Ronald L. Numbers

Darwinism Comes to America

Ronald L. Numbers, Darwinism Comes to America, Harvard University Press, Cambridge, MA 1998, 216 Seiten, 20,99 Euro.
 

Angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen um Kreationismus und Darwinismus ist es gewinnbringend, die Begriffe, ihren Gebrauch und ihre Entwicklung zu analysieren. Deshalb soll an dieser Stelle an eine bereits 1998 in den USA erschienene, aber in den deutschen Debatten kaum rezipierte Schrift erinnert werden.

Mit beinahe kriminalistischer Verve untersucht der Wissenschaftshistoriker Ronald L. Numbers in seiner preisgekrönten Publikation „Darwinism Comes to America“ in einzelnen Abhandlungen den radikalen Bedeutungswandel, den Darwinismus und Kreationismus seit dem 19. Jahrhundert in den USA erfahren haben.

Für Numbers markieren die 1950er Jahre eine entscheidende Zäsur: Als Reaktion auf den Start des sowjetischen Sputniks setzte in den USA eine naturwissenschaftliche Bildungsoffensive ein. Ungefähr zeitgleich bildete sich der Neodarwinismus heraus, der die natürliche Selektion in den Mittelpunkt stellte und den Gedanken eines Zieles der Evolution ausschloss, wodurch der Darwinismus zu einem Äquivalent für Atheismus avancierte. Vor diesem Hintergrund wurde die zuvor marginale Gruppierung der Kurzzeit- bzw. Junge-Erde-Kreationisten populär. Sie vertritt eine Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte als Naturentstehung in wortwörtlich sechs Tagen, was sich zum Markenzeichen für Kreationismus und Intelligent Design entwickeln sollte, wogegen durch Richard Dawkins und Daniel Dennett ein wissenschaftlicher Fundamentalismus etabliert wurde.

Das Verständnis des Darwinismus in der amerikanischen Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts ist Gegenstand des ersten Kapitels. Numbers belegt, dass darunter vornehmlich der Aspekt einer natürlichen Entwicklung der Arten begriffen wurde, die natürliche Selektion aber keine zentrale Rolle spielte. Darwinismus konnte auf diese Weise in eine bereits bestehende theistische Weltsicht integriert und als Gottes spezifische Wirkungsweise interpretiert werden. Als Anhang bietet Numbers biographische Angaben zu 80 Mitgliedern der amerikanischen „National Academy of Science“ zwischen 1863 und 1900.

Der Begriffsbestimmung, Entstehung und Differenzierung des Kreationismus ist das folgende Kapitel gewidmet. Kreationismus erweist sich als ein Sammelbegriff, der drei verschiedene Gruppierungen umfasst. Bis Ende der 1950er Jahre bestimmten der Langzeit-Kreationismus (Die Schöpfungstage werden symbolisch als Zeitalter verstanden) und die „gap“ bzw. „ruin and restoration Theorie“ (Eine erste Schöpfung, die Milliarden Jahre alt sein kann, werde in 1. Mose 1,1 erwähnt. Nach deren Vernichtung durch den Teufel sei eine zweite Schöpfung erfolgt, von der in 1. Mose 1,2ff berichtet wird) die öffentliche Wahrnehmung, während der Kurzzeit-Kreationismus ein Phänomen des Adventismus war. Erst die (Sint-) „Flut-Geologie“ des Adventisten Price änderte dies bis hin zur Gründung des Geoscience Research Institute 1963.

In den nächsten Kapiteln beschreibt Numbers in drei Miniaturen Aufstieg, Scheitern und Wiedergeburt des Kreationismus. Trotz der besonderen Rolle des amerikanischen Südens für den Kreationismus ist eine gewisse Duldung des Darwinismus bis Anfang der 1920er Jahre festzustellen. Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs radikalisieren sich jedoch die Einstellungen. Die bundesstaatlichen Maßnahmen gegen die Evolutionstheorie erreichen dabei ihren Höhepunkt jedoch erst nach dem Scopes-Prozess, dessen Entmythisierung und Rekonstruktion ein Meisterstück darstellen. Mit dem Einsetzen der Großen Depression 1929 begann schließlich der rapide Abstieg des alten Kreationismus.

Bevor Numbers den Aufstieg des neuen Kreationismus skizziert, erörtert er dessen adventistischen Ursprung. Sabbat- und Endzeitspekulationen sowie Offenbarungen hatten die Adventisten auf ein wortwörtliches Verständnis der Genesis festgelegt. Wissenschaftsfeindlichkeit und Separatismus taten ein Übriges. Die Publikationen von George Price (1870-1963) und sein Hinwirken auf die Bildung von antidarwinistischen Organisationen markieren jedoch das Überschreiten der Konfessionsgrenzen. Der 1961 publizierte fundamentalistische Klassiker „The Genesis Flood“ erweist sich dabei als Transmissionsriemen, wodurch der Kurzzeit-Kreationimus zum fundamentalistischen Allgemeingut wird.

Abschließend umreißt Numbers die abweichenden Antworten der Heiligungs- und Pfingstkirchen auf den Darwinismus. Beide Glaubensrichtungen haben die Hinwendung zum neuen Kreationismus nur in Ausnahmefällen – so die Church of God, Cleveland – vollzogen und halten im Großen und Ganzen an der „ruin and restoration Theorie“ fest.

Numbers ist es mit seiner materialreichen Abhandlung gelungen, die Genese des heutigen Kreationismus darzulegen und populäre Vorurteile durch differenzierte Begriffsbestimmungen zu korrigieren. Bis in die Anmerkungen hinein ermöglicht das Buch Erkenntnisgewinn und Lesevergnügen.


Robert Giesecke, Schöningen