Elmar Vogel

Essenzen. Die Botschaft Jesu

Elmar Vogel, Essenzen. Die Botschaft Jesu, Synthesia Verlag, Vaihingen/Enz 2009, 352 Seiten, 19,95 Euro.

Das Buch ist seit 2009 auf dem Markt, seit Ende 2012 wird es auch als Amazon-Kindle von der J.-Kampenhausen-Mediengruppe vertrieben und mit dem zusätzlichen Untertitel „Eine überkonfessionelle und religionsübergreifende Interpretation der Bergpredigt“ beworben. Der Autor arbeitet als Steinbildhauer und setzt einen Schwerpunkt bei Trauerarbeit, zudem ist er Meister vom Stuhl in der Freimaurerloge „Zum Goldenen Apfel“ in Dresden.

Mit dem Buch beabsichtigt Elmar Vogel eine Darstellung der Botschaft Jesu entlang der Bergpredigt, die für ihn zu den großen spirituellen Texten der Religionsgeschichte aller Kulturen zählt und „zeitlos-gültige Wahrheit“ enthält. Der Einführung in diese Wahrheit soll das Buch dienen und dabei „undogmatisch“ und „konfessionsübergreifend“ deren Kern nicht als „Zumutung“, sondern als „Lebenshilfe“ (11) zutage fördern (bewusst im Gegensatz zu Begriffen wie „dogmatisch“, „orthodox“, die als starr empfunden werden). Der Verfasser hat dabei ein Exempel zeitgenössischer christlich-gnostischer Esoterik vorgelegt, das widerspiegelt, wie nach dem Wiedererwachen der Gnosis im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts heute eine christlich kultivierte, esoterische Erkenntnislehre auftreten kann. In drei großen Teilen geht das Buch seinem Ziel nach, ganzheitliche Sichtweisen der zeitlos-gültigen Wahrheit zu eruieren. Dabei werden im ersten Teil, der „Einstimmung“ (15-68), in nuce schon alle Thesen aufgezeigt, die später weiter entfaltet werden. Die Auslegung der Bergpredigt nimmt als zweiter Teil den größten Raum ein (69-334) und enthält Abschnitte z. B. zu den Seligpreisungen, der Gesetzeserfüllung, der „Bedeutung des Leidvollen“ oder auch dem Gebet Jesu als „Ausdruck der Sehnsucht nach Geist“. Schließlich werden im dritten Teil die Texte von Matth 5-7 bzw. Luk 6 nach der Lutherübersetzung abgedruckt (335-343) und in einem Anhang die Begriffe Messias, Samariter, Galiläa und gnostische Evangelien erklärt.

Wichtige theologische Themen wie der Umgang mit Leid (Kontingenzbewältigung, Theodizee), Gerechtigkeit oder Gotteserkenntnis (Erlösung, Kreuzestheologie, Rechtfertigung) durchziehen das ganze Buch. Die inhaltliche Darstellung kann entweder als redundant oder als „ein stetes Kreisen“ in einem „dichten Gewebe“ (11) beschrieben werden. Unterstützt wird die beanspruchte Wissenschaftlichkeit durch eine Fülle von Zitaten, die in einer Konvergenz von Wahrheit Plausibilität erzeugen sollen. Neben der Mehrzahl von Jesusworten (nach biblischen und apokryph-gnostischen Texten) kommen immer wieder auch Lao Tse, Simone Weil, Meister Eckhart oder die Bhagavad Gita zu Wort. Die historische Faktizität der Evangelienüberlieferung wird ausdrücklich betont, ohne dass damit deren Sinn streng historisch verstanden werden dürfe (18). Dabei wird der unkritische Umgang mit den Nag-Hammadi-Texten zum Problem, da diese nicht historisch eingeordnet, sondern als Opfer altkirchlicher Polemik legitimiert werden.

Interessanterweise übernimmt Elmar Vogel die komplette biblische Terminologie (Vater, Sohn, Kreuz, Opfer, Messias etc.) und zitiert neben der Bergpredigt viele christologische Kernverse. Allerdings bezieht sich das theologische Anliegen des Verfassers „nicht primär auf die Person Jesu“, sondern vielmehr auf „ein geistiges Prinzip“, „das sie vertritt“ (98). Die auffällige christologische Zentrierung des Buches lässt schnell erkennen, dass eine esoterisch-gnostische Christologie leitend ist, was sich gerade in Themen wie Opfer, Kreuz, Leid und Tod manifestiert. Der Bedeutungslosigkeit des Leiblichen (was sich auch an einem rein symbolischen Abendmahlsverständnis i. S. v. Geisteshaltung, Identität [88] zeigen lässt) wird nur insofern widersprochen, dass diesen noch eine Bedeutung beigemessen werden kann. Dies „zeigt unmissverständlich auf, dass die Welt ausschließlich gedanklich, also auf geistig-emotionaler Basis, überwunden werden kann“ (28). Das extra nos der Rechtfertigung Gottes wird zum monistischen intra des Menschen. Dieses intra spricht, im Gegensatz z. B. zu den paulinischen Immanenzformeln („Christus in mir“) von einer praktischen Erlösungstat des Menschen. In diesem Sinne stellt der Autor das von Jesus verkündigte Gottesreich als inneren Erkenntnisraum, als neuen Horizont vor (67, 97 u. a.), in dem die wahre Bedeutung von Leben, Leid etc. vermittelt wird. Die Einsicht des Menschen, nicht frei zu sein, bedeutet in ihrer Annahme Erlösung. Sünde als Negation von Geist und Sinn (66) kann zur Einsicht in Geist und Sinn gewandelt werden, wenn allem Negativen die wahre Bedeutung beigemessen wird (183). „Insbesondere das vormals Böse wird durch den Glauben (Vertrauen in die Bedeutung) überwunden“ (44). Apotheose und Überforderung des Menschen liegen hier eng beieinander. Elmar Vogel entwirft ein typisches Konzept einer rein esoterisch-anthropologischen, d. h. immanenten Kontingenzbewältigung. Wer es nicht fassen kann, geht zugrunde.

Diese Prämissen eines gnostisch-esoterischen, christologisch formulierten Gottes- und Weltverständnisses kommen auch in den praxisorientierten Perspektiven des Buches zum Tragen, die den Anspruch haben, einen ethischen (d. h. undogmatischen, lebensrelevanten) Zugang zur Botschaft Jesu zu eröffnen. Authentisches Handeln geschieht aus Erkenntnis von Sinn, wozu Wahrnehmungsfähigkeit, Achtsamkeit bzw. Wertschätzung als Haltung gegenüber dem Leid, dem Feindlichen und dem Feind entscheidend sind. „Selig wird darum der genannt, der sich in der Lage sieht, das Wesen der ,weichen‘ Elemente anzunehmen, wodurch er fähig ist, sich klaglos äußerlich verdrängen zu lassen“ (83). Entsprechend das Gesetzesverständnis des Autors: „Die gute Interpretation des Gesetzes ist nie hart und starr, sondern sie ist weich, barmherzig, flexibel und individuell“ (119). „So schafft jede aufrichtige Gesinnung ein erhellendes Milieu ... Wo das Licht herrscht, kann auch gefunden werden“ (111). Allerdings sind noch einige Fragen offen: Wo bleibt die Kategorie der Anfechtung (durch Schuld, Feind, Gesetz etc.), die sich stets auch in Kampf und Klage als legitimen Ausdrücken eines Gottesverhältnisses artikuliert? Und wiederum diese Frage: Wo bleibt das rettende Eingreifen Gottes ab extra als Befreiung (von Schuld, Feind, Gesetz etc.)?

Elmar Vogels „Essenzen“ seiner Interpretation der Botschaft Jesu zeigen ein interessantes esoterisches Konglomerat (um mit dem Verlagsnamen zu sprechen: „Synthesia“; oder orthodox: Synkretismus) christlicher, gnostischer und vielfach fernöstlicher Weltverständnisse. Gerade für weltanschauliche Forschung erweist sich diese ausdrücklich christliche Esoterik als Beispiel mit Gegenwartsbezug. Für Theologie und kirchliche Praxis wäre besonders diese Einsicht als Unterscheidungskriterium zu formulieren: Eine Rede von Sinnsuche bzw. Sinnfindung kann nur in Bezug und Beziehung zur Personalität Gottes bzw. seiner Trinität Gestalt gewinnen, aus welcher die gnadenhaft-freie Rechtfertigung durch Inkarnation, Kreuz und Auferstehung Jesu extra nos entspringen.


Markus Schmidt, Leipzig