Spiritualität

Bestseller Spiritualität

Wenn wie in jedem Herbst die Frankfurter Buchmesse stattfindet, sind die Auflagehöhen gedruckter Bücher von besonderem Interesse. Ein britischer Schriftsteller hat im „London Review of Books“ kürzlich darauf aufmerksam gemacht, dass die amerikanische Sachbuch-Bestsellerliste von zwei Biografien angeführt wird, die das Leben von drei Technik-Pionieren porträtieren. Die eine erzählt von den Gebrüdern Wright, die am Strand von North Carolina mit den ersten Flugmaschinen experimentierten, die andere über einen erfolgreichen kalifornischen Ingenieur, der das Tesla-Elektroauto entwickelte. Eine Bestsellerliste, so der britische Schriftsteller, lasse Rückschlüsse darüber zu, was eine Nation derzeit beschäftige. In den USA scheinen demnach Technik und Fortschritt ungebrochen zu faszinieren.

Schaut man mit dieser Brille auf die aktuelle deutsche Sachbuch-Bestsellerliste, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Bei sieben der zehn meistverkauften Sachbücher auf der Spiegel-Bestsellerliste 46/2015 stehen religiöse Themen im Zentrum. Dabei ist die Leserschaft im Augenblick offensichtlich besonders an religionskritischen Positionen interessiert. Neben dem eindringlichen Appell des Dalai Lama an die Welt „Ethik ist wichtiger als Religion“ (Platz 5) steht die biografisch eingefärbte, populistische Generalabrechnung von Hamed Abdel-Samad mit dem Islam (Platz 4). Massive Kritik wird auch an den verfilzten Strukturen und der Scheinheiligkeit im Vatikan geübt (Andreas Englisch, Der Kämpfer im Vatikan, Platz 3). Ausgeglichen werden die skeptischen Stimmen durch philosophische Lebenshilfe- und Mutmach-Bücher eines Richard David Precht (Erkenne die Welt, Platz 8) sowie ein Essay des Berliner Philosophen Wilhelm Schmid über Gelassenheit (Platz 10). Manfred Lütz liefert nach einem lockeren Sprint durch die gesamte Philosophiegeschichte das Rezept „Wie Sie unvermeidlich glücklich werden“ (Platz 7). Beeindruckend liest sich das „Ungläubige Staunen“ des diesjährigen Friedenspreisträgers des deutschen Buchhandels, Navid Kermani (Platz 2). Höchst originell, wie ein Muslim über die Betrachtung christlicher Kunstwerke ins Nachdenken und Staunen über das Christentum gerät.


Michael Utsch