission mit besonderer Empfindlichkeit reagiert. Ihre Stellungnahme ist in dem Micksch-Buch dokumentiert (S. 275ff).

Die muslimische Kritik der christlichen Mission ist vor allem im Endgültigkeitsbewusstsein des Islam begründet. Mohammed gilt als Siegel der Propheten (Sure 33,40). Als nach-christliche Religion hat der Islam das Christentum zu einem Teil seiner Vorgeschichte gemacht (vgl. auch HR, S. 18). Aus der Religionsgeschichte ist vielfältig bekannt, wie schwer es ist, Beerbungsansprüche anderer zu ertragen oder es hinzunehmen, wenn andere den eigenen Beerbungsansprüchen widersprechen. Christen bestehen darauf, dass der Dialog mit Muslimen die Mission unter ihnen nicht ausschließt (HR, S. 113). Ein christlicher Missionsverzicht würde faktisch die Anerkennung des islamischen Endgültigkeitsanspruchs beinhalten. Zahlreiche Aussagen des Micksch-Buches zum Thema Mission erwecken den Eindruck, die missionarische Religionsbegegnung gehöre nicht mehr in das Zeitalter des interreligiösen Dialoges. Demgegenüber hält die HR daran fest: Beide, Christentum wie Islam, sind missionarische Religionen, in ihrer Begegnung treffen „Endgültigkeitsansprüche“ aufeinander. Die Begegnung der christlichen Kirchen mit dem Islam lässt sich nicht auf den Dialog und die gute Nachbarschaft reduzieren. Zu ihr gehört unverzichtbar das christliche Zeugnis, das auf die göttliche Selbstmitteilung in Jesus Christus und im Wirken des Geistes verweist. Eine unklare und zaghafte evangelische Identität, die darauf verzichtet, die missionarische Dimension des eigenen Selbstverständnisses auszusprechen, hilft niemandem.

Differenzen zwischen Christentum und Islam dürfen weder heruntergespielt werden noch das Ende der Kommunikation bedeuten. Zum Dialog gibt es keine Alternative. Er ist jedoch auch im Sinne einer respektvollen Streitkultur und eines interreligiösen Realismus zu verstehen und zu gestalten. Selbstrelativierung stellt keine überzeugende Strategie dar, um Differenzen auszuhalten und Toleranz einzuüben.

Die Religionsbegegnung hat unterschiedliche Ebenen: Zusammenleben, Dialog, Mission (HR, S. 113). Eine erkennbare christliche Identität ist nicht Störung, sondern Voraussetzung für eine weiterführende Begegnung. Diesen Orientierungen folgt die HR.

Glaube an denselben Gott?

Massiven Widerspruch hat die Handreichung im Blick auf den Satz erfahren, dass Christen ihr „Herz … schwerlich an einen Gott hängen können, wie ihn der Koran beschreibt und wie ihn Muslime verehren“ (HR, S. 19). Kuschel meint daraus eine „Verächtlichmachung des Koran“ lesen zu können (S. 48f), Triebel hält den Satz für „theologisch … falsch“ (S. 138). Bultmann spricht vom „Skandal“, von der „Zumutung“ dieses Satzes, aus dem er eine „höhnische Verwerfung des Gottesbildes im Islam“ liest (S. 158). Die Erregung der Kritiker ist jedoch nicht gerechtfertigt. Der Satz enthält kein Urteil über den Islam. Er sagt pointiert aus, dass es zwischen dem christlichen und dem islamischen Gottesverständnis fundamentale Differenzen gibt. Dies auszusprechen ist schon deshalb notwendig, weil die islamische Perspektive von einer Kontinuität im Offenbarungsgeschehen ausgeht. Der Islam beansprucht, alle Offenbarungsreligionen in sich zu schließen (Inklusivismus), beginnend mit der Adam offenbarten Urreligion. Andererseits sind allein Mohammed und der ihm offenbarte Koran der Maßstab zur Bestimmung dessen, was als Offenbarung gelten kann (Exklusivismus).

Nach muslimischer Überzeugung (!) meinte Mohammed denselben Gott, den auch Juden und Christen verehren. Christinnen und Christen müssen sich zu dieser islamischen Identifikation verhalten. Ihre Urteilsbildung dazu hat zu berücksichtigen, dass die von Seiten der Muslime vorausgesetzte Kontinuität dadurch in Frage gestellt ist, dass sie „von vornherein mit Veränderungsvorwürfen und Fälschungsunterstellungen verbunden ist“6. Die Handreichung bringt diesen Sachverhalt mit den Sätzen zum Ausdruck: „Im Christentum ist dieser Glaube nach muslimischer Überzeugung zwar verfälscht worden. Aber Muslime billigen Christen zu, dass sie sich mit der Offenbarung Gottes in Israel auf den Gott beziehen, von dem Mohammed den Islam als die aus ihrer Sicht letztgültige Offenbarung empfangen hat“ (HR, S. 18). Da die muslimische Perspektive von der Selbigkeit Gottes gleichzeitig den Vorwurf enthält, dass Christen die Gottesoffenbarung falsch verstanden haben, ist die Grundlage für einen gemeinsamen Glauben nicht gegeben. Nicht überzeugend ist es deshalb, den interreligiösen Dialog und das friedliche Zusammenleben der Religionen von einem Konsens im Glauben abhängig zu machen. Mit Recht und mit guten Gründen weist die Handreichung auf die „Grenzen des Glaubens an den ,einen Gott’“ hin. Damit wird keineswegs in Abrede gestellt, „dass der Islam auf die Verehrung des transzendenten Gottes zielt“ (HR, S. 18). Auch wird mit der Betonung der Differenz im Gottesverständnis keineswegs eine umfassende religionstheologische Klärung der Redeweise von dem „einen Gott“ vollzogen.

Selbstverständlich darf das Diktum der HR, dass Christen „ihr Herz schwerlich an einen Gott hängen können, wie ihn der Koran beschreibt“, nicht im Sinne eines volkstümlichen Polytheismus verstanden werden, so als gäbe es mehrere Götter. Auch wird der Vorwurf des „Götzendienstes“ gegenüber dem Islam an keiner Stelle erhoben. Die HR enthält sich des Urteils. Die Bestreitung eines gemeinsamen Gottesglaubens folgt aus dem Ernstnehmen des christlichen wie des islamischen Gottes- und Offenbarungsverständnisses. Der Dialog mit Muslimen wird dadurch keineswegs ausgeschlossen oder erschwert. Es ist besser, fundamentale Differenzen respektvoll einzugestehen, als krampfhaft nach Verwandtschaftsbeziehungen Ausschau zu halten, die sich bei genauerem Hinsehen als nicht gegeben erweisen.

Es mag Sätze in der HR geben, die verbesserungsbedürftig sind. Dieser ist es unseres Erachtens nicht. Die Äußerungen von Bultmann, dieser Satz und die Bezugnahme der HR auf Luthers Erklärung zum Ersten Gebot seien „theologisch und rhetorisch ein skandalöser Missgriff“ (S. 165), zeugt von fehlender Sachkenntnis. Will Bultmann ernsthaft bestreiten, dass der Gott, von dem Luther in seiner Erklärung zum ersten Gebot redet, der dreieinige Gott ist? In der Begegnung mit Muslimen sind Christen sehr wohl vor die Frage gestellt, ob sie im Islam den Gott wiedererkennen können, der ihnen in Jesus Christus begegnet und der der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs ist. Eine Bejahung dieser Frage scheint unweigerlich auf eine Zurückstellung der Christologie hinauszulaufen. Christen können jedoch Gott nicht ohne Christus und auch Christus nicht ohne Gott verstehen.

Zweifellos richtig ist, dass der Glaube an Jesus Christus wie auch das trinitarische Bekenntnis nicht nur Christen und Muslime, sondern auch Christen und Juden voneinander trennt. Dennoch ist die von Scheliha und Kuschel vorgenommene Parallelisierung des Verhältnisses zum Islam und zum Judentum nicht überzeugend. Das urchristliche Bekenntnis setzt voraus, dass der Gott, von dem der christliche Glaube redet, kein anderer ist als der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Bereits im Neuen Testament wird die Identität und Selbigkeit Gottes unterstrichen. Der Dialog zwischen Christen und Juden hat insofern andere Voraussetzungen, Themen und Aufgaben. Seine Berührung mit dem christlich-muslimischen Dialog und seine Unterschiedenheit von ihm bedürfen weiterer Klärungen.

Gemeinsame Gebete und religiöse Feiern

Reinhold Bernhardt geht es in seinen Ausführungen um den pointierten Widerspruch zu den Aussagen der Handreichung zum interreligiösen Beten (HR, S. 113ff). Seine systematisch-theologischen Reflexionen stellt er ganz in den Dienst der Legitimation interreligiösen Betens. In der HR wird das interreligiöse Beten ausdrücklich abgelehnt: „Ein gemeinsames Beten in dem Sinn, dass Christen und Muslime ein Gebet gleichen Wortlautes zusammen sprechen, ist nach christlichem Verständnis nicht möglich, da sich das christliche Gebet an den einen Gott richtet, der sich in Jesus Christus offenbart hat und durch den Heiligen Geist wirkt.“ (S. 115) Bernhardt sieht in solchen „kirchenamtlichen“ Vorschriften unnötige Einschränkungen christlicher Freiheit. Seine Ausführungen verbinden systematisch-theologische Perspektiven mit praktischen Handlungsorientierungen. Eine „christozentrische Engführung im Verständnis der Selbstvergegenwärtigung Gottes“ (S. 197) möchte er überwinden. Das Verständnis Gottes ist nach Bernhardt nicht ausschließlich durch die Christusoffenbarung zu bestimmen. Die aus seiner Sicht sachnotwendige Differenz zwischen „Gott-in-seinem-Selbstsein“ und „Gott-in-seiner-Offenbarung“ begründet für ihn die grundsätzliche Möglichkeit, multireligiös und interreligiös zu beten. Aus pragmatischen Gründen würde auch er zwar das „nebeneinander oder nacheinander gesprochene multireligiöse Gebet in der Tradition der jeweiligen Religionsgemeinschaft“ einem interreligiösen vorziehen. „Wo die Beteiligten allerdings unter Wahrung ihrer jeweiligen Identität ein gemeinsames Gebet verantworten können, sollte auch dies möglich sein“ (S. 205). Indirekt und ungewollt bestätigt Bernhardt mit diesen Überlegungen die Ausführungen der HR, dass „eine Situation, in der nebeneinander oder nacheinander gebetet wird, … leicht als interreligiöses Beten wahrgenommen werden (kann), bei dem die bestehenden grundlegenden Unterschiede nicht respektiert werden“ (HR, S.117). In der Praxis werden diese, von einem systematischen Theologen ausgesprochenen Orientierungen um den Preis einer christlichen Selbstminimalisierung erkauft. Für Muslime ist es undenkbar, ein trinitarisch orientiertes Gebet mitzusprechen. Das Gebet, auf das man sich einigt, kann insofern nur nichttrinitarischen Charakter haben.

Bernhardts Überlegungen sind ein praktisches Beispiel für die fehlende Orientierungskraft der pluralistischen Religionstheologie in den Herausforderungen, vor denen christliche Kirchen in einer Situation zunehmender kultureller und religiöser Pluralisierung stehen. Immer wieder zielen seine Ausführungen auf eine „Horizonterweiterung“ ab, die die Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus bewusst überschreiten wollen. Der „Christusinhalt … lässt sich auch jenseits der Christusoffenbarung … in anderer Gestalt entdecken“ (S. 196). Gott darf nicht „ausschließlich durch die Christusoffenbarung bestimmt“ (S. 196) werden. Die biblische Überlieferung versteht Bernhardt so, dass sie „eine … christozentrische Engführung im Verständnis der Selbstvergegenwärtigung Gottes“ (S. 197) sprengt. Wenn er als Beleg für diese Meinung den Satz aus dem Hebräerbrief 1,1f zitiert, ist dies freilich eine Interpretation, die dem Wortlaut des Textes unmittelbar entgegensteht. Der biblische Text wird in verzerrender Weise so interpretiert, dass sich eine Übereinstimmung mit der pluralistischen Religionstheologie ergibt. Nicht sachgemäß ist auch seine Interpretation von Röm 1,18-20, Röm 2,14f, Apg 17,22-31, die in dem Satz kulminiert, dass Gott gegenwärtig ist, „auch wo er nicht im Lichte Jesu Christi vergewissert wird“ (S. 198). Selbstverständlich gibt es nach christlicher Überzeugzeugung eine Gegenwart Gottes in der ganzen Schöpfung. Die Erkenntnis, dass Gott in seiner Schöpfung gegenwärtig ist, gewinnt der christliche Glaube jedoch nicht jenseits seiner Bindung an Jesus Christus. Im Weiteren spricht Bernhardt von der „Selbstmitteilung Gottes im Koran“, die „für Christen … von den in Christus vermittelten Glaubensgewissheiten her und auf sie hin zu lesen“ sind, und meint, dass „in diesem hermeneutischen Inklusivismus keine christliche Vereinnahmung des Koran“ liege. (S. 199)

Bernhardts Ausführungen stehen in einem grundlegenden Dissens zu zahlreichen offiziellen Stellungnahmen evangelischer Kirchen zur Frage des Verhältnisses des christlichen Glaubens zu anderen Religionen. Nur beispielhaft sei hier auf die Leitlinien „Christlicher Glaube und nichtchristliche Religionen“ verwiesen, die das ausdrückliche Ziel verfolgen, aus dem Zentrum des christlichen Glaubens heraus zu klären, was seine Besonderheit ist und wie das Verhältnis zu anderen Religionen zu sehen ist. Bereits mit den Eingangsüberlegungen werden in den Leitlinien eine Reihe methodischer Orientierungen und Abgrenzungen ausgesprochen: gegenüber der Forderung nach Neutralität im Religionsvergleich, gegenüber dem Bemühen, von einem allgemeinen Verständnis von Religion ausgehend die einzelnen Religionen zu erfassen, gegenüber dem Versuch, die Differenz zwischen Innen- und Außenperspektive bei der Beurteilung einer Religion überschreiten zu wollen.

Indirekt stellen diese Überlegungen auch eine kritische Auseinandersetzung mit der pluralistischen Religionstheologie dar. Während die theologischen Aussagen der HR den Leitlinien bis in einzelne Formulierungen hinein nahe stehen, weicht Bernhardts theologisches Konzept grundlegend von ihnen ab. Seine praktischen Empfehlungen sprechen sich für ein Verständnis von evangelischer Freiheit in der Frage gemeinsamen Betens aus, das die theologische Urteilsbildung ausschließlich in den Bereich individueller Gewissensprüfung verweist.

Schlussüberlegungen

• Das Micksch-Buch stellt keinen konstruktiven Beitrag zum Thema „Christen und Muslime in Deutschland“ dar. Es sammelt Kritiker. Einig ist man sich vor allem darin, etwas gegen die Handreichung der EKD sagen zu wollen. Die Absicht der HR, die schon im Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“ zum Ausdruck kommt, findet keine angemessene Würdigung.

• Der gegen die HR artikulierte Widerspruch kommt aus sehr verschiedenen Perspektiven, die mal mehr, mal weniger entfaltet werden. Bei Kuschel ist es z. B. die abrahamische Ökumene, bei Stöhr sind es Erfahrungen aus der Friedenbewegung und im Kontext des jüdisch-christlichen Dialoges, bei Lähnemann sein Engagement im Rahmen der Weltkonferenz Religionen für den Frieden („World Conference Religions on Peace“), bei Bernhardt ist es die pluralistische Religionstheologie, bei Dehn ein konstruktivistisches Verständnis von Religionswissenschaft, das in seinem Beitrag jedoch durch polemische und kirchenkritische Affekte nur selektiv Anwendung findet. Bei Just ist es die Perzeption des „Anderen“ aus Sicht der evangelischen Asyl- und Flüchtlingsarbeit und schließlich bei Micksch die Dialogarbeit in dem von ihm betriebenen „Deutschen Islamforum“, unterstützt und finanziert von der Karl-Konrad-und-Ria-Groeben-Stiftung. Eigene Orientierungsperspektiven werden am deutlichsten von Kuschel, Lähnemann und Bernhardt geäußert. Lähnemanns Beitrag fällt durch Sachlichkeit aus dem Rahmen. Er ist am ehesten anschlussfähig gegenüber den Anliegen der HR.

• Kirche und Theologie schulden den Menschen christliche Orientierung. Das gilt auch für die Begegnung mit Muslimen. Davon geht die HR aus und gibt gleich am Anfang die Adresse an, von der ausgehend die weiteren Aussagen zu verstehen sind. Ausgangspunkt ist der Glaube an Gott, der sich durch Jesus Christus und im Heiligen Geist erschließt.

• Interreligiöser Dialog wird unglaubwürdig, wenn die Wahrheitsüberzeugungen der Dialogpartner ausgeklammert werden und nur noch kulturelle Ausdrucksformen religiöser Überzeugungen Gegenstand des Gesprächs sind.

• Die Kürze und Knappheit der theologischen Ausführungen haben die theologische Diskussion der HR eher gefördert als verhindert. Dass sich die Kritiker der HR vor allem auf Teil 1 fixiert haben, signalisiert einen Bedarf an Klärung der religionstheologischen Fragen.

• Es ist bezeichnend, dass das von Micksch herausgegebene Buch die HR bewusst in einen Zusammenhang mit dem Fundamentalismus bringt. „Die Ausführungen in der Handreichung fördern fundamentalistische Positionen bei Christen und Muslimen“ (S. 12). Dieser Vorwurf fällt auf den Herausgeber und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter zurück. Denn fundamentalistische Tendenzen gewinnen dann an Gewicht, wenn sich ein unverbindlicher und „weicher“ Beliebigkeitspluralismus ausbreitet, der auf klare Orientierungen verzichtet.


Johannes Kandel, Berlin, und Reinhard Hempelmann


Anmerkungen

Muslim News, 19. August 2006.

2 Kai Hafez / Carola Richter, Das Gewalt- und Konfliktbild des Islams bei ARD und ZDF. Eine Untersuchung öffentlich-rechtlicher Magazin- und Talksendungen, Erfurt 2007.

3 In der Umfrage assoziieren 91% der Befragten den Islam mit „Benachteiligung von Frauen“ (im Vergleich zur Befragung von 2004 = 85%), 83% (2004 = 75%) halten den Islam für „fanatisch“, 62% (2004 = 49%) für „rückwärtsgewandt“, 71% (2004 = 66%) für „intolerant“ und 60% (2004 = 52%) für „undemokratisch“, FAZ vom 17. Mai 2006.

4 Deutsche Zustände, Folge 1, hg. v. Wilhelm Heitmeyer, Frankfurt/Main 2002, 107 und 22; Jürgen Leibold / Steffen Kühnel, Islamophobie. Sensible Aufmerksamkeit für spannungsreiche Anzeichen, in: Deutsche Zustände, Folge 2, hg. v. Wilhelm Heitmeyer, Frankfurt/Main 2003, 113. Die von Leibold und Kühnel konstruierten Kriterien zur inhaltlichen Bestimmung und Messung von „Islamophobie“ sind sehr problematisch (103).

5 Deutsche Zustände, Folge 4, hg. v. Wilhelm Heitmeyer, Frankfurt/Main 2005, 21. Heitmeyer unterstreicht, dass zur Einschätzung der Entwicklung von Islamophobie noch besondere Vorsicht geboten ist.

6 Michael Weinrich, Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott? Systematisch-theologische Annäherung an eine unzugängliche Frage, in: Evangelische Theologie 67, 4/2007, 257.