Einstehen für Freiheit und das Recht auf Kritik

Die brutalen, menschenverachtenden und antisemitisch ausgerichteten Terrorakte in Paris und alles, was danach in Belgien und Deutschland, aber auch in Pakistan, Nigeria und anderswo geschehen ist, machen bewusst, dass nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes nicht das Ende der Ideologien kam, auch nicht die weltweite Durchsetzung rechtsstaatlicher Prinzipien und ein globales Bemühen um die Achtung der Menschenrechte. Es folgte vielmehr der andauernde Angriff eines islamistisch begründeten Terrors gegen grundlegende Werte demokratischer Staaten und der Versuch, einer Auslegung des Korans Geltung zu verschaffen, die durch brutale Militanz, Welteroberungspläne und die Aufhebung säkularer Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet ist. Betroffen von diesem Terror sind Juden, Christen, Muslime und Atheisten.

Am 11. Januar 2015 kamen in Paris Politikerinnen und Politiker aus aller Welt zusammen, auch aus zahlreichen muslimisch geprägten Ländern. Sie brachten ihre Trauer zum Ausdruck, suchten den Schulterschluss im öffentlichen Eintreten für unveräußerliche Freiheitsrechte, vor allem für das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf Kritik an religiösen Überzeugungen. In Deutschland standen zahlreiche Religionsführer mit den politisch Verantwortlichen vor dem Brandenburger Tor zusammen und sagten gemeinsam Nein zur Anwendung von Gewalt im Namen Gottes. Die intensiv begonnenen Debatten über angemessene Reaktionen auf den Terror machen deutlich, wie kontrovers sich der Islamdiskurs in europäischen Gesellschaften und der globalisierten Welt darstellt.

Es ist gut und wichtig, dass politisch Verantwortliche darum bemüht sind, auf das von radikalen Islamisten geschürte Feindbild Westen mit einer differenzierenden und nicht pauschalen Kritik zu antworten, wenn sie eine klare Grenze zwischen Islam und Islamismus ziehen. Die pauschale Forderung an Muslime, sie sollten sich von Gewalt distanzieren, hat nicht selten etwas Herabsetzendes. Der Satz, dies alles habe mit dem Islam nichts zu tun, oder der Hinweis darauf, dass Terrorismus „unislamisch“ sei, helfen allerdings nicht weiter. Ein negativer Essentialismus hat genauso wenig Plausibilität wie die pauschalisierende Redeweise von dem Islam. Dem Feindbild Islam muss eine Absage erteilt werden, einem Idealbild Islam freilich auch.

Terror hat immer vielfältige und verschiedene Ursachen, politische, ökonomische, soziale. Religiöse Motive dürfen nicht über-, ebenso nicht unterschätzt werden. In Paris folgten die Terroranschläge durchaus einem spezifisch religiösen Profil. Der religiös begründete Terror legitimiert sich durch eine Gewalttheologie. Erfreulich ist, dass sich einzelne islamische Theologen von Gewalt legitimierenden Korandeutungen heute abgrenzen und für eine selbstkritische und historische Perspektive plädieren. Ihre Stimmen verdienen besondere Aufmerksamkeit, ihre Ausgrenzung wäre fatal. Sie können dazu beitragen, gewaltaffine Korandeutungen zu überwinden und aus islamischer Perspektive eine Kultur der Toleranz unterstützen.

Neben europäisch abgestimmten Sicherheitsanstrengungen wird politisch gegenwärtig vor allem gefordert, dem Dialog der Kulturen und der Religionen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, ihn mit allen Kräften zu unterstützen und mehr Begegnungen zu suchen und zu gestalten. Dem ist zuzustimmen. Hilfreich ist ein realistischer Dialog, der das Strittige nicht von der Tagesordnung verdrängt und offene Kontroversen zulässt. Kulturrelativismus stellt etwa in Fragen der Meinungsfreiheit, der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der islamischen Paralleljustiz keinen zukunftsorientierten Weg dar.

Es ist von zentraler Bedeutung, dass Regierungsverantwortliche es ablehnen, in die Pressefreiheit als einem Grundrecht demokratischer Staaten einzugreifen. Die Trennung von Staat und Religion, das Gewaltmonopol des Staates sind grundlegende Prinzipien, die den Freiraum zur religiösen Vielfalt erst ermöglichen. Der Verzicht auf ihre Verteidigung wirkt nur vordergründig friedensfördernd und würde einen „Kampf der Kulturen“ (S. P. Huntington) begünstigen. Zur Freiheit der Religionsausübung gehört die Freiheit zur Religionskritik. Freilich tragen auch die Medien eine Verantwortung dafür, die religiösen Gefühle der Menschen zu respektieren und auf unnötige Provokationen zu verzichten.

Noch viel deutlicher, als dies bisher geschieht, sollten sich die christlichen Kirchen für die Anliegen ihrer Glaubensgeschwister in islamisch geprägten Staaten einsetzen. Ihre Grundrechte werden oft nicht respektiert. Marginalisiert und geduldet, sind sie in Krisenzeiten nicht selten in ihrer Existenz bedroht und Opfer von Verfolgung. Dies gehört deutlicher auf die Tagesordnung kirchlichen und politischen Handelns, ebenso der kaum verhüllte alltägliche Antisemitismus und die Erziehung zum Hass, über die oft leichtfertig hinweggesehen wird, keineswegs nur in einzelnen islamischen Milieus.

Wer den Kampf der Kulturen nicht will, muss für seine eigenen Überzeugungen einstehen und sie gegen Einschüchterungen verteidigen. Er muss Respekt vor dem Anderen mit Standfestigkeit im Blick auf die eigenen Handlungsorientierungen verbinden. Die offene Gesellschaft, die dem religiösen Pluralismus und der Religionsfreiheit Raum gibt, und die die Ausgrenzung des religiös und kulturell Anderen nicht hinnimmt, ist nicht voraussetzungslos. Sie lebt von gemeinsamen Werten. Sie setzt ein gemeinsames Rechtsbewusstsein voraus, dessen Bewahrung nicht automatisch geschieht.


Reinhard Hempelmann