Michael Utsch

Erleuchtung gefällig?

Die „Deeksha“-Energie

Auf einer südindischen Großbaustelle ereignet sich nach Augenzeugenberichten seit zwei Jahren Erstaunliches: Angeblich Tausende Menschen berichten nach der Teilnahme an einem 21-Tage-Prozess von spontanen Erleuchtungszuständen und ganzheitlichen Heilungen. Zahlreiche Europäer, Amerikaner, Russen und Menschen anderer Nationalitäten besuchten in den letzten Monaten die im Bau befindliche „Golden City“ der „Oneness-University“ des spirituellen Lehrers Sri Bhagavan und seiner Frau Amma. Dort wollen sie durch eine „Deeksha-Übertragung“ göttliche Energie und Präsenz in ihren Körper aufgenommen haben. „Deeksha“ (auch Diksha geschrieben) nennt sich ein schlichter Initiationsritus, durch den göttliche Energie übertragen werden könne.

Deeksha ist ein in Deutschland bislang weitgehend unbekannter Begriff. Es soll sich bei dieser Übertragung um eine „sehr reine Energieform“ handeln, die nun – dank Sri Bhagavan – seit wenigen Jahren allen Menschen überall und jederzeit zugänglich sei. Angeblich genügt bereits eine Deeksha, um Erleuchtung oder den „Oneness“-Zustand (das Einssein) zu erreichen. In Berlin, Stuttgart, Hamburg und anderen Orten haben sich nun Zentren deutscher „Deeksha-Geber“ gebildet, die Info-Veranstaltungen sowie Energieübertragungen anbieten und Vorbereitungskurse für den 21-Tage-Kurs in Südindien durchführen (www.deeksha.de). Deeksha kann nach Angaben der Anbieter nämlich nur von denjenigen Personen kanalisiert und übertragen werden, die den 21-Tage-Prozess im Golden City-Ashram in Südindien durchlaufen und dort eine besondere Einweihung erhalten haben. Inzwischen sollen Menschen aus aller Welt diesen Prozess durchgemacht haben und dadurch befähigt sein, diese Energieübertragung weiterzugeben. Berichten zufolge hat im April 2006 ein bedeutender Schüler Bhagavans, Sri Anandagiri, in Los Angeles mit 775 Teilnehmern – unter ihnen 275 Deeksha-Geber – die erste „Teachers Conference“ durchgeführt. Vom 21. bis 25. Juni 2006 wird er einen „Special Mantra Deeksha-Kurs“ in Mailand anbieten, wovon sich die deutschen Deeksha-Geber „einen Segen für Europa“ erhoffen.

Anspruch des Verfahrens

In der vedischen und hinduistischen Tradition wurden Deekshas ursprünglich von spirituellen Lehrern an langjährige Schüler gegeben, um sie in ein erweitertes Bewusstsein einzuweihen und sie zu erleuchten. Im Zeitalter eines „Erleuchtungstourismus“ wird dieser religiöse Einweihungsritus nun käuflich. Man kann ihn im Rahmen eines dreiwöchigen Seminars zum Preis von 5.500 US-Dollar erwerben – mit allen Annehmlichkeiten des westlichen Lebensstils. Der Preis beinhaltet eine komfortable Unterbringung mit Vollpension. Europäische Gäste logieren in einem 300-Betten-Hotel, das ihren Gewohnheiten und Maßstäben entsprechen soll. Als Seminarinhalte für den 21-Tage-Prozess werden angegeben: Chakrenreinigung – Entfernung von Blockaden, heilige Meditationen mit kosmischen Wesenheiten, Auflösung von negativen Lebensmustern und Prägungen, Feuerrituale und karmische Läuterung, Deekshas zur Wunscherfüllung, Deekshas zur Erlangung höherer Bewusstseinszustände sowie Darshans mit Sri Bhagavan und Sri Amma.

Das Ziel des Einsseins mit dem Universum ist nach Meinung des Guru-Paares wichtig, weil heute gerade westliche Menschen unter innerer Zerrissenheit leiden. Die zahlreichen Wertekonflikte könnten nicht gelöst werden, wenn man nicht im Kontakt zum göttlichen Urgrund steht, den Sri Bhagavan vermitteln kann: „Die einzige Lösung aller menschlichen Probleme und des Leids ist der Zustand des Einsseins: eins mit sich selber, mit der Umgebung und mit Gott.“

Die Oneness-Bewegung verspricht, folgende Lebensbereiche nachhaltig verbessern zu können: die Gesundheit, Beziehungen, Finanzen, Alltagsgestaltung, Gotteserfahrung (vgl. www.onenessuniversity.org).

Was soll eine Deeksha bewirken?

Nach Angaben der Veranstalter geschieht durch eine Deeksha in erster Linie eine Bewusstseinsöffnung für das Einssein allen Lebens. Dadurch entstehe auf ganz natürliche Weise ein tief verankerter Frieden mit sich und der Umwelt. Deeksha bewirke eine energetische Harmonisierung auch auf körperlicher Ebene, so dass die Stadien des Einsseins zu einem dauerhaften und alltäglichen Bestandteil des Lebens werden.

Jede Deeksha bringe einen kleinen Fortschritt auf dem Weg zum Zustand des kosmischen Einsseins, sei aber natürlich abhängig von der eigenen Offenheit und den zu überwindenden karmischen, psychologischen und intellektuellen Hindernissen in der jeweiligen Psyche. So könnten manche Menschen bereits nach einer einzigen Deeksha einen sehr hohen Bewusstseinszustand erleben, bei anderen seien dafür mehrere Deekshas erforderlich. Eine Deeksha sei wie ein Samenkorn, das den Empfänger früher oder später in Zustände der Erleuchtung führe. Bei den meisten Menschen der westlichen Welt dauere das zwischen zwei Monaten und zwei Jahren, längstens jedoch sieben Jahre.

Begründer

Sri Amma und Sri Kalki Bhagavan sind die Begründer der „Golden Age Bewegung“, die keine Organisation sein will, sondern sich als eine undogmatische Bewegung der Bewusstseinsentwicklung versteht. Sie will von Mensch zu Mensch durch die spirituelle Lehre und Selbst-Heilung „Deeksha“ weitergeben. Diese Energie soll nun weltweit in vielen Ländern zur spirituellen Reifung und Erkenntnis führen. Die Vision und Mission von Bhagavan und Amma lautet gar nicht bescheiden: Präzise 64.000 Personen auf diesem Planeten sollen in den Erleuchtungszustand überführt werden. Der Same dieser Erleuchtung werde sich dann weiter ausbreiten und zur Verwandlung der gesamten Menschheit führen.

Die Lebensgeschichte der beiden begann völlig unspektakulär. Amma wurde 1954 in Südindien geboren. Bhagavan, Jahrgang 1949, kam dort ebenfalls zur Welt. 1976 heirateten sie, sie haben zwei Söhne und eine Tochter. In den 1880er Jahren eröffneten sie eine spirituelle Schule mit dem Namen Jeevashram. Dort soll das „göttliche Phänomen“ im Juli 1989 seinen Anfang genommen haben: „Auf einmal begannen die Schüler Zustände kosmischen Bewusstseins zu erleben. Viele von ihnen wurden zu wahren Propheten und Mystikern. Grosse Wunder wurden zu einem täglichen Ereignis im Leben dieser Schüler“ (www.deeksha.de).

Nach einigen Jahren entschieden sich beide, nun ihre eigentliche Vision umzusetzen – den Zustand des Einsseins (Oneness) auf die Menschheit zu übertragen. Im Jahre 1991 begründeten Bhagavan und Amma die Oneness-Universität in Batthalavallam (Andhra Pradesh), 70 km von der Stadt Chennai entfernt. Ein großes, zum größten Teil noch im Bau befindliches Campus-Gelände mit Schulungsräumen und einem beeindruckenden Tempel sind hier zu finden. Der Tempel soll nach Fertigstellung die größte freitragende Halle in Indien bergen und 8000 Personen gleichzeitig Platz zur Meditation bieten. Nach eigenen Angaben hat diese neue religiöse Bewegung heute 25 bis 30 Millionen Mitglieder aus aller Welt.

Einschätzung

Zugleich mit dem wachsenden Interesse auf dem esoterischen Psychomarkt mehrt sich auch in Deutschland der Zuspruch für diese Methode. Zum Eintrittspreis von 20 Euro kann man in einigen Großstädten einen Einführungsabend erleben – das Einweihungsritual inklusive. Vereinzelt wird auch telefonisches „Fern-Deeksha“ angeboten. Dem gesunden Menschenverstand stellen sich angesichts solch wohlfeiler Offerten einige grundsätzliche Fragen:

• Das Angebot knüpft an die menschliche Ursehnsucht nach Unversehrtheit, Ganzheit und umfassendem Heilsein an. Gehören aber nicht das Scheitern, viel Unerreichtes und unauflösbare Ambivalenzen zum Menschsein dazu?

• Eine religiöse Einweihung in den Erleuchtungszustand setzt normalerweise einen langjährigen Übungsweg voraus, den noch dazu nur einige wenige auserwählte Schüler in enger Bindung an ihren Meister zu absolvieren imstande sind. Welche Qualität und Nachhaltigkeit ist von Ritualen zu erwarten, die käuflich und quasi umgehend zu erwerben sind?

• Wenn die gewünschten Ziele nicht erreicht werden, so liegt dies nach Aussage der Anbieter nicht an dem Verfahren, sondern an der „fehlenden Offenheit“ oder an „karmischen Hindernissen“ beim Erleuchtung Suchenden. Warum kann man sich da so sicher sein? Mit welchem Recht spricht man einer Methode, die zudem noch gravierend verändert wurde, von vornherein Unfehlbarkeit zu?

Solche Fragen sind keineswegs neu. Sie drängen sich bei einschlägigen Angeboten häufig auf. Bedauerlich ist nur, dass man sie immer wieder stellen muss.


Michael Utsch