Alexander Clauß

Bahá´i in Deutschland

Ein Überblick über ihre gegenwärtigen Aktivitäten

Die Bahá’í-Religion ist im 19. Jahrhundert als eigenständige Offenbarungsreligion aus dem schiitischen Islam Persiens hervorgegangen. Der Stifter Mirza Husain Ali, genannt Bahá’u’lláh (1817-1892), erklärte sich 1863 als Manifestation Gottes. Charakteristisch für die Bahá’í-Religion ist unter anderem das inklusivistische Einheitskonzept einer „neuen Weltordnung“, in der frühere Offenbarungen gleichsam als Stufen einer fortschreitenden Menschheitsentwicklung anerkannt werden. So werden z. B. Zarathustra, Jesus und Muhammad als Gottgesandte angesehen und in den „Andachten“ Texte aus den heiligen Schriften der Hochreligionen rezitiert. In Deutschland gibt es Bahá’í seit 1905. Bei weltweit rund sieben Millionen Anhängern zählen sich hierzulande 5000 bis 6000 Gläubige1 zu der Religionsgemeinschaft, die im interreligiösen Dialog aktiv ist und ihr deutsches Zentrum in Hofheim im Taunus hat. Der folgende Beitrag informiert über die wichtigsten Aktivitäten der Bahá’í in Deutschland auf nationaler und auf lokaler Ebene seit dem Jahr 2000 und legt dabei den Schwerpunkt auf den interreligiösen Dialog.


Der Brief „An die religiösen Führer der Welt“

Ein Markstein in der Geschichte der Bahá’í-Gemeinde in Deutschland war die Feier ihres 100-jährigen Bestehens. 1905 war der Zahnarzt Edwin Fischer aus Amerika in seine schwäbische Heimat zurückgekehrt und hatte den Bahá’í-Glauben mitgebracht. Anlässlich des Festes im Jahr 2005 sagte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily: „Die Religionsgemeinschaft der Bahai bringt sich seit Jahrzehnten in beispielhafter Weise in das gesellschaftliche Leben Deutschlands ein.“2

Ein neueres Beispiel dieses Engagements ist der Brief „An die religiösen Führer der Welt“, den das Universale Haus der Gerechtigkeit, das oberste internationale Leitungsgremium der Bahá’í in Haifa, im Jahr 2002 versandte.3 In Deutschland wurde der Brief an ca. 2000 Repräsentanten der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der Religionswissenschaft und der Politik übergeben.4

„Die Glaubwürdigkeit der Religion leidet an religiösem Fanatismus“ – so lautet die in dem Brief benannte Ausgangsproblematik. Es ergeht der Appell, „aufrichtig darüber nachzudenken, welche Herausforderung religiöser Führung hieraus erwächst“. Es wird dargelegt, dass im Blick auf die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Überwindung rassischer und ethnischer Vorurteile weltweit schon viel erreicht wurde. Ohne gegenwärtig noch vorhandene Probleme zu leugnen, wird der Prozess so beschrieben, dass „eine Schwelle … überschritten“ sei, „von der es keinen glaubwürdigen Weg zurück mehr gibt“5. Mit diesem Prozess der Gleichberechtigung wird auch der interreligiöse Dialog in Verbindung gebracht, der im „Weltparlament der Religionen“ 1893 seinen Ausdruck fand und als „vielversprechendste neue religiöse Entwicklung“ in seiner Zeit wahrgenommen worden sei. Dem Schreiben zufolge ist dieser Dialog auch das Resultat des wissenschaftlichen Fortschritts im Westen, der „mit den tragenden Pfeilern religiöser Ausschließlichkeitsansprüche bereits hart ins Gericht“ ging (S. 2).

Der Brief legt dar, dass der globale Prozess der Gleichberechtigung und der interreligiöse Dialog insofern divergieren, als im Gegensatz zu den „Einigungsprozessen, die alle sonstigen gesellschaftlichen Bereiche umwälzen“, die Idee, dass „alle großen Religionen der Welt ihrem Wesen und Ursprung nach gleichwertig sind“, vehementen Widerstand erfahre (S. 3). Denn so, wie die Rassenintegration auf der Erkenntnis beruhe, dass „die Völker der Welt eine einzige Art bilden“, so sei die „Einheit der Menschheit“ der „unausweichliche … nächste … Schritt für den Fortschritt unserer Zivilisation“ (S. 3). Die „religiösen Häupter“ würden in Dogmatismus und Ausschließlichkeitsansprüchen verharren, die einen solchen Prozess der Gleichberechtigung und Einigung verhindere. Auf diese Weise beraube sich „die Religion“ der Möglichkeit, die Welt mitzugestalten (S. 3). Ein Zitat Bahá’u’lláhs, des Stifters des Bahá’ísmus, deutet alle Völker der Welt, welcher Rasse und Religion sie auch angehören, als einem Gott untertänig und kulminiert in der Hauptthese des Briefs, „dass die allen Religionen zugrunde liegende Wahrheit dem Wesen nach eine ist“ (S. 5). In der Argumentation werden Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit mit Einheit und Einigung in einer unmittelbaren Verbindung gesehen. Es ergeht die Forderung, alle „Superioritäts-, Absolutheits- und Endgültigkeitsansprüche“ aufzugeben (S. 5); denn „der interreligiöse Dialog, wenn er einen echten Beitrag zur Heilung der Leiden, die eine verzweifelte Menschheit quälen, leisten will, sich … der praktischen Bewegung jener umfassenden Wahrheit zuwenden muss …, dass es nur einen Gott gibt, und dass, jenseits aller Unterschiede in kultureller Ausprägung und menschlicher Interpretation, auch die Religion nur eine ist“ (S. 7).

Die Empfänger des Briefes wurden nicht ausdrücklich um Antwort gebeten, es gab aber Resonanz.6 So schrieb z. B. Friedrich Kardinal Wetter: „Auch wenn ich nicht allen Ausführungen der Botschaft ... zustimmen kann, so teile ich doch den Wunsch nach Frieden und Eintracht für die ganze Menschheitsfamilie.“ Der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse ließ übermitteln, dass er das Schreiben mit großem Interesse zur Kenntnis genommen habe und für den Beitrag zum interreligiösen Dialog dankbar sei.

Eher zurückhaltende Stimmen wurden bezüglich der These laut, dass die allen Religionen zugrunde liegende Wahrheit dem Wesen nach eine sei. Christel Hasselmann vom niedersächsischen Fachverband Werte und Normen äußert: „Das Bewusstsein der Angehörigen anderer Weltreligionen ist selbst bei den liberalsten noch nicht so weit um diesen Satz zu akzeptieren, … dass es nur einen Gott gibt, und dass, jenseits aller Unterschiede in kultureller Ausprägung und menschlicher Interpretation, auch die Religion nur eine ist.“ Peter Steinacker, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, schreibt, er könne dem Brief in weiten Teilen zustimmen. „Theologisch möchte ich aber nicht verhehlen, dass ich dem Satz ...‚ dass die in allen Religionen zugrunde liegende Wahrheit dem Wesen nach dieselbe ist, nicht zustimmen kann.“ Appellativ sind die Worte von Jürgen Micksch, dem Vorsitzenden von Pro Asyl und des Interkulturellen Rates, wenn er schreibt: „Auf der letzten Seite wird darauf hingewiesen, dass es nur einen Gott gibt – dies entspricht der Überzeugung abrahamischer Religionen. Wie Sie wissen, gibt es jedoch im Buddhismus und Hinduismus sowie in anderen Religionen hierzu unterschiedliche Einstellungen. Mir scheint es daher wichtig zu sein, dass in dem interreligiösen Miteinander über Gemeinsamkeiten und Unterschiede gesprochen wird, Unterschiede sind dabei kein Problem, sondern eine wichtige Herausforderung …“

Nach Auskunft des Sekretariats des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland blieb die Resonanz im Ganzen hinter den Erwartungen zurück.

„Gemeinsam beten?“

2007 erschien das Buch „Gemeinsam beten? Interreligiöse Feiern mit anderen Religionen“7. Herausgeber ist Franz Brendle, Vorsitzender der Religions for Peace (RfP) und Geschäftsführer des Runden Tischs der Religionen in Deutschland, dem auch die Verfasser angehören. Es handelt sich dabei um ein eigenständiges nationales Gremium, in dem Repräsentanten der christlichen Kirchen, der Buddhisten, Muslime, Juden und Bahá’í vertreten sind. Die Bahá’í werden durch Nicola Towfigh, Mitglied des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in Deutschland und Vorsitzende des Vorstands der 2006 gegründeten Stiftung für Bahá’í-Studien, repräsentiert. Der „Runde Tisch“ trifft sich seit 2002, um sich gegenseitig zu informieren und öffentliche Stellungnahmen auszuarbeiten. Seitdem lädt er auch zum Tag der Religionen in Deutschland ein. Im November 2007 fand dieser Tag in Augsburg statt. Auf der Konferenz wurde das Buch „Gemeinsam beten?“ vorgestellt. Christen, Muslime, Buddhisten, Juden und Bahá’í haben die Beiträge der Publikation verfasst. Im Folgenden geht es um den Beitrag der Bahá’í-Vertreterin Nicola Towfigh im ersten Teil des Buches.

Towfigh stellt die prinzipielle Offenheit dar, mit der die Bahá’í anderen Religionen begegnen. Alle Religionen hätten einen Ursprung, und die unterschiedlichen Religionen seien aus den Bedingungen der jeweiligen Zeitumstände hervorgegangen. Zudem sei es für die Bahá’í bereits gängige Praxis, mit Menschen anderer Religionsgemeinschaften zusammen zu beten, da die Andachtsversammlungen allen Menschen offen stünden. Weil sich im Gebet der Betende zu dem einen Ausgangspunkt allen Seins wende, sei es unerheblich, welcher Religionsgemeinschaft er angehöre. Denn das dem Gebet zugrunde liegende Gottesbild sei stets von menschlichen Erkenntnisfähigkeiten beschränkt und verweise nur auf den einen gemeinsamen Ursprung. Die Bahá’í kennen in Gemeinschaft keine freien Gebete, sondern rezitieren stets geschriebene Heilige Texte des Bahá’ísmus oder wählen Texte aus anderen Religionen. Wegen dieser gängigen Praxis nehme man „keinen Anstoß an anderweitigen Formen des Gebets oder der Andacht in inter- oder multireligiösen Feiern“ (S. 69). Demnach versteht Towfigh das Wort „gemeinsam“ im Titel des Buches als eine Gemeinschaft von Gläubigen, die zur selben Zeit am selben Ort den einen Ursprung allen Seins anbeten. Da die Autorin erwähnt, dass Texte aus anderen Religionen teilweise übernommen werden, wäre es prinzipiell denkbar, dass „gemeinsam“ zusätzlich bedeuten könnte, man spreche im Gemeinschaftsgebet mit Gläubigen anderer Religionen denselben Text.8

Bahá’í-Beteiligung an Interreligiösen und Abrahamischen Teams

Der Interreligiöse Arbeitskreis, ein Gremium des Interkulturellen Rates9, und das Abrahamische Forum sind zusammen für sog. Interreligiöse Teams zuständig. Das Abrahamische Forum wurde im Februar 2001 gegründet, um die Zusammenarbeit von Juden, Christen und Muslimen zu fördern. Zu den sog. Abrahamischen Teams gehörten anfangs jeweils ein Vertreter von Christentum, Judentum und Islam, die sich gemeinsam in Schulen oder anderen kommunalen Einrichtungen den Fragen des Publikums stellten. Nachdem eine finanzielle Förderung durch die Bundeszentrale für politische Bildung in Aussicht gestellt worden war unter der Bedingung, dass die Teams nicht auf die abrahamischen Religionen beschränkt blieben, entstanden seit 2002 Interreligiöse Teams, denen auch Vertreter der Aleviten, der Bahá’í und der Buddhisten angehören. Meist sind bei Diskussionsrunden aber nicht mehr als drei unterschiedliche Religionsgemeinschaften vertreten.10

Seit 2006 allerdings arbeiten die Bahá’í auch in den Abrahamischen Teams. Grund dafür ist die Aufnahme einer Vertretung des Nationalen Geistigen Rates der Bahá’í in das Abrahamische Forum. Jürgen Micksch, der Vorsitzende des Interkulturellen Rates, erläutert, dass für die Bahá’í Abraham nicht allein ein „Vorbild im rechten Glauben“ sei, sondern „ausdrücklich als Gottesbote („Offenbarer“), als von Gott Erwählter sowie als Stammvater späterer Religionsstifter“ gelte.11 Bahá’u’lláh, der Stifter des Bahá’ísmus, werde ausdrücklich als direkter Nachfahre Abrahams bezeichnet.

Beispiele für lokale Aktivitäten

Im Januar 2007 lud die Stuttgarter Bahá’í-Gemeinde zum Weltreligionstag nach Stuttgart ein. Die Schirmherrschaft übernahm die Landeshauptstadt.12 Der Weltreligionstag war erstmalig 1951 von der Stuttgarter Bahá’í-Gemeinde initiiert worden, pausierte ab 1964 und wurde 2000 wiederbelebt. „Gebete der Weltreligionen“13 lautete das Thema 2007. Es wurden Einblicke in die unterschiedlichen Rezitations- und Gebetstraditionen der Religionen geboten. Etwa 400 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, rund 25 Stuttgarter Religionsgemeinschaften waren vertreten.14

Eine weitere Initiative der Bahá’í ist ein Kindergarten- und Schulkonzept in Guest bei Greifswald. Seit 2000 gibt es dort den Kindergarten „Wilde 9“, dessen pädagogisches Konzept sich in seinen ethischen Grundlagen auf die Lehren der Bahá’í beruft und sich außerdem auf Erfahrungen von Maria Montessori stützt.15 Im Juli 2001 berichtete die Ostsee-Zeitung über Diskussionen im Jugendhilfeausschuss des Kreises über die „Anerkennung eines besonderen pädagogischen Profils“ für den Kindergarten.16 Hierbei soll nicht das Kindergartenkonzept im Vordergrund gestanden haben, sondern vor allem Klarheit über die Bahá’í gesucht worden sein. Gutachten17 bescheinigten diesen einen missionarischen Auftrag und eine „autoritäre, undemokratische Organisation“ und brachten Bedenken gegen eine wertneutrale Erziehung bei dem vorliegenden pädagogischen Konzept zum Ausdruck. Trotzdem wurde nach drei Sitzungen des Jugendhilfeausschusses das besondere pädagogische Profil des Kindergartens anerkannt (mit einer Stimme Mehrheit).

Basierend auf einem ähnlichen Konzept wurde jetzt eine Ersatzschule in freier Trägerschaft beantragt: „Freie Schule Wilde 9“18. Vorgesehen ist zunächst eine Grundschule mit Orientierungsstufe (Klassen 1-6), die im Obergeschoss des Kindergartens ihren Platz finden soll. Wie dem Konzept zu entnehmen ist, orientiert sich der Entwurf an den Lern- und Lehrangeboten des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern mit besonderen Arbeitsformen wie z. B. festen Arbeitsgruppen und wöchentlichen Exkursionen. Dem Schulkonzept liegt u. a. das Menschenbild der Bahá’í-Religion zugrunde. Dieses sei der Ethik des Humanismus ähnlich. Die Erziehung müsse die verborgenen Talente eines jeden Menschen zum Vorschein bringen. Dabei habe die Charaktererziehung den höchsten Stellenwert. „Moralische Erziehung und gutes Benehmen sind viel wichtiger als Bücherwissen.“19 Eine explizite Erläuterung eines „guten Charakters“ oder moralisch guten Handelns fehlt allerdings. Der Antrag sei vom Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern mit der Begründung zurückgewiesen worden, er enthalte kein „pädagogisch wertvolles Konzept“, so Anja Niemand, die Leiterin des Kindergartens. Zurzeit läuft ein Gerichtsverfahren vor dem Verwaltungsgericht Greifswald.20

In Berlin beteiligen sich die Bahá’í an einem Transkulturellen und Interreligiösen Lernhaus der Frauen21, das von der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin initiiert wurde. Zu den Zielen des Projekts gehört es, Frauennetzwerke zu etablieren, die Partizipation von Frauen unterschiedlicher ethnischer, kultureller und religiöser Herkunft zu fördern und die Befähigung zur „kulturellen Mittlerin“ zu erlangen, d. h. „Integration und Verständigung der Kulturen zu unterstützen“.22

In Hamburg bemühen sich die Bahá’í um Aufnahme in das Interreligiöse Forum in Hamburg. Das Forum, in dem sich Vertreter von Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus und Hinduismus treffen, wurde 1999 gegründet.

Spiegel-Online berichtete im Mai 2007 von der Ausgrenzung der Bahá’í aus diesem Forum aufgrund eines Vetos der SCHURA e.V.23 Die SCHURA ist ein Zusammenschluss islamischer Moscheegemeinden und islamischer Vereine in Hamburg. Den erschienenen Artikeln und auch Berichten von Beteiligten ist zu entnehmen, dass sich die SCHURA aufgrund des Widerspruchs der Schiiten der Imam-Ali-Moschee (Islamisches Zentrum Hamburg e.V. / IZH), die mit Ayatollah Sayed Abbas Ghaem-Maghami einen der Vorsitzenden der SCHURA stellen, gegen eine Vollmitgliedschaft der Bahá’í aussprachen. Der Ayatollah argumentiere, dass eine Zustimmung des Antrags der Bahá’í einer Anerkennung der Bahá’í als Religion gleichkäme.24 Die Bahá’í reagieren mit Bezug auf die iranische Religionspolitik und sagen, das „IZH erweist sich damit als verlängerter Arm der iranischen Religionspolitik in der Bundesrepublik“, da die iranische Staats- und Religionsdoktrin das Existenzrecht der Bahá’í-Religion leugne.25 Nach Auskunft von Peter Amsler vom Nationalen Geistigen Rat der Bahá’í in Deutschland ist das Forum ein privater Verein, dem es freisteht, seine Mitglieder selbst zu wählen. Eine rechtliche Möglichkeit des Einklagens der Bahá’í bestehe nicht. Die derzeitigen Verhandlungen würden eine Vollmitgliedschaft ausschließen, es gebe aber weitere Diskussionen über ein Mitwirken in anderer Form.

Gründung Regionaler Räte

Im Jahr 2006 gab es Veränderungen in der Organisationsstruktur der Bahá’í in Deutschland: Es wurden drei Regionale Räte errichtet, die nach Auskunft des Sekretariats des Nationalen Geistigen Rates als Mittelstufe zwischen den örtlichen Geistigen Räten und dem Nationalen Geistigen Rat fungieren. Die Regionalen Räte sind aber keine Neuerfindung – sie wurden schon 1997 international eingeführt und sind in anderen Ländern bereits gängige Praxis.

Die Gemeindeordnung gliedert sich in einen gewählten und einen ernannten Strang. Mitglieder des Nationalen Geistigen Rates werden gewählt. Darüber hinaus gibt es Berater und Assistenten, die ernannt werden. Die Mitglieder der Regionalen Räte werden derzeit auf Wahlvorschlag der örtlichen Geistigen Räte in einem komplexen Verfahren vom Nationalen Geistigen Rat ernannt. Allerdings kann dieser auch nicht vorgeschlagene Personen ernennen. Das Sekretariat des Nationalen Geistigen Rates teilte mit, dass diese Ernennungspraxis nur in der ersten Phase der Konstituierung durchgeführt werde. Später sollen die Mitglieder gewählt werden. In Bezug auf die Aufgaben der Regionalen Räte war zu erfahren, dass diese sich auf die Bildungsarbeit und die Gemeindeentwicklung konzentrieren sollen (Klassen für die geistige Erziehung der Kinder und Junioren, Kurse für Gemeindeglieder, Andachtsversammlungen, Studienkreise).

Nach Vorgaben des Universalen Hauses der Gerechtigkeit für die Entwicklung der Gemeinden gefragt, antwortete das Büro für Öffentlichkeitsarbeit des Nationalen Geistigen Rates in Deutschland: „… numerische Ziele zum Wachstum der Gemeinde gibt es nicht … Es gibt Ziele, die Qualität und Anzahl der Gemeindeangebote zu erhöhen und der Bevölkerung die Teilnahme anzubieten. So hat das Universale Haus der Gerechtigkeit angeregt, mehr Studienkreise, Andachtsversammlungen und Kinder- und Jugendaktivitäten ins Leben zu rufen und die Bevölkerung dazu einzuladen. Im Mittelpunkt der Pläne und Überlegungen steht die Frage, wie die Bahá’í-Lehre positiv in die Gesellschaft wirken und die menschliche Entwicklung fördern kann, da alle Menschen erschaffen wurden ‚eine ständig fortschreitende Kultur voranzutragen’ (Bahá’u’lláh).“ Diese Ziele könnten mit der Gründung der Regionalen Räte in Zusammenhang stehen. Kritische Stimmen deuten diese Gremien als Institutionalisierung einer missionarischen Profilierung der Bahá’í – eine Einschätzung, die von den Bahá’í zurückgewiesen wird.

Schlussbemerkungen

Es ist nicht leicht, die Rolle der Bahá’í im interreligiösen Dialog einzuschätzen. Ein Grund dafür ist, dass viele Projekte sich in stetem Wandel oder gerade erst im Aufbau befinden beziehungsweise Gespräche noch andauern und die weitere Entwicklung abgewartet werden muss. Der Überblick wird auch dadurch erschwert, dass Beteiligte an interreligiösen Projekten oft über andere Aktivitäten mit ähnlichem Ansatzpunkt nur wenig informiert sind. Auch fällt es manchen schwer, Zahlenangaben über das eigene Projekt zu machen. Eine umfassendere Bereitstellung von Informationen und besonders die Koordinierung der unterschiedlichen Informationen zu den einzelnen Projekten würden sicher eine Erleichterung des Dialogs bedeuten. Auch wäre es nötig, Parameter zu finden, anhand derer der Erfolg interreligiöser Projekte und Gespräche evaluiert werden kann.

Aber trotz der methodischen Probleme wird deutlich, dass die Bahá’í gesprächsbereit sind und ihnen eine Zusammenarbeit mit anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland wichtig ist. Auf nationaler Ebene sind trotz nach wie vor bestehender theologischer Kontroversen bedeutende Fortschritte bei der Klärung der Bedeutung Abrahams für die Bahá’í in Auseinandersetzung mit den Vertretern des Abrahamischen Forums erreicht worden. Diese Entwicklungen zeigen auch auf lokaler Ebene Auswirkungen in der Zusammenarbeit in Projektgruppen wie den Abrahamischen Teams. Ob dies weitere praktische Konsequenzen hat und wie diese aussehen, wird sich in den nächsten Jahren erst noch zeigen müssen.


Alexander Clauß, Halle/Saale


Anmerkungen

www.remid.de/remid_info_zahlen.htm, 5.2.2008.

2 Ulf Mauder, Deutsche Bahai-Gemeinde feiert 100. Gründungsjahr in Stuttgart: www.glaubeaktuell.net, 9.9.2005.

3 Nach der bereits 1986 verschickten Friedenserklärung „An die Völker der Welt“ war dies das zweite Mal, dass sich das Universale Haus der Gerechtigkeit an die Weltöffentlichkeit wandte.

4 Vgl. „Sind Unterschiede ein Problem oder eine geistige Herausforderung unserer Zeit?“, in: ONE COUNTRY, Magazin der Bahá’í International Community, 4/2002, 10.

5 An die religiösen Führer der Welt, 2. Alle weiteren Seitenangaben in diesem Abschnitt beziehen sich auf den genannten Brief.

6 Die Antwortschreiben, die mehr als eine Danksagung enthielten, wurden mir von Bernd Westerhoff, Sekretariat des Nationalen Geistigen Rats der Bahá’í in Deutschland, auszugsweise zugänglich gemacht. Zitate auch aus dem Artikel „Sind Unterschiede ein Problem oder eine geistige Herausforderung unserer Zeit?“, in: ONE COUNTRY 4/2002, 10f.

7 Hamburg-Schenefeld 2007.

8 Allerdings gibt Towfigh keine Kriterien für die Auswahl der Texte an.

www.interkultureller-rat.de .

10 Jürgen Micksch, Abrahamische und Interreligiöse Teams, www.interkulturellerrat.de/Themen/Abr_Forum/Abr_Forum_Teams.shtml, 5.2.2008.

11 Pressemitteilung des Interkulturellen Rats in Deutschland vom 2.3.2007, www.interkultureller-rat.de/Presse/Presse_2007/Presse_03_02.shtml, 5.2.2008.

12 Die Veranstaltung wurde durch das „Projekt der drei großen Religionen für friedliches Zusammenleben in Deutschland Weißt du, wer ich bin?“ gefördert. Träger dieses Projektes sind die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) und die Türkisch-Islamische Union der Anstalt der Religion (DITIB).

13 Laut Franz Brendle gab es keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Thema und der oben angesprochenen Veröffentlichung mit dem Titel „Gemeinsam beten?“.

14 Vgl. Abschlussbericht Weltreligionstag Stuttgart 2007, 1f, www.weltreligionstag.de/weltreligionstag 2007abschlussbericht.pdf, 5.2.2008.

15 www.kindergarten-wilde9.de

16 Art. „Volksvertreter suchten Klarheit über Bahai Religion“, in: Ostsee-Zeitung,www.ostsee-zeitung.de/po/start_109595.html,  20.7.2001.

17 Der damalige Sektenbeauftragte der Pommerschen Evangelischen Kirche, Friedrich von Kymmel, und die frühere Sektenberaterin Erika Dohrendorf-Seel von der Sekteninformationsstelle (SIST) beim Landesinstitut für Schule und Bildung wurden um Stellungnahmen bezüglich der Bahá’í gebeten.

18 Das Konzept „Schule Wilde 9“ (Stand: Januar 2005) ist nicht veröffentlicht, wurde mir aber von der Leiterin des Kindergartens zugänglich gemacht.

19 Abdu’l-Bahá, Briefe und Botschaften, Hofheim-Langenheim 1992, 110:2f; zit. nach: Konzept „Schule Wilde 9“, 11.

20 Das Urteil wurde in Kürze erwartet, lag aber bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

21 www.lernhaus-projekt.de

22 Auskunft von Ruth Grünbaum, Psychotherapeutin und Unterstützerin des Lernhauses.

23 Alexander Schwabe, Interreligiöser Dialog. Hamburger Schiiten grenzen Bahai aus, www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,483542,00.html, 18.5.2007.

24 Ebd.

25 Peter Amsler, Die Bahá’í-Religion wird in Hamburg aufgrund von iranisch-islamischem Einfluss vom interreligiösen Dialog mit anderen Religionen ausgeschlossen, www.bahai.de/presse/artikel/n-id/109/153/ch/6bb321e5b5/, 4.5.2007.