Heinz-Werner Kubitza

Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen

Heinz-Werner Kubitza, Der Jesuswahn. Wie die Christen sich ihren Gott erschufen. Die Entzauberung einer Weltreligion durch die wissenschaftliche Forschung, Tectum-Verlag, Marburg 2011, 380 Seiten, 19,90 Euro.

Zu den Themen, die unbedingt auf uns zukommen werden, gehört der zunehmend aggressiver argumentierende Atheismus. Wähnt sich die „Kirche der Freiheit“ noch mit dem „Megatrend Religion“ im Bunde, so ist es dringend erforderlich, an dieser Stelle umzudenken: Wir haben in Deutschland nicht nur mit religiöser Gleichgültigkeit (die inzwischen prozentual die Mehrheit stellen dürfte) zu tun, nicht nur mit diffus esoterischer Religionsbricolage, nicht nur mit einem zunehmend selbstbewusst werdenden Islam, sondern eben auch mit einem kämpferischen Atheismus, der neben reichlich platten Attacken auch durchdachte und nicht so einfach beiseitezuschiebende Argumente liefert. Aktuelles Beispiel, das wohl auch noch für längere Zeit zu Diskussionen zwingen wird, ist das Buch „Der Jesuswahn“ des Marburger Verlegers Heinz-Werner Kubitza. Das Buch zwingt zur Auseinandersetzung – schon deshalb, weil Kubitza, der studierter und promovierter Theologe ist, vor allem mit Überlegungen aufwartet, die in der theologischen Wissenschaft seit mehr als 50 Jahren diskutiert werden und die jedem Theologen bekannt sein sollten. Neu sind daher weniger die Ergebnisse, die Kubitza in seinem Buch präsentiert, neu ist vielmehr die Vehemenz, mit der er diese Ergebnisse gegen den Strich bürstet und sie somit samt und sonders als Argumente gegen den christlichen Glauben nutzt.Kurzgefasst sieht seine Argumentation wie folgt aus: Der Gott des Alten Testaments ist ein „peinlicher“ Gott – ein Gott des Krieges und der Gewalt, ein Gott der Intoleranz, dessen vermeintliche Forderungen nicht mit humanen und freiheitlichen Grundsätzen vereinbar sind. Dass die Geschichte dieses Gottes und seines Volkes erst durch spätere Geschichtsschreibung zur gegenwärtigen Form „aufgeblasen“ wurde, dass es sich beim Großreich Davids und Samuels eher um Provinzfürstentümer handelte und dass die Landnahme weit weniger heroisch vor sich ging, als es das Buch Josua darstellt, gehört dabei zum Grundbestand dessen, was man von der Geschichte Israels im Studium lernt. Dass aber der Gott des Alten Testaments – und mit ihm das AT an sich – mehr oder weniger komplett in Bausch und Bogen verworfen wird, entspricht dem Argumentationsmuster der „neuen Atheisten“. Nicht zufällig erinnert der Titel „Der Jesuswahn“ ja auch an den „Gotteswahn“ des Richard Dawkins. Diese Argumentationsstruktur wird ungebrochen auf das Neue Testament und die Verkündigung Jesu übertragen. Da der Gott des AT ein „peinlicher“ Gott ist, und da das NT auf dem AT beruht – hier zeigt sich in durchaus angenehmer Weise, dass Kubitza theologisch up to date ist und den bisweilen unternommenen Versuch, das „gute“ NT dem „bösen“ AT gegenüberzustellen, nicht unternimmt – kann auch das, was Jesus verkündet, nicht „gut“ sein. Dabei muss man durchaus positiv anmerken, dass sich Kubitza nicht dazu hinreißen lässt, Jesus irgendeine Phantasielehre unterzuschieben. Er unterscheidet sich an diesem Punkt wohltuend von reißerischen Enthüllungsbüchern, wie sie von Michael Baigent / Richard Leigh oder Dan Brown geliefert werden.

Auch wenn einzelne der von Kubitza präsentierten Ergebnisse in der Forschung umstritten sein mögen – im Wesentlichen orientiert er sich an dem, was neutestamentliche Wissenschaft als „ipsissima vox Jesu“ festgehalten hat. Diese Worte freilich werden radikal und weitgehend kompromisslos gegen Jesus gekehrt. Allein schon der Umstand, dass Jesus vom Gericht geredet hat und dass in seiner Verkündigung der Satan Raum hat, bringt Kubitza dazu, Michael Schmidt-Salomon zu zitieren, der in den Gerichtsworten Jesu „ein himmlisches Auschwitz mit Engeln als Selektionären“ angekündigt sieht. Andere Worte Jesu werden von Kubitza in den Rahmen jüdischen Glaubens eingeordnet und damit relativiert (so etwa die Feindesliebe, die laut Kubitza wohl nur auf den feindlich gesinnten Volksangehörigen bezogen ist) – womit es überhaupt keine spezifisch christliche Ethik gibt. Und ein an sich von tiefem Vertrauen getragenes Wort wie die Rede vom Sorgen in der Bergpredigt (Matth 6,25-26; 31-33) ist für Kubitza „realitätsblinder, frommer Unsinn“, „religiöse Gefühlsduselei“ gar. Dass die Wunder Jesu und vor allem die Auferstehung als Legendenbildung oder rein subjektive Visionen ohne Wert abgetan werden, ist bei solcher Sicht absolut konsequent. Schließlich werden auch solche Stellen, die von anderen kritischen Autoren durchaus positiv gewürdigt werden, von Kubitza regelrecht vom Tisch gefegt – so etwa Jesu Verhältnis zu den Frauen, das Kubitza mit dem Argument kritisiert, dass Jesus nicht verheiratet war und dies für die Stellung der Frau in der Geschichte des Christentums fatal gewesen sei.Neben diese Destruktion dessen, was historische Forschung als Botschaft Jesu ausgemacht hat, tritt noch eine zweite Destruktion: Die angebliche Vergöttlichung Jesu, mit der Paulus und in seinem Gefolge die Kirche aus dem frühjüdischen Apokalyptiker Jesus, der mit seiner Botschaft gescheitert ist, einen Gott gemacht haben sollen.

Allerdings ist auch hier positiv anzumerken, dass Kubitza sich nicht in Verschwörungstheorien verliert. Er bleibt bei einer radikalen Interpretation kirchengeschichtlicher Fakten: Natürlich muss einmal mehr Kaiser Konstantin herhalten, dessen machtpolitischem Kalkül es entsprach, dass Jesus endgültig vergottet wurde und damit dann auch alle Kritiker als „Ketzer“ ausgeschieden oder verfolgt wurden.Nimmt man dieses wuchtige Werk als Ganzes wahr, wird deutlich, dass sich hier ein Atheismus artikuliert, der polemische Breitseiten in voller Härte abschießt und dem wohl nichts mehr an vermittelnden Gesprächen liegt. Es sind weniger die historischen Fakten, die Kubitza präsentiert – sie sollten Theologen an sich bekannt sein und auch in Theologie und Verkündigung einfließen –, als vielmehr die Art, wie diese Fakten interpretiert werden: radikal gegen alles, was mit „Glauben“ auch nur entfernt zu tun hat.Das Fazit des Buches jedenfalls ist eindeutig: „Ein solches Gebäude muss einstürzen.“ Das bedeutet dann für den einzelnen Gläubigen, dass er vor der Frage steht, ob er die Kraft hat, „auch persönliche Konsequenzen aus einem offensichtlich unhaltbar gewordenen Weltbild zu ziehen oder ob er in religiöser Hartleibigkeit so weiterglauben will wie bisher“.Man wird diese Stimme wahrnehmen müssen. Sie wird nicht allein bleiben. Zu befürchten ist auch, dass kommende Autoren weniger Sachkompetenz und dafür umso schärfere Polemik oder aber unhaltbare Verschwörungstheorien auffahren werden. Natürlich kann man versuchen, die Thesen Kubitzas in Frage zu stellen. Vor allem muss man dann darauf hinweisen, dass es schwierig ist, einem 2000 Jahre alten Text mit modernem Bewusstsein zu Leibe zu rücken. Angemessener wäre es doch, Texte auf dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit daraufhin zu untersuchen, in welchem Verhältnis sie zu ihrer Umwelt stehen. Und natürlich wäre Kubitzas Verständnis vom Menschen und seinen Abgründen ebenso zu hinterfragen wie sein Verständnis der vorgeblich rationalen Wissenschaft, die er jeglichem Wunderglauben entgegenhält. Man muss kein Esoteriker sein – auch wenn Kubitza dies nahelegt –, um zu wissen, dass unsere Erkenntnis begrenzt ist und dass das, was heute als unumstößliche Tatsache behauptet wird, morgen schon in Frage stehen kann. Dies alles kann man tun. Und sicher sollten Theologinnen und Theologen ihr Fach derart beherrschen, dass sie auf zentrale Fragen – vor allem auf die Frage nach der Trinität – differenziertere Antworten geben können als die doch recht platte Behauptung, dass die Kirche einen Menschen zum Gott gemacht habe. Ob es allerdings sinnvoll ist, das Gespräch mit den „neuen Atheisten“ zu suchen, möchte ich nach Lektüre dieses Werkes bezweifeln.


Heiko Ehrhardt, Hochelheim/Hörnsheim