Aleviten

Erste Professur für Alevitentum

Die weltweit erste Stelle auf Professorenebene für Forschung und Lehre des Alevitentums wurde am 30. Januar 2015 an der Universität Hamburg mit der Antrittsvorlesung von Juniorprofessorin Handan Aksünger und einem festlichen Programm der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Professur gehört zur Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, der es durch diese Erweiterung gelungen ist, dem Alevitentum als einer bedeutsamen Facette der religiösen Vielfalt in Deutschland auf Dauer einen würdigen Platz in der Universität zu sichern. Die Akademie der Weltreligionen zielt darauf, den interreligiösen Dialog wissenschaftlich zu verankern. Nachdem Handan Aksünger vor wenigen Jahren schon Gastprofessorin am selben Ort war, ist die Verstetigung nach so kurzer Zeit ein großer Erfolg. Dies ist nicht nur für die Akademie selbst und die alevitischen Gemeinden ein bedeutender Schritt, sondern für den interreligiösen Dialog insgesamt ein höchst erfreuliches und richtungweisendes Ereignis. In Planung ist nun die Aufnahme eines universitären Studiengangs Islamischer und Alevitischer Religionsunterricht in das Curriculum, nach Möglichkeit schon im Herbst 2015.

Aksünger wies in ihrer Vorlesung zum Thema „Die Suche nach dem Einvernehmen (rızalık): Ein dialogisches Prinzip der alevitischen Lehre“ auf die Notwendigkeit der intensiven Quellenanalyse alevitischer Traditionen hin, die zugleich auf die konkrete(n) alevitische(n) Lebenswelt(en) in ihrer faktischen Pluralität bezogen sein müsse. Damit sind zwei zentrale Aspekte benannt, die die wissenschaftliche Reflexion bestimmen werden und ebenso große Chancen wie Herausforderungen in sich bergen. Das Alevitentum war über Jahrhunderte eine vorwiegend mündlich überlieferte Tradition, für deren Erfassung und Erforschung bis heute nur extrem eingeschränkte akademische Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Sie zu erweitern wurde in Deutschland ein Anfang gemacht (s. auch MD 8/2014, 311f). Eine Hauptaufgabe wird die wissenschaftlich verantwortete Darstellung der Quellen und ihrer Anschlussfähigkeit für die Fragen des interreligiösen Dialogs sein. Die Situation der Unterdrückung und Verfolgung der Aleviten im Herkunftsland Türkei und die Versuche ihrer „Sunnitisierung“ durch staatliche Programme hatten zudem zur Folge, dass – ebenfalls über Jahrhunderte – von Aleviten ein „Schweigegebot“ (takiye) befolgt wurde. Unterschiedliche Strategien in unterschiedlichen lokalen Kontexten standen einer eigenständigen und einheitlichen Ausprägung alevitischer Praxis und Lehre entgegen, ihre Einordnung und Zugehörigkeit zum Islam werden kontrovers diskutiert.

Dass dies zu diskutieren und in der Öffentlichkeit zu thematisieren möglich geworden ist, ist einem Ereignis zu verdanken, das wie kein anderes eine Zäsur in der Geschichte der alevitischen Bewegung markiert und am selben Ort, ja im selben Raum wie die Antrittsvorlesung stattfand: die Alevitische Kulturwoche in Hamburg im Oktober 1989, mit der Aleviten zum ersten Mal mit ihrer eigenen kulturellen und religiösen Identität in die Öffentlichkeit traten und so den Bruch mit dem Schweigegebot bekundeten.

Dies war beim Anlass in Hamburg mitsamt seinen politischen Implikationen nicht nur begleitender Subtext, sondern Inhalt des festlichen Programms. Schließlich waren die Initiatoren des damaligen Festivals, allen voran Ismail Kaplan, viele Jahre Bildungsbeauftragter der Alevitischen Gemeinde Deutschland und Motor der alevitischen Bewegung, mitsamt vielen ihrer Wegbegleiter anwesend. So wurden nicht nur Musikbeiträge und der (religiös-rituelle) Semah-Tanz verbunden mit einem Ritual der Lichterweckung dargeboten, sondern mit einem Filmbeitrag unmittelbar an 1989 erinnert. Was damals mutig begann, so schien es, bekam nun gut 25 Jahre später das Gesicht einer jungen, dynamischen Professorin. Die emotionale Dichte angesichts des historischen Ereignisses war im überfüllten Hörsaal zu spüren. „Von unschätzbarem Wert“ sei dieser Lehrstuhl, so die Vize-Generalsekretärin der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Melek Yildiz. Ismail Kaplan aber brachte etwas von der Haltung der Aleviten zum Ausdruck, mit der diese Entwicklungen begleitet werden: Religionsfreiheit für alle, einschließlich Minderheiten, sei nur in säkularen Gesellschaften möglich. Dabei richtete er seinen Dank auch an die „Väter der Verfassung“ („denn wir kennen auch andere Verfassungen“). Auch das ist von unschätzbarem Wert.


Friedmann Eißler