Georg Schmid

Damals und heute

Gedanken zum 50-jährigen Jubiläum der Schweizer evangelischen Informationsstelle Kirchen - Sekten - Religionen

Am 8. und 9. November 2013 feierte die Schweizer evangelische Informationsstelle Kirchen – Sekten – Religionen ihr 50-jähriges Jubiläum. Sie gedachte dabei auch Oswald Eggenbergers, des Gründers dieser Stelle, der neben seinem pfarramtlichen Dienst in der Züricher Reformierten Kantonalkirche 29 Jahre lang die religiöse Gegenwartskultur in der Schweiz beobachtete und eng mit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zusammenarbeitete. Sein Nachfolger Georg Schmid blickt zurück, beschreibt heutige religiös-weltanschauliche Landschaft und skizziert Aufgaben, die sich für die christlichen Kirchen heute ergeben.

 

„Jetzt, wo Gwatt ein Viersternehotel wird, wird es uns zu teuer“, sagt mir die Leiterin einer Meditationsschule, in der ich von Zeit zu Zeit mitwirke. Wir treffen uns zum nächsten Kursweekend im neu eröffneten buddhistischen Zentrum vor den Toren der Stadt Bern, im Landgut Ried bei Niederwangen. Und so wandere ich dann am nächsten Kurswochenende vom Bahnhof Niederwangen etwas nachdenklich hinauf ins ehemalige Schulheim Ried auf die kleine Anhöhe oberhalb des Dorfes. „Wer hätte das vor 50 Jahren vorausgesagt?“, denke ich mir. Die Landeskirchen schließen ihre Tagungszentren oder stoßen sie ab, und buddhistische Gruppen eröffnen laufend kleinere und größere Begegnungsstätten und Meditationshäuser.

Allein die Internetseite der Schweizerischen Buddhistischen Union erwähnt zurzeit schon 49 Adressen. Tendenz: zunehmend. Zugegeben – mit den Dimensionen einer ehemaligen evangelischen Bildungsstätte wie Gwatt oder Boldern können sich diese Zentren nicht messen. Auch das ehemalige Schulheim Landgut Ried wird von Idealisten betont schlicht und darum auch entsprechend preisgünstig geführt. Dennoch oder vielleicht gerade auch deshalb bewegt mich, als ich durch den Wald zum neuen buddhistischen Zentrum hinaufwandere, die Frage: Was haben diese buddhistischen Gemeinschaften, was uns Christen fehlt und was uns vielleicht abhanden kam? Idealismus? Die Freude am einfachen Leben? Sinn für Gemeinschaft mit Gleichgesinnten? Opferbereitschaft? Spirituellen Erfahrungshunger? Leitgestalten charmanter Gelassenheit?

Der Ruf nach Orientierung

Als Oswald Eggenberger vor 50 Jahren im Auftrag der Zürcher Kirche seine evangelische Orientierungsstelle eröffnete, lebten die Kirchenchristen in einer religiös vergleichsweise noch übersichtlichen Welt. Freikirchen gab es schon damals zuhauf. Manche dieser Freikirchen pflegten im Stillen die Gemeinschaft ihrer Gläubigen, andere machten von sich reden. Sie brachen zu Werbeaktionen auf und luden prominente Evangelisten ein, die ganze Sportstadien mit ihrem Publikum füllten. Manchem dieser Wahrheitszeugen ging auch der Ruf als begnadeter Wundertäter voraus. Umso mehr sammelten sich nur vorübergehend Geheilte und nun Enttäuschte später an den Stätten ihres Wirkens. Auch die sogenannten klassischen endzeitnahen Sekten des 19. Jahrhunderts warben schon damals in unseren Breitengraden mit zum Teil bis heute ungebrochenem Missionseifer: Die Mormonen, die Zeugen Jehovas, aber auch – zu der Zeit noch deutlich sektenhaft erlebt – die Neuapostolische Kirche und die Adventisten. Die katholische Kirche durchlebte damals die zweite Session des Zweiten Vatikanischen Konzils und war von einem Geist des Aufbruchs erfüllt, wie wir ihn heute fast nur noch aus der Erinnerung kennen. Die evangelischen Kirchen wurden noch viel augenfälliger als heute durch Richtungsdebatten heimgesucht, die sich manchmal auch an der Arbeit der evangelischen Heimstätten entzündeten. In der damals noch sehr lebendigen sogenannten Heimstättenbewegung war ein Mut zur Begegnung mit Andersdenkenden und zum Beschreiten neuer Wege aufgebrochen, die die Heimstättenbewegung in so etwas wie ein „Zweites Vatikanum“ für Protestanten verwandelt hatten. Kein Wunder, dass die experimentierte Offenheit nicht nur viele begeisterte. Manche waren verunsichert. Die Angst vor der eigenen Courage schlich sich schon damals durch die Herzen der konservativeren Protestanten.

Nichtchristliche Religionen waren zu der Zeit in der religiösen und spirituellen Szene erst am Rande präsent. Die ersten tibetischen Flüchtlinge kamen in die Schweiz. Der Islam war praktisch noch überhaupt kein Thema. Yogaschulen hatten sich zwar schon seit einiger Zeit in der Schweiz eta­bliert. Aber Oswald Eggenberger konnte sich erlauben, die nichtchristliche Religiosität in den ersten Auflagen seines Handbuches („Die Kirchen, Sondergruppen und religiösen Vereinigungen“, Erstausgabe 1969) nur als Randphänomen zu besprechen. Immerhin, der Ruf nach Orientierung in der damals schon bunten religiösen Szene war unüberhörbar. Man rief nicht zuletzt in den Reihen der eigenen Kirchen nach Beurteilungshilfen und kompetenten Einschätzungen dessen, was man im eigenen Erfahrungskreis als fragwürdige Gemeinschaft oder Bewegung erlebte. Eggenberger begegnete diesem Ruf nach kompetenter Einschätzung auf zweifache Weise:

1. Er versuchte, die Geschichte der betreffenden Gruppe oder Bewegung so genau wie möglich nachzuzeichnen. Er hatte seinerzeit im Fach Kirchengeschichte mit einer Arbeit über die Neuapostolische Kirche doktoriert. Seine Liebe zur Geschichte blieb auch in seinen späteren Arbeiten präsent: Wie entstand eine Gruppe? Was bewegte die Gründungsväter? Welche Umstände begleiteten ihre Anfänge? Was hat sich seither verändert? Wo haben sich später Splittergruppen vom Hauptzweig abgesetzt? All diese Fragen waren für Oswald Eggenberger keine Historiker-Marotten. Sie waren unabdingbar wesentlich für eine kompetente Beurteilung einer Gemeinschaft.

2. Der biblisch möglichst sorgfältig fundierte christliche Glaube war für Eggenberger ein Referenzrahmen, von dem aus sich mindestens alle christlich sich präsentierenden Gemeinschaften zuverlässig einschätzen ließen. Was von diesem durch großen Realismus geprägten biblisch-fundierten christlichen Glauben abwich, drohte – das ließ der Experte immer wieder durchblicken – sektenhaft zu entgleiten. Von Sekten sprach er zwar nicht gerne. Sein Ersatzbegriff Sondergruppe klang weniger provokativ, implizierte aber für jeden, der die Texte Eggenbergers sorgfältig las, ein unverändert deutliches Urteil.

Was hat sich seither verändert?

Die Zahl der Anbieter auf dem religiösen und spirituellen Markt, schon in der Gründungszeit der Informationsstelle nicht zu vernachlässigen, hat sich in den letzten 50 Jahren gewaltig ausgeweitet. Erst machten die sogenannten Jugendreligionen von sich reden und setzten neue Akzente in die bisherige, noch immer vom 19. Jahrhundert geprägte Sektenlandschaft. Dann wurde mit dem sogenannten New Age die Esoterik populär.

Spirituell alternativ präsentierten sich alle Prophetinnen und Propheten der anbrechenden neuen Zeit. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde der Atheismus im Westen wieder eine forsch eingeforderte oder sanft propagierte Denkmöglichkeit. Der Schatten des sowjetischen Staatsatheismus verdunkelte nun nicht mehr die atheistischen Weltdeutungen der wissenschaftsgläubigen Gegenwart. Die Immigranten aus allen Erdteilen brachten ihren Glauben in unser Land und etablierten christlich-afrikanische, christlich-südamerikanische, christlich-vorderorientalische und zahlreiche islamische, buddhistische und hinduistische Gemeinschaftszentren in vielfältigster nationaler Ausprägung. Nach dem 11. September 2001 rückte vermehrt der Islam mit seinen vielen Facetten ins Zentrum der westlichen Aufmerksamkeit. Im gleichen Atemzug erfasste eine eigentliche Fundamentalismusdebatte die westliche Welt. Auch der Sektenbegriff und die sogenannte Sektendebatte hatten durch einige Sektendramen, Massentötungen oder Massenselbsttötungen in selbstinduzierter Weltende-Panik inzwischen wieder eine traurige Renaissance erlebt. In jüngster Zeit haben sich analoge Dramen zum Glück nicht mehr wiederholt. Aber Weltende-Ängste scheinen periodisch immer wieder aufzubrechen. Jedenfalls werden sie mit trauriger Regelmäßigkeit und immer mit einem gewissen Erfolg von einzelnen religiösen Anbietern geschürt.

Im Zuge einer immer größeren Distanz einer breiten westlichen Öffentlichkeit zu den großen christlichen Kirchen – Konfessionslosigkeit wurde in manchen Kreisen geradezu zu einer Stilfrage – orientierten sich spirituell wache Zeitgenossen immer augenfälliger an Angeboten östlicher Spiritualität. Der Dalai Lama wurde im Westen zu einer spirituellen und moralischen Autorität ersten Ranges. Die Freikirchenszene und parallel zu ihr die evangelikalen Strömungen in den Landeskirchen suchten der zunehmenden Entchristianisierung mit neuentdeckter religiöser Erlebnisbereitschaft und persönlicher Christusnähe zu begegnen. In den liberaleren Kreisen der aktiven Landeskirchler entdeckte man die Mystik aller Schattierungen als Jungbrunnen jedes, auch des christlichen Glaubens.

Auch in der nachkonziliaren katholischen Kirche bestätigte sich einmal mehr die alte Regel, wonach nach tapferen Aufbrüchen alsbald wieder der Mut vor der eigenen Courage viele beschleicht. Innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche etablierte sich eine bunte Palette traditionalistischer Gemeinschaften und Bewegungen.

Alles in allem – das Bedürfnis nach sachgemäßer Information und Beratung zur religiösen Gegenwart ist seit 50 Jahren ungebrochen. Waren es damals vor allem kirchliche Kreise, die nach Information und nach plausibler Einschätzung dieser oder jener religiösen Gemeinschaft fragten, so meldete und meldet sich bei der evangelischen Informationsstelle zunehmend auch eine breite, kirchlich oft nicht mehr integrierte Öffentlichkeit.

Religiöser Konsumentenschutz

Mit der Ausweitung der religiösen Angebote änderte sich zum Teil auch die Arbeitsweise der Informationsstelle. Waren für Oswald Eggenberger das Verständnis für die Geschichte einer Gemeinschaft und ihr Verhältnis zum realitätsnahen christlichen Glauben die wesentlichsten Referenzrahmen, die ihm eine Einschätzung der betreffenden Gemeinschaft erlaubten, so fügten sich zu diesen nach wie vor grundlegenden Ansätzen nun auch noch ausgeprägt konsumentenschützerische Erwägungen. Die evangelische Informationsstelle nahm sich, ohne die beiden seit ihrer Gründung bestimmenden Beurteilungshilfen zu vernachlässigen, zunehmend auch religiösen Konsumentenschutzes an: Was geschieht mit einem neuen Mitglied in dieser oder jener Gemeinschaft? Wird es vereinnahmt? Wird es psychisch und finanziell ausgebeutet? Wie verändern sich mit dem Eintritt sein soziales und sein familiäres Umfeld? Wie verändern sich seine Denkmuster und Gewohnheiten? Wird das neue Mitglied zum reinen, kritiklosen Nachbeter einer Sektenlehre? Oder kann es sich immer noch persönlich einbringen mit seinen eigenen Bedenken und Zweifeln? Nach dem paradoxen Motto „Nur ein Glaube, dessen Glaubwürdigkeit sich auch bezweifeln lässt, ist wirklich glaubwürdig“ versucht dieser konsumentenschützerische Ansatz jedem Gläubigen in jeder Glaubensgemeinschaft ein Optimum an Eigenständigkeit zu erhalten.

Wie geht es weiter?

Als ich nach meinem Aufstieg durch den Wald zum ehemaligen Schulungsheim Ried gelange und unter den tibetischen Gebetsfahnen hindurchschreite, die nun die Gebäude auf dem Hügel umflattern, haben sich die Fragen, die mich unterwegs bewegten, zwar nicht beantwortet. Aber ich erahne nun wieder, auf welchen Wegen sich eine Antwort finden lässt.

Warum gelingt anderen auf dem religiösen Markt der Gegenwart, was uns Landeskirchlern offensichtlich nur noch zum Teil oder kaum mehr gelingt? Eine evangelische Informationsstelle kann und muss diese Frage nicht beantworten. Ihr Auftrag ist das Studium der religiösen Gegenwart und die Beratung aller Menschen, die sich angesichts dieses oder jenes Angebots oder angesichts der verwirrend bunten Pracht des religiösen Marktes verunsichert fühlen. Sie kann versuchen, die immer komplexere religiöse Gegenwart mit Sinn für die Geschichte jeder einzelnen Gruppierung und Bewegung, mit Liebe zum biblisch fundierten christlichen Glauben und mit kosumentenschützerischem Engagement so umfassend und so detailliert wie nur irgend möglich zu beschreiben. Aber die Antwort der Kirchen auf die immer komplexere religiöse Gegenwart müssen alle engagierten Christen gemeinsam finden. Diese Antwort findet auch kein einsamer Wanderer im Wald.

Zweifellos werden wir bei unserer gemeinsamen Suche nach unserer Antwort nicht auf eine einzige Patentantwort stoßen, die jede Situation überzeugend erhellt. Aber wir werden, wenn wir die immer buntere religiöse Gegenwart und unseren Dienst am Evangelium ernst nehmen, unsere Botschaft nie ahnungslos und kontaktscheu vertreten, nie ohne Interesse an unserer religiösen Gegenwart. Wir werden unsere Botschaft mitten in diese religiöse Gegenwart hineinstellen. Und vielleicht werden wir erleben, wie diese Botschaft gerade in diesem verwirrend bunten, oft mystisch tiefen, oft zwanghaft-elitären, oft skurril-verspielten und oft brutal geschäftstüchtigen Umfeld auf neue Weise zu leuchten beginnt. Denn es gehört zu den besten Eigenheiten dieses Evangeliums, dass es, mitten in eine andrängende Gegenwart hineingestellt, über alles hinauswächst, was wir bisher erst theologisch korrekt, dann gemeinhin und zuletzt vielleicht ahnungslos Evangelium nannten.

Fragen und Antworten

Anstelle eines Nachworts: ein Gedankenexperiment. Ich versuche mir vorzustellen, wie Oswald Eggenberger wohl reagieren würde, wenn er an einem beliebigen Vormittag in der Informationsstelle in Rüti sitzen und die eingehenden Fragen beantworten würde. Ich erkundige mich in der Informationsstelle nach den Anfragen des heutigen Vormittags und stoße, wie es der Zufall will, auf fünf Fragen, die ich in Gedanken Oswald Eggenberger vorlege:

1. Eine Kirchgemeinde möchte Räume vermieten und erkundigt sich nach der Nähe oder Distanz eines weltanschaulich profilierten Mietinteressenten zur Landeskirche. Ich bin überzeugt, Oswald Eggenberger hätte diese uns häufig gestellte Frage in keiner Weise überrascht. Er war mit dieser Thematik schon zu seiner Zeit bestens vertraut. Er hätte geantwortet, wie es seiner Art entsprach, ruhig, reflektiert, mit viel Sachkenntnis, ohne jede Polemik, aber auch mit viel Sinn für Unterscheidung.

2. Eine staatliche Amtsstelle ruft an und wünscht sich zusätzliche Informationen zu einem Bewerbungsdossier, das ihr vorliegt. Die Bewerberin spricht von einer Weiterbildung, die von einer freikirchlichen Gemeinschaft angeboten wird und der sie sich unterzieht. Sicher hätte Oswald Eggenberger an dieser Stelle zuerst seine Einschätzung der erwähnten Freikirche der Amtsstelle vorgelegt und dann aber mit seiner detaillierten Antwort vielleicht etwas gezögert, wie wir es selbst ab und zu auch tun. Wie genau gestaltet sich diese Weiterbildung? Welche Voraussetzungen werden verlangt? Welche Methoden werden angewandt? Welche Ziele verfolgt? Wahrscheinlich wäre er zuerst dem infrage stehenden Angebot weiter nachgegangen und hätte sich anschließend nach eigenen Abklärungen wieder an die anfragende Amtsstelle gewandt. Aber auf keinen Fall hätte er sich geweigert, staatlichen Amtsstellen mit Berufung auf die Kirchenbindung seiner Stelle Auskunft zu erteilen. Service public war schon zu seiner Zeit ein guter Teil seiner Beratungstätigkeit.

3. Eine Krebspatientin, von der Schulmedizin sozusagen aufgegeben, setzt nun ihre ganze Hoffnung auf Joao de Deus, das Volltrancemedium, den Miracle-Man, den brasilianischen Psychochirurgen und Geistheiler, der regelmäßig in die Schweiz kommt. Aber auf seinen nächsten Besuch im kommenden Sommer in Basel kann sie nicht mehr warten. Sie will nach Brasilien fliegen. Ein besorgtes Familienmitglied fragt an, was wir von Joao de Deus halten. Wir sind sehr skeptisch. Joao de Deus verspricht Wunder über Wunder. Enttäuschungen sind vorprogrammiert. Oswald Eggenberger hätte sicher ähnlich skeptisch reagiert. Schon zu seiner Zeit wurden unheilbar kranke Menschen von gewissenlosen Heilerinnen und Heilern hemmungslos ausgenutzt. Schon seit eh und je klammern sich verzweifelte Menschen an einen Strohhalm. Wunderheiler halten ihnen diesen Strohhalm hin. Sie erreichen im Moment oft suggestiv wirksame Linderung des Leidens. Aber das versprochene Wunder tritt zumeist nicht ein. Oswald Eggenberger hätte sicher seine Meinung zum brasilianischen Wunderheiler deutlich dargelegt.

4. Eine portugiesische Migrationsgemeinde wirbt nun auch Schweizer Mitglieder. Ein Schweizer, der sich angesprochen fühlt, erkundigt sich nach unserer Einschätzung dieser Gemeinschaft. Die Gemeinde ist pfingstlerisch geprägt. Leider finden wir in ihrem Ursprungsland keinen kritischen Diskurs zur Geschichte und zum gegenwärtigen Wirken dieser Gemeinschaft. Nur seine Kenntnis der Pfingstbewegung im Allgemeinen und ein direkter Besuch der Gemeinde vor Ort hätte Oswald Eggenberger ein gutes eigenes Urteil erlaubt. Wahrscheinlich wäre dieses Urteil relativ verhalten ausgefallen. Er war ein nüchterner Ostschweizer. Pfingstlerisches und charismatisches Christentum waren nicht seine christliche Präferenz. (In jede Beratung fließt auch ein wenig die Persönlichkeit des Beraters mit ein.)

5. Eine praktizierende Katholikin fragt an, inwieweit sich Esoterik mit katholischem Glauben vereinbaren lasse. Diese Frage würde Oswald Eggenberger sicher verwundern: Ja, gibt es denn keine katholische Informationsstelle mehr, an die ich Sie verweisen kann? Es gibt die seinerzeit von der Bischofkonferenz eingesetzte katholische Beratungsstelle in der Tat heute nicht mehr. Das heißt, dass auch ausgeprägt katholische Anfragen an die evangelische Stelle herangetragen werden. Oswald Eggenberger konnte die Frage noch problemlos weiterleiten. Wir versuchen zu antworten, im Grundsatz ähnlich wie Oswald Eggenberger sich den anderen Fragen stellte, mit Sinn für historische Wurzeln und Entwicklungen, mit persönlicher Kenntnis des gegenwärtigen spirituellen Angebots und mit offenen Augen für die zentralen Anliegen des christlichen Glaubens.

Oswald Eggenberger hätte am heutigen Vormittag auf unserer Beratungsstelle seine ihm vertraute Arbeit sicher auf weiten Strecken problemlos wieder aufnehmen können. Aber an manchen Stellen, auch was die an unserem Stichtag gerade nicht präsenten Anfragen in Richtung östliche Spiritualität betrifft, hätte er sicher erstaunt festgestellt, wie weit sich das Arbeitsfeld der Informationsstelle ausgeweitet hat. Und vor allem hätte er sich gesagt: Bei einer derartigen Zahl an Anfragen lässt sich meine Arbeit nicht mehr im Nebenamt bewältigen.


Georg Schmid, Rüti/Schweiz