Kirche

Erdgeist „Aisa“ sorgt für Streit beim Weltgebetstag der Frauen

Die Bildauswahl des deutschen Komitees für den „Weltgebetstag der Frauen“1 (WGT) hat Streit mit dem WGT-Komitee des diesjährigen Schwerpunktlandes Surinam ausgelöst. Die deutschen Frauen hatten das von den Surinamerinnen mitgelieferte Bild für ihre Öffentlichkeitsarbeit verworfen und ein eigenes in Auftrag gegeben.

Den WGT gibt es, Vorläufer eingerechnet, seit über 100 Jahren. Jedes Jahr bereiten ökumenisch zusammengesetzte Frauengruppen eines Landes ein Thema und eine Gottesdienstliturgie vor, die anschließend übersetzt und weltweit am ersten Märzwochenende in ca. 170 Ländern gefeiert wird. Seit einigen Jahren liefert das Schwerpunktland neben der Liturgie auch ein passendes Bild mit. Dieser Brauch entstand in Deutschland, wo die WGT-Engagierten seit Langem besondere Anstrengungen für die Öffentlichkeitsarbeit unternehmen und mehr Menschen erreichen als irgendwo sonst. Darum begann man hier schon vor Jahrzehnten, Bilder zu den gelieferten Materialien zuzufügen, was später von den Schwerpunktländern übernommen wurde.

Die kleine ehemalige niederländische Kolonie Surinam, mit 500 000 Einwohnern in Südamerika neben Guyana gelegen, hatte zu dem Thema „Gottes Schöpfung ist sehr gut!“ ein farbenfrohes Bild geliefert: Ein von zwei Händen getragener einheimischer Dschungel, darunter sieben Frauen mit unterschiedlichen Kostümen und Hautfarben.2 Jede davon steht für eine bestimmte Volksgruppe des Vielvölkerstaates. Das Bild schien dem deutschen Komitee für hiesige Werbung ästhetisch ungeeignet, um neue Zielgruppen für den stark überalterten WGT zu erschließen. Tatsächlich erinnert es im Stil ein wenig an jene bunte Weltkugel mit „vielen kleinen Menschen, die an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun“ und damit hierzulande Gemeindeschaukästen infantilisieren.

Anders als alle anderen WGT-Länderkomitees beschloss man in Deutschland, das gelieferte Bild ins Kindergottesdienstmaterial zu relegieren, und gab bei einer Surinamer Künstlerin ein neues in Auftrag. Eine Einbindung oder Information des surinamischen WGT-Komitees hielt man für unnötig, da die WGT-Statuten dies nicht verlangen. Das neue Bild zeigt eine junge schwarze Schönheit mit Trommel, geschlossenen Augen und erotisch-selbstbewusster Ausstrahlung, im Hintergrund drei weitere Frauen. Ein modernes, ein ausdrucksstarkes Bild mit einer für Deutschland passenden selbstbewussteren, prominenteren Frauenrolle. Der mitgelieferte Titel griff das Schöpfungsthema auf: „Gran tangi gi Mama Aisa (In gratitude to mother Earth)“. Inwiefern allerdings das neue Bild das Schöpfungsthema stärker akzentuiere als das Original, wie das deutsche WGT-Komitee später behauptete, ist nicht zu erkennen. Ganz im Gegenteil ist der Dschungel, der den Ursprungsentwurf dominierte, nun nur noch hintergrundblass in der Ferne ahnbar.

Im Oktober 2017, als das deutsche WGT-Material mit einer Auflage von 7 Millionen bereits gedruckt war, protestierte das surinamische WGT-Komitee bei den Deutschen. Man empfand die Aktion als paternalistisch und demütigend. Wieso sollte das deutsche Komitee bestimmen, wie sich die surinamischen Frauen präsentieren? Tatsächlich wirft dies die Frage auf, wie viel Fremdheit man in ökumenischen Beziehungen aushalten muss, auch wenn sie den eigenen kulturellen Gewohnheiten und (berechtigten) Anliegen, etwa in der Öffentlichkeitsarbeit, widersprechen? Der WGT dient zentral dazu, fremde Länder und ihre kirchlichen Kulturen kennenzulernen. Und wenn ein Bild mehr sagt als tausend Worte, ist sein Austausch schwerwiegender als Textänderungen in der Liturgie.

Noch wichtiger aber war, dass das neue Bild auf theologischen Einspruch stieß. Die „Mama Aisa“ des Bildtitels ist nämlich – wie eine Google-Suche dem deutschen Komitee sekundenschnell offenbart hätte – keineswegs nur die metaphorische „Mutter Erde“, sondern ein Erdgeist der sogenannten Winti-Religion, der besonders in der afrikanischstämmigen Bevölkerung Surinams verehrt wird. Die Teilnahme an Winti-Ritualen gilt vielen einheimischen Kirchen als Götzenkult. Obendrein trägt die abgebildete Frau eine „Apinti“, eine Trommel, die wegen ihrer Winti-Bezüge in surinamischen Gottesdiensten bewusst nicht verwendet wird. So hatten sich die Surinamerinnen ihre Selbstvorstellung in Deutschland, von wo einst viele ihrer Missionare gekommen waren, nicht vorgestellt. Ein klassischer missionstheologischer Konflikt zwischen Inkulturation, Synkretismus und umfassender christlicher Lebenserneuerung.

Die Spannungen wurden nicht entschärft, als das deutsche Komitee den Surinamerinnen formal argumentierend antwortete: Das mitgelieferte Bild sei laut den internationalen WGT-Statuten lediglich eine Empfehlung, und jedes Land habe die Freiheit, ein eigenes zu wählen. Das sei in Deutschland auch früher gelegentlich geschehen, zuletzt 2014 beim ägyptischen Bild. Nur die Liturgie gelte international als verbindlich, und diese habe man mit größter Sorgfalt wortwörtlich übersetzt. Gerade diesen letzten Punkt betont das Komitee bis heute gegenüber Kritikern immer wieder. Allerdings zeigt ein Vergleich des deutschen Textes mit dem englischen Original, dass z. B. der „spirit of God“ als „die Geistkraft Gottes“ übersetzt wird (S. 14 der Weltgebetstagsliturgie), flankiert von einem Lied, in dem „Gott, du Schöpferin der Welt“ angerufen wird, was eher nach deutsch-feministischer als nach surinamischer Theologie klingt. Außerdem erklärte man den Surinamerinnen unter Berufung auf Franz von Assisi und Papst Franziskus‘ Enzyklika „Laudato si‘“, man habe kein Problem mit der Verehrung der „Mutter Erde“. Ähnlich argumentieren auch katholische Theologen in Surinam, die sich am Winti weniger stoßen.

Nach den ersten Protesten aus Surinam informierte die Herrnhuter Brüdergemeine in Europa im Januar alle ihre Gemeinden über den Streit3 und bat sie, in den gemeindlichen WGT-Vorbereitungsgruppen bevorzugt das ursprüngliche surinamische Bild zu verwenden. Die Herrnhuter sind deswegen besonders involviert, weil sie in Surinam mit 30 % nach der katholischen die zweitgrößte Kirche sind. Außerdem gehört die Mehrheit der europäischen Herrnhuter zur surinamischen Minderheit in den Niederlanden. Auch dort gilt Winti weithin als Götzendienst und die deutsche Aktion hat für große Unruhe gesorgt.

Explizit vermieden die Herrnhuter, das deutsche WGT-Komitee anzuklagen. Zu Recht: Die deutschen WGT-Komitees sind weit aktiver als die anderer Länder, und nur wer nichts macht, macht keine Fehler. Die Kirchenleitung versuchte daher gegenüber den eigenen Gläubigen die Schärfe aus dem Konflikt zu nehmen und diesen selbstkritisch als Anregung für theologische Grundsatzfragen aufzugreifen: „Wer bestimmt die Bilder, die wir von einem Land haben? ... Dabei schmerzt es surinamische Christen immer wieder, dass dieser Kult (auch in den Niederlanden) von Europäern sozusagen als legitime Religion der Afro-Surinamer dargestellt wird. Als die Stadtteil-Leitung des Amsterdamer Stadtteils Zuidoost 1986 ein Standbild mit dem Titel ‚Mama Aisa‘ aufstellte, protestierten vor allem surinamische Christen. ‚Mama Aisa‘ ist für Surinamerinnern nicht die Mutter Erde aus dem Sonnengesang des Franziskus von Assisi, wie es die deutsche Übersetzung suggeriert.“

Inzwischen weitet sich der Protest in Deutschland aus. In einem äußerst scharfen offenen Brief vom 22.1.2018 protestiert der WGT-Vorbereitungskreis Mainz nach einem Treffen mit einer surinamischen Delegation und will dabei explizit über die (als „wohlwollend und freundlich“ und „um Ausgleich bemüht“ charakterisierte) Reaktion der Herrnhuter Kirchenleitung hinausgehen. Man finde die deutsche WGT-Aktion „arrogant und herablassend“ und sei „empört über die Intransparenz“: Nirgends in den Materialien finde sich eine Erklärung zum Austausch der Bilder. In dem neuen Bild sei das im Originalentwurf zentrale Thema der ethnischen Vielfalt Surinams verschwunden, und die „in den Vordergrund gerückte Frau ‚brüstet‘ sich regelrecht und vermittelt dadurch den Eindruck, sich prostituieren zu wollen“.

Das deutsche WGT-Komitee ist von den Ereignissen überrascht und überrollt worden und verweist immer wieder darauf, formal beim Austausch des Bildes im Recht zu sein. Auf der WGT-Webseite findet sich derzeit kein Hinweis auf den gesamten Streit.4


Kai Funkschmidt


Anmerkungen

  1. Der offizielle Name wurde vor einigen Jahren zu „Weltgebetstag“ geändert. Auf der Webseite des deutschen Komitees nennt man sich nach wie vor „Weltgebetstag der Frauen“ (https://weltgebetstag.de ).
  2. Bild und Kommentar der Künstlerin: www.herrnhuter-missionshilfe.de/fileadmin/media-hmh/Printmedien_2017/Zum_WGT-Plakat_aus_Surinam.pdf
  3. www.herrnhuter-missionshilfe.de/fileadmin/media-hmh/Printmedien_2017/Zum_WGT-Plakat_2018_extern.pdf .
  4. Nach eigenen Angaben hatte man im Herbst eine kurze Stellungnahme veröffentlicht, diese ist aber nicht mehr auffindbar (Abruf: 5.2.2018).