Interreligiöser Dialog

Braucht Berlin ein interreligiöses Zentrum?

In Berlins Mitte soll ein neuer Sakralbau entstehen, in dem Christen, Juden und Muslime Gottesdienst feiern. Eine von der Evangelischen Akademie zu Berlin in Zusammenarbeit mit dem rbb Inforadio unter der Titelfrage veranstaltete Podiumsdiskussion informierte kurz vor Ostern über den Planungsstand und stellte kritische Fragen. Seit der Vorstellung des Nutzungskonzepts 2009 ist das Projekt, das von der evangelischen Ortsgemeinde St. Petri–St. Marien initiiert worden ist, weit fortgeschritten. Derzeit wird das Bedarfsprogramm für die Errichtung des Sakralbaus als Grundlage für einen Architekturwettbewerb erarbeitet. Es ist an die Gründung einer Stiftung gedacht, die Verabschiedung des Bebauungsplans im Berliner Abgeordnetenhaus wird vorbereitet.Die Kirchengemeinde hat die Jüdische Gemeinde Berlin sowie das Forum für Interkulturellen Dialog e.V. (FID) als Partner gewonnen. Denn das soll es nach den Worten des zuständigen Pfarrers, Gregor Hohberg, von vornherein sein: eine gemeinsame Initiative der Religionen, ein von Anfang an gemeinsam entwickeltes, neues Konzept der Transparenz und Offenheit im multikulturellen Kontext. Geplant ist ein „Haus Gottes für einen Dialog der Religionen“, das dem Miteinander von Religion und Stadt eine zukunftsweisende Gestalt verleihen soll. Ein auch architektonisch „neues Wahrzeichen der Weltoffenheit und Toleranz“ am „Urort“ des historischen Berlin unweit des Doms und des Schlossplatzes, wo die zu DDR-Zeiten gesprengte St.-Petri-Kirche stand. Es wäre in der Tat das erste seiner Art in Deutschland und würde ausgehend von der Bundeshauptstadt zweifellos auch besondere Ausstrahlungskraft besitzen. Neu ist auch, dass zumindest mittelfristig das multireligiöse Nebeneinander für ein interreligiöses Miteinander geöffnet werden soll. Gemeinsame liturgische Formen für Gebet, Trauer- und Gedenkgottesdienste etwa könnten ein „prophetisches Zeichen“ für das Zusammenleben der Religionen sein, so Hohberg.Die Partnersuche gestaltete sich indes sehr schwierig. Zwar war ein Vertreter des progressiven Judentums bald gefunden (Rabbiner Tovia Ben-Chorin), doch von muslimischer Seite wurde dem ambitionierten Projekt größte Zurückhaltung entgegengebracht. Als tragfähig wurde schließlich allein eine Zusammenarbeit mit dem Forum für Interkulturellen Dialog eingeschätzt. Das FID Berlin ist wiederum ein wichtiger Akteur der nicht wenig umstrittenen Gülen-Bewegung in Deutschland, die gerade keine muslimische Gemeinde repräsentiert, sondern im Gegenteil bisher auf religiöse Diskretion gesetzt und gezielt säkulare Bildung etwa durch Einrichtung von Schulen in freier Trägerschaft lanciert hat. Kann das FID schon zahlenmäßig keinerlei muslimische Repräsentanz für sich beanspruchen, erkennt es in der Kooperation offenbar eine Gelegenheit, an äußerst prominentem Ort eine Moscheegemeinde allererst ins Leben zu rufen. Der Imam dafür, Kadir Sanci, ist derzeit noch in Ausbildung in Istanbul. Gülen-nahe Akteure bieten sich an, weil sie auf ihre Weise die säkulare Gesellschaft aktiv akzeptieren. Da sie jedoch auch innerislamisch nicht unumstritten sind, dürfte sich die Hoffnung auf die mittelfristige Einbeziehung weiterer muslimischer Partner stark reduzieren.

Nicht beteiligt ist übrigens die katholische Kirche, die sich aufgrund ihres Kirchenverständnisses an dieser Stelle einer klareren Unterscheidung bewusst bleibt. Ausdrückliche und aktive Unterstützung kommt hingegen seit Beginn vom Berliner Senat, der in letzter Zeit über neue Formen des Arrangements mit den Religionen in der Hauptstadt nachzudenken scheint.Wenn die skizzierte Konstruktion in mancher Hinsicht einen eher künstlichen und fragilen Eindruck macht – vorsichtshalber wird gleich eingeräumt, dass strukturelle Gleichheit der Partner von vornherein nicht zu erwarten und nicht erreichbar gewesen sei –, so kommen zu den internen und ortsbezogenen Hürden nicht wenige Fragen von translokaler und gesamtkirchlicher Relevanz. Diese betreffen vor allem dialogpragmatische, religionstheologische und im weitesten Sinne kirchenpolitische Aspekte. In welchem Verhältnis steht das millionenschwere Neubauprojekt am Standort St. Petri zu örtlichen und überregionalen, seit vielen Jahren intensiv verfolgten Dialogbemühungen? Auf welchen konkreten Erfahrungen baut es auf, wie soll es auf die Praxis vor Ort (religiöse und kulturelle Vielfalt, Alltagsfragen, Nöte etc.) ausgerichtet werden? Fraglich ist vor diesem Hintergrund auch die „exemplarische Beschränkung“ auf die drei monotheistischen Religionen, die sich zwar auf die große Prägekraft dieser drei in unserer Kultur und Gesellschaft beruft, vor allem aber durch das Konzept einer „Abrahamischen Ökumene“ vorgegeben scheint. Dieses liegt insbesondere der Charta zugrunde, die sich die Projektpartner Ende 2010 als Grundlage der Zusammenarbeit gegeben haben. Was ist aber mit den nicht wenigen anderen Religionen mit hervorgehobenem Abrahambezug wie den Bahai, den Aleviten, aber auch etwa den Mormonen, ganz zu schweigen von „nichtabrahamitischen“ Religionen und religiösen Gruppen wie den Buddhisten, Hinduisten, Sikhs, Yeziden und vielen anderen? Gerade die Bundeshauptstadt zeigt, wie vielfältig Nachbarschaft in religiös-weltanschaulicher Hinsicht (geworden) ist. Selbstverständlich betonen die Beteiligten, das Projekt sei für alle offen. Die „trialogische“ Konzeption trägt aus christlicher Sicht gleichwohl elitäre Züge. Die Familienmetapher „Abraham“ erscheint angesichts der religiös-weltanschaulichen Vielfalt in einer Metropole wie Berlin als Ausdruck einer dogmatischen Engführung.Die Planung eines neuartigen Sakralbaus in Berlin-Mitte hat für Architekten sicher eine besondere Faszination. In jedem Fall wirft sie die Frage auf, inwieweit die von offizieller kirchlicher Seite wiederholt bekräftigte Unterscheidung zwischen einem multireligiösen und einem interreligiösen Vollzug sichtbar gemacht und durchgehalten werden kann. Wie lässt sich die nach innen nach eigenem Bekunden wohl wahrgenommene Differenziertheit nach außen hin angemessen kommunizieren? Und darüber hinaus: Welche Kompetenz kommt der Trägerschaft wie der des hier vorgestellten Projekts für die Entwicklung interreligiöser Feiern im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland zu?In den Lern- und Entscheidungsprozessen des Petriprojekts hat man sich ohne Zweifel mit diesen und anderen Fragen beschäftigt, man ist sich vieler weitreichender Probleme bis hin zur Gefahr einer elitären Selbstinszenierung in diesem Zusammenhang bewusst. Angesichts der Bedeutung eines vollendeten interreligiösen Sakralbaus ist jedoch zu beklagen, dass die öffentliche Diskussion mit dem Projektfortschritt nicht gleichauf ist, da erst nach und nach einbezogen. Es mag für die Projektinitiatoren einnehmen, dass sie eine theologische Bescheidenheit an den Tag legen, indem sie ihre gemeinsame Arbeit als „Suchbewegung vor Gott“ sehen: „Das letzte Wort hat Gott.“ Dadurch sollte allerdings nicht eine religionstheologische Demut suggeriert werden – das Gegenteil ist der Fall –, um die Entscheidung schwieriger Fragen in eine vage Zukunft zu verlegen. Mit kritischen Rückfragen und einer öffentlichen, breiten Diskussion darüber sollte man jedenfalls nicht bis dahin warten.


Friedmann Eißler