Esoterik

Die Heilhausbewegung expandiert weiter. Ein Besuch im neuen „Haus der Mitte“

(Letzter Bericht: 9/2011, 339-346) Die von Ursa Paul gegründete Heilhausbewegung (www.heilhaus.org) hat im März 2016 in Kassel das „Haus der Mitte“ nach sechs Jahren Planungs- und Bauzeit eröffnet. Das Haus wurde in der Gemeinschaft auch rituell-spirituell lange vorbereitet und erfüllt nun einen Teil der Vision von Ursa Paul: Sie hat in einem Traum ein Haus gesehen, in dem Geburt, Leben und Sterben (das Motto der Bewegung) sein dürfen. Im Tätigkeitsbericht der Heilhaus-Stiftung Ursa Paul 2015 heißt es: „Das Haus der Mitte dient in einem umfassenden Verständnis der Gesundung und Heilung von Körper, Geist und Seele. Es ist ein Ort der Meditation, der Bewusstseins- und Herzensbildung.“

Das Gebäude im Stadtteil Rothenditmold, einem sozialen Problemviertel Kassels, hat nach Aussage von Gerhard Paul (Sohn Ursa Pauls und Geschäftsführer) ca. 4,5 Millionen Euro gekostet. Es wurde über Spenden sowie Fördermittel anderer Stiftungen (Stiftung Deutsches Hilfswerk, Fernsehlotterie) finanziert. „Wir haben keine Schulden gemacht, um die Gemeinschaft nicht zu belasten“, sagt er. Gleichwohl sei es ein großer Kraftakt für die 120 Mitarbeiter, die 800 Mitglieder der Bewegung in Deutschland und die Förderer gewesen, zumal nur eine Großspende von knapp 300 000 Euro dabei gewesen sei.

Das Gebäude beherbergt neben einem Mehrgenerationenhospiz mit acht Zimmern eine Arztpraxis, den „Raum der Mitte“ und im Untergeschoss einen „dunklen Raum“. Letzterer ist ein hermetisch abgeschlossener Raum, der die Wucht des Abschieds und Sterbens symbolisieren soll. Der „Raum der Mitte“ ist nach Aussage Gerhard Pauls ein „Kraftort“, um den herum sich die Gemeinschaft sammle und der viel Energie ausstrahle. Hier finden morgendliche Meditationen und wöchentliche Treffen statt. Veranstaltungen für bis zu 300 Personen sind möglich. Der achteckige, 180 qm große Raum ist spärlich eingerichtet, in der Mitte steht eine Stele mit einer Kerze, und in der Mitte der Decke befindet sich eine kreisrunde Lichtöffnung. Direkt über diesem Raum ist das Mehrgenerationenhospiz untergebracht. In der alten Symbolik des Oktagons soll sich hier die Vollendung von Geburt, Leben und Sterben spiegeln. Überhaupt sei das ganze Haus voller Symbole und Zeichen – diese fallen aber auf den ersten Blick überhaupt nicht auf. Sie finden sich vor allem in der Auswahl der hochwertigen Materialien (wie des braunen Bodenbelags im Raum der Mitte, als Verbundenheit mit der Erde), und zum Beispiel befindet sich an der Decke im Hospizbereich ein großes, leuchtendes gleichschenkliges Kreuz, das jedoch wenig mit dem Zeichen des Christentums zu tun hat: Nach Aussage einer Mitarbeiterin bedeutet es das „Oben und Unten, das Rechts und das Links“.

Die Expansion der Heilhausbewegung geht weiter: In Berlin wurde von der evangelischen Kirche ein Grundstück erworben, das ursprünglich ein Friedhof war. Dort wird nach dem Kasseler Vorbild ebenfalls gebaut, und man versucht, bewusst an diesem ursprünglich für den Tod bestimmten Ort das Motto „Geburt – Leben – Sterben“ zu realisieren.

Die Meinungen über Inhalte, Strukturen sowie spirituelle und weltanschauliche Hintergründe der Bewegung gehen weit auseinander: Auf der einen Seite werden die soziale Stadtteilarbeit, die liebevolle und aufopfernde Pflege von Menschen aller Generationen mit und ohne Einschränkungen, die Geburts- und Sterbebegleitung sowie die heilpädagogische und ambulante Pflege geschätzt und gewürdigt. Auf der anderen Seite werden die kritischen Stimmen sowohl aus dem Inneren als auch von ehemaligen Mitarbeitern und Mitgliedern lauter. Problematisiert werden vor allem: die Rolle Ursa Pauls als Visionsgeberin, spirituelle Lehrerin und strategische Lenkerin einer Vielzahl gemeinnütziger Unternehmen unter dem Dach der Heilhaus-Stiftung; die Familiendynastie Paul mit ihrer machtvollen Position innerhalb einer sehr engen Gemeinschaft; die Gefahr der Abhängigkeiten innerhalb eines Meisterin-Schüler-Kontextes, der offene Kritik unterbindet. Beschrieben werden auch eine Ökonomisierung der Spiritualität sowie die gezielte Ausgrenzung von Kritikern bis dahin, dass der Austritt aus der Gemeinschaft als das Einschlagen eines dunklen Weges interpretiert werde.

In einem offenen und kritischen Gespräch mit Ursa Paul, ihrem Sohn und weiteren leitenden Mitgliedern der Heilhausbewegung konnten diese Probleme angesprochen werden. Ursa Paul hat erklärt, dass in Bezug auf ihre Rolle als spirituelle Lehrerin bzw. „Wurzellehrerin“ die Gefahr von Abhängigkeiten bestehen könne, das bestätigten auch Mitarbeiterinnen. Das sei aber in einem Meister-Schüler-Verhältnis immanent angelegt, und es ist der 73-Jährigen unklar, wie man diese Problematik überwinden kann. Vielleicht könne es durch eine unabhängige Moderation von außen gelingen, in der alle kritischen und wohlwollenden Stimmen gut gehört würden.

Gerhard Paul sprach an, dass die Bewegung in einem Transformationsprozess stehe. Es ist der Gemeinschaft zu wünschen, dass in diesen Prozess vor allem die sekundären Leitungsstrukturen und die Meister-Schüler-Konstellation Beachtung finden. Gerade aus einer religionsgeschichtlichen bzw. -wissenschaftlichen Perspektive ist der Prozess um den nun anstehenden Rückzug von Ursa Paul interessant und beachtenswert: Wird es diese sozialutopische Gemeinschaft schaffen, eine nachhaltige Transformation zu bewerkstelligen? Gelingt ihr der Spagat zwischen dem Anspruch, eine demokratisch entscheidende Gemeinschaft zu sein, und der Tatsache, dass sie gleichzeitig durch ein familiendynastisches System gelenkt wird, das darüber hinaus auch spirituelle und ökonomische Ansprüche hat?

Während des Gesprächs herrschte offener Dissens in theologischen Fragen: In steigendem Maße finden sich im Programm der Heilhausbewegung kostenpflichtige alternative Lebensbewältigungsangebote, die dem esoterischen Spektrum zuzurechnen sind, allen voran die „Nährsystemarbeit nach Ursa Paul“, deren Grundlage Auraarbeit im feinstofflichen System ist, weiter über „Heilkreise“, die den unterschiedlichen Chakren gewidmet sind, über yogische Atem- und Körperarbeit, Energiebalancierung, spirituelle Familienaufstellung unter der Weisung Ursa Pauls bis hin zu rituellen Energiekreisen und der Kombination „verschiedener alter Heilsysteme“. Es handelt sich aus einer christlich-theologischen Perspektive eindeutig um esoterische Angebote, auch wenn man das in der Heilhausbewegung nicht gerne hört.

Interessant sind die spirituell-lebensgeschichtlichen Hintergründe Ursa Pauls (in Ergänzung zu den bereits beschriebenen, siehe MD 9/2011, 343): Sie hat bei einem kurzen Aufenthalt im Südosten Indiens die Idee der „universellen Stadt“ Auroville kennengelernt, basierend auf der Gesellschaftstheorie von Sri Aurobindo. Zur Entwicklung ihrer jetzigen Funktion als spirituelle Lehrerin und Gründerin der Heilhausbewegung sagte sie: „Das kam alles durch Erfahrung, Erfahrung und nochmal Erfahrung.“


Oliver Koch, Frankfurt a. M.