Gesellschaft

Business und Bekenntnis: Hilft Spiritualität der Ökonomie?

(Letzter Bericht 2002, 263ff) "Werte haben Zukunft", so lautete das zugkräftige Motto des 3. Kongresses "christlicher Führungskräfte", der im Frühjahr 2003 die beachtliche Teilnehmerzahl von 2200 Personen nach Hannover lockte. Manager vornehmlich evangelikaler Prägung haben dort ihre Erkenntnisse und Strategien dargestellt, wie sie in ihrem konkurrenzorientierten Geschäftsalltag christliche Werte vertreten. Aber nicht nur das - auch Erfolg, Reichtum und materieller Zuwachs könne das Ergebnis glaubensvollen Vertrauens sein, lautete die Botschaft einzelner Beiträge - ganz nach der Devise des Vorgängerkongresses aus dem Jahre 2001: "Mit Werten in Führung gehen". Für 2005 ist das nächste Treffen für Abteilungsleiter, Selbständige und Trainer angekündigt, die Merkmale einer christlichen Unternehmenskultur, Betriebsethik und Mitarbeiterführung erlernen oder Beispiele dafür kennen lernen wollen (vgl. www.christlicherkongress.de). Macht aber der Glaube automatisch erfolgreich?

Es wäre falsch, evangelikal geprägten Geschäftsleuten zu unterstellen, sie sähen eine naive christliche Erfolgsideologie als neues "Evangelium" für konjunkturschwache Zeiten an. Dennoch scheint es den gegenwärtigen marktwirtschaftlichen Bedürfnissen zu entsprechen, den firmeninternen Wertekanon, die Unternehmensphilosophie sowie die Betriebsethik transparent zu machen. An diesem Bedürfnis setzen die Kongressorganisatoren ein, und die hohe Resonanz darauf gibt ihnen Recht. Coaching in jeglicher weltanschaulicher Coleur ist derzeit sehr gefragt - sei es in der Tradition Rudolf Steiners (vgl. www.afsk.de), im Gefolge Bhagwan/Oshos zum Erwerb einer "buddha-nature in business®" (vgl. www.oshouta.de/seiten/ausbildung/coaching.htm), unter Einsatz von Tarot-Karten und des Enneagramms (vgl. www.ifar.de) oder im Rückgriff auf evangelikal-charismatische Frömmigkeit (vgl. www.acf.de). Diese Strömungen sind als eine Antwort auf die intensive Suche nach zukunftsweisenden Wertmaßstäben für eine Unternehmerkultur zu verstehen, die mit rasanten gesellschaftlichen Transformationsprozessen zurechtkommen muss. Kühn prognostizierte Gabriele Fischer, Chefin des aufstrebenden Hamburger Wirtschaftsmagazins "brand eins", kürzlich in einem Interview: "Es wird ein Wettbewerb der Unternehmen um Moral geben" (Info3, 12/2003,9).

In einem weltanschaulichen Coaching wird entweder allgemein auf spirituelle, energetische, transpersonale Kräfte verwiesen oder aber es werden konkret astrologische, taoistische oder schamanistische Konzepte mit ins Spiel gebracht. Wie weit das Spektrum reicht, belegt beispielsweise die Rednerliste des Kogresses "Ethics and Science in Business - Wertschöpfung im Wandel", der Anfang April 2004 im Kongresszentrum Wiesbaden stattfindet. Neben renommierten Experten wie Lothar Späth oder Lech Walesa sollen dort auch so fragwürdige Referenten wie etwa der Esoteriker Rüdiger Dahlke oder der Guru Sant Rajinder Singh zu Wort kommen (vgl. www.culturelife.de/html/veranstaltung/ethics/ethics_d.html).

Auch die Kirchen haben den Coaching-Trend entdeckt. Kürzlich hat gar der äußerst produktive Erfolgs-Autor Anselm Grün den Kompakt-Kurs "Führen mit Werten" vorgelegt (München 2003). Der Benediktiner-Pater legt dort die vier Kardinaltugenden Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß und Klugheit sowie die drei "göttlichen" Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe seinem Leitungskonzept zugrunde. Die 160 Din-A4 Seiten an Selbstorganisationstipps und Trainingsanleitungen müssen dem Lernwilligen allerdings 75 Euro - Ordner inklusive - wert sein. Schon seit über zehn Jahren ist ein Münchener Jesuit in ähnlicher Mission unterwegs und verbindet auf kreative Weise seine Ordensspiritualität mit Managementeinsichten unter dem griffigen Titel "Werte - Wirtschaft - Weiterbildung" (vgl. www.we-wi-we.de). Wem die Verbindung zwischen Mönchtum und Marketing abwegig erscheint, muss sich eines Besseren belehren lassen: Eine betriebswirtschaftliche Dissertation hat kürzlich erstaunliche Parallelen zwischen der Unternehmenskultur erfolgreicher Firmen und dem Mönchtum herausgearbeitet. Johannes Eckert hat einen großen bayrischen Automobilhersteller soziologisch und organisationspsychologisch mit einer Benediktinerkongregation verglichen und viele Gemeinsamkeiten festgestellt (Dienen statt herrschen: Unternehmenskultur und Ordensspiritualität, Stuttgart 2000).

Coaching kann helfen, Kommunikationsprozesse zu fördern, Strukturen zu klären und Entwicklungsprozesse anzustoßen. Es stimmt, dass für unsere globale und hochverästelte Gesellschaft eine Menge Spezialwissen nötig ist. Unübersichtliche Lebensverhältnisse tragen zum Gefühl der Überforderung und Hilflosigkeit bei - angefangen bei der komplizierten Bedienungsanleitung, bis hin zum undurchsichtigen Finanzierungskonzept oder zur drängenden Konfliktberatung. Deshalb suggerieren Beratungsprofis - gezielt eigennützig - einen weiter steigenden Bedarf an professioneller Begleitung, Expertenwissen und Führungscoaching. Aber brauchen wir wirklich einen "Freizeitberater", der Empfehlungen bei anstehenden Entscheidungen gibt und gar bei der längerfristigen Lebensplanung hilft? Das jedenfalls empfahl kürzlich "Psychologie Heute" in der Titelgeschichte ihrer Dezember-Ausgabe. Der zeitgemäße Berater bediene heute den allgemeinen Wunsch nach Selbstoptimierung und Selbsterfindung immer perfekter. Der Bericht über den Beratungs-Boom verwirrt jedoch durch ungeklärte Begriffsverwendungen. Beratung wird dem Coaching gleichgestellt, obwohl beide Bereiche klar voneinander zu unterscheiden sind: Während professionelle Beratungshilfe in einer konkreten Konfliktsituation z.B. im Rahmen einer Erziehungs- oder Schuldnerberatung angezeigt ist, geht es im Coaching allgemein um Zeit- und Organisations-Management sowie um die Vermittlung von Leitungsstrategien. Der gegenwärtigen Bevölkerung wird ein schier unbegrenzter Beratungsbedarf unterstellt: Karriere, Ruhestand, Kindererziehung: in allen Fällen des facettenreichen Alltagslebens soll man/frau zukünftig 'professionell' gewappnet sein - am besten mit einem allzeit ansprechbaren "Lifecoach". Die entscheidende Frage bleibt jedoch unbeantwortet: Wer berät mich dabei, den richtigen Berater zu finden?

Keine fremde Expertenmeinung sollte den eigenen, gesunden Menschenverstand ersetzen. Wenn Alltagskonflikte sofort an "Fachleute" weitergeleitet werden, hat der oder die Einzelne zwar zunächst weniger Probleme und ist die Verantwortung los. Eine solche "Delegationsmentalität" wird sich aber als Bumerang erweisen, weil sie übersieht, dass eine Persönlichkeit maßgeblich an der Bewältigung von Krisen wächst. Wird allen Konflikten und Krisen aus dem Weg gegangen, beraubt man sich der zwar schmerzhaften und von Niederlagen begleiteten, aber letztlich charakterprägenden Identitätsbildung. Außerdem sollte man bedenken, dass anderen Menschen Einfluss und Macht über das eigene Leben einzuräumen auch die Gefahr birgt, ausgenutzt zu werden oder - im schlimmsten Fall - in Abhängigkeit und Unmündigkeit zu geraten.

Die richtige Entscheidung ist nicht käuflich zu erwerben, sondern nur persönlich zu treffen. Das schließt ein, unser begrenztes und fehlbares Wissen, unser leicht zu täuschendes Gefühl und daraus resultierende mögliche Irrtümer zu akzeptieren. Wir müssen lernen, mit Risiken und Ungewissheiten zu leben und im Vertrauen darauf zu entscheiden, dass man auch aus Fehlern lernen kann. Durch jede falsche Entscheidung lernen wir uns besser kennen - und sparen eine Menge Geld, das sonst einem dubiosen Coaching zufallen würde.

Problematisch wird es, wenn das Coaching sich auf eine perfekte und maßlose Selbstinszenierung reduziert und unter dem Stichwort "Selbstoptimierung" die Machbarkeit aller Änderungswünsche versprochen wird. Gegenwärtig sind Tendenzen zu beobachten, die in den menschlichen Eigenschaften und Anlagen einen formbaren Rohstoff sehen. Kann jede ersehnte persönliche Eigenschaft wie Schlagfertigkeit, Selbstsicherheit, Kontaktfähigkeit oder Humor antrainiert werden? Sind alle erwünschten Seelenzustände als Ergebnis einer pädagogischen, psychologischen oder demnächst genetischen Behandlung erreichbar? Die erschreckende Vision eines kommerziellen "Psychodesigns" liegt nahe, wenn man solche Coaching-Vorstellungen weiterdenkt.

Coaching-Ansätze jedoch, die ihre professionellen Grenzen einhalten und auch ihre weltanschaulichen Grundüberzeugungen nicht verschweigen, sondern diese ganz selbstbewusst als ethische Grundlage mit einbeziehen, sind auf der Höhe der Zeit.

Michael Utsch