Stefanie Schwarz

Die Jesus Freaks - eine religiöse Jugendkultur

Jugend und Religion – heute ein Widerspruch?

Die derzeitige religiöse Kultur in Deutschland ist sehr vielseitig und ausgeprägt. Die Menschen sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens, nach spirituellen Erfahrungen, dabei steigt die Nachfrage nach Religion. Wenn man den Blickwinkel verändert, könnte man also sagen, dass nicht die Religion, sondern die organisierte Religion nicht mehr gefragt ist. Jeder möchte frei entscheiden, was gut für ihn selbst ist und seine eigene Wahrheit finden, mit der er glücklich ist. Diese Individualisierung der Religion ist ein Phänomen, das traditionelle Sozialformen der Religion an Bedeutung verlieren lässt.1

In Jugendszenen findet man diese Loslösung von organisierter Religion hin zu einer Begegnungsmöglichkeit mit Gott. Obwohl jeder „seine“ Religion finden möchte, sind Jugendliche auf der Suche nach sozialer Verortung und Erfahrung von Geborgenheit, Gewissheit und Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Die Szene schafft es Orientierung zu geben, sie schafft eine „Gegenwelt“ zur Rationalität der Realität und zur institutionellen Religion, eine Welt, in der Transzendenz und Gemeinschaftsgefühl religiöses Erleben bieten.2

Die Jesus Freaks sind eine Jugendkultur, die diese postmoderne Richtung aufgreift und die Erfahrung mit Gott radikal in den Mittelpunkt stellt. Aktiv gelebter Glaube, individuelles Erleben und Erfahren von Gott in der Gruppe sind für die Jesus Freaks zur Basis ihrer Religiosität geworden.3 Sie sind ein Beispiel dafür, dass sich die „,Wiederkehr’ von Religiosität und Religion keineswegs nur außerhalb christlich-religiöser Orientierungen zeigt“4.

Wer sind die Jesus Freaks und wie verstehen sie sich selbst?

Ein Jesus Freak versteht sich als jemand, der „verrückt“ nach Jesus ist, eine Beziehung mit ihm führt, d. h. mit ganzem Herzen mit ihm lebt. Dabei ist es völlig egal, wo man herkommt und wie man aussieht, denn bei Gott ist jeder Mensch willkommen. Es ist eine Herzenssache, eine innere Angelegenheit, die mit Äußerlichkeiten nichts zu tun hat.5

Als sich 1991 drei Jugendliche, darunter Martin Dreyer, in einem Wohnzimmer in Hamburg trafen, weil sie „Bock“ auf Jesus hatten, dachten sie noch nicht daran, dass aus diesen Treffen innerhalb kurzer Zeit eine Bewegung werden würde. Sie hatten die Nase voll von bürgerlicher Kirchlichkeit, die für Leute wie sie, Punks mit abgewetzten Klamotten, Alkohol- und Drogenproblemen, nichts als missbilligende Blicke übrig hatte. Was mit drei Leuten begann, wuchs von 1991 bis 1993 auf über 250 Leute an und ging schnell über die Grenzen Hamburgs hinaus. In mehreren Städten gründeten sich Jesus-Freak-Gruppen, die Anziehungspunkt für „Christen, Atheisten, Buddhisten, Nihilisten, Punks, Schlicker, Hippies, Normalos, Drogies“6 wurden. Eine Art Gemeinde entsteht, in der getauft und getraut wird und in der viele Jugendliche zum Glauben an Jesus kommen.7

1994/95 gründete sich der Verein „Jesus Freaks International“ und wird zum Dachverband der Bewegung. Der „Ä-Kreis“8 hat die Leitung und wird durch den Vorstand kontrolliert. Die Missionsgesellschaft der Jesus Freaks International „World Wide Pizza Service“ sendet ausgebildete Mitarbeiter in den Dienst für Jesus. Inzwischen gibt es in Deutschland mehr als 100 Gruppen mit ca. 5000 Jesus Freaks. Die Gemeinden sind netzwerkartig miteinander verbunden. Freundesbriefe informieren über aktuelle Entwicklungen und verbinden die Freaks, die beim jährlichen „Freakstock“ auf dem Boxberg bei Gotha zusammenkommen. Fast jede Freakgruppe hat eine Homepage, so dass man Jesus Freaks in seiner Nähe schnell finden kann.9 Das Internet ist das wichtigste Kommunikationsmittel. Die Seiten der lokalen Gruppen, Blogs von Jesus Freaks, der „Freakstyle-Shop“ oder die Website der Jesus Freaks International präsentieren die Bewegung und dienen dem Austausch.10

Den Glauben an den Schöpfergott, den dreieinigen Gott, der seinen Sohn geopfert hat, damit die Menschen Gottes Kinder werden können, sehen die Jesus Freaks als ihr Zentrum an. Grundlage ihres Glaubens ist die Bibel, die von der „ultimativen Wahrheit“ über Gott erzählt. Die Jesus Freaks sind überzeugt, dass an der Sache mit Jesus auch heute noch etwas „dran ist“ und die Auseinandersetzung mit Jesus jedem Einzelnen etwas zu bieten hat. Jesus ist vom Vater auferweckt worden und existiert noch heute. Schon damals hat er sich mit den Sündern, den Aussätzigen, den Armen und Verachteten beschäftigt, die in der Gesellschaft nichts wert waren. Deshalb sind bei den Jesus Freaks alle willkommen, gerade die, die von der Gesellschaft abgelehnt und auch in den Kirchen schief angesehen werden.

Den Jesus Freaks sind sechs Punkte wichtig: Sie sehen sich als von Gott berufen an, schrill und laut in ihrer Stadt zu sein, um die Menschen auf Gott aufmerksam zu machen. Jesus hat damals auch schockiert, weil er sich nicht angepasst hat. Die Leidenschaft für ein Leben mit Jesus soll durch neue Arten zum Ausdruck gebracht werden. Sie wollen Kopf und nicht Schwanz sein, d. h. ihre Berufung wahrnehmen und die Gesellschaft prägen. Die Menschen brauchen nicht zu ihnen kommen, sondern sie gehen zu den Menschen, auf die Straße, dorthin, wo die sind, die Jesus brauchen. Sie möchten eine Brücke sein, damit die Menschen Gott begegnen können. Feste Strukturen und Regeln sollen nicht im Weg stehen. Alle Jesus Freaks gehören zu einer großen Gang, Familie, in der es darum geht „jesusmäßig“ zu leben, mit Gott und den Mitmenschen.11

Sie sehen es als ihren Auftrag an, Menschen, die ohne Hoffnung sind, durch Jesus eine Perspektive in ihrem Leben zu geben. Beziehungen zu anderen Jesus Freaks sind wichtig. Jesus soll in der Kommandozentrale den Chefsessel besetzen, d. h. „im Leben die Befehle geben“12. Die Jesus Freaks sind ein Teil der Gesellschaft und wollen sich somit aktiv in das soziale und kulturelle Leben einbringen. Was von Gott oder Menschen an Erfahrung und Wissen gegeben wird, wollen sie mit anderen teilen.13

Der Lebensstil der Jesus Freaks soll davon geprägt sein, was Jesus vorgelebt hat: Die Frage ist, wie Jesus handeln würde, wenn er in der Situation wäre, in der man selbst gerade ist. Durch die Beziehung mit Jesus soll das Leben immer „jesusmäßiger“ werden. Es geht nicht um Perfektion, sondern darum, „sein Leben auf die Reihe zu kriegen“. Um eine lebendige Beziehung mit Jesus zu haben, hilft es zu beten, die Bibel zu lesen und zu leben und Gemeinschaft mit anderen Jesus Freaks und Christen zu haben.14

Bei ihren Gottesdiensten, „Jesus-Abhäng-Abenden“, in Hauskreisen oder bei Gebetstreffen kommen die Jesus Freaks zusammen, um Gemeinschaft zu leben. Im Gottesdienst wird Gott gelobt, indem fetzige Lobpreislieder beispielsweise mit E-Gitarren, Schlagzeug und Bass begleitet werden. Eine Predigt gehört auch bei den Freaks immer dazu, allerdings in Alltagssprache, damit jeder die Message versteht. Auch ein Klingelbeutel darf nicht fehlen, denn die Jesus Freaks finanzieren sich ausschließlich durch Spenden. Da der Gottesdienst meist samstagabends stattfindet, bleibt anschließend Zeit sich zu unterhalten, gemeinsam etwas trinken zu gehen oder einfach beim Tischfußball seinen Spaß zu haben.

In den letzten Jahren hat sich das von den Jesus Freaks veranstaltete „Freakstock“ (Jesus Festival) zu einem riesigen christlichen Alternativ-Festival entwickelt, das mittlerweile jeden Sommer für vier Tage auf der Pferderennbahn am Boxberg (Nähe Gotha) stattfindet, die sich dann in ein riesiges Zeltlager verwandelt.15 Die Besucherzahlen steigen jährlich, 2005 wurden über 8000 Jugendliche und Junggebliebene gezählt, viele von ihnen keine Jesus Freaks.16 Vom „Retro-Hippie“ über den Punk bis zu Gothics, Metall-Fans und Skins ist aus fast jeder Szene etwas dabei.

Ein Organisationszentrum sucht man fast vergeblich. Von einem Container aus „organisiert“ eine Handvoll Jesus Freaks die über 600 ehrenamtlichen Mitarbeiter. Über 50 Bands und DJs aus der ganzen Musikszene treten in den vier Tagen auf mehreren Haupt- und Nebenbühnen auf. Mehr als 20 Workshops, täglich zwei Gottesdienste, aber auch Ausstellungen, Skaterbahnen oder Ruhezonen wie das „Feldkloster“ oder der „Gebetsturm“ bieten ein abwechslungsreiches Programm.17

Die Jesus Freaks sehen sich selbst als freikirchliche Bewegung. Nicht in inhaltlichen, sondern in Stilfragen liegt ihrer Auffassung nach der Unterschied zu anderen christlichen Gemeinschaften oder den großen Kirchen. Die Ausrichtung der Arbeit kann als evangelikal mit einer Offenheit für charismatische Gaben wie Gebet, Prophetie und Zungenrede bezeichnet werden.18 Damit lassen sich die Jesus Freaks der neuen christlichen Religiosität zuordnen, die Mitte der 90er Jahre in Deutschland entstanden ist. Diese zeichnet sich durch Radikalität im Glauben aus. Ihre Anhänger sehen sich als „wiedergeborene Christen“, die durch ein besonderes Erweckungserlebnis zum Glauben gekommen sind.19

So bunt wie das Publikum der Jesus Freaks ist auch ihre „Kleiderordnung“. Da die meisten Szenegänger aus anderen Jugendkulturen stammen, reichen die Frisuren vom „Iro“ über die Glatze bis hin zu Dreadlocks, die Outfits von der Lederhose über nachtschwarze Kleidung bis hin zu zerfetzten Jeans. „Normales“ Aussehen scheint eher selten vertreten zu sein.20 Aus der Jugendsprache der 90er Jahre hat sich eine Szenesprache entwickelt, die zur Kultsprache der Jesus Freaks geworden ist. So sind Worte wie „geil“ oder „strength“ typische Beispiele für den Sprachgebrauch von Predigten und Gebeten.21 Die Sprache, die man spricht, versteht man auch am besten.22 Allerdings ist zu beobachten, dass heutige Jugendliche die Sprache der Jesus Freaks schon nicht mehr als zeitgemäß empfinden. Der fortschreitende und immer schneller werdende Veralterungsprozess ist auch bei der Sprache der Bewegung festzustellen.23

Symbol und Erkennungszeichen der Jesus Freaks ist ein in ein Omega gestelltes Alpha, das große Ähnlichkeit mit einem anarchistischen A aufweist. Allerdings ist die Bedeutung nach der Offenbarung des Johannes gemeint, dass Jesus das A und O, Anfang und Ende von allem ist.24

Während in anderen Jugendszenen eine bestimmte Musikrichtung bestimmend ist, sind bei den Jesus Freaks die Musikstile genauso unterschiedlich wie die Anhänger der Bewegung. Eine Betrachtung ihrer musikalischen Vorlieben deckt damit nahezu das gesamte Spektrum der christlichen Musikszene ab. Von den Bühnen des Freakstock schallen Punk, Rock, Trash, Hip Hop, Deathmetal und vieles mehr.25 Der Ausdruck des Glaubens und seiner Inhalte ist je nach Genre ganz unterschiedlich.

Jesus Freaks – Szene und/oder Subkultur?

In der Soziologie wurde der Begriff der Subkultur geprägt, um jugendliche Bewegungen wie die der Jesus Freaks einzuordnen. Der Begriff wird heute teilweise nicht mehr verwendet, soll aber hier „als Bezeichnung für eine ‚totale’, ,eigensinnige’ und (latent) ‚widerständige’ Lebensform“ verstanden werden, „die sich als soziale, kulturelle (manchmal auch politisch und ökonomische) ‚Alternative’“26 zur Gesellschaft und ihren Normen darstellt. Diese Abgrenzung findet heute, bedingt durch den Wandel von Jugend als Lebensphase, immer mehr unter Jugendlichen selbst und nicht mehr in Konfrontation zur Erwachsenenwelt statt, die im Laufe der Jahre viel toleranter und offener geworden ist und schon zu einer Generation gehört, die man als „Kinder der Freiheit“ bezeichnen kann.

Damit verliert die Subkultur an Bedeutungskraft, denn es geht mehr um ein gleichberechtigtes Nebeneinander als um ein Gegeneinander. Deshalb wird der Begriff der Subkultur von vielen Soziologen durch die unverbindlichere Bezeichnung „Jugendkultur“ ersetzt, die allerdings sehr schwammig ist und aus der sich ein Konzept der Szene entwickelt hat, das die gesellschaftliche Entwicklung der Individualisierung berücksichtigt, aber auch den subkulturellen Anspruch der Jugendkulturen nicht ausschließt.27 Die Szene als Konzept ist eine Reaktion auf die postmoderne Gesellschaft, die bei aller Betonung von Individualisierung trotzdem einen Ort der sozialen Verortung und Identitätsfindung braucht.28

Im Folgenden möchte ich die gewonnenen Erkenntnisse über die Jesus Freaks anhand einiger Szenemerkmale nach Gebhardt und Hitzler überprüfen.29

• Szenen sind soziale Netzwerke, die primär ästhetisch orientiert sind. – Die Jesus Freaks haben das gemeinsame Interesse an Jesus, das sie verbindet und zu einer Gemeinschaft macht. Ihr Verständnis von Ästhetik (Aussehen, Kleidung, Musik etc.) ist sehr vielseitig und unterschiedlich, denn verschiedene Jugendkulturen treffen bei den Jesus Freaks zusammen, die ihre eigene ästhetische Orientierung mitbringen.

• Szenen sind soziale Netzwerke, die thematisch fokussiert sind. – Zentrales Thema der Jesus Freaks ist der Glaube an Jesus Christus. Es geht darum, im Umgang mit Gott und den Menschen „jesusähnlicher“ zu werden. Jesus ist für die Menschen und für jeden Einzelnen gestorben; diesen Liebesbeweis gilt es anzunehmen und zu den Menschen zu bringen, gerade zu solchen, die von der Gesellschaft ausgeschlossen werden.

• Szenen sind relativ unstrukturierte und labile soziale Gebilde. – Es gibt keine verbindliche Mitgliedschaft, jeder kann ein Jesus Freak sein ohne irgendwelche Aufnahmerituale.30 Jeder ist für sein Handeln selbst verantwortlich, verpflichtende Handlungsanweisungen gibt es nicht, jedoch ist das Selbstverständnis sehr klar. Ein Wir-Gefühl, eine Zusammengehörigkeit entsteht durch den Glauben an die gemeinsame Idee, dass es das Beste und Radikalste ist mit Jesus zu leben.

• Szenen sind kommunikative und interaktive Teilzeit-Gesellungsformen. – Die Szene kann nur existieren, indem sie sich „in Szene setzt“, d. h. in Erscheinung tritt. Durch das Internet und die Freundesbriefe der Jesus Freaks wird über die lokalen Gruppen hinaus kommuniziert. Bei lokalen Treffen wird die Szene sichtbar. Es ist eine Lebenseinstellung, die nicht nur teilzeitlich, sondern 24 Stunden, sieben Tage in der Woche aktuell ist. Hier könnte man von einem subkulturellen Aspekt innerhalb der Szene sprechen, denn die Zugehörigkeit zu einer Subkultur ist radikal und ganzheitlich, zeigt sich nicht nur am Wochenende oder bei Treffen mit Gleichgesinnten.

• Szenen sind exklusiv und reklamieren Einzigartigkeit. – Dieses Merkmal ist bei den Jesus Freaks im Hinblick auf andere Szenen nicht zu finden. Eine Abgrenzung findet eher eindeutig zur Kirche und zur institutionalisierten Religion statt, wobei es bei der Abgrenzung von diesen um die Umsetzung des Glaubens und nicht um die Überzeugung selbst geht.

• Szenen strukturieren sich um Organisationseliten. – Dieser Trend zeichnet sich bei den Jesus Freaks nur sehr schwach ab. Das Freakstock-Festival beispielsweise wird nicht durch ein großes Organisationsteam auf die Beine stellt, sondern durch ein paar langjährige Szenegänger und viele freiwillige Helfer. Viele Gruppen haben einen Pastor, der allerdings mehr für Inhalte als für Organisation verantwortlich ist.

• Szenen konstituieren sich im Event. Szene und Event bedingen sich gegenseitig. – Neben den lokalen Angeboten der Jesus Freaks findet einmal im Jahr das Freakstock-Festival statt. Bei diesem Event kennt man sich nicht persönlich, aber durch die Zugehörigkeit zur Szene und den Glauben an Jesus Christus ist man miteinander verbunden.

Fazit und Ausblick

Wer sind die Jesus Freaks, und wie kann man sie soziologisch einordnen? Sie sind eine Bewegung, die sich in erster Linie durch ihre Begeisterung für Jesus auszeichnet. Viele Jugendliche sind heute auf der Suche nach Religion und dem Sinn des Lebens. Die Jesus Freaks sehen es als ihren Auftrag an, den Glauben gerade an Menschen weiterzugeben, die mit der Kirche nichts anfangen können.

Sie können als Szene eingeordnet werden, da die untersuchten Szenemerkmale zum Großteil auf sie zutreffen. Zu betonen ist allerdings, dass es bei den Jesus Freaks nicht um eine Abgrenzung zu anderen Szenen geht. Vielmehr finden sie gerade in den verschiedenen, sich widersprechenden Szenen ihre Anhänger. Die Intention des „Anders-Seins“ spiegelt sich in der Abgrenzung zur Kirche und zur institutionellen Verortung von Religion wider. Während bei anderen Szenen die Zugehörigkeit eine Teilzeitaktivität ist, geht es bei den Jesus Freaks um eine Lebenseinstellung, die sich auf alle Lebensbereiche auswirkt. Radikal mit Jesus zu leben, heißt die ganze Woche über ein Jesus Freak zu sein und nicht nur bei gemeinsamen Veranstaltungen mit anderen Szenegängern.

Die Attraktivität der Jesus Freaks erklärt sich u. a. durch die Möglichkeit, Glauben frei und ohne beengende Kirchlichkeit zu leben. Allerdings wird es auch für die Jesus Freaks irgendwann so weit sein, dass sie am Prozess der Institutionalisierung und Professionalisierung nicht mehr vorbeikommen. Diejenigen, die in den 90er Jahren die Bewegung ins Leben gerufen haben und ihr treu geblieben sind, werden älter, und aus lockerer Zugehörigkeit entwickelt sich eine formelle Mitgliedschaft. Erste Vereinssatzungen wurden beschlossen, und gerade die Drogenarbeit der Jesus Freaks, an deren Anfang das Engagement von Laien stand, hat sich zu einer professionellen Anlaufstelle entwickelt.31

„Unsere Vision ist, dass es irgendwann Jesus Freaks in jeder Generation gibt. Wir wollen verschiedene Stile für verschiedene Altersgruppen haben und trotzdem alle eine gemeinsame Identität als Jesus Freaks haben.“32 So formulieren die Jesus Freaks ihre Ideen für die Zukunft. Inwieweit sich diese Vision mit der Identität als Jugendkultur vereinbaren lässt, ist fraglich, denn was Jugendliche von heute anspricht, ist morgen schon wieder überholt und für Erwachsene meist uninteressant oder keine akzeptable Praxis, um Glauben zu leben. Ob die Vision umzusetzen ist und ob man auch im Alter noch ein Jesus Freak sein kann und seinen Glauben weiter radikal lebt, wie man es in Jugendjahren getan hat, bleibt abzuwarten. Sicher ist aber, dass die Beziehung zu Jesus für Menschen jeden Alters etwas bietet und je nach Alter eben wieder neue Formen der Glaubensumsetzung an der Reihe sind.33


Stefanie Schwarz, Koblenz


Anmerkungen

1 Vgl. W. Gebhardt, Jugendkultur und Religion, 7ff.

2 Vgl. ebd., 15ff.

3 Vgl. K. Farin, Freaks für Jesus, 10.

4 R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 29.

5 Vgl. dc Talk / The Voice of the Martyrs (Hg.), Jesus Freaks, 9ff.

6 R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 29.

7 www.Jesusfreak.de, Unsere Geschichte.

8 „Ä“ steht für Älteste oder auch Ärsche, wie die Jesus Freaks sie selbstironisch nennen.

9 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 30.

10  www.religionswelten.de, Kommunikationswege.

11 www.Jesusfreak.de, Unsere 6 Punkte.

12 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 34.

13 www.Jesusfreak.de, Unsere Werte.

14 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 40f.

15 Vgl. K. Farin, generation kick.de, 75.

16 Vgl. S. Krüger, „Sechzehntel und Pfützen“.

17 Vgl. K. Farin, generation kick.de, 81.

18 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 30.

19 www.religionswelten.de, Evangelikal.

20 Vgl. K. Farin, generation kick.de, 76.

21 Vgl. N. Schrammek, Die Lockerheit der Formen und die Starrheit der Lehre.

22 www.religio.de/sekten/jesusfreaks.html, Beurteilung.

23 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 30.

24 Vgl. K. Farin, Freaks für Jesus, 11.

25 Zur Musik vgl. ebd., 94ff.

26 W. Gebhardt, Jugendkultur, Jugendsubkultur, Jugendszene, 2.

27 Vgl. ebd., 1ff.

28 Vgl. R. Hitzler u. a., Leben in Szenen, 19f.

29 Vgl. ebd., 19-29; vgl. W. Gebhardt, Jugendkultur, Jugendsubkultur, Jugendszene, 5-8.

30 Die Hamburger Gemeindebasis, Version 2.0, 17.12.2002 (R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 40f).

31 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 31f.

32 Aus dem Freundesbrief der Jesus Freaks Hamburg, März 2003 (ebd., 32).

33 Vgl. R. Hempelmann, „Jesus sitzt im Chefsessel“, 31f.

Literatur

Bargmann, Kai, „Jesus, du bist ein turbogeiler Typ!“, in: Bravo 39/1994, 24-26

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Dreyer, Martin u. a., Die Volxbibel. Neues Testament, Witten ³2006

Farin Klaus / Archiv der Jugendkulturen (Hg.), Freaks für Jesus. Die etwas anderen Christen, Berlin 2005

Farin, Klaus, generation kick.de. Jugendsubkulturen heute, München 2001, 72-102

Gebhardt, Winfried, Jugendkultur, Jugendsubkultur, Jugendszene. Zur Soziologie juveniler Vergemeinschaftung, 2006, www.uni-koblenz.de 

Gebhardt, Winfried, Jugendkultur und Religion. Auf dem Weg zur religiösen Selbstermächtigung, in: Pöhlmann, Matthias (Hg.), Sehnsucht nach Verzauberung. Religiöse Aspekte in Jugendkulturen, EZW-Texte 170, Berlin 2003, 7-19

Hempelmann, Reinhard, „Jesus sitzt im Chefsessel“. Zur Glaubenswelt der Jesus Freaks, in: Pöhlmann, Matthias (Hg.), Sehnsucht nach Verzauberung. Religiöse Aspekte in Jugendkulturen, EZW-Texte 170, Berlin 2003, 29-41

Hitzler, Roland / Bucher, Thomas / Niederbacher, Arne, Leben in Szenen. Formen jugendlicher Vergemeinschaftung heute, Opladen 2001, 13-37, 217-239

Klarmann, Michael, Das Netz ist das Leben, Gott der Provider, Jesus der Browser, 8.5.2001, www.heise.de/tp/r4/artikel/7/7560/1.html (6.1.2009)

Knobloch, Hubert, Religionssoziologie, Berlin / New York 1999, 189-198

Krüger, Sebastian, Sechzehntel und Pfützen. Beim Freakstock-Festival auf der Galopprennbahn rocken junge Christen, in: Zeitzeichen 9/2005, 45-49

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Reumschüssel, Anja, Lobpreis auch ohne harte Holzbänke, in: Main-Rheiner vom 3.2.2005

Schrammek, Notker, Die Lockerheit der Formen und die Starrheit der Lehre. Das Freakstock-Festival 2001 der Jesus-Freaks vom 26. bis 29. Juli 2001 in Boxberg bei Gotha, in: MD 10/2001, 347-349