Aleviten

Ehemalige evangelisch-methodistische Kirche an Aleviten verkauft

Die frühere evangelisch-methodistische Kreuzkirche in Mönchengladbach-Rheydt ist in ein alevitisches Kulturzentrum umgewandelt worden. Die Eröffnung des Versammlungshauses fand Anfang Juni 2012 in Gegenwart von hohen Vertretern beider Seiten sowie der Stadt und eines Vertreters des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) statt.

Äußerlich ist der unscheinbare Backsteinbau nicht als ehemaliges Kirchengebäude erkennbar. Nicht nur deshalb sind die Schlagzeilen, die umgehend Alarm zu schlagen schienen, irreführend. „Erstmals wird Kirche zu Moschee.“ – „Die erste Kirche, die muslimisches Gotteshaus wird“, so wurde getitelt. Dabei ist es keineswegs das erste Mal, dass eine Kirche an eine muslimische oder alevitische Gemeinde verkauft wird. Und es handelt sich hier gerade nicht um eine Moschee oder gar ein „muslimisches Gotteshaus“, sondern um ein Cem-Haus. Dies ist keine Nebensächlichkeit, da die Aleviten, die in der Türkei nach wie vor massiv diskriminiert werden, eigenständige religiöse Traditionen pflegen, die sie vor allem vom sunnitischen, aber auch deutlich vom schiitischen Islam unterscheiden. Zwar teilen die anatolischen Aleviten mit den Schiiten die besondere Verehrung Alis, des Schwiegersohns des Propheten Muhammad (daher „Aleviten“ – die mit den Alawiten Syriens übrigens praktisch nichts zu tun haben), und viele der rund 600000 Aleviten in Deutschland bezeichnen sich als Muslime, wie es in der Türkei opportun war. Doch in der vom Druck des Herkunftslandes befreiten Situation zeigt sich zunehmend selbstbewusst die Eigenständigkeit. Das zentrale alevitische Ritual, das Cem (Versammlung), läuft völlig anders ab und hat andere Inhalte als ein muslimisches Gebet. Frauen und Männer beten nicht getrennt, es gibt weibliche Geistliche, der Koran wird anders verstanden, die Scharia abgelehnt, ein eigener mystischer Erkenntnisweg und eine am Menschen orientierte Ethik werden betont. Und es gibt keine Moscheen, sondern Cem-Häuser.

Beim Verkauf von Kirchengebäuden halten sich die Großkirchen sehr zurück bzw. lehnen die Veräußerung von Kirchen an nichtchristliche Gemeinden mit Ausnahme des Judentums grundsätzlich ab. In der Broschüre „Wenn kirchliche Gebäude zum Verkauf anstehen“ des Zentrums Ökumene der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (Autor: Jörg Bickelhaupt) werden „Kriterien für eine Entscheidung“ beim Verkauf kirchlicher Gebäude erarbeitet und begründet. Zusammenfassend heißt es dort: „Der Verkauf einer Kirche an eine nichtchristliche Gemeinschaft (Ausnahme: Judentum) wäre ein geeignetes Mittel, jeden evtl. noch verbliebenen Rest von religionstheologischer Klarheit und Unterscheidungsfähigkeit im öffentlichen Diskurs zu beseitigen; es würde viele Gemeindeglieder verunsichern und den Nebel religiöser Diffusion und Gleich-Gültigkeit in der Gesellschaft verdichten“ (23). Die EKD hat darüber hinaus auf den Symbolwert von Kirchengebäuden hingewiesen, der einer Überlassung von Kirchen an muslimische Gemeinschaften und der damit verbundenen Umwidmung von Kirchen in Moscheen entgegenstehe. Andererseits wird deutlich, dass angesichts der veränderten gesellschaftlichen Situation die bisher herangezogene „ACK-Klausel“ nicht mehr auszureichen scheint, um den neu entstehenden Fragen gerecht zu werden.

In Berlin hat sich die Neuapostolische Kirche (NAK) beim Verkauf von Kirchengebäuden hervorgetan. Bereits 1999 übernahmen die Aleviten im Beisein von Otto Schily, Özcan Mutlu und anderen Prominenten eine Kirche der NAK in der Kreuzberger Waldemarstraße und machten daraus ihr größtes Berliner Kulturzentrum. Die NAK war es auch, die 2007 in Neukölln eine Kirche für über eine halbe Million Euro an den „Verband interkultureller Zentren e.V.“ verkaufte, wo heute die arabisch geprägte „Neuköllner Begegnungsstätte“ die Moschee „Dar as-Salam – Haus des Friedens“ betreibt, die der Muslimbruderschaft und anderen islamistischen Vereinigungen nahesteht. Im selben Jahr veräußerte die NAK eine Kirche im Berliner Bezirk Tempelhof an den arabischen Verein Al-Torath, der den Lehren des irakischen Schiitenführers Ali as-Sistani folgt.

In Mönchengladbach ging es um ein Gebäude der Evangelisch-methodistischen Kirche (EmK, 55500 Mitglieder und Angehörige in Deutschland). Schon im Juni 2009 wurde hier der letzte Gottesdienst gefeiert, die Ritualgegenstände wurden in feierlichem Zug in eine zentralere Kirche in Köln gebracht. 2010 konnten – nach längerer vergeblicher Suche im kirchlichen Bereich – Verhandlungen mit den Aleviten zum Abschluss gebracht werden, die dringend größere Räumlichkeiten suchten. Die Bischöfin der Freikirche, Rosemarie Wenner, betonte Presseberichten zufolge, die EmK betrachte nicht Räume und Gebäude an sich als heilig, vielmehr bekämen diese ihre Bedeutung durch die Menschen, die darin Gottesdienst feierten und Gemeinschaft lebten. In diesem Fall habe es sich um eine „begründete und sorgfältig abgewogene Entscheidung“ gehandelt. Der zuständige Dortmunder Superintendent hob die ethischen Grundsätze der Aleviten wie das Liebesgebot und die Gleichstellung von Mann und Frau hervor und sprach von einer „Einzelfall-Regelung“.


Friedmann Eißler