Joachim Wagner

Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam?

Joachim Wagner, Die Macht der Moschee. Scheitert die Integration am Islam? Herder Verlag, Freiburg i. Br. 2018, 352 Seiten, 24,00 Euro.

Joachim Wagner, Jurist und Fernsehjournalist, bis Ende 2008 stellvertretender Leiter des ARD-Hauptstadtstudios, hat ein sehr gut recherchiertes und scharfsinniges Buch geschrieben. Er stellt die Fragen, die im Blick auf die Integrationsproblematik in Deutschland notwendig sind. Im Blick auf den Islam, im Einwanderungsland Deutschland inzwischen die zweitgrößte Religionsgemeinschaft, zeigt er auf, wie dringlich die Frage nach der kulturellen Integration in Deutschland ist. Viele Jahre lang haben Wissenschaft, Politik und Medien die Relevanz der kulturellen Integration entweder völlig verkannt oder auch tabuisiert.

Der Autor geht von einem weiten Kulturbegriff aus, der Religion, Kultur und Traditionen umfasst, und problematisiert den im wissenschaftlichen und politischen Diskurs unscharf gebliebenen Integrationsbegriff, was auch für die Kategorie der kulturellen Integration gilt. Zum Begriff der Kultur gibt es seit vielen Jahren eine höchst kontroverse Debatte sowohl in der „Mehrheitsgesellschaft“ als auch zwischen „Mehrheitsgesellschaft“ und Muslimen. Namentlich eine deutsche „Leitkultur“, wie sie der damalige Innenminister Thomas de Maiziere im Mai 2017 erneut in die Diskussion einbrachte, wurde ebenso heftig begrüßt wie dezidiert abgelehnt. Letztlich geht es im „Kern um den Gesellschaftsentwurf der Zukunft“, den Wagner als die „Alternative zwischen einer von christlich-jüdischer Tradition und westlichen Werten geprägten Gesellschaft oder einer multikulturellen Gesellschaft“ (46) beschreibt.

Zentrum und Ausgangspunkt seines Buches ist die Frage, ob die von muslimischen Einwanderern „mitgebrachten und hier gelebten Werte, Einstellungen, Sitten und Gebräuche mit unserer Wert- und Rechtsordnung vereinbar sind – unabhängig davon, ob sie nun in Religion, Kultur oder Tradition wurzeln“ (14). Eine Vermessung des im Blick auf die kulturelle Integration zu konstatierenden Konfliktpotenzials ist für den Autor nur möglich, wenn zugleich eine kritische Bilanz der sozialen Integration (z. B. Teilhabe an Arbeit, Bildung, sozialem Leben etc.) gezogen wird. Kulturelle und soziale Integration überschneiden sich, z. B. hinsichtlich der Sprachkompetenz.

Wagner geht bei seiner Bilanz der gelungenen oder misslungenen kulturellen Integration von empirischen Untersuchungen, Alltagserfahrungen und Interviews aus. Schwerpunkt seiner Untersuchungen ist die Schule, die er neben der Familie für die „wichtigste Integrationsagentur als Sprungbrett für berufliche Bildung, Studium und Arbeitsmarkt sowie als Vermittlerin der deutschen Werte- und Rechtsordnung“ hält (16). Denn „in keiner anderen Institution prallen die muslimischen und westlichen Wertewelten so aufeinander wie in der Schule – mit einem entsprechenden Konfliktpotential“ (16). Da eine befriedigende Definition von kultureller Integration bisher nicht gelungen ist, orientiert sich Wagner zur Vermessung kultureller Integration an Indikatoren, wie sie in der Migrationsforschung verwendet werden: „Sprachkompetenz, Medienkonsum, Kontakte zum Herkunftsland und zur Mehrheitsgesellschaft, kulturelle Identitäten, Akzeptanz unserer Wert- und Rechtsordnung, Diskriminierung und Ausgrenzung“ (46). Seine ausführliche, offene und sehr kritische Analyse fokussiert er auf Hindernisse für eine kulturelle Integration der Muslime, die er im bisherigen Integrationsdiskurs für übersehen und unterschätzt hält. Seine Bilanz fällt düster aus. Die soziale Integration sei nur ganz unzureichend gelungen, und die kulturelle Integration für mindestens 50 % der Muslime gescheitert.

Als Hindernisse der kulturellen Integration benennt er aufseiten der muslimischen Community: unzureichende Sprachkompetenz, Distanz zur Mehrheitsgesellschaft durch mangelnde Kontakte und Betonung der muslimischen „kulturellen Identität“, Ausbildung von Parallelgesellschaften und Paralleljustiz sowie unzureichende Akzeptanz der westlichen Wert- und Rechtsordnung, indem der Religion ein größerer Stellenwert eingeräumt wird als dem Grundgesetz. Ferner problematisiert er den im Selbstbild der Muslime vorfindlichen Überlegenheitsanspruch des Islam, eine intolerante Einteilung der Gesellschaft in „Gläubige und Ungläubige“, die Zunahme von religiös-fundamentalistischen und antisemitischen Einstellungen sowie Radikalisierungen an den Rändern der Community. Auch das Beharren auf der Einhaltung der islamischen Kleiderordnung, ein patriarchalisches Familienbild und damit einhergehende religiöse Zementierung der Ungleichheit der Geschlechter werden thematisiert. Sehr kritisch werden auch die muslimischen Verbände und Moscheevereine beurteilt, die Wagner wegen ihrer ausgeprägten konservativen Identitätspolitik nicht als Integrationshelfer sieht. Die „säkular-liberalen“ Kräfte in der muslimischen Community seien zu schwach, um „die Dominanz und Deutungshoheit der konservativen Verbände auch nur anzukratzen“(211).

Der Autor beleuchtet gleichwohl, wenn auch nicht so ausführlich, wachsende Islamfeindschaft in der „Mehrheitsgesellschaft“ sowie damit verbundene Diskriminierung von Muslimen in der Arbeits- und Berufswelt.

Im Blick auf die Integrationsagentur Schule kommt er mit zahlreichen Belegen aus Forschung und konkreten Lehrererfahrungen zu dem ernüchternden Resultat: „Im Widerspruch zur offiziellen Bildungspolitik hat eine Mehrheit der befragten Lehrkräfte an Schulen mit hohen Ausländeranteilen das pädagogische Ziel Integration aufgegeben. Breiten Rückhalt findet es nur noch an Gymnasien – von einigen Ausnahmen abgesehen. An Grund-, Real- und Gesamtschulen sind die Hoffnungen auf Integration bei den meisten Pädagogen an der rauen Realität des Schulalltags mittlerweile zerschellt, in erster Linie wegen der Zusammensetzung der Schülerschaft. Geblieben ist eine verbreitete und tiefe Verunsicherung über die künftige Ausrichtung der Schulen in einer wachsenden multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft“ (157).

Wagner beleuchtet auch ausführlich die aktuelle Flüchtlingskrise und sieht durch den Zustrom weiterer muslimischer Zuwanderer die beschriebenen Integrationshindernisse verstärkt und weitere Gefährdungspotenziale hinzukommend wie z. B. Kriminalität und terroristische Gefahren, obwohl Flüchtlinge als Terrorverdächtige und Täter nur eine verschwindend geringe Minderheit unter den Flüchtlingen darstellen.

Patentrezepte zur Verbesserung der kulturellen Integration und zur Lösung der Flüchtlingskrise hat Wagner nicht, gibt aber im „Ausblick“ seines Buches (306ff) einige Hinweise. So fordert er eine Obergrenze für Zuwanderung und öffentliche Signale für diese Begrenzung. Ferner seien die „Rückkehr in die Herkunftsländer nach Wegfall der Fluchtgründe“, „Zuzugssperren zur Vermeidung von Parallelgesellschaften und nationale Grenzkontrollen“ notwendig (308).

Nicht gerade originell, gleichwohl wichtig, sind seine Vorschläge hinsichtlich der Verbesserung der Integrationsleistung der Schule. Sie reichen von einer „Ausbildungsoffensive für Erzieher, Sozialpädagogen und Lehrer“ mit dem Schwerpunkt interkulturelle Kompetenz bis zur Erarbeitung von „Leitlinien für die Wertevermittlung an Schulen“ sowie die Überprüfung und ggf. Rückführung der Inklusion (317f). Die Wertevermittlung sei eine zentrale Aufgabe der Zivilgesellschaft, und darin komme der Politik eine besondere Bedeutung zu: „Diese Herausforderung und Verantwortung haben Bundesregierung und Parteien bisher noch nicht in ausreichendem Maße wahrgenommen“ (324). Um das zu erreichen, sei „offener und ehrlicher Dialog zwischen Muslimen und Nichtmuslimen“ erforderlich, den es auf beiden Seiten bisher nicht gegeben habe (324). Für diesen Dialog hat Wagner mit seinem Buch einen wichtigen Beitrag geleistet, und es ist abzusehen, dass seine Analysen sehr kontroverse Aufnahme finden und zu streitigen Auseinandersetzungen führen werden. Doch das sollte in einer freiheitlichen Demokratie der Normalfall sein.


Johannes Kandel, Berlin