Richard Dawkins

Der Gotteswahn

Richard Dawkins, Der Gotteswahn, Ullstein, Berlin 2007, 575 Seiten, 22,90 Euro.


Richard Dawkins ist ein militanter Atheist, kein dialogischer Atheist wie Milan Machovec und andere. Sein Atheismus ist kein seriöser, sondern ein polemischer Atheismus, weswegen eine sachliche Auseinandersetzung mit ihm so schwerfällt. Mit missionarischem Eifer will er Menschen von seinem Atheismus überzeugen, aber nicht eigentlich mit den Religionen einen Dialog führen. Die Schnellschusskritik, die man auf fast 600 Seiten über sich ergehen lassen muss, nervt den Leser. Vieles in diesem wütend hingeknallten Buch stammt aus der Mottenkiste der Gottlosenbewegung von anno dazumal. Dabei ist der Autor ein brillanter Feuerwerker, dessen Sarkasmus freilich keinen Respekt hat vor dem, was anderen heilig ist.

Doch tun wir den Autor nicht als läppischen Papierdrachen ab, wie das viele Rezensenten machten. Ernst zu nehmen sind auf jeden Fall drei Ansätze, die man in dem unentwirrbaren Knäuel von Assoziationen erkennen kann: der „Naturalismus“, der die Wirklichkeit auf das Sichtbare und Beobachtbare beschränkt, die These von der „Gestaltung“ der Welt, die zu ihrer Erklärung keines „Gestalters“ bedarf, sowie die These, dass die Religion nicht „Moral“ in die Welt brachte, sondern „zur Unmoral führte“.

Der „Naturalist“ Dawkins meint: „Ein Atheist ... oder Naturalist ... vertritt ... die Ansicht, dass es nichts außerhalb der natürlichen, physikalischen Welt gibt, keine übernatürliche Intelligenz ..., keine Seele ...“ Wird aber die Wirklichkeit durch diesen Naturalismus nicht in unzulässiger Weise verkürzt, wenn man nur dem Sichtbaren, Greifbaren, Messbaren und Wägbaren eine Realität zumisst? Vieles in unserem Leben ist nicht sichtbar, greifbar, messbar und wägbar und trotzdem real wie zum Beispiel die Liebe, die Treue, das Gewissen und auch Gott. Der Mensch hat außer dem rechnenden Verstand noch andere Wahrnehmungsweisen für die Wirklichkeit: das Fühlen, Ahnen, Hoffen, Glauben, Staunen, Danken, Betroffensein, Überwältigtwerden, Vertrauen, Wagen, das intuitive Erleben. Wirklichkeit würde verarmen, hätte sie nicht diese über die physische Welt hinausgehende Dimension der Erfahrung, hätte sie nur die eine Dimension des Beobachtens – wie es ein flaches Wirklichkeitsverständnis will. Die Wirklichkeit ist nicht nur eindimensional, sie hat zwei Dimensionen. Das forschende Auge des Augenarztes sieht ein Auge anders als das Auge des Liebenden. Der eine katalogisiert die Blume botanisch, der andere erlebt sie, freut sich an ihr, sie spricht zu ihm. Der Glaube an Gott ist ein Wagnis (Mt 14,28ff). Wer nichts wagt und auf Nummer sicher gehen will, kann nicht glauben, weder im zwischenmenschlichen noch im religiösen Bereich. Der Naturwissenschaftler Dawkins hat mit seinem platten Naturalismus keinen Blick für diese zweite Dimension, die andere Naturwissenschaftler sehr wohl kennen, und er qualifiziert sie als „übernatürlichen Wahn“ ab.

Dawkins ist der Ansicht, die Evolution der Welt gestalte sich selbst, sie bedürfe keines Evolutors, der sie gestaltet hat. Wir brauchten keinen „Himmelshaken“ sondern einen „Kran“, wenn wir die Evolution erklären wollen. Gewiss, nach der Evolutionstheorie hat sich die Welt selbst geschaffen, ihre Entwicklung reguliert sich selbst. Aber woher stammen die Gesetze, nach denen die Evolution und ihre Selbstregulierung verlaufen? Vom Menschen, der das Endprodukt der Evolution ist, können sie nicht stammen. Von irgendwoher müssen sie aber kommen. Aus nichts wird nichts. Es gibt moderne Physiker, die die Gesetze, nach denen die Evolution verläuft, auf einen planenden und organisierenden Geist zurückführen wie M. Planck, A. Einstein, H. Eddington, E. Schrödinger, H. P. Dürr, P. Davies und andere. Nach Einstein, den Dawkins als Eideshelfer bemüht, schließen sich Naturwissenschaft und Religion nicht aus, sondern sie ergänzen sich. Einstein meint: „Naturwissenschaft ohne Religion ist lahm, Religion ohne Naturwissenschaft ist blind.“ Er bekennt sich zu einer „kosmischen Religiosität“ und meint: „Das Individuum fühlt die Nichtigkeit menschlicher Wünsche und Ziele und die Erhabenheit und wunderbare Ordnung, welche sich in der Natur sowie in der Welt des Gedankens offenbart“. Er nennt diese wunderbare Ordnung „Gott“.

Dawkins Hauptthese besteht in der Aussage, dass Religion den Menschen nicht moralischer macht, sondern zur „Unmoral“ führt, und dass auch ein Atheist „moralisch sein kann“. „Stellen wir uns ... eine Welt vor, in der es keine Religion gibt – keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September ..., keine Kreuzzüge, keine Hexenverbrennung ..., keine Verfolgung von Juden als Christusmörder“. Vieles von dem, was Dawkins zu dieser These sagt, macht betroffen, und die bemühten Gegenbeweise mancher christlichen Rezensenten, die jüdisch-christliche Religion hätte doch in die Welt die Zehn Gebote und die Nächstenliebe gebracht, verblassen demgegenüber. Eher sticht das Gegenargument, dass nicht nur die Religionen, sondern auch der Atheismus zur Unmoral führte, wie Stalin, Mao, Pol Pot und andere zeigen. Im Grunde genommen kann keine Religion und keine Weltanschauung bestehen, wenn man sie an ihren Folgen misst. In seiner These, dass Religion zur Unmoral führe, übersieht Dawkins, dass Religion keine Moral ist, sondern das, was mir einen letzten Halt im Leben und im Sterben gibt.


Horst Georg Pöhlmann, Wallenhorst