Gabriele Lademann-Priemer

Die globalisierte Nixe „Mami Wata“

Jeder kennt die Sirene auf dem Kaffee von Starbucks. Sie soll an die Geschichte des Kaffees erinnern als einer Geschichte, die über das Meer führt, und die Nixe soll verführerisch wirken. Ihr Vorbild ist eine Wikingerschnitzerei aus dem 16. Jahrhundert.1 Auf dem „Mercy Ship“ „Mercy Africa“ betreibt Starbucks eine Cafeteria, in der das Logo fehlt, denn in Afrika gilt die Sirene sowohl unter neopentekostalen Christen als auch unter modernen Muslimen als Dämon.2 Der Einsatz der Mercy Ships soll Heilung bringen und dient nicht der Auseinandersetzung im Meinungskampf.

Im gesamten neopentekostalen Christentum und im modernen Islam Afrikas gilt die Sirene als Abgesandte aus Satans Reich, das unter dem Meer angesiedelt ist. Von dort kommen Schätze, Luxusgüter, Reichtum. Allerdings bringt auch Jesus Reichtum, wenn man es richtig anstellt.3 Beide Sorten, den „guten“ Luxus und den „bösen“, voneinander zu unterscheiden, ist nicht einfach. Dazu bedarf es neopentekostaler Anleitung, persönlicher Offenbarungen und prophetischer Botschaften.

Die Furcht vor Mami Wata bestimmt den neopentekostalen Glauben. Diese Furcht kommt wie andere Glaubensinhalte auch mit afrikanischen Migranten nach Europa. Europa ist vergleichsweise nass mit viel Regen und vielen großen Flüssen, also der ideale Aufenthaltsort für Mami Wata. So wird sie auch hier vermutet. Besonders in Hamburg, einer Stadt, die einst in den Schlamm am Zusammenfluss von drei Flüssen (Elbe, Alster, Bille) gebaut wurde, wird in einigen neopentekostalen Kreisen Mami Wata gefürchtet. Es hat sogar vor einigen Jahren einen Gebetskampf gegen sie gegeben, als angeblich besonders viele Afrikaner gestorben waren. Man sagte, Mami Wata habe sich ihre Opfer geholt, denn hier wird ihr nicht geopfert.

Dass Nixen in Märchen und im Kinderkanal vorkommen, heißt in diesen Kreisen, dass Mami Wata im Begriff ist, hier ihre Herrschaft anzutreten. Kindern wird darum von manchen Eltern verboten, den Kinderkanal zu sehen.

Hier zeigen sich jedoch die Schwierigkeiten im interreligiösen Dialog und in der Beratungssituation. Spätestens seit der Romantik sind die „Elementargeister“, zu denen bei Paracelsus auch die „Undinen“ und „Melusinen“ gehörten, zu inneren Bildern und Symbolen geworden. Manche Menschen beschreiben sie als „Persönlichkeitsanteile“. Mami Wata bedeutet Eitelkeit und Eifersucht im negativen Sinne, im positiven sind es der Sinn für Schönheit und die Großzügigkeit. Für Kinder sind Nixen keine Wesen, die ihnen beim Baden tatsächlich begegnen. Für Afrikaner, die nicht hier aufgewachsen sind, sind solche Wesen jedoch Mächte, die von außen kommen. Für unsere Sicht und Interpretation gibt es kein Verständnis. Anders ist es jedoch unter denen, die hier aufgewachsen sind. Unter ihnen gibt es zwar die Vorstellung von Geistern, sie stehen jedoch zurück hinter den alltäglichen Problemen.4

Die Sirene, in Afrika meistens Mami Wata genannt, ist eine weiße oder indische Frau mit Fischschwanz und langen, offenen Haaren, mit Kamm und Spiegel, einem Topf mit Heilkräutern, Dreizack und Schlange. Ihre Begleittiere sind Krokodil und Delphin. Ist sie indisch gestaltet, hat sie den Stier Shivas Nandi bei sich. Als islamische Figur hält sie eine Gebetskette in Händen. Eine nigerianische Figur zeigt sie als katholische Heilige.5 Es gibt sie in vielerlei Gestalt und Form. Das Pantheon afrikanischer Meeresgötter und Flussgöttinnen ist in sie eingegangen, sie hat viele Namen und Erscheinungsformen, aber auch Aufgaben und Zuständigkeiten. Sie kann männlich oder weiblich sein.

In Lateinamerika kennt man sie als La Sirène oder Yemojá, sie hat einen blauen Mantel und ist die Jungfrau Maria, und sie trägt das Jesuskind auf dem Arm, bekleidet mit dem roten Gewand des Gottes Shango, des Gewittergottes; es gibt sie aber auch als Immaculata oder als Nixe.

Das Bild der Mami Wata mit der Schlange geht zurück auf das Foto einer vermutlich samoanischen Schlangenbändigerin, die in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts auf dem Spielbudenplatz in Hamburg-St. Pauli aufgetreten ist.6 Dieses Foto wurde irgendwann indisch überarbeitet und kam

wahrscheinlich nach dem Zweiten Weltkrieg nach Nigeria, wo sich Bollywoodfilme und indische Poster großer Beliebtheit erfreuten. Indien kam in Afrika in Mode, die Göttin bekam ein indisches Gesicht und wurde Shiva angeglichen, sie bekam aber auch ein islamisches Design, ohne dass mit dem Aussehen und den Götternamen deren religiöse Inhalte in die verschiedenen Mami-Wata-Kulte übernommen wurden. Weiß ist die Farbe der Meeresbewohner, weiß ist die geheimnisvolle Frau aus der Ferne, weiß ist ein Schönheitsideal, für das afrikanische Frauen die Gesundheitsrisiken von Bleichmitteln in Kauf nehmen. Diese Schönheit ist mit Luxus verbunden, aber auch mit Freiheit und Emanzipation, jedenfalls teilweise. In Teilen Westafrikas wird Mami Wata geschätzt und geliebt. Ihre Kulte sind im Wesentlichen weiblich bestimmt, männliche Priester kleiden sich manchmal als Frauen, sie tragen schulterfreie Gewänder und sind geschminkt. In der „islamischen“ Variante sind die Priesterinnen jedoch männlich gekleidet, das heißt, eine Schulter ist bedeckt.

In Kamerun und im Kongo hingegen wird Mami Wata gefürchtet, sie gilt als Monster. Von der Frau Mobutus, die wegen ihrer Verschwendungssucht und ihres luxuriösen Lebensstils verhasst war, sagte man, sie habe eine Mami Wata. Es ist die Vorstellung, dass die Göttin Menschen besessen machen kann. Es gibt oder gab im Kongo jedoch auch Initiationen in einen Heilungskult, in dem die Flussgottheit Menschen von ihrer psychischen Krankheit heilte, die nunmehr eine Art Heilungsgruppe bildeten.

Im afro-amerikanischen Milieu kann Mami Wata zur Urgottheit werden, sie ist Astarte und Isis, die kretische Schlangengöttin, deren Spuren nach Afrika führen. Hier wird ein Mythos kreiert, der identitätsbildend sein soll. Christentum und Islam werden als Religionen betrachtet, die der Unterdrückung der Frauen dienten. Darüber hinaus haben sie die Geschichte der Versklavung afrikanischer Völker auf dem Gewissen, und die Urmutter ist Zeichen für die Befreiung. Für diesen Mythos wird sogar eine uralte afrikanische Gottheit wiederbelebt, die im Denken der Menschen Westafrikas in weite Ferne gerückt ist, Nana Buruku, deren Kult sehr selten geworden ist.7 Dies passt in das Konzept einer bestimmten Spielart des Feminismus.

In Europa gibt es europäische Mami-Wata-Anhänger, für die sie wie auch andere Vodun-Gottheiten changiert zwischen Bild, Geist und Persönlichkeitsanteilen. Mancher baut ihnen einen Altar, mancher trägt ein Schutzamulett, aber es hat unter bestimmten Umständen spielerischen Charakter und lässt sich jeweils mit dem Christentum oder auch dem Atheismus verbinden. Spalten der Neopentekostalismus und der moderne Islam die Vorstellungswelt in Gott und Satan, himmlische und dämonische Mächte, und berufen sich dafür auf Bibel und Koran, so hat eine Form modernen europäischen „Vodun-Glaubens“ eher Aspekte des Spielerischen und der Psychologie. Die theologische Vorstellung von Schöpfung und Erlösung bleiben davon unberührt.


Gabriele Lademann-Priemer, Hamburg


Anmerkungen

  1. Vgl. www.starbucks.com/blog/so-who-is-the siren  (die in diesem Beitrag angegebenen Internetseiten wurden am 1.2.2015 abgerufen).
  2. Vgl. Martin Mehringer, Heilung an Bord, in: FAZ vom 1.2.2015. Die „Mercy Ships“ werden von einer evangelikalen Organisation betrieben. Ihre medizinische Arbeit ist in Afrika auch bei denen, die sich nicht „bekehren“ wollen, anerkannt.
  3. Vgl. Werner Kahl, Prosperity Preaching – „Jesus became poor so that we might become rich.“ – A critical review of the use of Biblical reference texts among West-African prosperity preachers, 2015, maschinenschriftlich.
  4. Die Information über die neopentekostale Sicht verdanke ich afrikanischen Pastoren in Hamburg.
  5. Museum für Völkerkunde Hamburg, erworben 1964.
  6. Vgl. Gabriele Lademann-Priemer, Mami Wata – Muttergottheit und Verführerin, Helferin und Dämon, in: Werner Kahl/Gabriele Lademann-Priemer, Lebensstörungen und Heilungen, Hamburg 2013, 9-33, 25ff, dort auch weitere Quellenangaben.
  7. Vgl. Mama Zogbé (Vivian Hunter-Hindrew), Mami Wata – Africa’s Ancient God/dess Unveiled, Martinez 32007.