Rebecca Moore

Beyond Brainwashing. Perspectives on Cult Violence

Cambridge University Press, Cambridge 2018, 95 Seiten, 17,85 Euro.

Das vorliegende Buch, Teil einer Publikationsreihe zum Themenfeld Religion und Gewalt, befasst sich dem Titel nach mit dem Thema „Neue religiöse Bewegungen und Gewalt“. Berücksichtigt man die Komplexität des Themenfeldes, stellt sich die Frage, wie dieses in dem nicht einmal hundert Seiten umfassenden Buch abgesteckt ist. Man möchte etwas salopp fragen: Welche Perspektiven „jenseits der Gehirnwäsche“ bietet das Buch?

Zwei Aspekte prägen die Publikation: 1. Die Autorin hat als Religionswissenschaftlerin über längere Zeit zu Jim Jones, dem Peoples Temple und dessen tragischem Ende in Jonestown (Guayana) veröffentlicht. Ihre Arbeiten verfolgen einen Ansatz, der sich von sensationsheischenden Darstellungen der Vorgänge absetzt. 2. ist zu beachten, dass die Reihe „Cambridge Elements“, in der „Beyond Brainwashing“ erschienen ist, knapp gehaltene Einführungen in Forschungsfelder bieten möchte. Die Einzelbände sollen insbesondere Studierenden Einblicke in Forschungsgeschichte und Forschungsstand bieten. Beides geschieht in der Regel mit einem Fokus auf der Darstellung und Diskussion der Theoriebildung. Dies führt dazu, dass die Bände sehr dicht formuliert sind und eine Fülle von Literaturverweisen enthalten und daher wie Kapitel eines Handbuchs in angloamerikanischer Wissenschaftstradition wirken. Sie beziehen sich, wie der vorliegende Band, primär auf englischsprachige Literatur. Dies kann zur Ausklammerung relevanter Forschungsperspektiven führen.

Moore wählt einen diskursanalytischen Ansatz. Sie versteht den Begriff „New Religious Movement“ (im Folgenden NRM) als einen relationalen Begriff. Hierdurch setzt sie sich von einem mehr oder weniger alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffes ab, der darunter zumeist Religionen fasst, die – grob gesprochen – nach dem Zeitalter der europäischen Aufklärung entstanden sind. Für Moores relationales Verständnis ist es zentral, dass „eine“ Religion zeitgleich in einem Kontext als eine etablierte Religion wahrgenommen werden kann und in einem anderen als NRM gesehen wird (4f). Die Autorin zieht daraus die Konsequenz, dass der Begriff NRM im globalen Kontext letztlich durch den Begriff „religiöse Minderheit“ zu ersetzen sei (5). Dass dies eine Verkürzung darstellt, da es in vielen Zusammenhängen religiöse Minderheiten gibt, die keine NRM sind (so etwa Parsen im Iran, Kopten in Ägypten), mag bereits auf Probleme der sehr verdichteten Darstellung hinweisen. Die zweite Vorentscheidung besteht darin, dass die untersuchte Gewalt sich auf den Bereich intentioneller Tötungen von Menschen beschränkt (5f). Die Autorin richtet ihr Augenmerk somit auf einen äußerst schmalen Bereich des auch in religiösen Kontexten vielschichtig zu fassenden Phänomens Gewalt.

Nachdem sie darauf hingewiesen hat, dass René Girards Theoriebildung zentral für das Verständnis des Verhältnisses von Religion und Gewalt sei, ohne aber über einen allgemeinen Verweis auf das Sündenbockphänomen hinauszugehen, nennt sie weitere Inspirationsquellen für die Forschung zu NRM. Sie führt Norman Cohns Studien zu mittelalterlichen millenaristischen Bewegungen und ethnologische Forschungen zu sogenannten Cargo-Kulten und Revitalisierungsbewegungen an. Des Weiteren nennt sie historische Beispiele für die Verbindung von Religion mit Gewalt (im engen Verständnis der Autorin). Die historischen Einzelbeispiele, so etwa der Taiping-Aufstand, sollen hier nicht näher diskutiert werden. Hinsichtlich der zeitgenössischen Beispiele finden Jim Jones und der Peoples Temple, David Koresh und die Branch Davidians, der Ordre du Temple Solaire (Sonnentempler) sowie Marshall Applewhite und seine „Heaven’s Gate“-Gemeinschaft die stärkste Berücksichtigung.

Moore gliedert die Forschungsgeschichte zum Themenkomplex NRM und Gewalt in vier Phasen, wobei sie die erste in den 1960er Jahren einsetzen lässt. Jede der Phasen wird durch Gewaltausbrüche markiert, in deren Folge sich Forschungsfragen neu stellten. Die Kapitelüberschriften, mögen für sich sprechen: „Cults before Jonestown: The 1960s and 1970“ (12-18), „After Jonestown: The 1980s“ (18-24), „After Waco: The 1990s“ (24-44) und „9/11 Changed Everything: Islam and New Religious Movements“ (44-48).

Zentral für den Ansatz Moores ist, dass sie an Eileen Barkers Analyse anschließt, die den wissenschaftlichen und parawissenschaftlichen Diskurs um NRM in fünf Felder gliedert. Diese werden von unterschiedlichen Denkvoraussetzungen und Zielsetzungen geprägt. Die Felder reichen von Kritikern, die dem heterogenen Feld der „Cult Awareness Movements“ zugeordnet werden, über religionswissenschaftlich, sozialpsychologisch und religionssoziologisch Arbeitende, die Moore im Anschluss an Barker als „Research-Oriented Groups“ bezeichnet, bis zu expliziten Verteidigern. Diese können ebenfalls unterschiedliche Hintergründe besitzen (13f). Moore stellt thematische und theoretische Verschiebungen und Neuakzentuierungen der Forschungsfragen sowohl für das Feld der „Cult Awareness Movements“ als auch das der „Research-Oriented Groups“ dar. Diese zeigen sich u. a. darin, dass stärker die Rolle der Umwelt, also staatlicher und nichtstaatlicher Akteure außerhalb der Gruppe, und deren Bedeutung für Gewaltausbrüche in die Untersuchungen einbezogen wurden. Mit dem 11. September 2001 konzentrierte sich dann die Forschung auf terroristische Bewegungen islamistischer Prägung, wobei theoretische Forschungsansätze zu NRM und Gewalt Anwendung fanden.

Das achte Kapitel „The Twenty-First Century: NRMs under Attack“ befasst sich mit der Bedrohung der Religionsfreiheit (49-58), die die Autorin weltweit zunehmend in Gefahr sieht. Sie betont, dass unter der sukzessiven Einschränkung der Religionsfreiheit insbesondere Anhänger von NRM zu leiden hätten. Hierbei verweist sie in einem Zuge sowohl auf die Lage in Deutschland als auch in Russland (49). Es muss wohl nicht darauf hingewiesen werden, dass die Situationen nicht vergleichbar sind. Dass die Autorin auf zunehmende staatliche Kontrolle der Religionen in der Volksrepublik China hinweist, ist nachvollziehbar, doch bezieht sich diese auf Religionen insgesamt. So hat die Kommunistische Partei Chinas in jüngster Zeit Kampagnen zur „Sinisierung“, sprich zur verstärkten Kontrolle und Umdeutung, von Daoismus und Buddhismus initiiert.

Nach einem Fazit (58-63) bietet der Band noch einen Anhang, in dem ein Überblick über Theorien zur Entstehung von Gewalt im Kontext von NRM geboten wird (64-71). Dieser vollzieht in Stichpunkten einzelne Theorien unter Nennung der Referenzpublikation nach.

Moores enge Definition des Gewaltbegriffs im Blick auf im Kontext von NRM ausgeübte Gewalt und die Ausweitung des Gewaltbegriffs im Blick auf Akteure außerhalb von NRM, wobei letztlich bereits eine kritische wissenschaftliche Studie als Aggression erscheint, lässt sie am Ende schließen, dass NRM und deren Mitglieder primär Opfer von Gewalt seien. Es ist aber zu beachten, dass staatliche Eingriffe, die als willkürliche staatliche Aggression dargestellt werden, unter Nutzung eines differenzierten Gewaltbegriffes sicherlich anders einzuordnen sind (54).

Moore fordert, dass sich Dritte für den Schutz von Religionsfreiheit und religiösen Minderheiten einsetzen sollten. Dem Appell, sich für den Schutz der Religionsfreit einzusetzen, kann nur beigepflichtet werden. Letztlich erscheint das Buch aber aufgrund seiner Perspektivenverengungen für die alltägliche Arbeit als wenig hilfreich, da weite Problemfelder einfach ausgeblendet werden.


Harald Grauer, Sankt Augustin, 08.10.2020