Islam

Bosniens Großmufti für europäische Islam-Autorität

Die Diskussionen um Äußerungen des Großmuftis von Bosnien-Herzegowina, Mustafa Cerić, sind nicht beendet. Das geistliche Oberhaupt (Reis ul-Ulema) der etwa zwei Millionen Muslime in Bosnien mit Sitz in Sarajevo hatte Ende 2007 in einem CDU-nahen Brüsseler Magazin grundsätzlich zur muslimischen Perspektive in Europa Stellung genommen. Der Artikel „The challenge of a single Muslim authority in Europe“ (Die Herausforderung einer gemeinsamen muslimischen Autorität in Europa) rief kontroverse Reaktionen hervor, insbesondere aufgrund einer Formulierung, die die Scharia als „ewig, nicht verhandelbar und unendlich“ bezeichnete. Nachdem Mitte Mai die medialen Wellen hochgeschlagen waren (z. B. www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,553231,00.html ; www.islam.de/10273.php), spielt der Zentralrat der Muslime in Deutschland jüngst das Thema wieder ein, als ob nichts gewesen wäre (www.islam.de/10456.php).

Was macht die Bedeutung des Vorstoßes aus? Cerić vertritt den „bosnischen Weg“ des Islam, der als autochthone europäische Gestalt des Islam in den letzten Jahren besondere Beachtung findet. Als Brückenbauer zwischen den Religionen hat sich der Großmufti, der auch Gründungsmitglied des „European Council for Fatwa and Research“ (ECFR) und Theodor-Heuss-Preisträger ist, verdient gemacht und sich verschiedentlich für eine integrative europäische Islampolitik eingesetzt. Der Artikel entwickelt nun gleichsam Eckpunkte für eine gemeinsame muslimische Autorität in Europa, die auf drei theologischen Grundpfeilern aufbauen soll: auf ‘Aqida (Glaubensbekenntnis), Scharia (umfassende religiöse Rechtsordnung) und Imamat (innerweltliche Autorität, Führerschaft der muslimischen Umma). Ziel ist die „Legalisierung“ der Anwesenheit von Muslimen in der Diaspora, mithin die Institutionalisierung des Islam in Europa.

Dabei sollten die Kritiker die grundlegenden Differenzierungen, die das achtseitige Papier vorträgt, ebenso wenig übersehen wie seine Unterstützer die politische Dimension unterbewerten. Scharia wird als „Weltanschauung“, als kollektive Identität beschrieben, die dem „Bund“ zwischen Gott und Menschen im „Alten Testament Moses“ und im „Neuen Testament Jesu“ entspreche. Sie wird nach Sure 5,49-51 als die Kontinuität in den prophetischen Offenbarungsreligionen und von daher als universal angesehen. Davon zu unterscheiden sei das angewandte islamische Recht, fiqh, das gerade nicht ewig sei, sondern im Kontext von Zeit, Raum und Erfahrung als spezifisches Verständnis der Scharia-Prinzipien verhandelbar bleibe. Gleichwohl spricht Cerić deutlich von der Chance einer „Neuauflage des weltweiten Imamats, das auf universaler islamischer Identität basiert“ und das in Europa langfristig über alle Grenzen (auch zwischen Sunniten und Schiiten!) hinweg Gestalt gewinnen könne. Ohne Abstriche versteht sich eine solche Führerschaft als funktionaler Ausdruck des muslimischen Glaubensbekenntnisses und der „kollektiven moralischen Verpflichtung“, die in der Scharia grundgelegt ist.

Es leuchtet von daher kaum ein, die politische Dimension des Statements zugunsten der theologischen in der öffentlichen Wahrnehmung zu minimieren, wie es von muslimischer Seite versucht wird. Die Äußerung hat zweifellos hohe politische Brisanz und ist durchaus als programmatisch einzuschätzen. Insofern hat es sein Gutes, wenn die Diskussion fortgesetzt wird.


Friedmann Eißler


Link zum Text: http://springerlink.com/content/40280g3825750494/fulltext.pdf

Cerićs „Declaration of European Muslims“ vom Februar 2006 (englische Fassung): www.rferl.org/content/article/1066751. html.