Rechtsextremismus

„Blaue Narzisse“ wirbt für die Wiederkehr der Deutschen Christen

In letzter Zeit sind immer wieder Bestrebungen vonseiten der sogenannten Neuen Rechten zu beobachten, gezielt konservativ-christliche Kreise anzusprechen und diese von den etablierten Kirchen – evangelisch wie katholisch – zu entfremden, um sie für die eigenen Ideen besser vereinnahmen zu können.

Die „Blaue Narzisse“ ist eine in Sachsen erscheinende Zeitschrift im Umfeld der Identitären Bewegung. Hervorgegangen aus einer Chemnitzer Schülerzeitung ist sie mittlerweile in der Szene etabliert und ein wichtiges Medium in der intellektuellen Unterfütterung neurechter Denkweisen. Gründer und Schriftleiter Felix Menzel lebt inzwischen in Dresden und schreibt auch für die Zeitschrift „Sezession“ von Götz Kubitschek, einem der Mitbegründer der Einprozent-Kampagne, die Aktionen der Identitären Bewegung stark bewirbt.

In der Blauen Narzisse erschien am 27. Juni 2016 ein Artikel mit der Überschrift „Neues Deutsches Christentum“. Darin skizziert der Autor Robin Classen zunächst Luthers Entwicklung, der eigentlich keine neue Kirche habe gründen wollen, sich aber angesichts der Unreformierbarkeit der katholischen Kirche doch letztlich dazu genötigt gesehen habe. Sodann wird dargelegt, warum die bestehenden Konfessionen heute „für den Deutschen“ ungeeignet seien: die katholische Kirche wegen ihrer Zerrissenheit zwischen Lehramt und Anbiederung an Synkretismus und Linksliberalismus, die evangelische Kirche, weil sie mittels der „historisch-kritischen Methode“ die Bibel „bis zur völligen Bedeutungslosigkeit relativiert“ habe, „um den Glauben in Einklang mit linken Ideologien wie Gender Mainstreaming zu bringen“, und ferner Lobbyismus für „die Asylschwemme“ betreibe. Die Orthodoxen seien wenig attraktiv, weil sie sprachlich und kulturell an ausländische Nationalitäten gebunden seien. Die Evangelikalen hätten zwar Zulauf, doch sei ihre Lehre uneinheitlich „und ihre multikulturellen Party-Gottesdienste, sowie ihre grundsätzliche Anlehnung am volklosen Amerikanismus zeigen, dass sie in ihrer zersplitterten Vielfältigkeit nicht die geeinte Stimme des Christentums in Deutschland sein können, die deutsche Christen so sehr brauchen“.

Im Ergebnis seiner vernichtenden Analyse fordert der Autor alle Christen, „die zugleich auch Deutsche sind und es noch sein wollen“, auf, aus Anlass des Reformationsjubiläums 2017 dem Christentum in Deutschland eine neue Heimat zu schenken: „Eine neue, deutsche Kirche mit einem auf das Nötigste beschränkten Glaubenskompass, einem klaren Bekenntnis zur Bibel, Offenheit für deutsche und regionale Kirchenbräuche und einer klaren Absage an die gesellschaftspolitischen Übel unserer Zeit: Zerstörung der Völker als Träger der gottgewollten Nationen, Synkretismus, Zerstörung der Familie, Verehrung des Falschen und Sündhaften, Tötung ungeborener Kinder.“ Ausgehend von einer Sammlung der kirchlich Heimatlosen solle sich dies „bis hin zu einer Wiederentdeckung der deutschen Theologie und einem vollwertigen Kirchenbetrieb fortentwickeln“ (www.blauenarzisse.de/index.php/gesichtet/item/5652-neues-deutsches-christentum).

Dieser Aufruf zur Kirchenspaltung und Wiederbelebung der Deutschen Christen liest sich wie ein Lehrbuch rechtsnationaler Argumentation. Es gibt eine Reihe von Schnittmengen christlich-konservativer und rechtsnationaler Wertvorstellungen und Feindbilder, die ganz gezielt bedient werden: Mutterrolle statt Gender, Ehe statt Homosexualität, Lebensschutz statt Abtreibung, Autorität statt Anarchie, Bibel statt Koran, eindeutige Klarheit statt verwirrender Vielfalt lauten einige Stichworte in diesem Bereich. Das Deutschtum, das hier beschworen wird, trägt den Verweis auf die Bibel wie eine Monstranz vor sich her, um unaufmerksame Evangelikale und konservativ Denkende zu vereinnahmen. Aber aufgeschlagen und darin gelesen werden soll keinesfalls, sondern sie dient nur als Autoritätslieferant zum Erhalt überkommener Ordnungen, wie auch der Seitenhieb auf die historisch-kritische Methode zeigt. Dass die Nationen biblisch keineswegs als unmittelbar von Gott gewollt beschrieben werden, sondern ihre Entstehung in der Erzählung vom Turmbau zu Babel als Folge menschlicher Sündhaftigkeit und Überheblichkeit dargestellt ist, sei nur am Rande erwähnt.

Wichtige biblische Prinzipien wie Nächstenliebe und Rücksicht auf die Schwachen, Universalität des Glaubens über die Grenzen von Nationen hinweg, synodale Beratung zur Entscheidungsfindung u. a. m. spielen hier keine Rolle. Der Ruf nach einer „geeinten Stimme des Christentums“ hat daher mehr mit der Sehnsucht nach einem neuen Reichsbischof gemein als mit Ökumene in versöhnter Verschiedenheit. Offenbar sollen die genannten biblischen Prinzipien im Rahmen der geforderten „Beschränkung auf das Nötigste“ gleich mit entsorgt werden.

Das historische Beispiel der „Deutschen Christen“ zeigt, dass dieses Werben um kirchliche Konservative nur einen ersten Schritt darstellt. Er soll zur Destabilisierung der Kirchen beitragen, die mit ihrem entschiedenen Eintreten für Menschenrechte und gegen völkisch-nationalistische Denkverengung diesen Kreisen nicht genehm sind. Dem folgt allerdings unmittelbar der zweite Schritt einer Umformung der verbliebenen christlichen Traditionsreste zu einer neuheidnisch geprägten Heldenreligion. Das sollte sich jeder überlegen, der diese ausgelegten Köder essen möchte.


Harald Lamprecht, Dresden