Neuapostolische Kirche

Eindrücke von einem Gottesdienstbesuch

Zum Mittwochabend-Gottesdienst der neuapostolischen Gemeinde in Leipzig-Reudnitz am 14.4.2010 waren ca. 120 Teilnehmende, davon etwa 40 Chorsänger, im stattlichen Gotteshaus erschienen. Dessen Inneres – völlig neu gestaltet – erweckte einen modernen, hellen, doch fast kalten Eindruck. Der Gottesdienst wurde mit einem orgelbegleiteten Eingangslied und dem gleichzeitigen Einzug von zwei priesterlichen Amtsträgern eröffnet. Es folgte das trinitarische Votum. Nach einer langen Fürbitte als Eingangsgebet stand die etwa 45-minütige Predigt als Hauptstück des Gottesdienstes im Zentrum. Von Chorgesang gegliedert, wurde die Predigt in drei Teilen gehalten, wobei der Dienstleiter der beiden priesterlichen Amtsträger den ersten und dritten Teil innehatte. Angesprochen in der zweiten Person Plural („liebe Geschwister und Gäste“) wurde die Gemeinde im Anfangsteil anhand einer Fülle biblischer Beispiele über Gott, den himmlischen Vater, informiert, der versorgt und trägt. Im zweiten Teil kam das Thema „Jesu Sieg“ zur Entfaltung. Die Gemeinde wurde gefragt, ob denn ihr Leben siegreich sei. Viele, vor allem biblische Beispiele sollten die Sieghaftigkeit eines standhaften Glaubens über die eigene sündige Existenz verdeutlichen. Zu solcher Sieghaftigkeit wurden die Gemeindeglieder für ihren Alltag aufgerufen („Hausaufgabe“). Der dritte Predigtteil bekräftigte, dass Gott im Alltag, im Leid, im Versagen Kraft gebe, Kraft aus sich, vermittelt vor allem im Gottesdienst. In der insgesamt stark reproduktiven Predigt, die von einer durchgehend anschaulich-schlichten, zugleich veraltet-internen Sprachform geprägt war, wurde – neben zahlreichen Bibelstellen – zweimal der Stammapostel zitiert.

Auf die Predigt folgten ein Gemeindelied und das Vaterunser in Funktion eines allgemeinen Schuldbekenntnisses, auf das hin der Dienstleiter „durch die Vollmacht des Stammapostels“ im Namen des dreieinigen Gottes die Absolution erteilte. Ein längeres Gebet mit starkem Fürbittcharakter leitete zum Abendmahl über, dessen Gaben (die Hostie mit integrierten Weintropfen) in einer reduzierten Fassung der Einsetzungsworte „ausgesondert“ wurden. Der in andächtiger Geradheit vollzogenen Mahlfeier lag offensichtlich ein realpräsentisches Verständnis zugrunde. Während der Austeilung sang die Gemeinde ein Lied. Mit einem Dankgebet und dem trinitarischen Segen wurde abgeschlossen. Es folgten Chorgesang, Gemeindelied und Orgelmusik zum Ausgang.

In der gesamten Gottesdienstfeier überwog das gesprochene Wort. Die Liturgie ist ohne jede responsoriale Form (abgesehen vom mehrfachen „Amen“ der Gemeinde) und bis aufs kargste reduziert, die Gemeinde nur durch Lieder und Vaterunser beteiligt. Starkes Gewicht erhielten im Auslegungsgeschehen von Predigt und Gesamtgottesdienst der erste und zweite Glaubensartikel. Außer in der worthaften Eröffnung und Beschließung des Gottesdienstes wurde auf Gott den Heiligen Geist nur an wenigen Stellen Bezug genommen. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang lediglich der sakrale Gottesdienstvollzug, die Vollmacht des Stammapostels und das tätige Christsein im Alltag. Die positive Aufforderung zu einem aktiv gestalteten Christsein wurde in dem Gottesdienst zwar eindrucksvoll vermittelt, doch kamen auch theologische Defizite in der Auslegung zum Vorschein: Sie zeigten sich besonders darin, dass die Quelle und der Ort einer „sieghaften“ christlichen Existenz weder in kreuzestheologischer noch pneumatologischer Hinsicht reflektiert und verortet waren.


Markus Schmidt, Leipzig