Thomas Meyer

Die Ironie Gottes. Religiotainment, Resakralisierung und die liberale Demokratie

Thomas Meyer, Die Ironie Gottes. Religiotainment, Resakralisierung und die liberale Demokratie, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, 125 Seiten, 14,90 Euro.


Der Artikel „Die Ironie Gottes“, in dem Meyer im August eine Prognose für den Kölner Weltjugendtag als Medienspektakel lieferte (Cicero 8/2005, 32-38), weckte die Neugier auf das spätere Buch, das allerdings nicht bis zum WJT reicht. Wie beim Cicero-Text handelt es sich um kein theologisches Werk, sondern um ein politologisch-soziologisches. Der 1936 in Leipzig geborene Bochumer Politik-Professor spricht von Ironie Gottes, um die Diskrepanz zwischen der kontinuierlich schwindenden Masse an Gläubigen und der zunehmenden Präsenz „organisierter Religion“ aufzuzeigen. Er thematisiert die „Asymmetrie der Lebenswelten“ und die realen, unerwünschten und wünschenswerten Beziehungen zwischen Religion, Staat, Politik, Gesellschaft und Medien, vorrangig in Deutschland, Europa und den USA.

Schlüssel zum Verständnis von Meyers Anliegen ist die Abgrenzung zweier Varianten von Zivilreligion gegenüber der zivilisierten Religion. Zum einen beschreibt er eine Zivilreligion wie in den USA: trotz strikter Trennung von Religion und Staat fände eine Transformation statt, unter dem Einfluss christlicher Fundamentalisten und republikanischer Strategen drohe die liberale Demokratie zur populistischen Fassade abzusinken. Die andere Spielart von Zivilreligion breite sich dort aus, wo politisch-säkulare Werte als höchste Normen religiöse Weihen erhielten, politische Pseudo-Religionen mit der Gefahr des Totalitarismus drohten. Der leidenschaftliche Kantianer verteidigt die in der liberalen Demokratie praktisch gewordene Aufklärung und deren Werte wie Freiheit, Gleichheit, Menschenwürde oder Vernunft gegen die Vormundschaft von Totalitarismus wie christlichem Fundamentalismus, wobei er besonders Ratzingers/Benedikts XVI. Thesen zur Diktatur des Relativismus und den christlichen Wurzeln des modernen Europas attackiert. Doch betrachtet Meyer Religion insgesamt als möglichen Verbündeten in der Gefahrenabwehr, wo sie ein zivilisiertes Stadium erreiche. Die zivilisierte Religion lasse sich nicht für politische Zwecke oder zur ethischen Stabilisierung der Gesellschaft funktionalisieren, sie sei zu einem „Schuss Ironie“ fähig, weil sie um die Unbeweisbarkeit letzter religiöser Wahrheiten wisse, übe „Selbstreflexion“ und erliege nicht der „Versuchung zur Hegemonialmacht“ (127f), sie unterstütze die Bewahrung sozialer Lebenswelten, schütze Minderheiten und die liberale Demokratie samt Religions- und Weltanschauungsfreiheit.

Zu knapp geht Meyer auf das Verhältnis von Religion und Medien ein. Er stellt in Kapitel 9 das Fernsehen als Instrument dar, das amerikanische Telekirchen und Katholizismus virtuos benutzten und warnt, „Religiotainment“ werde „zum Wegbereiter der Resakralisierung des öffentlichen Raumes“ (65). Gerade sein Paradigma, der Wechsel im Pontifikat anno 2005, zeigt hingegen, dass Kirchen nicht nur Subjekt der Medienbeherrschung sind, sondern auch Objekt im Kampf der TV-Sender und Printmedien um Quoten und Verkaufszahlen. Mit einem vorgezogenen Benedikt-Heft zur Papstwahl versuchte etwa „Focus“ (17/23.4.05) gegenüber dem antiklerikalen „Spiegel“ christliche Leserschichten zu erschließen. Meyers differenzierte Studie diskutiert die gestellten Fragen nicht aus, kann aber Impulse geben für die Selbstreflexion aller genannten Gruppen, auch der Journalisten und Politiker, und sollte die Diskussion über das Spiel der Kräfte beleben.


Angelika Koller, München