Manfred Böckl

Die kleinen Religionen Europas. Woher sie kommen und welchen Einfluss sie haben

Manfred Böckl, Die kleinen Religionen Europas. Woher sie kommen und welchen Einfluss sie haben, Patmos-Verlag, Ostfildern 2011, 165 Seiten, 17,90 Euro.

Angesichts der religiösen Vielfalt unserer Gesellschaft hat es sich Manfred Böckl zum Ziel gesetzt, „die interessantesten kleinen Religionen und Konfessionen unseres europäischen Kulturkreises“ vorzustellen. Dargestellt werden 16 Gemeinschaften, die der Autor in drei Kategorien unterteilt. Unter „Kleine Religionen mit jüdisch-christlichen Wurzeln“ finden sich die Darstellungen von neun Religionsgemeinschaften, darunter christliche Freikirchen, die Zeugen Jehovas, die Waldenser, und die tschechischen Hussiten. In einem zweiten Teil geht der Autor auf „Kleine Religionen mit islamischen Wurzeln“ ein und nennt hier die Baha’i, die Aleviten und die Salafisten. „Kleine Religionen mit vorchristlichen Wurzeln“ werden im dritten Teil dargestellt. Hier geht es um „Keltisches Neuheidentum“, „Schamanismus der Samen“, „Wicca“ und „Ásatrú“, wobei Wicca besser als „neue Hexen“ und Ásatrú besser als neugermanisches Heidentum bekannt sein dürfte.

Den Einzeldarstellungen stellt Böckl eine ausführliche Einführung voran, die mit „Von Schamanen, Druiden, Christen, Ketzern und Salafisten – Eine kurze Religionsgeschichte Europas“ überschrieben ist. Außerdem gibt es ein kurzes Glossar und ausgewählte Literatur.

In seiner Einführung spannt Böckl einen weiten Bogen. Seine „kurze Religionsgeschichte“ beginnt mit der Darstellung der prähistorischen und vorchristlichen Epoche Europas, die etwa die Hälfte der Einführung ausmacht. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung der keltischen Götterwelt (11-13). Insgesamt, so Böckl, „zeichneten sich die vorchristlichen Religionen Europas durch große gegenseitige Toleranz aus“, die er „schon per se im alteuropäischen Polytheismus begründet“ sieht (13). Diese seiner Meinung nach „weltoffene Vielgottlehre“ stehe „der biblischen Vorstellung von einem ‚einzigen wahren Gott’ und der damit verbundenen Intoleranz schon von Natur aus“ entgegen (14). Dass die Christen, wie Böckl erwähnt, „unter verschiedenen römischen Kaisern blutige Verfolgungen ... erlitten“ (14), will jedoch nicht so recht zu dieser These und zu dem „heidnisch-liberalen Geist“ (14) passen, den der Autor den Römern zuschreibt. Der europäischen Religionsgeschichte seit Ende des Zweiten Weltkriegs widmet Böckl in seiner Einführung lediglich etwa eine halbe Seite und sieht „in den demokratischen und aufgeklärten Gesellschaften Europas ein friedliches und tolerantes Miteinander ... unterschiedlicher Weltanschauungen“, das er allerdings von den „Großkirchen“ infrage gestellt und von „fanatischen Religionsgruppen“ bedroht sieht. Zu Letzteren zählt er die „islamischen Moslembrüder und fundamentalistische Salafisten“ (23).

Nach welchen Kriterien der Autor die einzelnen religiösen Gruppen, die er ausführlicher darstellt, ausgewählt hat, begründet er nicht. So bleibt auch die Frage unbeantwortet, warum wichtige religiöse Gruppen und Strömungen der Gegenwart in Böckls Buch nicht erwähnt werden. Während er im dritten Teil vier neuheidnische Gemeinschaften darstellt, sucht man vergeblich nach Informationen zu vielen anderen religiösen Gruppen und Strömungen der Gegenwart. Dazu gehören beispielsweise die Pfingstbewegung bzw. einzelne Pfingstkirchen, auch die Mormonen sucht man vergeblich. Die Neuapostolische Kirche wird unter der befremdlich anmutenden Bezeichnung „Neuapostoliker“ behandelt. Die Religionen und Bewegungen mit asiatischem Hintergrund sind Böckl keine Erwähnung wert.

Dass die Darstellung des Heidentums und des Neuheidentums in diesem Buch einen derart breiten Raum einnimmt, mag zunächst verwundern, bis man sich etwas genauer mit der Person des Autors beschäftigt. Der Klappentext beschreibt ihn als freien Schriftsteller und Verfasser von Sachbüchern und historischen Romanen, der sich besonders mit „Propheten und ihren Weissagungen“ befasst. Die Internetseite des Autors (www.manfred-boeckl-schriftsteller.de) ist dagegen wesentlich informativer. Dort bezeichnet Böckl sich selbst als Kelten, dem es am wichtigsten geworden sei, „eine geistige Heimkehr ins keltische Heidentum“ zu proklamieren: „Keltisch-heidnischer Geist versöhnt mit unserer Mutter Erde und besiegt die brutalen Machtmenschen und Imperialisten.“ Letztere sieht Böckl vor allem in der katholischen Kirche am Werk. Denn als einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit nennt er auf seiner Internetseite sein Anliegen, „historische und auch moderne Verbrechen oder humanitäre Irrwege insbesondere der katholischen Kirche ins Bewusstsein der Menschen zu bringen“. Einige seiner Bücher sind im Kopp-Verlag erschienen, der sehr zutreffend auch als Verlag für Enthüllungsliteratur, Verschwörungen, unterdrückte Informationen und Geheimgesellschaften bezeichnet wird.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Böckl neuheidnischen Bewegungen in seinem Buch einen weit bedeutenderen Stellenwert einräumt, als ihnen im religiösen Spektrum der Gegenwart, in dem sie bestenfalls ein sehr kleines Segment darstellen, tatsächlich zukommt. Dessen ungeachtet sieht Böckl dennoch „seit einigen Jahrzehnten ein neues abendländisches Heidentum“ aufblühen (23). Konkrete Angaben, die diese These belegen könnten, etwa Namen neuheidnischer Vereinigungen, findet man in Böckls Darstellungen nur vereinzelt, Mitgliederzahlen sucht man leider vergeblich. Beispielsweise nennt er im Zusammenhang mit der „wiederbelebten germanischen Religion“, ohne weitere Angaben dazu zu machen, neben anderen eine im Jahr 2000 in Trier entstandene Ásatrú-Vereinigung (151). Gemeint ist offenbar der „Eldaring“, der als die mitgliederstärkste neuheidnische Vereinigung in Deutschland gilt, dessen Mitgliederzahl aber auf lediglich ca. 200 Personen geschätzt wird.

Der Frage, wie sich die christlichen Gemeinschaften zum Nationalsozialismus verhielten, räumt Böckl breiten Raum ein und kritisiert deren Fehlverhalten, das es ohne Zweifel gab, ausführlich und heftig. Die unrühmliche Rolle, die einige neuheidnische Vereinigungen in Vergangenheit und Gegenwart bei der Verbreitung neonazistischen, rassistischen und demokratiefeindlichen Gedankenguts gespielt haben und spielen, handelt er dagegen mit nur einem einzigen Satz ab: „Nachdem die germanische Kultur und Religion in den Jahren der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland von den damaligen Machthabern gründlich fehlinterpretiert und für verbrecherische Zwecke missbraucht wurden, muss hier klargestellt werden, dass Ásatrú mit neonazistischen Bestrebungen absolut nichts zu tun hat“ (151f). Das ist nicht nur falsch, sondern Böckl bleibt damit weit hinter dem Problembewusstsein und der kritischen Auseinandersetzung mit dieser Frage in der neuheidnischen Szene selbst zurück. Viele neuheidnische Vereinigungen, darunter auch der „Eldaring“, distanzieren sich deutlich von derlei Gedankengut. Auch der neuheidnische „Rabenclan“ engagiert sich „aktiv gegen rassistische und demokratiefeindliche Weltanschauungen, die im und mit dem Neuheidentum entstanden sind“ (www.rabenclan.de). Dennoch gibt es in der neuheidnischen Szene bis heute auch die gegenteilige Tendenz, vertreten beispielsweise durch die „Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft“ (s. dazu die Darstellung des NRW-Verfassungsschutzes auf www.mik.nrw.de).

Dass in Böckls Ausführungen insbesondere die katholische Kirche sozusagen die dunkle Folie bildet, vor deren Hintergrund das Neuheidentum im hellen Glanz erstrahlt, überrascht nicht. Gemäß seiner Programmatik zeichnet Böckl nicht nur in seiner Einführung ein einseitiges Bild der katholischen Kirche, die demnach im Laufe der Geschichte „heidnische Religionen verfolgt“ (14), ihre Gegner„ausrottet“ (20), „blutig und zu rigoros triumphierte“ (16), „brutal missioniert“ (17) „hetzt“ (18), ihre Gegner auf dem Scheiterhaufen verbrennt (21), „diskriminiert“ (21), „vernichtet“ (20) und für „grausamste Pogrome“ (21) verantwortlich ist. Nach den positiven Beiträgen der katholischen Kirche nicht nur zur Religionsgeschichte Europas sucht man in Böckls Darstellung leider vergeblich; immerhin ist er bereit zuzugestehen, dass es vereinzelt „Widerstand aufrechter Christen gegen den Faschismus gab“ (22). Auch in der Gegenwart sieht er die Religionsfreiheit durch die „Großkirchen“, insbesondere durch die „Existenz der katholischen und evangelischen Sektenbeauftragten“ (23), infrage gestellt. In einem Interview mit dem Deutschlandradio bezeichnet er deren Tätigkeit, die er als „Bespitzelung und Diskreditierung der kleinen Religionen“ zu diffamieren versucht, sogar als „verfassungswidrig“ (www.dradio.de, Sendung vom 11. Juni 2011).

Will man ein Fazit ziehen, so muss festgestellt werden, dass sich Böckls Buch weniger durch eine fachlich fundierte, sachliche und faire Darstellung der religiösen Szene auszeichnet, sondern durch seine idealisierte Darstellung der „Religionen mit vorchristlichen Wurzeln“ und seine scharfe, in ihrer Einseitigkeit polemische und überzogene Kritik am Christentum und an den Kirchen.

Auch wenn das Buch kein Lexikon ist, darf der Leser angesichts des Anspruchs des Verlags, ein „informatives Sachbuch und Hilfsmittel im interreligiösen Dialog“ anzubieten, erwarten, dass die Auswahl der in der Übersicht und in den Einzeldarstellungen beschriebenen Religionen begründet wird, wenn schon keine für die religiöse Szene der Gegenwart repräsentative Auswahl getroffen wurde. Das ist leider nicht der Fall. Auch gravierende sachliche Fehler muss sich der Autor zurechnen lassen. So handelt es sich bei „Jehova“ nicht um den „Gott des Alten Testaments“, den auch die anderen „bibelmonotheistischen Religionen“ als „oberste und unanfechtbare Instanz“ ansehen (87), sondern um eine falsche Übersetzung des biblischen Gottesnamens „Jahwe“.

Dass er sich in religionsrechtlichen Fragen offenbar nicht auskennt, zeigen seine Ausführungen zur Neuapostolischen Kirche. Anders als in anderen europäischen Staaten sei sie in Deutschland nicht „gesetzlich anerkannt“ (97). Eine ausdrückliche gesetzliche Anerkennung von Religionsgemeinschaften gibt es in Deutschland bekanntlich nicht, die Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts dagegen schon. Und diesen Körperschaftsstatus hat die Neuapostolische Kirche bereits seit langem inne.

Hinzu kommt, dass sich in Böckls Buch, außer im sehr kurz gehaltenen Literaturverzeichnis, wenn überhaupt, nur sehr vage Quellenangaben finden. Sie finden sich nicht einmal dort, wo Böckl den Inhalt wichtiger Quellentexte, z. B. von Bekenntnisschriften, nicht im Wortlaut, sondern lediglich mit seinen eigenen Worten sinngemäß wiedergibt (z. B. 46). Weiterführende Literaturangaben oder Links sucht man in den Einzeldarstellungen ebenso vergeblich wie bibliografische Verweise auf Selbstdarstellungen und Quellenschriften der dargestellten Gemeinschaften.

Wer eine informative und – bei aller Kritik, die an Religionsgemeinschaften selbstverständlich geübt werden darf – eine faire und ausgewogene Darstellung kleiner Religionsgemeinschaften der Gegenwart erwartet, wird enttäuscht. Dass ausgerechnet der katholische Patmos-Verlag dieses Buch in sein Programm aufgenommen hat, ist befremdlich, auch wenn sich der Verlag von den Äußerungen Böckls im oben genannten Interview distanziert. Man sehe sich als Verlag „gefordert, ein möglichst differenziertes Bild der vielfältigen Stimmen und Stimmungen der geistigen Landschaft unserer Zeit zu bieten“, und verstehe sich dabei „als Katalysator von Dialog und informierter Auseinandersetzung“, teilte der Verlag auf eine entsprechende Anfrage hin mit. Dass Böckl dazu einen konstruktiven Beitrag leistet und darüber hinaus den „Regeln von Seriosität, Fairness, Qualität und Kompetenz“, denen sich der Verlag in seinen Veröffentlichungen verpflichtet sieht, gerecht wird, muss leider infrage gestellt werden.


Matthias Neff, Trier