Franz Winter

Buddhas Wiedergeburt in Japan

Ōkawa Ryūhō und die „Wissenschaft vom Glück“ (Kōfuku no kagaku)

Seit dem Jahr 2000 werden sukzessive deutsche Übersetzungen der Werke des Gründers der japanischen Neureligion Kōfuku no kagaku, Ōkawa Ryūhō1, vorgelegt.2 Diese Bücher, von denen viele in Japan Bestseller waren, erweitern das Spektrum der Übersetzungstätigkeit der Gruppe, die bislang chinesische, koreanische, englische, brasilianische und französische Übertragungen der Texte vorlegte. Dieses rege Engagement steht im Zusammenhang mit Verbreitungsbemühungen im deutschen Sprachraum, die bislang vor allem in Wien, Düsseldorf, Köln und Hamburg Früchte getragen haben. Dies soll Anlass sein, die Geschichte der Gruppierung, die international unter der Bezeichnung The Institute for Research in Human Happiness firmiert, zusammenfassend darzustellen.

Zur Vorgeschichte der Bewegung: Botschaften aus der Geistwelt

Bei Kōfuku no kagaku (wörtl.: „die Wissenschaft vom Glück“) handelt es sich um eine der jüngsten Erscheinungen auf dem lebendigen religiösen Markt Japans.3 Die Gründung erfolgte 1986 und steht mit der Person des Ōkawa Ryūhō im Zusammenhang. Dieser wurde – unter seinem Geburtsnamen Nakagawa Takashi – 1956 in der kleinen Stadt Kawashima auf der Insel Shikoku geboren.4 Seine Kindheit und Jugend verliefen in erfolgreichen Bahnen: Nach der Schulzeit konnte er an einer der renommiertesten Universitäten Japans, der Universität von Tokio, studieren. Obwohl das Studium an der juristischen Fakultät durchaus mit gewissen Schwierigkeiten verbunden war (er scheiterte anfänglich an der Aufnahmeprüfung, absolvierte diese jedoch ein Jahr später), graduierte er schließlich 1981 und begann seine berufliche Laufbahn bei einer großen japanischen Handelsfirma. Diese bislang innerhalb der Vorgaben der japanischen Gesellschaft als klassische Karriere eines sararīman5 verlaufende Entwicklung erfuhr ab dem Anfang der 80er Jahre eine wesentliche Wendung. Für den 23. März 1981 behauptet Ōkawa ein spirituelles Erlebnis gehabt zu haben, das mittelbar zur Gründung der Religionsgemeinschaft führte. In Form des „automatischen Schreibens“ wird ihm die Botschaft „gute Nachricht“ (jap. ii shirase) übermittelt. Diese soll von einem der Schüler des buddhistischen Religionsreformators Nichiren (1222-1282), Nikkō, stammen, wie nach Befragung ebenfalls durch automatisches Schreiben ermittelt wird. Nach diesem ersten Erlebnis stellt sich bald Nichiren selbst ein, der ihm den für die weitere Folge fundamentalen religiösen Auftrag erteilt, unter dem das weitere Schaffen Ōkawas stehen soll: „liebe die Menschen, inspiriere die Menschen, vergib den Menschen“ (jap. hito o aishi, hito o ikashi, hito o yuruse).6 Schon im Juni 1981 soll ihm die definitive Offenbarung seines wahren Wesens zuteil geworden sein: Der 1976 verstorbene Gründer der neureligiösen Bewegung GLA (God Light Association), Takahashi Shinji, teilt ihm mit, dass er niemand Geringerer als die „Wiedergeburt des Buddha“ (shaka no sairai) sei.

Die beschriebenen spirituellen Begegnungen veranlassen Ōkawa sich einem Freund anzuvertrauen, der ihm weiterhelfen soll. Im Zuge dessen kommt es bald zum Übergang vom automatischen Schreiben zur medialen Tätigkeit, d.h. Ōkawa agiert als spirituelles Medium, das einem Gegenüber Fragen beantwortet.7 Dabei stellen sich bedeutende Persönlichkeiten der religiösen und philosophischen Traditionen, sowohl des Westens als auch des Ostens ein, so u.a. Laotse, Sokrates, Jesus, Kūkai oder Swedenborg. 1985 werden die ersten Publikationen greifbar, die im Zusammenhang mit der Religionsgemeinschaft zu nennen sind. Unter dem Namen des „interviewenden“ Freundes, Yoshikawa Saburō,8 werden so genannte reigen (wörtl.: „Geist-Wort“; d.h. „spirituelle Botschaften“) veröffentlicht. Dabei handelt es sich um in Interviewform angelegte Wiedergaben der Gespräche, die im Kontext dieser medialen Sitzungen entstanden sein sollen. Bemerkenswert ist, dass in den zitierten reigen-Texten der Selbstanspruch, nämlich eine Wiedergeburt Buddhas zu sein, noch keine Erwähnung findet. Ōkawa erklärt dies damit, dass er erst später mit dieser vollen Wahrheit an die Öffentlichkeit gehen wollte, um die Menschen nicht zu überfordern.9

Religionsgeschichtlich kann man das hier präsentierte Material in den Kontext der Channeling-Literatur einordnen, die im „New Age“ fundamentale Bedeutung hat.10 Japan kannte spätestens seit den 70er Jahren eine ausgeprägte Rezeption dieser Literatur und ihrer „Klassiker“, die dort in der so genannten seishin sekai-Bewegung („spirituelle Welt“) ihre Heimat hat. Vergleichbare Kontakte mit einer „spirituellen Welt“ (reikai) haben zudem innerhalb der japanischen Religionsgeschichte durchaus ihre Tradition, insbesondere im Kontext der neureligiösen Bewegungen, aber nicht nur in dieser.11 So kann auf die umfangreichen Reikai monogatari des Deguchi Onisaburō, Mitbegründer der bedeutenden neureligiösen Bewegung Ōmotokyō (begründet 1892) hingewiesen werden, eine Art Beschreibung seiner (spirituellen) Reisen durch die Geistwelt. Explizite reigen-Texte im Sinne der Vermittlung durch Medien spielen auch bei einer weiteren bedeutenden japanischen Neureligion, der Shinyo-en, eine große Rolle.12

Vom spirituellen Medium zum wiedergeborenen Buddha

Der große Verkaufserfolg schon der ersten Veröffentlichung, des Buches Nichiren shōnin no reigen („spirituelle Offenbarungen des heiligen Nichiren“), der in kurzen Abständen weitere reigen-Publikationen folgen (u.a. mit Jesus, Sokrates, Kūkai, Amaterasuōmikami, Deguchi Onisaburō), ist als die Keimzelle der weiteren Entwicklung hin zur formellen Gründung einer Religionsgemeinschaft anzusehen. Es bildet sich eine Studiengruppe dieser Texte, und Ōkawa zieht immer mehr Interessierte an. Am 15. Juli 1986 gibt Ōkawa schließlich seine bisherige berufliche Tätigkeit bei der japanischen Handelsfirma auf, nennt sich ab nun Ōkawa Ryūhō13 und eröffnet am 6. Oktober 1986 das erste Büro von Kōfuku no Kagaku im Tokioter Stadtteil Nishi Ogikubo. Die Werbung erfolgt über die Bücher, die bald große Verbreitung finden, und mit Hilfe einer intensiven Vortragstätigkeit.

Bedeutend ist der zu beobachtende Wandel im Selbstverständnis. Schon die ersten Publikationen, die nun unter dem Namen Ōkawas veröffentlicht werden, präsentieren sich nicht mehr – wie die vorangegangenen Texte – als Wiedergabe der medialen Sitzungen in Dialogform, sondern als reigenshū/reijishū, in denen die spirituellen Botschaften „gesammelt“ wiedergegeben werden. Die Dialogform fällt weg, und Ōkawa tritt als souveräner Vermittler der Inhalte in Erscheinung. Dieser Wandel läutet bereits die weitere Entwicklung ein.

Die junge Religionsgemeinschaft entwickelt sich gut in den ausgehenden 80er Jahren und ihre Mitgliederzahlen steigen rasch an. In einem immer größeren Ausmaß kommt es zu einer inhaltlichen Veränderung: Der Charakter einer Studiengruppe von gechannelten Informationen wird verschoben in Richtung des Anspruchs, eine explizit buddhistische Bewegung zu sein. Dies zeigt sich am deutlichsten in den zentralen Veröffentlichungen dieser Jahre, in den drei so genannten /„Gesetzes“-Büchern, die als die fundamentalen Texte bezüglich Kosmologie, Anthropologie und Ethik anzusehen sind.14

Darin liegt der Schwerpunkt auf dem Anspruch Ōkawas, als Wiedergeburt des Buddha eine neue, moderne Form des Buddhismus für die Gegenwart zu präsentieren. Zwar stehen diese Texte in gewisser Weise noch in der vorhergehenden „Channeling“-Tradition, jedoch verschiebt sich der Anspruch massiv, weil nun nicht ein beliebiges Geistwesen seine Inhalte präsentiert, sondern niemand geringerer als der Buddha selbst. Aus dem anfänglichen passiven Channel wird so ein souverän lehrender, wiedergeborener Shakyamuni des 20. Jahrhunderts. Im Selbstanspruch der Gruppe wird natürlich von einer Kontinuität ausgegangen, jedoch stellt der Übergang, der in diesen Veröffentlichungen präsentiert ist, eine bedeutende Änderung dar.15

Die Formierung einer buddhistischen Religionsgemeinschaft wird auch durch die Herausgabe von drei Bänden zentraler Gebetstexte gefestigt. Es handelt sich dabei um das so genannte Shōshinhōgo (in der englischen Übersetzung als „Dharma of the Right Mind“ übertragen) und zwei Bände Kigan. Im ersteren finden sich die zentralen Gebetstexte, in den beiden kleineren Gebete zu besonderen Anlässen. Diese Texte sind an sich nur Mitgliedern zugänglich.

Die endgültige Festlegung: mehr als nur die Wiedergeburt des Buddha

Ein weiterer Wandel lässt sich nun für das Selbstverständnis Ōkawas Anfang der 90er Jahre vermerken. Die Behauptung, eine Wiedergeburt des Buddha zu sein, erfährt eine bedeutende Erweiterung, die Kōfuku no kagaku explizit als neureligiöse Bewegung mit universalreligiösem Anspruch erkennbar macht. In einer großen Massenveranstaltung des Jahres 1991, die als Eru Kantāre sengen („El Cantare Deklaration“) bezeichnet wird, verkündigt Ōkawa die letzte Wahrheit über sein wahres Wesen: Er ist die irdische Manifestation eines Wesens namens El Cantare, das seinerseits bereits einige Inkarnationen vor ihm getätigt hat, und zwar: auf dem (mythischen) Kontinent Mu als (König) La Mu, in Atlantis als (König) Thoth, in Griechenland als Ophealis und Hermes, im südamerikanischen Inka-Reich als (König) Rient Arl Croud, in Indien als Buddha und schließlich im modernen Japan als Ōkawa Ryūhō. Hinter dieser Inkarnationslinie ist ein deutliches religiöses System erkennbar: Von außen betrachtet erweist sich die Inkarnationslinie des El Cantare als groß angelegter Gang durch die Geschichte (Geschichtsschreibung natürlich im Verständnis der Gruppe unter Einbezug auch der mythischen Kontinente Mu, Atlantis etc.). Dabei muss betont werden, dass die Gruppe von ihrem Selbstverständnis her weiterhin als buddhistische Bewegung zu verstehen ist.

Die angesprochenen Elemente erscheinen wie eine Erweiterung des ursprünglichen Ansatzes mit dem zusätzlichen Einbezug aller Zeiten, Epochen und Ebenen der Menschheitsgeschichte. Inhaltlich lässt sich auch hier auf die hohe Bedeutung der schon zitierten seishin sekai-Bewegung verweisen, die viele dieser Elemente bereits enthält.16

Ōkawa erscheint wie ein Ordner dieser diffusen und oftmals verwirrenden Vielfalt an Angaben zu Atlantis, UFOs usw., der seinen Anhängern damit einen Leitfaden und Orientierung durch ein undurchdringbares Dickicht bietet.17 Die angesprochenen Inhalte stehen im Mittelpunkt der folgenden ausgedehnten Massenveranstaltungen, die das Bild der Gruppe in Japan bis heute prägen. Ab 1991 bis Mitte der 90er Jahre präsentiert sich Ōkawa in großen und detailliert inszenierten Shows der Öffentlichkeit, womit er große mediale Aufmerksamkeit erregt. Diese beträchtliche Erweiterung des Selbstanspruchs ist das letzte Glied im Wandel und festigt endgültig die universalreligiöse Dimension des Religionssystems. Auch hier wird im Nachhinein damit argumentiert, dass Ōkawa bereits spätestens ab Mitte der 80er Jahre Bescheid wusste, diese letzte Wahrheit jedoch erst später an die Öffentlichkeit tragen wollte.18 Dass es hier aber einen nachgereichten Wandel im Selbstverständnis gibt, lässt sich am deutlichsten in den Neuausgaben der schon zitierten drei /„Gesetzes“-Texte ablesen, die Anfang der 90er Jahre erschienen sind und die dargestellte Vorinkarnationslinie in einem Anhang präsentieren.19

Erweiterungen erfährt diese Angabe zu den Reinkarnationslinien v.a. ab Mitte der 90er Jahre durch eine starke Konzentration auf die Gestalt des Hermes, eine der vorhergehenden Inkarnationen El Canteres. 1994 erscheint eine nicht weniger als vier Bände umfassende Biographie des Hermes, die seine Geschichte „neu“ aufgrund des Einblickes Ōkawas in die spirituelle Welt schreibt. Diese ausführliche Darstellung ist im Grunde genommen eine bunte Abenteuergeschichte, die die Geburt des Hermes, der erst später fälschlicherweise zum „Gott“ wurde, als Sohn eines kretischen Königs, seine vielen Abenteuer und Kämpfe gegen böse Mächte (wie den Minotaurus oder den als Massenverführer und bösen Zauberer gezeichneten Prometheus), seine Liebe zur Königstochter Aphrodite und schließlich seine spirituelle Erweckung und die Einsicht in seine wahre Natur (samt ausführlicher Reise durch die „Geist-Welt“) beschreibt. Die unmittelbar auf die Biographie erfolgte Veröffentlichung einer Manga-Fassung (eines Teils) dieses Romans und die Fertigstellung eines auch international vermarkteten Animes umschreiben auch das Genre, in das die Gestalt des Hermes hineintransformiert wurde.20

In die Zeit der intensiven Öffentlichkeitsarbeit Anfang der 90er Jahre fällt auch der erste Konflikt der jungen Religionsgemeinschaft mit der breiteren Öffentlichkeit: Ein bekanntes Skandalblatt, das Wochenmagazin „Friday“, lanciert im Sommer 1991 einige sehr kritische Berichte über den Religionsneuzugang und ihren Gründer, der als Psychopath, Schwindler und Betrüger diskreditiert wird. Im Mittelpunkt steht dabei der „Vorwurf“, dass Ōkawa sich Ende der 90er Jahre in psychotherapeutischer Behandlung befunden hätte. Die Gruppe reagiert auf diese Vorwürfe, die sich im Übrigen als haltlos erweisen,21 geschlossen und scharf: Durch Demonstrationen und Massenfaxe und -telefonanrufe wird der herausgebende Kōdansha-Verlag für mehrere Tage blockiert.

Dieser Vorfall markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Entwicklung, weil Kōfuku no kagaku damit in der öffentlichen Wahrnehmung als entschlossene und – sollte es notwendig erscheinen – durchaus aggressive Gruppe wahrgenommen wurde.22 Die unmittelbare Folge war eine äußerst negative mediale Berichterstattung über Kōfuku no kagaku, die beispielsweise im Vergleich zur ungefähr zeitgleich entstandenen Aum Shinrikyō-Bewegung regelmäßig in journalistischen Darstellungen schlechter abschnitt.23 Dies gilt im Übrigen auch für die ersten Stellungnahmen japanischer Religionswissenschafter, die die stärker asketische Orientierung der Aum Shinrikyō-Bewegung als Zeichen für einen „ursprünglicheren“ Buddhismus hervorhoben, während demgegenüber Kōfuku no kagaku wie eine gekünstelt konstruierte Religionsgemeinschaft erschien, die sich den Buddhismus nur aufsetzte.24

Die weitere Geschichte ab Mitte der 90er Jahre

Ab Mitte der 90er Jahre kann eine gewisse Konsolidierung festgestellt werden. Auffällig ist der Rückzug Ōkawas aus der Öffentlichkeit. Die Massenveranstaltungen finden ihr Ende, und der Gründer zeigt sich nunmehr nur in kleineren Kreisen, wobei wiederum Videoaufnahmen dieser Vorträge in der Gruppe weitergereicht, resp. in den Versammlungen gezeigt werden. Bemerkenswert ist auch die beträchtliche Erweiterung der drei grundlegenden /„Gesetzes“-Bücher durch eine ganze Reihe von neuen Büchern, so dass aktuell bereits mehr als zehn dieser Serie mit besonders autoritativem Charakter existieren. Ab Mitte der 90er tritt neben Ōkawa auch seine Frau Ōkawa Kyoko mehr in Erscheinung. Sie wird als „Vize-Präsidentin“ bezeichnet und ist explizit für die Frauenorganisation innerhalb der Kōfuku no kagaku, die so genannte „Aphrodite-Gesellschaft“ (Afurodīte-kai), zuständig. Ihre Bücher beschäftigen sich mit den Themen „Kindererziehung“ und „die Rolle der Frau“ (an der Seite ihres Mannes), wobei sich die Hauptpunkte nicht wesentlich von den bereits aus Ōkawa-Texten bekannten unterscheiden.

Dazu kommt ab 1996 der Bau der großen so genannten „temples“ (im Japanischen von der Gruppe mit der Sammelbezeichnung shōja benannt, ein aus der buddhistischen Tradition stammender Terminus). Der erste wurde 1996 in der im Norden Tokios gelegenen Stadt Utsunomiya erbaut, bis heute finden sich über ganz Japan verteilt mehr als 15 dieser großzügig ausgestatteten und jeweils in sehr guter Lage befindlichen Anlagen.25 2006 wurde in Hawaii der erste Tempel außerhalb Japans gebaut.26 Die Anlagen bieten um einen zentralen Verehrungsraum mit einer Statue El Cantares in seinen verschiedenen Variationen Unterkunftsmöglichkeiten für Teilnehmer an den „Seminaren“. Für die jeweiligen Regionen stellen sie das Zentrum dar, wobei zusätzlich zu diesen Hauptzentren so genannte shibu („Büros“) in allen größeren und kleineren Städten zu finden sind. Sie dienen ebenfalls als Treffpunkt für – zumeist wöchentliche – Zusammenkünfte. Im Zentrum dieser Treffen stehen Gebetshandlungen (jeweils aus den drei grundlegenden Gebetsbüchern) und so genannte „Meditationen“, zumeist stille Einheiten der Reflexion über kurze Sinnsätze Ōkawas. Im Zentrum des spirituellen Lebens eines Mitglieds steht v.a. die Lektüre der Publikationen Ōkawas, zu deren Kauf und Weitergabe man angehalten ist. In regelmäßigen Abständen können „Tests“ über den Inhalt abgehalten werden, die eine Art Fortschritt in der Glaubenslehre markieren. Im Vordergrund der Publikationen steht im Übrigen eine sehr praktisch orientierte, einfache Lebenshilfe. Zentraler Gegenstand ist dabei eine Theorie der Unterscheidung zwischen einer „Liebe, die gibt“, und einer „Liebe, die nimmt“.27 Während in den meisten Fällen „Liebe“ in einer missverständlichen Erwartungshaltung geübt wird, steht als Ideal die „reine“ „Liebe, die gibt“, als höchstes zu realisierendes Ziel im Zentrum der ausführlichen und weitschweifigen Ausführungen.

Im Vordergrund der Verbreitungsbemühungen steht das publikatorische Schaffen Ōkawas: Seine Bücher, die seine Bekanntschaft in Japan begründeten, werden auch im nichtjapanischen Ausland als das wichtigste Medium angesehen. Deshalb ist die Übersetzungsarbeit natürlich von besonderer Bedeutung. Die Texte sollen an Interessierte weitergegeben werden und dann für sich selbst sprechen.

Ausblick und Schlussbemerkungen

Man wird sehen, wie sich die Entwicklung der Gruppe in Zukunft gestalten wird. Dem Erfolg in Japan28 selbst steht eine eher schwierige Ausbreitungsbewegung außerhalb des Ursprungslandes gegenüber. Viele Elemente der Lehre erscheinen Nichtjapanern als allzu bunt; dazu kommt eine weitere Betonung dieser Buntheit durch den exzessiven Einsatz des Mediums Manga.29 Die insgesamt schon vier Anime-Streifen, die auch international vermarktet werden, lassen zudem eine immer stärkere Zuwendung zu – in westlichen Augen – befremdlichen Elementen erkennen. Beredtes Zeichen für dieses Unverständnis sind die im Internet zu findenden Rezensionen beispielsweise zum Film „Hermes. Winds of Love“, ein Anime, das einen Teil der „Biographie“ des Hermes aufbereitet und als international vermarkteter DVD-Release veröffentlicht wurde. Durchgehend ist der Tenor erkennbar, hier ein „Zuviel“ an religiöser Botschaft vor sich zu haben, mit dem man so recht nichts anfangen könne.30

Generell lässt sich bei den nichtjapanischen Mitgliedern die Tendenz feststellen, sich anfänglich für diese Gruppe in einer Mischung aus Buddhismus-/Japan-Begeisterung und Interesse für „Geistwelt“ und „Meditation“ zu interessieren, dann jedoch von dem Allzuviel an bekannten New-Age-Inhalten (wie UFOs, Ancient Astronauts-Thematik, mythische Vorzivilisationen etc.) und deren Aufbereitung in den Publikationen der Gruppe eher abgeschreckt zu werden.31 Die weitere Entwicklung sowohl innerhalb als auch außerhalb Japans bleibt abzuwarten.


Franz Winter, Wien


Anmerkungen

1 Gemäß der japanischen Gepflogenheit gebe ich die Namen in der Reihenfolge Familienname-Vorname wieder. Dazu ist anzumerken, dass ich durchgehend die Eigenbezeichnung Ōkawa Ryuhō verwende, obwohl Ōkawa erst seit der formellen Gründung der Gruppe, d.h. seit 1986, diesen Namen trägt.

2 Eine unvollständige Liste der bereits vorhandenen deutschen Übersetzungen findet sich auf http://www.irhpress.co.jp/2german/index.html (Juni 2007); dort werden allerdings nur die Haupttexte genannt, nicht die ebenfalls erschienenen Kleinschriften.

3 Für den allgemeinen Rahmen vgl. die aktuellen Angaben bei Inken Prohl, Religiöse Innovationen. Die Shintō-Organisation World Mate in Japan, Berlin 2006, 77-80; vgl. auch Ulrich Dehn, Neue religiöse Bewegungen in Japan, EZW-Information 133, Berlin 1996, 16ff.

4 Diese Kurzbiographie fußt auf den Selbstaussagen, die sich in seinen Büchern finden, v.a. im autobiographischen Anhang zu den Taiyō no hō („Gesetze der Sonne“); in der deutschen Übersetzung: Ryuho Okawa, Das Gesetz der Sonne. Der Aufgang der buddhistischen Sonne in unserer modernen Welt, Steyr 2001, 140-154. Eine Zusammenstellung seiner Biographie findet sich bei Trevor Astley, The Transformation of a Recent Japanese New Religion: Okawa Ryuho and Kofuku no kagaku, Japanese Journal of Religious Studies, 22/1995, 343-380: 344-347; ausführlichere Informationen bietet auch Iris Wieczorek, Neue religiöse Bewegungen in Japan, Eine empirische Studie zum gesellschaftspolitischen Engagement in der japanischen Bevölkerung (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Hamburg 359), Hamburg 2002, 144–147; von Ōkawa selbst gibt es auch eine Beschreibung seiner „jungen Jahre“ bis zur Gründung von Kōfuku no kagaku, die sehr ausschweifend auch die philosophischen und weltanschaulichen Positionierungen festzulegen versucht. Es handelt sich dabei um das 2003 erschienene Buch Wakaki hi no Eru Kantāre („El Cantare in seinen jungen Jahren“), das mir in seiner Manga-Version zugänglich ist.

5 Im Japanischen übliche Bezeichnung für „(gut verdienender) Geschäftsmann“; eigentlich ein Scheinanglizismus (aus salary man).

6 Die Übersetzung der Ausdrücke richtet sich nach der deutschen Version des Buches Hito o aishi, hito o ikashi, hito o yuruse (im japanischen Original erschienen Tokio 1997), das in Wien 2003 erschien.

7 Der Übergang zu dieser neuen Form des Kontaktes ist dabei für den „Interviewenden“ anfänglich eine regelrechte Erschütterung, die ihn „sprachlos“ macht, zumal das Ereignis selbst von Licht- und Wärmephänomenen begleitet ist. So in der eindrücklichen Darstellung im Manga Wakaki hi no Eru Kantāre, 156, wo die (unvorbereitete) Ankunft Jesu in Ōkawa beim Gegenüber einen „Schock“ (shōgeki) verursacht, der ihn schließlich zu Tränen rührt. Zudem ist der Vorgang begleitet von „blendendem Licht“ (mabayui hikari) und einer beträchtlichen Wärmeentwicklung (ebd., 156).

8 Wie Anfang der 90er Jahre bekannt wurde, handelte es sich bei Yoshikawa Saburō um den Vater Ōkawas. Von der Gruppe wird diesbezüglich vermittelt, dass man den Namen Ōkawa nicht mit den anstehenden Thematiken in Verbindung bringen wollte, weil ihm dies bei seiner Tätigkeit in der Handelsfirma möglicherweise geschadet hätte. Deshalb dieses Versteckspiel. Vgl. Trevor Astley, a.a.O., 377.

9 Diese Argumentationsfigur der verzögerten Weitergabe von zentralen Inhalten findet sich in den Eigendarstellungen der Geschichte der Kōfuku no kagaku immer wieder, so auch in Bezug auf die noch auszuführende Erweiterung des Vorinkarnationsschemas. Auf diese Weise können nachfolgende Korrekturen im Glaubensschema gerechtfertigt werden.

10 Vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Matthias Pöhlmann, Kommunikation mit dem Göttlichen? Zum Phänomen „Channeling“, MD 10/2000, 339-354; zur Bedeutung des Channeling im „New Age“ vgl. v.a. auch die umfassende Darstellung bei Wouter J. Hanegraaff, New Age Religion and Western Culture. Esotericism in the Mirror of Secular Thought, New York 1998, 23-41, wo das Phänomen des Channeling als wichtige Wurzel dieser religiösen Erscheinung herausgearbeitet wird.

11 Wie bei Wouter J. Hanegraaff, a.a.O., bes. 24-27, ausgeführt wird, ist es vom religionswissenschaftlichen Standpunkt aus äußerst schwierig, eine eindeutige Definition des Phänomens „Channeling“ in Abgrenzung zu anderen Formen von „Offenbarung“ zu geben. Deshalb sind bei einer weiten Dehnung des Begriffs viele vergleichbare Vorgänge in der Religionsgeschichte zu zitieren. Viele Interpretationen des Begriffs unterstreichen dessen „universalen“ Charakter; vgl. z.B. J. Bjorling, Channeling. A Bibliographic Approach (Garland Reference Library of the Social Sciences 589; Sects and Cults in America. Bibliographical Guides 15), New York/London 1992, 3: “The phenomenon and practice of mediumship have existed from antiquity.” Ähnlich argumentiert auch Jon Klimo, Channeling. Der Empfang von Informationen aus paranormalen Quellen, Freiburg 1988.

12 Vgl. dazu die Ausführungen zur Praxis bei Shinyoen in der Darstellung von Monika Schrimpf in: Michael Pye/Katja Triplett (mit Beiträgen von Monika Schrimpf), Streben nach Glück. Schicksalsdeutung und Lebensgestaltung in japanischen Religionen, Berlin 2007, 113-117.

13 Die Änderung des Namens ergibt sich durch Ersatz des Zeichens für „Mitte“ am Anfang durch das Zeichen für „groß“ und den Zusatz des Zeichens für „Gesetz“ (hō) am Schluss. Die Änderung des Namens bei der Gründung einer Religion ist ein durchaus bekanntes Phänomen bei japanischen Neureligionen (und nicht nur dort) und steht hier in der Eigendarstellung in der Tradition der Annahme eines hōmyō (des „Gesetzes-Namens“) im Buddhismus.

14 Die Bücher tragen den Titel Taiyō no hō („Gesetze der Sonne“), Ōgon no hō („Goldene Gesetze“) und Eien no hō („Gesetze der Ewigkeit“) und erschienen in knapper Reihenfolge von Juni bis August 1987.

15 Von einem nachgeraden „Bruch“ in der Tradition spricht deshalb Catherine Cornille, Canon Formation in New Religious Movements. The Case of the Japanese New Religions, in: Arie van der Kooij (Hg.), Canonization and Decanonization. Papers presented to the International Conference of the Leiden Institute for the Study of Religions (LISOR) held at Leiden 9-10 January 1997 (Studies in the history of religions 82), Leiden u.a. 1998, 279-294: 288. Jedoch muss beachtet werden, dass Ōkawa auch nach diesem Übergang noch seine Channeling-Aktivitäten fortsetzte und weiter mit Geistwesen kommunizierte. Diese Texte werden allerdings nicht mehr öffentlich zugänglich gemacht, sondern nur gruppenintern publiziert, konkret seit den ausgehenden 90er Jahren in einer nun schon über 30-bändigen Neuausgabe, den Reigen zenshū („Gesammelte spirituelle Offenbarungen“).

16 Vgl. Fukusawa Hidetaka, Die „spirituelle Welt“ (seishin sekai) Japans – Einführung und Auseinandersetzungen, in: Hilaria Gössmann / Andreas Mrugalla (Hg.), 11. Deutschsprachiger Japanologentag in Trier 1999, Bd. 1: Geschichte, Geistesgeschichte – Religionen, Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft, Hamburg 2001, 647-660.

17 Vgl. Inken Prohl, a.a.O., 80; zum Phänomen des „Okkultismus“ in Japan vgl. den Interpretationsansatz bei Lisette Gebhardt, „Okkultismus“ als identitätsbildender Faktor oder warum es in Japan derzeit en vogue ist, von den Geistern zu sprechen, in: Hilaria Gössmann / Andreas Mrugalla (Hg.), a.a.O., 703-714.

18 Vgl. die Angaben in einem Interview (datiert mit November 1991) im Buch: Ryuho Okawa, Buddha Speaks. Discourses with the Buddha Incarnate, Tokio 1995, 76f.

19 In den alten Ausgaben der 80er Jahre finden sich diese Angaben noch in keiner Form.

20 Zum Einsatz von Mangas und Animes vgl. die Angaben am Schluss dieses Beitrags (mit weiterführender Literatur).

21 Es handelte sich um eine – für japanische Verhältnisse – nicht ungewöhnliche Namensgleichheit, die von einem tendenziös recherchierenden Journalisten zu einer Sensationsstory hochstilisiert wurde; vgl. Trevor Astley, a.a.O., 369.

22 Ebd., 371: „These actions, which marked a radical departure for the group, were widely perceived as signalling an alarming shift in Kofuku no kagaku from study group to aggressive activism.”

23 Iain Reader, Religious Violence in Contemporary Japan. The Case of Aum Shinrikyo, Honolulu 2000, 174: „This assault on (and, in the media’s eyes, attempt to censor the reporting of) a major publishing corporation transformed Kofuku no Kagaku into the bête noire of the Japanese media …”

24 In diesem Zusammenhang sind v.a. die Stellungnahmen des jungen Religionswissenschafters Shimada Hiromi zu nennen, der sich aber in einer sehr expliziten Art und Weise für die Aum Shinrikyo-Bewegung aussprach, was ihm nach dem Giftgasanschlag seine akademische Anstellung kostete. Vgl. die Angaben bei Shimazono Susumu in seiner Rezension zu Shimadas Buch Oumu: Naze shūkyō wa terorizumu o unda no ka (Aum: Warum Religion Terrorismus hervorbrachte), in: Japanese Journal of Religious Studies 30/2002, 190-195 (mit wichtigen Anmerkungen zur Positionierung der Religionswissenschaft in dieser schwierigen Problemstellung).

25 Vgl. die Liste auf http://www.kofuku-no-kagaku.or.jp/en/shoja/index.html (5. Juli 2007). Der große Tōkyō-Shōshinkan befindet sich beispielsweise im Bezirk Shinagawa; das Hauptbüro in Gotanda, die beide zu den teuersten Bezirken Tokios zu zählen sind. Das gleiche gilt auch für die weiteren Anlagen in Japan. Dazu fügt sich auch die Nachricht, dass Ōkawa im Jahre 1991 einer der 100 größten Steuerzahler Japans war; vgl. Trevor Astley, a.a.O., 348, mit einem Verweis auf die Tageszeitung Yomiuri Shinbun (vom 2. Mai 1992).

26 Der Hawaii-„temple“ präsentiert sich auf http://www.irh-hawaii.com/home.htm; der Bau selbst war im Übrigen von Kontroversen begleitet, weil sich Anwohner dagegen wandten, wie beispielsweise der Zeitungsnachricht auf http://starbulletin.com/2004/05/22/features/story1.html (5. Juli 2007) zu entnehmen ist.

27 Dies wird von Ōkawa als die Essenz der schon zitierten Botschaft Nichirens: „liebe die Menschen, inspiriere sie und vergib ihnen“ bezeichnet und in der gleichnamigen Publikation breit ausgeführt.

28 Allerdings ist auch in Japan spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts davon auszugehen, dass der rasante Anstieg der Mitgliederzahlen sein Ende gefunden hat und eher von einer Stagnation und Konsolidierung zu sprechen ist. Vgl. Inken Prohl, a.a.O., 77.

29 Der Einsatz dieses Mediums ist im japanischen Kontext nichts Ungewöhnliches. Viele religiöse Gruppierungen, insbesondere (aber nicht nur) die jüngeren, greifen exzessiv auf diese Darstellungsform zurück. Es wurde sogar ein richtiggehender „Boom“ religiöser Mangas, insbesondere seit den 80er Jahren, konstatiert. Vgl. zusammenfassend dazu Inken Prohl, a.a.O., 23. Es muss bei der Interpretation beachtet werden, dass diese Medien nicht als schmückendes Beiwerk zu verstehen sind, sondern als fundamentale Vermittlungsinstanzen für die Verbreitung religiöser Inhalte.

30 Vgl. z.B. die Rezension auf http://www.animeondvd.com/reviews2/disc_reviews/1011.php (5. Juli 2007) oder die zusammenfassende Bewertung auf http://animeworld.com/quicklooks/hermes.html  (5. Juli 2007): „The big budget but little-known Hermes is an odd combination of realistically re-interpreted Greek myths and a rather odd, pseudo-religion-heavy, Fantasiaesque take on other, related myths, packaged as a shoujo fairy tale.”

31 Dies ist eine Beobachtung im Speziellen in Bezug auf die Situation der Wiener Gruppe, die ich aus eigener Anschauung seit dem Jahre 2000 gut kenne