Marco Frenschkowski

Die Hexen. Eine kulturgeschichtliche Analyse

Marco Frenschkowski, Die Hexen. Eine kulturgeschichtliche Analyse, Marixverlag, Wiesbaden 2012, 223 Seiten, 5,00 Euro.

Wie der Klappentext dieses Buches treffend formuliert, hat sich „in wenigen Gebieten der Geschichts- und Kulturwissenschaften ... in den letzten Jahren so viel bewegt und verändert wie in der Hexenforschung“. Gleichzeitig muss festgestellt werden, dass viele längst überholte Forschungsstandpunkte innerhalb der Gesellschaft, etwa durch sogenannte historische Romane oder Filme, immer noch unkritisch weitertradiert werden. Diese Klischees bilden einen Teil eines popkulturellen Scheinwissens, dessen Inhalte längst infolge zahlreicher quellennaher (mikro-)historischer Untersuchungen und deren Einbindung in einen breiteren kulturanthropologischen Horizont vonseiten der seriösen Forschung ad acta gelegt wurden.

Wolfgang Behringer, einer der Protagonisten der jüngeren Hexenforschung, veröffentlichte bereits 1998 einen Band „Hexen. Glauben, Verfolgung, Vermarktung“, der in knapper und prägnanter Form Fragestellungen und Ergebnisse der zeitgenössischen Forschungen zum Thema der abendländischen Hexerei-Imagination und Hexenverfolgung vorstellte und dabei auch die popkulturelle Gegenwart nicht außer Acht ließ. Dieses Buch erlebte in kurzer Zeit mehrere Auflagen und Übersetzungen. In der Folgezeit erschienen weitere, ähnlich geartete Bände wie Johannes Dillingers „Hexen und Magie“ (2007), Rita Voltmers „Hexen. Wissen was stimmt“ (2008) und der gemeinsam von Walter Rummel und Rita Voltmer verfasste Band „Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit“, der mittlerweile in 2. Auflage vorliegt (2008, 2012).

Nach den genannten Bänden, die von Historikern stammen und den Stand der jüngeren Forschung mit eigener Akzentsetzung referieren, legt nun der Theologe und Religionswissenschaftler Marco Frenschkowski einen weiteren einführenden Band zum Thema Hexenvorstellungen und -verfolgung vor. Auf 223 Seiten spannt der Autor einen weiten Bogen nicht nur in zeitlicher, sondern auch in räumlicher und thematischer Hinsicht.

Der Band umfasst 13 Kapitel. Weiterführende Literaturangaben sind direkt an das jeweilige Kapitel angefügt. Nach dem Vorwort, in dem Hintergründe und Ziele des Buches offengelegt werden und auch das genannt wird, was nicht geleistet werden kann, nämlich eine abgeschlossene historische Synthese, setzt das Buch mit einem Kapitel ein, das zunächst gängige, aber falsche Klischees zur Hexenverfolgung benennt. Auf diese Ausführungen folgt ein Abriss der älteren und neueren Hexenforschung. Die zwölf weiteren Kapitel können in zwei Teile gegliedert werden. Die Kapitel zwei bis sieben stellen einen Durchgang durch europäische Hexereivorstellungen, Antihexereibestimmungen und -maßnahmen in historisch chronologischer Perspektive dar. Die Kapitel acht bis dreizehn behandeln Einzelfragen wie Carlo Ginzburgs Theorie des europäischen Schamanismus oder das Hexenbild innerhalb der modernen Hexen-Religion Wicca. Diese Kapitel sind unabhängig voneinander lesbar. Das Buch schließt mit einem Anhang, der sechs Quellentexte mit kurzen Einleitungen abdruckt. Unter den Texten finden sich zwei antike Texte, der Canon episcopi, Auszüge einer Schrift Jean Bodins (1529-1596) in der Übertragung seines Zeitgenossen Johann Fischart (1546-1591), Teile eines englischen Theaterstücks von 1621 und ein Abschnitt aus Charles G. Lelands (1824-1903) „Aradia or The Gospel of the Witches“.

Der erste Teil von Frenschkowskis Darstellung setzt in der vorchristlichen Antike ein, wobei ein Schwerpunkt auf der Auswertung kaiserzeitlicher Literatur liegt. So werden der Dichter Horaz und Lucius Apuleius, der Verfasser des Romans „Metamorphosen“ (bzw. „Der Goldene Esel“) und selbst Opfer von Magiebeschuldigungen, vorgestellt. Das Bild, das sie in ihren Werken von Hexerei vermitteln, wird nachgezeichnet. Das Fazit besteht darin, dass die spätere klassische Hexenvorstellung im Wesentlichen schon in der paganen Antike anzutreffen sei, wenngleich sich das Element des Teufelspaktes darin noch nicht finde (37). Ein Blick auf alttestamentliche und frühjüdische Texte und deren Positionen zu Magie und Hexerei vervollständigt die Ausführungen zu antiken vorchristlichen Hexenvorstellungen (52-55). Die weiteren Kapitel dieses ersten Teils folgen der chronologischen Spur von der christlichen Spätantike bis in die Zeit des 17. und 18. Jahrhunderts. In diesen Kapiteln wird nicht nur aufgezeigt, wie das Hexenimaginarium im Laufe der Zeit immer weiter ausgebaut wurde, etwa indem Elemente aus der Ketzerpolemik, wie der Teufelspakt, auf Hexen übertragen wurden, und wie sich Kritik gegenüber diesen Vorstellungen artikulierte, sondern es werden auch forschungsgeschichtliche Fragestellungen in die Darstellung eingeflochten. So werden Forschungsmeinungen vorgestellt, die heute als nicht mehr haltbar angesehen werden, aber außerhalb der historischen Forschung noch gängig sind. Beispielsweise wird die (pop-)kulturell wirkmächtige These Margaret Murrays (1863-1963), dass Hexen eigentlich Anhängerinnen einer vorchristlichen Religion gewesen seien und daher von der Kirche verfolgt wurden, dargestellt und dekonstruiert (79ff). Abgeschlossen wird dieser Teil durch ein Unterkapitel, das Hilfsmittel der seriösen Hexenforschung wie Bibliografien, Handbücher, Internetseiten und Lexika vorstellt (141f).

Innerhalb der Kapitel, die Einzelfragen nachgehen, wird die Thematik noch einmal erweitert. So befassen sie sich auch mit Hexereivorstellungen und Hexenverfolgungen außerhalb Europas, wobei auch nichtchristliche Kontexte ins Blickfeld rücken. Als Beispiel hierfür dienen u. a. die zentralafrikanische Bevölkerungsgruppe der Azande und deren von dem Ethnologen Edward E. Evans-Pritchard (1902-1973) herausgearbeitetes Verständnis von Hexerei. Außereuropäische Hexenverfolgungen in einem christlichen Kontext werden anhand der Hexereianklagen im nordamerikanischen Salem dargestellt. Das Beispiel ist geschickt gewählt, da hierdurch einerseits typische Züge der Hexenverfolgungen allgemein dargestellt werden können, andererseits aber auch gängige Klischees durchbrochen werden. Ein weiterer Fragenkomplex besteht darin, wie sich das Hexenbild in Europa im 19. und 20. Jahrhundert wandelte und wie positive Neuinterpretationen der Hexenmotivik aufkamen. Die Thematisierung moderner postchristlicher Religionen, die Hexen als Identifikationsfiguren nutzen, wie der aus Großbritannien stammenden Wicca-Religion, bildet den Abschluss dieses Buches, das somit Einblicke in über 2000 Jahre Kulturgeschichte ermöglicht.

Die Darstellung zeichnet sich dadurch aus, dass ein weiter Hexereibegriff zugrunde gelegt wird und Hexereivorstellungen und Hexenverfolgungen nicht auf Europa oder christlich geprägte Gesellschaften beschränkt werden. Hier folgt Frenschkowsi dem Ansatz von Behringers Einführung. Gleichzeitig ist zu betonen, dass der Begriff der Hexenverfolgung nicht so weit ausgedehnt wird, dass jegliche Verfolgungswelle aus dem Ruder gelaufener Justizsysteme als Hexenverfolgung bezeichnet wird. Hexereivorstellungen und Hexenverfolgungen bleiben bei beiden Autoren immer an Schadenszauberbeschuldigungen geknüpft.

Das Buch hebt sich in einigen Punkten von den zuvor genannten Einführungen ab. Der Autor räumt der Darstellung antiker Hexenvorstellungen einen breiten Raum ein und zählt sie zur Geschichte des Hexenimaginariums und nicht zu dessen Vorgeschichte. Auch ist er in starkem Maße bestrebt, Quellentexte direkt sprechen zu lassen, sei es in Form ausführlicher Zitate oder durch die angefügten Quellentexte. Die enge Verzahnung von historischer Rekonstruktion und forschungsgeschichtlicher Darstellung ist ebenfalls hervorzuheben, die darauf abzielt, Entstehungshintergründe bestimmter Theorien und Deutungen offenzulegen und dadurch auch ein Verständnis für die Autorinnen und Autoren uns heute abwegig erscheinender Annahmen zu wecken.

Frenschkowski wählt in seiner Darstellung der Forschungsgeschichte den Weg kritischer Sympathie gegenüber den von ihm vorgestellten Personen und vermeidet ein verurteilendes Vokabular. Wertendes Vokabular, etwa „Machwerk“, wie es sich bei Rummel und Voltmer im Blick auf eine Veröffentlichung Margaret Murrays findet (Hexen und Hexenverfolgung in der Frühen Neuzeit, 9), gebraucht Frenschkowski nicht. Diesen einfühlsamen Zugang wählt der Autor auch im Blick auf die Darstellung moderner euro-amerikanischer Hexen-Religion(en) und hält damit Gesprächsräume mit Anhängern dieser Theorien offen bzw. eröffnet sie.

Es ist anzumerken, dass der Druck des Buches durchaus schön gestaltet ist und die beigefügten Illustrationen in guter Qualität wiedergegeben sind. Der Frage, ob der Schutzumschlag etwas weniger klischeebeladen und aufdringlich daherkommen sollte, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Dem Buch können zahlreiche Leserinnen und Leser gewünscht werden, die den breiten Zugang zum Thema würdigen und es zu schätzen wissen, nicht nur über die Geschichte, sondern auch über die Gegenwart des Hexenimaginariums in der euro-amerikanischen Populärkultur und in entfernten Weltgegenden informiert zu werden.


Harald Grauer, Sankt Augustin