Säkularer Humanismus

Deutscher Humanistentag 2019

Vom 5. bis 8. September 2019 fand in Hamburg der von einer großen Zahl säkularer Organisationen getragene sechste Deutsche Humanistentag statt.1 Ein erster hatte bereits 2006 in Hamburg stattgefunden, der zweite wurde parallel zum Hamburger Deutschen Evangelischen Kirchentag 2013 durchgeführt; nachfolgende Humanistentage gab es in Regensburg (2014) und in Nürnberg (2107 und 2018).

Der diesjährige Humanistentag unter dem Motto „Humanisten für Menschenrechte und Toleranz“ stellte auf dem Einladungsflyer „Religionsfreiheit! Pressefreiheit! Humanistisches Leben!“ in den Mittelpunkt. Veranstalter war die Hamburger Stiftung „Geistesfreiheit“, die mit dem Koordinierungsrat säkularer Organisationen (KORSO), dem Säkularen Forum Hamburg und weiteren in Dachverbänden organisierten Mitgliedsvereinen kooperierte. Während der vier Hamburger Tage nahmen insgesamt rund 700 Besucherinnen und Besucher an den etwa 40 thematischen Veranstaltungen sowie am kulturellen Rahmenprogramm (Theateraufführungen, Science-Slam) teil. In einem schon zu Beginn des Treffens erhältlichen umfangreichen Tagungsband finden sich eine Fülle von kurzen Artikeln zu den in Hamburg diskutierten Themen, Rückblicke auf vorausgegangene Humanistentage sowie die Selbstvorstellung einer Reihe säkularer Organisationen.2

Als Sprecher des sechsten Humanistentages zog der Vorsitzende des Säkularen Forums Hamburg Konny G. Neumann sowohl im Blick darauf, dass ein breites Publikum angesprochen wurde, als auch hinsichtlich der thematischen Schwerpunkte ein positives Fazit: „Die Zusammenarbeit der säkularen Organisationen mit Wissenschaftlern und Politikern sowie Kulturschaffenden hat ein breites Publikum angesprochen und Ergebnisse gezeitigt, mit denen weitergearbeitet werden kann und muss …“3

Zu Vorträgen und Podiumsdiskussionen waren nicht nur bekannte Vertreter und Vertreterinnen der humanistischen und atheistischen Organisationen eingeladen, u. a. für die Giordano-Bruno-Stiftung Carsten Frerk, Ingrid Matthäus-Maier und der Vorstandssprecher Michael Schmidt-Salomon, als Mitglied des Humanistischen Verbandes Deutschlands (HVD) der Philosoph Joachim Kahl, aber auch der ehemalige Pastor Paul Schulz, dem vor 40 Jahren in einem Lehrbeanstandungsverfahren die Ordinationsrechte entzogen worden waren. Auch Vertreter der Kirchen (u. a. den hannoverschen Landesbischof Ralf Meister, den Leiter der Katholischen Arbeitsstelle für missionarisches Pastoral Hubertus Schönemann und den Bonner Sozialethiker Hartmut Kreß), aus dem Islam und dem Alevitentum hatten die Veranstalter zu Podien eingeladen, ebenso wie Mitglieder verschiedener Parteien.

Fünf größere Themenfelder ließen sich beim Hamburger Humanistentag ausmachen: Atheismus und die Perspektiven säkularer Gemeinschaften, Menschenrechte und Religionsfreiheit, Religionsunterricht und Werteunterricht, Sterbehilfe und das Selbstbestimmungsrecht beim Tod, Jugendweihe.

In den ersten beiden Themenbereichen spielten nicht nur die bekannten und auch durch die im Mai 2019 durchgeführte Buskampagne „Schlussmachen jetzt! – Kirchenstaat? Nein danke!“4 erhobenen Forderungen nach einer vermeintlich nicht konsequent vollzogenen Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften eine Rolle. Vielmehr wurde auch der Blick auf die Gefährdung der Menschenrechte für sich säkular verstehende Migranten aus dem arabischen Raum gerichtet. In diesem Zusammenhang wurde beschlossen, einen Verein zur säkularen Flüchtlingshilfe zu gründen, um Migranten zu begleiten und zu unterstützen.

Breiten Raum nahm auch die Diskussion um den Religionsunterricht ein, der grundsätzlich zugunsten eines Werteunterrichts bzw. eines Ethikunterrichts infrage gestellt wurde. Insbesondere das Hamburger Modell des „Religionsunterrichts für alle“, in dem sich gemischt-religiöse Klassen mit allen Weltreligionen auseinandersetzen, wurde aus zwei Gründen kritisiert: Zum einen werde hier nunmehr wieder eine kirchliche „vocatio“ (durch die Kirche erfolgende Berufung und Bestätigung der Befähigung, als Religionslehrerin oder Religionslehrer unterrichten zu dürfen) gefordert. Zum anderen sei angesichts der mehrheitlich nicht einer Religionsgemeinschaft angehörenden Hamburger Bevölkerung statt des „Religionsunterrichts für alle“ ein integrativer Werte- und Ethikunterricht zu präferieren.

Im Blick auf die Sterbehilfe wurde auf dem Humanistentag die Position vertreten, dass die gesetzlichen Bestimmungen sich nicht an den Interessen der Patienten, sondern an denen von Palliativ-Vereinigungen, Vertretern der Hospiz-Bewegung und der Kirchen orientieren würden.5

Intensiv wurde in mehreren Einzelveranstaltungen die gegenwärtige Praxis der Jugendweihe der unterschiedlichen Anbieter reflektiert und problematisiert. Die Jugendweiheverbände bemühen sich seit einiger Zeit um eine Standardisierung, um in allen Regionen ein vergleichbares Angebot vorhalten zu können; als einende Klammer der im Zeitumfang und in den Inhalten unterschiedlichen Angebote erscheint derzeit vor allem ein als Geschenk überreichtes Jugendweihe-Buch.6 Eine in jüngerer Zeit fast ausschließlich in den östlichen Bundesländern entstandene Herausforderung sind für die dortigen Jugendweiheverbände kommerzielle Konkurrenten, die eine „Jugendweihe light“ zu günstigeren Konditionen anbieten, ohne größere inhaltliche Vorbereitung und ohne die Möglichkeit des Besuchs von Jugendgruppen nach der Jugendweihefeier.

Nach meinem Eindruck besuchten überwiegend Funktionsträger und Mitglieder humanistischer bzw. atheistischer Organisationen den Hamburger Humanistentag. Sollte meine Beobachtung stimmen, hätte dieses mehrtägige Treffen vor allem den Charakter einer Selbstverständigung innerhalb der säkularen Szene über gemeinsame Themen, Inhalte und Strategien. Zwar stellte vor dem letztjährigen Nürnberger Humanistentag dessen Geschäftsführer Harmut Bauer fest, „dass Menschen, die keiner Religion anhängen und so eine humanistische Lebensauffassung haben, nicht dazu neigen, das in einer Vereinigung auszuleben wie in der Kirche“7. Allerdings bleibt zu fragen, ob der zuweilen auch explizit formulierte Anspruch säkularer Verbände, für die Gesamtheit der religiös bzw. kirchlich Nichtgebundenen zu sprechen, angesichts der überschaubaren Resonanz auf dezidiert säkular ausgerichtete Veranstaltungen wie Humanistentage oder die Buskampagne gerechtfertigt ist. Möglicherweise sind säkulare Organisationen auch deshalb so wenig in der Bevölkerung verankert, weil sie bis auf die Jugendweiheverbände, den HVD und die Deutschen Unitarier, die beide zu den traditionellen Wendepunkten des Lebens (Geburt, Adoleszenz, Eheschließung und Tod) Begleitung offerieren,8 keine Passagerituale anbieten und darum auf die auch bei religionsdistanzierten Menschen vorhandenen Grundbedürfnisse keine adäquate Antwort geben können. Zudem wurden auf dem diesjährigen Humanistentag anders als in Nürnberg 2017 die Sunday Assemblies weder thematisch noch im Rahmenprogramm aufgenommen. Diese Nichtberücksichtigung entspricht zwar der deutschen Situation – derzeit gibt es in Deutschland nur noch in München eine Sunday Assembly –, ist zugleich aber auch ein Hinweis auf die Distanz der säkularen Szene zu einer gemeinschaftlich gepflegten „Spiritualität der Immanenz“ (André Comte-Sponville).


Jörg Pegelow, Hamburg

Anmerkungen

  1. Der 2012 vom HVD veranstaltete „Humanistentag“ hatte den Charakter eines internen Symposiums für dessen Mitglieder. Vgl. www.humanismus.de/veranstaltungen/humanismus-forum/humanistentag-2012  (Abruf der Internetseiten: 5.11.2019).
  2. Freier Blick 2019. Deutscher Humanistentag Hamburg 2019. Humanisten für Menschenrechte und Toleranz, hg. von der Stiftung „Geistesfreiheit“, Hamburg 2019.
  3. https://hpd.de/artikel/deutscher-humanistentag-2019-zieht-positive-bilanz-17182 .
  4. Vgl. Hanna Fülling in MD 6/2019, 230f, und Jörg Pegelow in MD 11/2019, 404-407.
  5. Vgl. Konny G. Neumann in seiner Abschlussbilanz zum Humanistentag 2019, s. Fußnote 2.
  6. Jugendweihe – Wendepunkt. Weltanschauung. Werte. Das Buch zur humanistischen Jugendweihe, Berlin 2016.
  7. www.deutschlandfunkkultur.de/deutscher-humanistentag-ohne-konfession-aber-nicht-ohne.1278.de.html?dram:article_id=420490 
  8. Vgl. für den HVD: www.humanismus.de/feierkultur, für die Unitarier: https://www.unitarier.de/unitarier/was-wir-tun/feiern