Buddhismus

Buddhistische Proteste gegen den Dalai Lama

Während des mehrtägigen Besuchs des Dalai Lama Mitte Mai 2014 in Frankfurt gab es Protestaktionen gegen den tibetischen Religionsführer. „Falscher Dalai Lama, hör auf zu lügen“ und „Religionsfreiheit jetzt“ war auf Transparenten zu lesen. 350 Buddhisten (darunter wenige Tibeter) folgten nach Angaben der Veranstalter dem Aufruf der erst im Februar gegründeten International Shugden Community (ISC), die dem Dalai Lama Lügen und Einschränkungen der Religionsfreiheit vorwirft. Solche Töne sind sonst eher ungewöhnlich im Umfeld des Friedensnobelpreisträgers und Befürworters von Toleranz und Menschenrechten. Neu sind sie indessen nicht. Zuletzt kam es in den USA zu Demonstrationen gegen den Dalai Lama. Die innerbuddhistische Kontroverse schwelt jedoch schon seit Mitte der 1970er Jahre, ihre Wurzeln reichen gar fast 400 Jahre zurück.

Im Kern dreht sich der Konflikt um die Legitimität der Verehrung der tibetischen Schutzgottheit Dorje Shugden, die aus der vorbuddhistischen Volksreligiosität stammt. Es ist umstritten, ob der zornvolle Geist ein erleuchteter Buddha, ein weltlicher Beschützer oder ein bösartiger Dämon sei. Als „Dharmabeschützer“ wird Shugden (auch: Dolgyal) von Anhängern der Gelug-Schule verehrt, der auch der Dalai Lama angehört. Die politische Dimension liegt darin, dass die bis in jüngere Zeit in Tibet tonangebenden stark konservativen Gelugpa-Häupter den Shugden-Kult zur exklusiven Abgrenzung gegenüber den anderen tibetischen Schultraditionen benutzten und damit für die Monopolisierung der Macht instrumentalisierten. Es waren daher keineswegs nur religiöse Gründe, die den Dalai Lama bewogen, gegen die Shugden-Verehrer vorzugehen, zu denen er früher selbst einmal gehörte. Um spalterischen Tendenzen entgegenzuwirken und die Integration der verschiedenen Schulen voranzubringen (ohne die eine politische Einheit aussichtslos ist), „rät“ der Dalai Lama „eindringlich davon ab“, Dolgyal anzurufen. Die Substanz und die Einheit des Buddhismus seien gefährdet, der Buddhismus drohe zu einer Form des Geisterglaubens zu entarten. Die meisten tibetischen Buddhisten folgten offenbar dem „Rat“, dem in den 1980er und 1990er Jahren mit weiteren Maßnahmen Nachdruck verliehen wurde. Von einem Verbot, das die Gegner anprangern, kann kaum die Rede sein, da der Dalai Lama dazu nicht befugt wäre. Er betonte zudem, jeder einzelne Tibeter sei frei zu verehren, wen er oder sie wolle, auch Shugden. Doch Klöster und vor allem die staatlichen Institutionen, die dem Dalai Lama nahe stünden, sollten sich von dem sektiererischen Geist fernhalten, der sich für die Sache Tibets als schädlich erwiesen habe. Ferner schloss er diejenigen, die den Kult weiterhin betreiben, von seinen Unterweisungen und Ermächtigungen aus. Der Druck auf Shugden-Anhänger stieg erheblich. 1996 bis 1998 eskalierte der Konflikt – 1997 wurden ein shugden-kritischer Mönch und zwei seiner Schüler ermordet –, seit 2008 kommt es verstärkt zu international organisierten Protesten gegen den Dalai Lama.

Die Gegner beklagen Menschenrechtsverletzungen des Dalai Lama und bezichtigen ihn unter Verweis auf unterschiedliche Quellen der Lügen angesichts angeblich massiver Verfolgungen der weit verbreiteten friedlichen Shugden-Praxis. Die Zahl der Zwischenfälle wie auch die Eigenangaben von mehreren Millionen Shugden-Anhängern können freilich von unabhängigen Experten nicht bestätigt werden. Unbestritten ist, dass die Situation von chinesischen Behörden ausgenutzt und der Kult im besetzten Tibet gegen den Dalai Lama gezielt gefördert wird. Es spielt China in die Hände, wenn die Autorität des Dalai Lama untergraben wird und er in der Weltöffentlichkeit negative Presse bekommt.

Die International Shugden Community (ISC) ist eine Tochterorganisation der Neuen Kadampa Tradition (NKT, seit 2003 mit dem Namenszusatz „International Kadampa Buddhist Union“). Wie die – mit vergleichbarer Zielsetzung – 2008 gegründete Western Shugden Society (WSS) formiert sie sich in der überwiegenden Mehrzahl aus Mitgliedern der NKT. Die NKT ist eine weltweite buddhistische Organisation mit knapp vierzig Zentren und Zweigstellen in Deutschland (vgl. MD 4/2013, 148). Ihre Gründung 1991 durch Geshe Kelsang Gyatso markierte die Trennung des Meisters und seiner Anhängerschaft von der Gelugpa-Tradition, aus der er stammt und der er mit teilweise polemischen Lehren und exklusivem Anspruch begegnet. Erfolgreich verbreitet sich die NKT mit missionarischem Eifer im Westen, während sie sich im tibetischen Kontext mit dem Sektenvorwurf konfrontiert sieht.

Die Zuspitzung der vergangenen Wochen zeigt sich u. a. an der Neugründung der ISC, daran, dass das tibetische Exilparlament im März die Anti-Shugden-Resolutionen von 1996, 1997 und 2008 offiziell bekräftigte sowie daran, dass sich der Verein der Tibeter in Deutschland und die Deutsche Buddhistische Ordensgemeinschaft (DBO) veranlasst sahen, Anfang Mai eine Stellungnahme zu der Shugden-Kampagne zu veröffentlichen, die als „Klarstellung“ auch als spiralgebundene Broschüre unters Volk gebracht wurde. Auf beiden Seiten wird mit drastischen Bildern und teilweise suggestiven Texten gearbeitet, die mehr an eine Schlammschlacht erinnern als Hoffnung auf eine Beilegung des Konflikts machen.

www.info-buddhismus.de/shugden.html
www.dalailama.com/messages/dolgyal-shugden
www.internationalshugdencommunity.com/de

Friedmann Eißler