Hannes Mertl (Hg.)

Der Kessel. Eine Zeitschrift für Naturverehrung, Vielgötterei, Magie und Hexenkunst

Hannes Mertl (Hg.), Der Kessel. Eine Zeitschrift für Naturverehrung, Vielgötterei, Magie und Hexenkunst, Ebenthal/Österreich, 80 Seiten je Ausgabe, 15,15 Euro.

Aus Österreich kommt der jüngste Versuch, eine Zeitschrift für die neuheidnische Community im deutschsprachigen Raum zu etablieren. Das Projekt mit dem Titel „Der Kessel. Eine Zeitschrift für Naturverehrung, Vielgötterei, Magie und Hexenkunst“ (www.kessel.vision) zeigt schon im Titel, dass man thematisch eine möglichst große Bandbreite abdecken möchte.

Der Herausgeber Hannes Mertl aus Ebenthal (Kärnten), Künstlername James Vermont, der sich wahlweise als Magier, Alpenschamane oder Hexe bezeichnet, konstatiert einen gewissen Unwillen der Heidenszene zur Kommunikation in neuen Medien. Er erklärt: „In Social Media wird es immer schwieriger, einen großen Personenkreis zu erreichen. Also wollten wir wieder etwas ‚Old School‘ werden und wie in den 80er Jahren eine Hexenzeitschrift machen … Wir wollen die Leute wieder ans Lesen bringen, ins Hier und Jetzt bringen und die ganzen metaphysischen Dinge wieder etwas erden, indem man sie auf Papier druckt und als Zeitschrift herausbringt“ (www.youtube.com/watch?v=MeCJEWSyD88).

Die ersten drei Hefte erschienen zwischen Januar und September 2016, das vierte im Juli 2017, die Auflage liegt konstant bei 300 Exemplaren, angesichts der überschaubaren Zahl deutschsprachiger Neuheiden nicht ganz unbeachtlich. Mit 80 großformatigen, grafisch aufwendig gestalteten Seiten und vielen künstlerisch anspruchsvollen Fotos ist das Projekt ambitioniert angelegt, was sich im Preis von 15,15 Euro pro Ausgabe niederschlägt. Alle Ausgaben haben thematische Schwerpunkte („Naturverehrung“, „Die anderen“, „Dornen“, „An den Toren der Zeit“), die im Heft allerdings eher poetisch-assoziativ aufgegriffen werden als eine stringente thematische Durcharbeitung aus verschiedenen Perspektiven zu erfahren. Regelmäßige Rubriken nennen sich „Poesie“, „Rituale“, „Kunst“, „Magie“, „Musik“ und sogar „Rezepte“ (vom „Helixier“ für Raum- und Aurareinigung bis hin zu Weihnachtsplätzchen). Unter „Humor“ findet sich gar eine „Enzyklopädie der esoterischen Thierwelt“ – dabei ist Selbstironie im Neuheidentum eine eher seltene Tugend. Ausdrücklich beansprucht man, bei der Autorenauswahl „oberflächlichen Mystizismus hinter sich gelassen“ zu haben, was allerdings nicht verhindert, dass immer wieder auch auf Massenphänomene der Trivialesoterik Bezug genommen wird (Eckhart Tolle, Die Prophezeiungen der Celestine, usw.).

Viele Beiträge ähneln sich in ihrem subjektivistischen Sprachduktus sensibler Innerlichkeit sowie darin, dass spätestens im zweiten Satz prominent das Wort „Ich“ auftaucht und danach nicht mehr verschwindet: Sehr viele Texte sind Selbstbeschreibungen heidnischer Künstler, die entweder ihre heidnische Praxis oder ihren Weg in diese Religion beschreiben. Auffällig häufig geht es dabei um die Bewältigung persönlicher Dramen, Verletzungen, Depressionen, Traumata – so wie laut Editorial auch das ganze Projekt durch eine Lebenskrise des Herausgebers ausgelöst wurde. Einblicke in die Strukturen der Neuheidenszene eröffnet „Der Kessel“ mit dieser individualistischen Perspektive kaum, Eventankündigungen finden sich nur als Werbung, und auch die Behandlung heidnischer Sachthemen ist eher selten. (Interessant ist freilich ein dreiteiliger Artikel über Weltendevorstellungen im Heidentum, in der Wissenschaft und schließlich zur Vereinbarkeit heidnischer und wissenschaftlicher Konzepte.)

Auffällig ist das weitgehende Fehlen antichristlicher oder antikirchlicher Polemik, sonst oft ein zentraler Baustein heidnischer Identität. Im „Kessel“ begegnet v. a. das sanfte, naturmystische, Ich-ergründende, die Allharmonie „mein-Freund-der-Baum“ suchende Heidentum – das verbale Pendant verträumter keltischer Harfenmusik. Eher rar sind kantige Statements à la „Eine Hexe, die nicht verfluchen kann, kann nicht heilen“ oder „Weiße Magie ist Poesie. Dunkle Magie ist alles, was wirklich funktioniert“.

„Der Kessel“ gibt Außenstehenden einen exemplarischen Einblick in die Befindlichkeiten, Motivationen, Selbstwahrnehmungen und Lebenswege neuer Heiden. Auch zum Verständnis der paganen Kunstszene (Malerei, Bildhauerei, Musik) eröffnet er einen guten Zugang. Wer sich hingegen über Gruppen, Strukturen, aktuelle Entwicklungen, Personalia, Veranstaltungen und Theoriedebatten informieren möchte, wird hier kaum fündig.

Seit dem Aufblühen der neuheidnischen Szene in den 1980er Jahren sind eine ganze Reihe Zeitschriften entstanden und wieder verschwunden (u. a. „Hag und Hexe. Magazin für Schamanismus, Magie und Naturreligion“ mit elf Ausgaben 1996 – 1998, „Golem. Magick, Gnosis, Metaphysik“ mit 22 Ausgaben 2000 – 2007). Die Szene ist klein und hoch individualistisch; dort, wo sie Gruppen hervorbringt, sind diese oft zersplittert und wenig beständig. Inwieweit ein österreichischer Herausgeber die zu 90 % deutsche Leserschaft und ihre Befindlichkeiten dauerhaft erreichen wird, bleibt abzuwarten. Die lange Pause zwischen den Ausgaben Nummer drei und vier – welche der Herausgeber, jetzt nicht mehr „Old School“, mit dem Ausbau der Webpräsenz überbrückte – weist darauf hin, dass es wohl auch „Der Kessel“ nicht leicht haben wird. Bislang halten ihn wohlwollende Spender und Idealismus am Leben. Doch schon das erste Heft endete mit dem etwas zaghaften Schlusswort des Herausgebers: „Weil ich fehlbar bin, weiß ich, dass alles irgendwann endet.“


Kai Funkschmidt