Ulrich Dehn

Die buddhistische Laienbewegung Sōka Gakkai

Die buddhistische Laienbewegung Sōka Gakkai

Die Sōka Gakkai (SG) ist heute mit ca. 8,27 Millionen Haushalten1 in Japan die größte religiöse Organisation des Landes, darüber hinaus wird mit 1,5 Millionen Mitgliedern der SG International in 192 weiteren Ländern gerechnet. Sie ist damit nicht nur eine der größten religiösen Organisationen weltweit, sondern verfügt auch über ein großes Konglomerat von kulturellen und wirtschaftlichen Einrichtungen, letztere insbesondere im Bereich von Medien (eigene Tageszeitungen, Buchverlag etc.). Ihre pure Größe und (Medien-)Macht hat immer wieder Kritik und den Sektenvorwurf provoziert, und als die SG-nahe Partei Kōmeitō 1999 in eine Koalitionsregierung mit der Liberaldemokratischen Partei (LDP) eintrat, wurde damit eine Welle von Vermutungen losgetreten, die überragende Gestalt der SG, ihr Ehrenpräsident Daisaku Ikeda2, wolle die Macht im Staat an sich reißen. Die Kōmeitō ist in unterschiedlichen Formen und unter wechselnden Namen bis heute in Koalitionen verblieben und inzwischen nicht mehr als ein Steigbügelhalter der unverändert dominanten politischen Klasse der LDP. Kritik an der SG steht auch in der Tradition von schlechter Presse für Nichiren, den Mönch aus dem 13. Jahrhundert, der sich von der Tendai-Schule trennte, um eine eigene, strenger am Lotos-Sutra orientierte Schule zu gründen.

Nichiren-Buddhismus

Zunächst ist ein Blick auf den Nichiren-Buddhismus als religionsgeschichtlicher Hintergrund der SG erforderlich. Der japanische Mönch Nichiren (1222 – 1282)3 durchlief eine traditionelle Ausbildung im Zentrum des Tendai-Buddhismus bei Kyoto auf dem Hiezan und wurde mit dem Studium und der Verehrung des Lotos-Sutra4 vertraut gemacht, einer der wichtigsten Schriften des Mahayana-Buddhismus, abgeschlossen wahrscheinlich gegen Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. Eine der zentralen Einsichten des Lotos-Sutra ist, dass jeder Mensch Buddha-Natur besitzt, die nur entfaltet werden muss. Nichiren hatte den Eindruck, dass die Betonung des Sutra, die er ohnehin bereits in der Tendai-Schule vorfand, noch einmal besonders symbolisch gestützt werden müsse. Als Symbol benutzte er die Titelzeile des Sutra, in sinojapanischer Lesung namu myōhō renge kyō, und erhob sie zur mantrischen Formel, in der sich die gesamte Weisheit des Sutra und des Buddhismus ausdrücke. Die mantrische Anbetung, im Jargon daimoku genannt, ist zum Markenzeichen der Nichiren-Schule und ihrer Verzweigungen geworden.

Nichiren jedoch kämpfte an zwei weiteren Fronten: Er versuchte den Einfluss des Buddhismus des Reinen Landes zurückzudrängen, der alle staatliche Zuwendung absorbierte, und er stand für eine sozialethische Komponente des Buddhismus und prangerte ungerechte Zustände im Land an. Die anstehenden Mongolenstürme auf Japan (1274 und 1281) interpretierte er als Strafe für das Verhalten der japanischen Fürsten, während seine Gegner das Scheitern der Mongolenangriffe im Gegenteil als Widerlegung der Behauptungen Nichirens betrachteten. Aufgrund von Hochverrat wurde Nichiren zum Tode verurteilt, im letzten Augenblick verschont und auf die Insel Sado exiliert. Dort entstand u. a. sein berühmtes kalligrafisches Mandala, in dessen Zentrum die Titelzeile des Lotos-Sutra steht, gerahmt u. a. von shintoistischen Götternamen. Es wird heute in der SG als kultischer Gegenstand benutzt.

Die Nichiren-Tradition ist heute präsent in den großen traditionellen Schulen der Nichiren-Schule (Nichiren Shū) und der Wahren Nichiren-Schule (Nichiren Shōshū) und in einigen kleineren Abspaltungen sowie in der großen Laiengemeinschaft Sōka Gakkai und der deutlich kleineren Risshōkōseikai. Die SG war von ca. 1951/1952 bis 1991 mit der Nichiren Shōshū als deren Laienorganisation verbunden, welche auch die Ausgabe des Mandala Gohonzon autorisierte, agiert jedoch heute unabhängig von ihr und kann auch nicht mehr als ein Teil des Nichiren-Shōshū-Buddhismus betrachtet werden.

Zur Geschichte der Sōka Gakkai

Da allein die Größe und Wirtschaftsmacht der SG heute zu einem Feindbildsyndrom in der japanischen Presse und der allgemeinen Öffentlichkeit zu führen scheinen, ist eine sehr genaue Wahrnehmung dessen erforderlich, was es tatsächlich mit dieser Organisation auf sich hat.

Dazu zunächst ein kurzer Blick in ihre Geschichte: Ihr Gründer Tsunesaburō Makiguchi5 wurde 1871 in der Familie Watanabe unter dem Namen Chohichi Watanabe geboren, in dörfliche Verhältnisse hinein, und erhielt später aufgrund einer Adoption nach dem spezifisch japanischen Yōshi-System den Familiennamen Makiguchi. Er wurde Pädagoge und war Lehrer, bevor er sich ganz der pädagogischen Forschung widmete. Mit 32 Jahren, also 1903, veröffentlichte Makiguchi ein Buch mit dem Titel „Jinsei Chirigaku“ (Lebensgeografie), das weithin beachtet wurde. Makiguchi wurde in Fachgremien berufen und arbeitete nun mit bedeutenden Pädagogen des Landes wie Kunio Yanagida und Inazō Nitobe zusammen. Er verfasste Schulbücher für den Geografieunterricht und wurde Mitglied der nationalen Schulbuchkommission. 1928 wurde er dazu bewogen, Mitglied der Nichiren Shōshū zu werden. Makiguchis Familie und er selbst hatten sich bis dahin an der weitaus größeren Nichiren Shū orientiert, und auch christliche Einflüsse in seinem Denken sind zu bemerken.

Seit 1930 veröffentlichte er in mehreren Bänden ein Werk, das sowohl von seinen Inhalten als auch vom Titel her Grundlage für die neu zu gründende Bewegung wurde: „Sōka Kyōiku Gaku Taikei“ (Erziehungslehre auf der Grundlage der Schaffung von Werten). Das Jahr 1930 wird aus diesem Anlass offiziell in der SG als Gründungsjahr betrachtet, tatsächlich jedoch wurde 1937 in einem Restaurant in Azabu, einem gehobenen Viertel Tokyos, von 60 Gründungsmitgliedern die Sōka Kyōiku Gakkai (SKG) als regelrechte Vereinigung ins Leben gerufen, die „Gesellschaft für Erziehung und Schaffung von Werten“, und Makiguchi zu ihrem ersten Präsidenten gewählt.

Die Zeiten jedoch waren schlecht für buddhistisch orientierte Gemeinschaften: Die Regierung stand bereits in der Planung des Angriffs auf die US-Marinebasis in Pearl Harbor, und der Druck der Überwachungsorgane des Staates auf religiöse Organisationen wurde größer. 1942 wurde befohlen, dass shintoistische Amulette, ofuda, an Hauseingänge gehängt werden sollten, um Übel von den betreffenden Häusern abzuwenden. Auch an den Eingang des Hauptquartiers der SKG sollte ein Amulett gehängt werden, was aber die Führung unter Makiguchi und seinem engsten Vertrauten Jōsei Toda verweigerte. Sie gerieten unter verschärfte Bewachung, und am 6. Juli 1943 wurden 22 Führer der SKG unter der Anklage der Gefährdung der Staatssicherheit und der Blasphemie festgenommen und ins Gefängnis von Sugamo (Tokyo) eingeliefert; im November 1944 starb Makiguchi in der Haft an Unterernährung. Daraufhin legten bis auf Toda und Yajima alle weiteren Mitinhaftierten ihre Mitgliedschaft in der SKG nieder und wurden aus der Haft entlassen. Makiguchi hatte täglich 2000-mal das Daimoku (die Titelzeile des Lotos-Sutra) rezitiert: Namu Myōhō Renge Kyō. Er hatte in der Haft erfahren, dass sein einziger bis dahin noch lebender Sohn im Krieg gefallen war.

Makiguchis pädagogisches Denken

Das pädagogische Denken Makiguchis ist im Wesentlichen bereits in seinem Buch „Jinsei Chirigaku“ von 1903 angelegt und wurde von 1929 bis 1933 in seiner großen Buchreihe breiter entfaltet. Seit Mitte der 1930er Jahre lassen sich auch Einflüsse der Nichiren Shōshū nachweisen. Neben der Geografie war es die pragmatische Schule der Pädagogik, insbesondere John Dewey. Ein dritter wichtiger Einfluss stammte aus der modernen Soziologie und Anthropologie, insbesondere aus den Werken von Lester Ward.6

Makiguchi stellte das Stichwort „Kulturerziehung“ in den Mittelpunkt. Im Unterschied zu den drei traditionellen platonischen Werten Wahrheit, Güte und Schönheit geht er von dem japanischen Begriff ri (Vorteil, Gunst, Gewinn) anstelle von Wahrheit aus und stellt Wahrheit und Wert (ka) einander gegenüber. Wahrheit mache Aussagen darüber, was sei, Wert sei ein Beziehungsbegriff (Subjekt – Objekt), Wahrheit mache epistemologische Feststellungen, Wert beziehe das Objekt auf den Menschen. Wahrheit ist ein statischer Begriff und kann nicht geschaffen werden, im Unterschied zum Wert.

Makiguchi fordert eine induktive, erfahrungsbezogene und pragmatische pädagogische Methode. Ziel der Erziehung müsse die werteschaffende Persönlichkeit sein. Es gehe nicht darum, die Kinder mit Wissen zu füllen, sondern ihre Kompetenzen des Eigenstudiums und eigenen Denkens zu fördern. Ein Problem sah er in der mangelnden Fortbildung der Lehrer. Während er Kulturerziehung (bunka kyōiku) als übergreifendes Ziel herausstellt, sei gemeinschaftsbezogenes Studieren (kyōdōka) die zentrale Methode. Hier denkt Makiguchi im Referenzrahmen der japanischen Gemeinwesen, die seinerzeit nicht als unstrukturierte Nachbarschaftswohngebiete, sondern als Gemeinwesen mit einem Shinto-Schrein als Organisationszentrum mit klar definierten Aufgaben verfasst und organisiert waren (und es an einigen Orten bis heute sind). Lernstoffe sollten in ihrer Bezogenheit auf das familiäre und kommunale Leben der Menschen sowie das Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen in einem Gemeinwesen etc. kennengelernt werden.7 Die unmittelbare Lebenswelt sollte auch als Konkretion für abstrakte Lernfelder wie Mathematik benutzt werden. Lehrer sollten Beobachter und Begleiter des Erfahrungs- und Lernprozesses der Schüler sein.

Makiguchi plädierte für eine Reduzierung der täglichen Schulzeit auf halbe Tage (im Unterschied zum in Japan üblichen Ganztagsschulsystem), um Kindern mehr Gelegenheit für außerschulische Aktivitäten zu geben, die Schule besser in das allgemeine Gemeinschaftsleben zu integrieren und schließlich Kosten zu sparen, indem einige Klassen morgens und andere nachmittags in denselben Räumen unterrichtet werden könnten.

Makiguchis Ideen stellten im Wesentlichen eine Anwendung der pädagogischen Philosophie John Deweys auf das japanische Erziehungssystem dar, erhielten aber nie die Rezeption, die Dewey bis in die 1920er Jahre hinein zuteilwurde. Aus sprachlichen Gründen blieb er im Ausland fast unbekannt, zumal er in der Regel als Gründer einer neuen religiösen Bewegung und erst zweitrangig als Pädagoge zur Kenntnis genommen wurde.

Es ist aber auch für das Verständnis gegenwärtiger Entwicklungen und der Errichtung von SG-Universitäten wichtig, wahrzunehmen, dass die SG als pädagogische bzw. pädagogisch-sozialkritische Bewegung begonnen hat.

Jōsei Toda

Jōsei Toda wurde am 3. Juli 1945, gesundheitlich stark geschwächt, als letzter SKG-Funktionär auf Bewährung aus der Haft entlassen. Während Makiguchi der Typ des Grüblers und Denkers war, war Toda ein weltläufiger Geschäftsmann, der zwar auch vorübergehend Lehrer gewesen war, aber den größeren Teil seines Lebens mit wirtschaftlichen Aktivitäten zugebracht hatte. Eine verstärkte Wendung zu einer tiefen Religiosität erlebte er im Gefängnis nach dem Tod Makiguchis. Toda führte einige Zeit die Geschäfte der SKG als Generaldirektor weiter. In dieser Zeit der Neukonstituierung und erneuten Mitgliederanwerbung strich er das Wörtchen kyōiku (Erziehung) aus dem Namen, der Schwerpunkt der Bewegung verlagerte sich vom Lotos-Sutra zur Gestalt Nichiren.8

Toda sprach besonders junge Menschen an und bot politisch ein gemäßigt-linksorientiertes Profil, das eine Alternative zur Kommunistischen Partei darstellen sollte. Die gleichzeitige Nähe und Rivalität der SG bzw. der Kōmeitō zur Kommunistischen Partei hat sich bis in die Gegenwart durchgezogen. Es wird gemutmaßt, dass auch der BBC-Film „Ringing Millions“ („Klingende Millionen“, ein polemisch-kritischer Blick auf Daisaku Ikeda, den Präsidenten des internationalen Zweigs der SG) in diesem Zusammenhang steht. Die Mitgliederzahl der SG schwoll von 5728 Haushalten 1951 bis zu 765 000 Haushalten 1957 an. Zweigstellen, Jugend- und Frauenaktivitäten, eine Monatszeitschrift und ein Netz, das das ganze Land einbezog, konsolidierten die SG bis zum Jahre 1951, sodass Toda sich nun endgültig aus seinen bisherigen Geschäften zurückzog und regelrecht zum zweiten Präsidenten wählen ließ.

Unter ihm fand eine deutliche Hierarchisierung und Effektivierung der inneren Strukturen statt. Dazu gehörten u. a. Fortbildungskurse, die seitdem zur Voraussetzung des SG-internen Aufstiegs wurden. Am 18.11.1951 wurde das Handbuch „Shakubuku Kyōten“ veröffentlicht.9 Es enthält die Lebenslehre (seimeiron) Todas, die Wertelehre (kachiron) Makiguchis, eine Darstellung der Lehren Nichirens und einen großen zweiten Teil, der auf die Praxis eingeht: Hier wird erläutert, wie auf Menschen unterschiedlicher Glaubensüberzeugungen eingegangen werden kann; im letzten Kapitel wird erklärt, wie sie jeweils am leichtesten von der Falschheit ihres Glaubens oder ihrer Glaubensgegnerschaft überzeugt werden können. Die Militanz der Methodik kann schon im Titel des Buchs gefunden werden: shakubuku heißt in der säkularen Lesung seppuku, „Unwilliges/den Feind brechen/unterwerfen“, in der im Buddhismus üblichen Lesung shakubuku jedoch „jemanden von der Lehre des Buddha überzeugen“. Kritiker der SG beriefen sich gerne auf die säkulare Bedeutung, die auch dem direkten Sinn der Schriftzeichen näherkommt.10 Die allgemeine Öffentlichkeit wurde durch Aktivitäten einer Osakaer Tageszeitung in den 1950er Jahren auf den vermeintlich skandalösen Charakter des Buchs aufmerksam.

Toda starb 1958, und nach einer Vakanz von zwei Jahren wurde der junge Daisaku Ikeda 1960 im Alter von 32 Jahren zum dritten Präsidenten gewählt. Unter seiner Präsidentschaft wurden bis zur letzten Auflage von 1968 radikale Überarbeitungen des „Shakubuku“ in die Wege geleitet,11 bis es in das Archiv der SG verbannt und 1980 durch das völlig anders angelegte Buch „Sōka Gakkai Nyūmon“ (Einführung in die SG) ersetzt wurde. Heute ist auch dieses Handbuch, das nicht mehr den Stellenwert des „Shakubuku“ hatte, überholt; es wird flankiert durch eine komplexe Lehrdiskussion der SG auf unterschiedlichen Ebenen, die u. a. zu dem Buch „Kyōgaku no kiso – bukkyō rikai no tame ni“ (Grundlagen der Lehre – zum Verständnis des Buddhismus, Januar 2002) geführt hat. Im Juni 2015 erschien in Nachfolge des „Sōka Gakkai Nyūmon“ das Buch „Kyōgaku Nyūmon“ (Einführung in die Lehre).12 Für Mitglieder von Auslandsgruppen der Sōka Gakkai International ist diese Diskussion von wenig Belang. Für sie existieren in den jeweiligen Landessprachen Einführungen in das Denken der SG bzw. den Buddhismus Nichirens, wie er von der SG rezipiert wird, in ihre jeweilige Ländersituation hinein. Im deutsch- und englischsprachigen Raum weithin gebräuchlich ist das Buch „Der Buddha des Alltags“ des verstorbenen britischen SGI-UK-Vorsitzenden Richard Causton.

Daisaku Ikeda

Daisaku Ikeda13 wurde 1928 als Sohn einer armen Bauernfamilie geboren, die sich durch das Ernten von Seetang ernährte. Seine erste Begegnung mit der SKG erfolgte kurz nach dem Krieg: Im August 1947 lernte er Toda anlässlich einer Versammlung kennen, in der es um das Thema „Lebensphilosophie“ ging, und war von ihm zutiefst beeindruckt. Toda gründete einen SKG-eigenen Verlag, in dem Ikeda ab 1949 arbeitete. Ikeda wurde Leiter der Jugendabteilung sowie des Planungsbüros Todas, sodass es sich 1958, als Toda starb, anbot, Ikeda zu seinem Nachfolger zu machen. Als Präsident installiert wurde er allerdings erst 1960. Er erhielt zunächst das neugeschaffene Amt des Generalsekretärs (das bis heute existiert) in Kombination mit der Leitung des Präsidentenbüros und übernahm faktisch sämtliche Leitungsbefugnisse, bis dies 1960 in einer Zeremonie vor 20 000 Mitgliedern auch formal bestätigt wurde.

Neben einer Konsolidierung und weiteren Ausbreitung der SG strebte Ikeda in internationale Bereiche und setzte sich u. a., auch mittels einer Chinareise, für eine Normalisierung der Beziehungen Japans zu China ein. Schon bald nach seinem Amtsantritt machte er in schneller Folge weite Auslandsreisen (USA, Südostasien, Europa, Mittlerer und Naher Osten), förderte das Entstehen von SG-Gruppen im Ausland (damals noch Nichiren Shōshū – Sōka Gakkai) und gründete 1975 die Sōka Gakkai International mit Hauptsitz in Tokyo. Er selbst wurde Präsident der SGI und trat 1979 auch auf Druck der Nichiren Shōshū von der Präsidentschaft der japanischen SG zurück. Unter seinen Nachfolgern Hiroshi Hōjō (1979 – 1981), Einosuke Akiya (1981 – 2006) und seit 2006 Minoru Harada wurde das Amt auf eine reine Geschäftsführungsfunktion reduziert, während nach wie vor Ikeda als SG-Ehrenpräsident die unangefochtene charismatische Führungspersönlichkeit ist. Die größte SGI-Gruppe befindet sich in den USA mit mehr als 300 000 Mitgliedern.

1963 entstand die Min-On-Konzert-Vereinigung, deren Aufgabe darin besteht, Musik aus dem Ausland, insbesondere aus Asien und Afrika, in Japan bekannt zu machen. 1971 wurde die Sōka-Universität in Hachiōji im Westen von Tokyo gegründet und 30 Jahre später eine SG-Universität in den USA. Auf dem Campus der Sōka-Universität ist das Institut für Orientalische Philosophie untergebracht, das faktisch eine Art Think Tank der SG darstellt. 1996 wurde das Toda-Institut in Tokyo eröffnet, ein weiteres SG-nahes Forschungsinstitut befindet sich in Boston. Ebenfalls von der SG errichtet wurde das Tokyo New Arts Museum. Zahlreiche kulturelle Aktivitäten – etwa eine Victor-Hugo-Ausstellung in der Villa Sachsen in Bingen am Rhein in Zusammenarbeit mit der Stadt Bingen, Ausstellungen von Kinderbildern zum Thema Frieden gemeinsam mit der UNICEF – sowie Tagungen, Podiumsdiskussionen und die jährlichen Peace Proposals Ikedas gehören in den derzeitigen Aktivitätsradius der SG und der SGI.

Philosophie

Im Mittelpunkt der Lehre der SG steht das Lotos-Sutra, deren Titelzeile namu myōhō renge kyō als Mantra rezitiert wird. Nach der Lehre des mittelalterlichen Mönchs Nichiren ist in dieser Zeile aus sieben Schriftzeichen die gesamte Lehre des Sutra und damit des Buddhismus überhaupt enthalten, ihre Rezitation hat zentrale spirituelle Bedeutung in der religiösen Praxis. In der spirituellen Verfassung der Gläubigen spielen die Zehn Welten, 1. Hölle, 2. Hunger, 3. Animalität, 4. Ärger, 5. Ruhe, 6. vorübergehende Freude, 7. Lernen, 8. Teilerleuchtung, 9. Bodhisattva und 10. Buddhaschaft, eine große Rolle, aber auch die gemeinsamen Grunddaten des Buddhismus wie die vier Stadien des Leidens (Leben, Alter, Krankheit und Tod) finden ihre Behandlung.

Zentral jedoch am Anfang der Lehre stehen Sinn (mokuteki) und Glück (kōfuku) des menschlichen Lebens: In der Auseinandersetzung mit traditionellem Buddhismus kritisiert die SG-Einführung die traditionelle anatta-Lehre (= Nicht-Ich-Lehre), die zu einer Entweltlichung und zu einem weltflüchtigen Missverständnis des Buddhismus geführt habe. Erst eine Kritik dieser Lehre könne den Buddhismus zu einer weltzugewandten Alltagsreligion machen, die mehr als Übergangsriten biete. Wie sich schon Nichiren in seiner Schrift „Risshōankokuron“14 scharf gegen den Buddhismus des Reinen Landes wandte, wird auch hier die Verheißung eines erlösten Eintretens in ein „westliches reines Land“ als jenseitige Ablenkung kritisiert, die nicht ernst nehme, dass Religion etwas mit dem Alltag zu tun haben müsse.

In ähnlicher Weise wird dem esoterischen Shingon-Buddhismus vorgeworfen, mit seinen Lehren gegen naturwissenschaftliche Einsichten zu verstoßen und „widerlogischen Aberglauben und Gebet zu erzwingen“.15 In Anlehnung an ein Zitat von Erich Fromm skizziert die SG die Notwendigkeit einer Religion, die „im Einklang mit den vernünftigen wissenschaftlichen Einsichten des Gegenwartsmenschen eine humanistische Lehre als Gemeinsamkeit aller großen Religionen in Ost und West bietet, die weniger ein lehrhafter Glaube wäre als vielmehr direkt auf das tatsächliche Leben bezogen“.16 Die ursprüngliche Lehre des Buddha Shakyamuni sei in der Gegenwart verblasst und habe ihre Kraft verloren, ein Phänomen, das der Buddha selbst mit der Lehre der drei Zeitalter angekündigt habe: Shōhō als die Zeit des wahren Dharma, Zōhō als die Zeit des abgebildeten, bereits verblassenden Dharma und Mappō als die Zeit des verblassten End-Dharma, in der wir uns jetzt und bereits seit Nichirens Zeiten befinden.

Mit Nichiren fand im 13. Jahrhundert die Neukonstituierung des Dharma statt, die heute durch die SG und ihre Konzentration auf das Lotos-Sutra repräsentiert wird.17 Von Nichiren seien drei „esoterische Gesetze“ überliefert: 1. das Honzon (meist Gohonzon), das Mandala, das Nichiren selbst geschaffen hat, 2. das Daimoku, das Mantra, das rezitiert wird, und 3. die Kaidan, die heilige Stätte, an der das Gohonzon eingeschreint ist und die als zentraler Ort auch für das Rezitieren des Daimoku dienen soll, jedoch die Möglichkeit gestattet, das Chanten vor Gohonzon-Kopien in den Haushalten der Mitglieder zu praktizieren.18 Als Kaidan diente seit 1972 die Große Halle am Taisekiji, dem zentralen Tempel der Nichiren Shōshū, in welcher das (angebliche) Gohonzon aufbewahrt wurde, und von hier aus erfolgte jeweils in einer feierlichen Zeremonie die Ausgabe eines neuen Gohonzon. Nach der Trennung der SG und der Nichiren Shōshū musste eine Neuregelung für die Gohonzon-Ausgabe konstruiert werden, zumal die Große Halle 1998 in einem vandalischen Akt durch die Nichiren Shōshū zerstört wurde.

Todas Philosophie des Lebens erhebt diesen Begriff seimei (Leben) zu einem kosmischen Grundbegriff. Er steht im Zusammenhang mit der gegenseitigen Bezogenheit allen Seins und liegt dem Entstehen allen Seins voraus. Er wird als Äquivalentbegriff zum Kosmos gedacht, entsteht aus sich selbst heraus nach eigendynamischen Regeln und ist auf keine Schöpfermacht oder sonstige andere Kraft angewiesen. Er ist der Fokus der Einheit von Leib, Seele und spiritueller Dimension und im Aspekt des „Flusses des Lebens“ zugleich als energetisches und kommunikatives Element dem Begriff des ki sehr nah.19

Zwei Arbeitskreise der SG, die Lehrabteilung (kyōgakubu), die direkt der SG-Geschäftsführung zugeordnet ist, und die „Lehrerklärungsabteilung“ (kyōgakukaisetsubu) der SG-Tageszeitung Seikyōshinbunsha, arbeiten regelmäßig an Weiterentwicklungen der Philosophie und greifen in laufende Diskurse, z. B. zur Medizinethik,20 ein.

Praxis

Im Zentrum der Praxis der SG, auch der ausländischen Gruppen der SGI, steht das Gongyō, die Rezitation von Auszügen aus dem 12. und 16. Kapitel des Lotos-Sutra sowie das „Chanten“ des Daimoku. Dies geschieht vor dem Gohonzon, dem von Nichiren erstellten Mandala, einer kalligrafischen Niederschrift der Titelzeile des Lotos-Sutra sowie einiger Namen von Bodhisattvas und Shintō-Gottheiten, entweder allein oder in Gemeinschaft mit anderen. Eine wichtige Aktivität ist die monatliche Versammlung, in Japan Zadankai genannt, deren Programm meist eine kurze Dharma-Predigt etwa über einen Text von Nichiren, katechetische Einlagen für Kinder/Jugendliche, persönliche Berichte über Glaubenswege einzelner Mitglieder und Gongyō/Daimoku-Chanten vorsieht. In Auslandsgruppen reduziert sich das Programm zumeist auf Daimoku und ein freies Gespräch über ein verabredetes Thema aus dem Umkreis der SG-Lehre, das auch für einzelne Mitglieder einen therapeutischen Beratungscharakter bekommen kann. Weitere regelmäßige Gruppenaktivitäten sind im Programm der SG vorgesehen.

Im Sinne der programmatischen Bezogenheit der SG auf das gesellschaftliche Leben war es eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung, dass 1964 die politische Partei Kōmeitō gegründet wurde. Bereits 1955 waren erstmalig unabhängige Abgeordnete mit SG-Unterstützung in beide Häuser des Parlaments gewählt worden.21 Im Dezember 1994 löste sich die Kōmeitō offiziell auf und ging mit in die New Frontier Party ein, die Abgeordnete aus allen damaligen Oppositionsparteien außer der KP vereinigte. 1997 löste sich diese Partei aufgrund ihrer allzu großen Heterogenität wieder auf, und es formierte sich die Kōmei-Partei, die die meisten ehemaligen Kōmeitō-Abgeordneten aufnahm. Im November 1998 schließlich schloss diese sich mit der New Peace Party (Shinheiwatō) zur New Kōmeitō (Shinkōmeitō) zusammen und nahm im Juli 1999 das Angebot von Premierminister Obuchi an, mit der LDP und der Liberalen Partei (Jiyūtō) gemeinsam die Regierung zu bilden. Diese Konstellation besteht in geringfügig wechselnden Verbindungen und mit unterschiedlichen Ministerpräsidenten bis heute.

Es hatte sich von Anfang an eine Rivalität gegenüber der Kommunistischen Partei entwickelt, heute jedoch ist die Kōmeitō mit ihren Optionen eher im bürgerlich-liberalen Lager mit einem gewissen pazifistischen Profil anzusiedeln. SG-Kritiker argwöhnen, dass in der SG-Kōmeitō-Beziehung die von der Nachkriegsverfassung festgelegte Trennung von Religion und Staat verletzt werde. Diese Kritik verstummte auch nicht, als 1970 beschlossen wurde, kein Funktionär der einen Organisation dürfe zugleich Funktionär in der anderen sein, und als die Kōmeitō in eine Koalitionsregierung mit der LDP eintrat, wurden wieder Mutmaßungen einer „Machtergreifung Ikedas“ geschürt. Tatsache ist, dass die Trennung von der Nichiren Shōshū, die nach außen hin als Exkommunikation der SG durch die Nichiren Shōshū dargestellt wurde, eigentlich aus politischen Gründen erfolgte.22

Empirische Untersuchungen haben ergeben, dass zwar ein deutlich höherer Prozentsatz der SG-Mitglieder die Kōmeitō wählt als aus der japanischen Gesamtgesellschaft, die Partei aber auch zahlreiche Wähler unter Nicht-SG-Migliedern

hat. SG-Mitglieder weisen überdurchschnittlich hohe Tendenzen zu ökologischen und pazifistischen Optionen auf (die nicht alle von der Kōmeitō abgedeckt werden),23 jedenfalls kann nicht von der SG als mehr oder weniger einheitlichem Wählerblock für die Kōmeitō gesprochen werden.24 Im Gegenteil hat es in der Zeit seit dem Regierungseintritt der Kōmeitō verschärfte Kritik seitens der SG am Rechtsruck der Partei gegeben, zum Beispiel am Mittragen der Entscheidungen von Truppenentsendungen und am Aufgeben des Protestes gegen den Versuch der LDP und sonstiger rechtsgerichteter Kreise, den „Friedensparagraphen“ 9 (Verzicht auf Krieg und das Aufbauen und Unterhalten von Streitkräften) der japanischen Verfassung abzuschaffen.

Trotz der insgesamt distanzierten Haltung der SG-Mitglieder zur Kōmeitō ist es nach wie vor üblich, dass die SG offiziell die Bewegungen und Programme der Partei billigt. Sybille Höhe attestiert allerdings nach gründlichen Studien der Beziehung der beiden Organisationen: „Die Neue Kōmeitō ist …, trotz ihrer Verbindungen zur Sōka Gakkai, de facto als autonome Organisation einzuschätzen, welche vorrangig ihren eigenen politischen Tagesgeschäften nachgeht. Sie ist mithin eine stark von nichtreligiösen Zielen geleitete politische Organisation, deren Hauptinteresse dem Erhalt ihrer Sitze im Unterhaus und der Wahrung respektive Wiedererlangung ihres Einflusses auf die japanische Gesetzgebung gilt.“25

In der SG-kritischen Literatur wird, sofern sie nicht einfach nur Skandalklischees aus der Boulevard-Presse reproduziert, gerne der Unterschied zum Theravada-Buddhismus moniert. Alain Bertallo sieht den Buddhismus in einem Text von 1994 „auf den Kopf gestellt“ und bezieht sich auf deutschsprachige Literatur aus den 1960er Jahren (Kohler, Dumoulin).26 Mithilfe der ausgesprochen drastischen Fehldeutung eines Makiguchi-Zitats, das Bertallo selbst nur sekundär, bei Werner Kohler, vorfindet, meint er behaupten zu können: „So kann selbst Morden, ist der betreffende Mensch ein ‚Feind des Lotus-Sutra’ als Guttat angesehen werden.“27 Der Originaltext Makiguchis versucht anhand eines Nichiren-Zitats die Relationalität der Wahrheit zu erläutern und tut dies in der Tat mit einem für religiös-ethische Argumentationsverhältnisse sehr deftigen hypothetischen Beispiel.28 Bertallo betrachtet es als unbuddhistisch, dass die 1964 von der SG gegründete politische Partei Kōmeitō als Teil ihres Wahlprogramms Wohlstand und irdisches Glück verspricht.

Weitere Themen der (japanischen) SG-Kritik waren der machthungrige Ikeda, dem bald ganz Japan gehören werde, eine angeblich von der SG unterwanderte Tokyoter Staatsanwaltschaft, die verhindere, dass Verbrechen der SG zur Anklage gebracht werden, sowie der Vorwurf des politisch-religiösen Fundamentalismus und Nationalismus.29 Seit 1999, mit dem Eintritt der Kōmeitō in eine Koalitionsregierung, schien die ansonsten skandalgeschüttelte Liberaldemokratische Partei für einige Zeit im Windschatten der Tatsache zu segeln, dass die investigative Presse sich auf die Kōmeitō bzw. ihren angeblich starken Mann Ikeda konzentrierte.

Tatsächlich ist der Personenkult der SG um Ikeda ein Problem, das sich in zahlreichen Phänomenen niederschlägt: u. a. in einer Dokumentation der inzwischen mehr als 350 Ehrendoktortitel Ikedas auf dem Campus der Sōka-Universität in Hachiōji (Tokyo), in dem vor wenigen Jahren neu errichteten Sōka Bunka Kaikan (Sōka Kultur-Zentrum), der fast ausschließlich Person und Werk Ikedas gewidmet ist, z. B. seiner Aktivität als Hobby-Fotograf, in der Dauerpräsenz von Texten (angeblich) aus seiner Feder in den Presseorganen der SG und SGI. Diese Verehrung des SG-Ehrenpräsidenten bzw. SGI-Präsidenten ist verbunden mit der Schüler(innen)schaft gegenüber Ikeda, der sich jedes Mitglied widmet. Buchreihen wie die unter seinem Namen erschienenen „Ningen Kakumei“ (Die menschliche Revolution) oder „Shin Ningen Kakumei“ (Die neue menschliche Revolution), die die Geschichte der SG erzählen, haben hohen Rang unter den Mitgliedern über eine Geschichtschronik hinaus.

2002 wurden einige weitreichende Beschlüsse gefasst: Neben dem Prinzip der Bindung von Schüler und Mentor wurden die drei ersten Präsidenten Makiguchi, Toda und Ikeda als die Sandai Kaichō (drei Generationen von Präsidenten) quasi „kanonisiert“ und die gegenwärtige Präsidentschaft (Minoru Harada, seit 2006) als rein administrativ eingestuft. So wurde bereits präfiguriert, dass es nach Ikeda keine charismatische Führung mehr geben werde, und damit das Problem einmal mehr verschärft, was aus der SG und der SGI nach Ikeda werden wird.30

Seitdem eine Pilgerreise zum Taisekiji, dem Zentrum der Nichiren Shōshū, nicht mehr möglich ist, ist es üblich geworden, zu markanten Orten des Lebens von Ikeda zu „pilgern“, z. B. zur SG-Zentrale in Shinanomachi (Tokyo), zur Sōka-Universität in Hachiōji oder zum Tokyo Fuji Art Museum.

McLaughlin merkt an, dass die SG im Bereich der gegenwärtigen religiösen Bewegungen in Japan den traurigen Rekord der längsten und nachhaltigsten schlechten Reputation in der öffentlichen Meinung in Japan halte. Dies führe auch dazu, dass viele Mitglieder, die ein normales Leben im Mainstream der Gesellschaft führen, Diskriminierungen und Stigmatisierungen ausgesetzt seien.31

Die SGI Deutschland

Die SGI-Gruppe in Deutschland hat derzeit insgesamt ca. 5000 bis 7000 Mitglieder und ist im Wachsen begriffen, ihre Aktivitäten haben sich insbesondere seit dem Ankauf und Ausbau der Villa Sachsen in Bingen am Rhein (einem ehemaligen Weingut), jetzt „Kulturzentrum Villa Sachsen“ (Eröffnung 1997), stark auf Friedens- und Kulturarbeit konzentriert. Diese Arbeit konnte verstärkt werden seit der Eröffnung des neu gebauten „Frankfurt Ikeda Peace Culture Centre“ in Mörfelden-Walldorf am 10.10.2015. Das Veranstaltungsprogramm der beiden Zentren umfasst Konzerte, Vorträge zu kulturellen, ökologischen und friedenspolitischen Themen sowie die regelmäßige Öffnung der Villa Sachsen für die Öffentlichkeit am Tag des offenen Denkmals (jeweils 2. Sonntag im September). Eine der wichtigsten wissenschaftlichen Aktivitäten der SG ist seit vielen Jahren die Forschung am Lotos-Sutra und die Erschließung seines Sanskrit-Urtextes32 sowie die Arbeit am Werk von Nichiren, das 2014 in deutscher Übersetzung herausgegeben wurde. Die lokalen Aktivitäten in den Städten werden im Prinzip entlang der Struktur veranstaltet, die auch in Japan beherzigt wird: Im Zentrum stehen die Monatsversammlungen (in Japan: Zadankai), die jeweils in den Wohnungen der Mitglieder stattfinden.33

Auf regionaler bzw. lokaler Ebene erfreuen sich die SGI-Gruppen guter Kooperationsbeziehungen zu anderen buddhistischen und andersreligiösen Gruppen, eine Mitgliedschaft in der Deutschen Buddhistischen Union allerdings wird zur Zeit nicht angestrebt und erscheint auch angesichts der Stimmungslage auf beiden Seiten derzeit nicht möglich.


Ulrich Dehn


Anmerkungen

  1. Die Zählung von Mitgliedern erfolgt über die Zahl der verteilten Gohonzon, es kann also letztlich nur geschätzt werden, wie viele Menschen in einem Haushalt sich hinter der angegebenen Zahl verbergen. Zur Zahl vgl. Levi McLaughlin, Sōka Gakkai, in: World Religions & Spirituality Project (WRSP), www.wrs.vcu.edu/profiles/SokaGakkai.htm, 2013 (Abruf: 2.5.2016).
  2. Japanische Namen schreibe ich in der „westlichen“ Reihenfolge: Vorname – Familienname.
  3. Vgl. Margareta von Borsig, Leben aus der Lotos-Blüte. Nichiren Shonin: Zeuge Buddhas, Kämpfer für das Lotos-Gesetz, Prophet der Gegenwart, Freiburg i. Br. 1976; Yukio Matsudo, Nichiren, der Ausübende des Lotos-Sutra, Norderstedt 2004.
  4. Lotos-Sutra. Das große Erleuchtungsbuch des Buddhismus, vollständige Übersetzung von Margareta von Borsig, Freiburg i. Br. 32004; Das Lotos-Sutra, übersetzt von Max Deeg, Darmstadt 2007.
  5. Vgl. zur Biografie Makiguchis insbesondere Werner Kohler, Die Lotus-Lehre und die modernen Religionen in Japan, Zürich 1962, 203ff, sowie Heinrich Dumoulin, Politischer Buddhismus: Sōka gakkai, in: ders. (Hg.), Buddhismus der Gegenwart, Freiburg i. Br. 1970, 166-187, bes. 167f; Dayle M. Bethel, Makiguchi the Value Creator, New York/Tokyo 1973.
  6. Vgl. ebd., 42-45. Die weitere Darstellung des Erziehungskonzepts Makiguchis stützt sich weitgehend auf das 3. Kapitel „Value-Creating Pedagogy“ des Buchs (47-87). Bethel gibt insbesondere die Makiguchi-Werke „Jinsei Chrigaku“, „Kachiron“ (Philosophie des Wertes) und „Sōka Kyōikugaku Taikei“ wieder, von denen nur „Kachiron“ ins Englische übersetzt wurde (The Philosophy of Value, Tokyo 1964).
  7. Diese und viele weitere Konkretionskomplexe entwickelte Makiguchi Anfang der 1930er Jahre im Auftrag des Kultusministeriums als Begleitmaterial für Schulbücher (vgl. Bethel, Makiguchi, s. Fußnote 5, 64-74).
  8. Vgl. zur bisherigen Darstellung: Dumoulin, Politischer Buddhismus (s. Fußnote 5).
  9. Die in der deutschsprachigen Literatur ausführlichste Zusammenfassung des „Shakubuku Kyōten“, insbesondere seiner ersten Auflage, findet sich ebd., 177f.
  10. Das erste der beiden Zeichen heißt allgemein „brechen, umbiegen”, das zweite besteht aus den Zeichen von Mensch und Hund und verweist auf den Vorgang des Sich-Anlehnens, Zur-Seite-Legens.
  11. Auch in dieser Ausgabe werden in relativ feingliedriger Aufteilung die Zielgruppen der Mission unterteilt, sodass die Mitglieder sich mit unterschiedlichen Werbemethoden darauf einstellen konnten (Sōka Gakkai Kyōgakubu [Hg.], Shakubuku Kyōten, Tokyo 1968, 295-373). Dumoulin (s. Fußnote 5) erwähnt konkrete Vorgänge aus der Praxis des Shakubuku: SG-Gläubige gingen gemeinsam zu Hausbesuchen, um die im Handbuch präsentierten Argumentationshilfen anzuwenden und die Widerstände niederzuargumentieren. Menschen in Not wurde für den Fall der Verweigerung des Gohonzonglaubens noch größere Not angedroht. Woher Dumoulin diese Informationen bezog, gibt er leider nicht an.
  12. Sōka Gakkai Kyōgakubu, Kyōgaku Nyūmon (SG Abteilung für Lehrentwicklung [Hg.], Einführung in die Lehre), Tokyo 2015.
  13. Zu diesem Abschnitt wurden insbesondere die SG-Videofilme „Daisaku Ikeda – Up Close“ (1999) sowie „Heiwa no Shinseki he – Ningen Ikeda Daisaku“ benutzt; vgl. auch Sōka Gakkai Kyōgakubu (Hg.), Sōka Gakkai Nyūmon, Tokyo 2000, 28-40.
  14. Vgl. The Writings of Nichiren Daishonin, Tokyo 1999, 6-30.
  15. Sōka Gakkai Nyūmon (s. Fußnote 13), 53.
  16. Ebd., 56, Fromm-Zitat aus dem Japanischen übertragen (U. D.).
  17. Vgl. Buppō Taiwa no susume (Gespräch mit dem Buddha-Dharma), Tokyo 1999, 96-98. Dieses Buch scheint in der Gegenwart die Rolle einer populären Einführung in den Glauben der SG zu spielen.
  18. Vgl. Sōka Gakkai Nyūmon (s. Fußnote 13), 100f; Richard Causton, Der Buddha des Alltags. Einführung in den Buddhismus Nichiren Daishonins, o. O. 1998, 222ff.
  19. Vgl. ebd., 119-200; vgl. auch Sōka Gakkai Kyōgakubu (Hg.), Shakubuku Kyōten, Tokyo 1968, 3-57; Seikyōshinbunsha Kyōgakukaisetsubu (Hg.), Yasashii Seimeitetsugaku (Philosophie des Lebens leichtgemacht), Tokyo 1999 (22002).
  20. Vgl. zur Organtransplantation und zum Hirntod: Sei to shi wo meguru seimeirinri (Ethik des Lebens zum Thema Tod und Leben), hg. von SG-seimeirinrikenkyūkai/Tōyōtestugakukenkyūkai (SG Forschungsgruppe zur Ethik des Lebens/Institut für östliche Philosophie), Tokyo 1998; dies. (Hg.), Anrakushi – songenshi wo dō miru ka – bukkyō no tachiba kara (Euthanasie und Sterben in Würde aus buddhistischer Sicht), Tokyo 2001.
  21. Die grundsätzliche Position der SG hierzu wird zusammengefasst in dem Text „Soka Gakkai’s Political Stance in Japan“, Tokyo, 1.1.2000, sowie in einer Rede von SG-Präsident Einosuke Akiya, The Soka Gakkai and the Separation of Politics and Religion, 23.5.1994.
  22. Vgl. hierzu Jan Van Bragt, An Uneven Battle. Sōka Gakkai vs. Nichiren Shōshū, in: Bulletin of the Nanzan Institute for Religion and Culture 17 (1993), 15-31; Trevor Astley, A Matter of Principles. A Note on the Recent Conflict between Nichiren Shōshū and Sōka Gakkai, in: Japanese Religions 2/1992, 167-175; Daniel A. Métraux, The Dispute between the Sōka Gakkai and the Nichiren Shōshū Priesthood. A Lay Revolution against a Conservative Clergy, in: Japanese Journal of Religious Studies 4/1992, 325-336.
  23. Vgl. Robert Kisala, Prophets of Peace. Pacifism and Cultural Identity in Japan’s New Religions, Hawaii 1999, 73-94; Gespräch des Autors mit Kitano Yuichiro, Vizepräsident der SGI, 26.3.2000 in der SGI-Zentrale in Tokyo.
  24. Diese Vermutung eines Wählerblockverhaltens ist u. a. bei Peter Fischer zu finden: ders., Versuche einer Wiederbelebung von Staatsreligion im heutigen Japan unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungsgeschichte des Staats-Shintō, in: Peter Schalk (Hg.), Zwischen Säkularismus und Hierokratie. Studien zum Verhältnis von Religion und Staat in Süd- und Ostasien, Uppsala 2001, 209-247, bes. 210-213.
  25. Sybille Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan. Geschichte und zeitgeschichtliche Bedeutung von Sōka Gakkai, Kōmeitō und Neuer Kōmeitō, München 2011, 219f.
  26. Alain Bertallo, Soka Gakkai – die Umkehrung des ursprünglichen Buddhismus, o. O. 1994.
  27. Kommasetzung wie im Original.
  28. Kohler, Die Lotus-Lehre (s. Fußnote 5), 219. Makiguchi greift folgendes Nichiren-Zitat auf: „Der Himmel wird nie einen Mann aufnehmen, welcher seine Eltern tötete. Und doch kann eine solche Tat sich (aufs Ganze gesehen) zu einer Guttat auswirken, statt eine Übeltat zu sein, dann nämlich, wenn die Eltern Feinde der Lotus-Schrift sind.“ Über die Qualität des Beispiels aus dem 13. Jahrhundert für eine Argumentation im 20. Jahrhundert kann man unterschiedlicher Meinung sein.
  29. Vgl. u. a. Naoki Yamada, Sōka Gakkai to wa nanika? Nihon ha dō naru ka!?(Was ist die Sōka Gakkai? Was wird aus Japan!?), Tokyo 2004; Wajō Shichiri, Ikeda Daisaku – gensō no yabō(Ikeda Daisaku – der Ehrgeiz der Vision): shosetsu „ningen kakumei“ hihan (eine Kritik des Buchs „Die menschliche Revolution“), Tokyo 1994.
  30. Vgl. McLaughlin, Sōka Gakkai (s. Fußnote 1).
  31. Ebd.
  32. Die Neuübersetzung des Lotos-Sutra durch Max Deeg (2007) erfolgte in Kooperation und mit Unterstützung der SG.
  33. Zu den inneren Strukturen der SG und der SGI s. auch Yukio Matsudo, Das Vier-Schichten-Modell für die Einschätzung einer Glaubensgemeinschaft. Dargestellt am Beispiel der Soka Gakkai, in: MD 9/2015, 337-349; etwas irritierend ist, dass Matsudo hier sehr kritisch über die SG schreibt und Autoren, die sich neutral oder wohlwollend äußern, seinerseits kritisiert, nachdem er sich in seinem Buch „Nichiren, der Ausübende des Lotos-Sutra“ noch neutral bis wohlwollend über Nichiren und die SG geäußert hatte. Vgl. auch Levi McLaughlin, Sōka Gakkai in Japan, Dissertation, Princeton (NJ) 2009, und als bisher umfassendste deutschsprachige Arbeit über die SG: Höhe, Religion, Staat und Politik in Japan (s. Fußnote 25).