Rüdiger Braun

Aufklärungswille, Kontrollfantasien und Stigmatisierungen – Projekte zur Kartierung muslimischer Gemeinden

Eine Karte mit blauen Punkten erregt in Österreich seit Ende Mai 2021 landauf, landab die Gemüter. Es ist die Neuauflage einer bereits 2012 veröffentlichten „digitalen Übersicht“ über muslimische Vereine und Moscheen, die der am Fachbereich Islamische Religionspädagogik der Universität Wien lehrende Religionspädagoge Ednan Aslan am 27. Mai 2021 in einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit vorstellte. Die von einem Forschungsteam der Universität neu aufbereitete „Islam-Landkarte“ stellt (nach gegenwärtigem Stand) 623 muslimische Verbände, Organisationen und Moscheen vor. Aslan zufolge möchte sie „die Vielfalt des islamischen Lebens in Österreich in all seinen Schattierungen“ aufzeigen und über die Darstellung ihrer übergemeindlichen Verbindungen und ideologischen Positionierungen „Stärken und Schwächen“ der einzelnen Einrichtungen sichtbar machen.

Was das gut gemeinte Projekt brisant und für einen beträchtlichen Teil der Zivilgesellschaft so anstößig macht, ist die im Vergleich zur Erstveröffentlichung veränderte institutionelle Rahmung. Denn die „Islam-Landkarte“ des Fachbereichs präsentiert sich diesmal als ein Kooperationsprojekt mit der 2020 von der Integrationsministerin Susanne Raab eingerichteten staatlichen Dokumentationsstelle Politischer Islam und erscheint damit zugleich auch als ein (willfähriges) politisches Instrument. Raab hat denn auch verschiedentlich geltend gemacht, die „Landkarte“ diene dem „gemeinsamen Kampf gegen den politischen Islam als Nährboden für Extremismus“ und damit auch all jenen Muslimen, die mit extremistischen Strömungen nichts zu tun haben wollten: „Sie sollen doch auch wissen, in welche Moschee sie gehen und welche Strukturen und Ideologien dahinterstehen“ (dpa). Es gehe den Initiatoren des Projekts darum, integrationsfeindliche Haltungen und Positionierungen zu thematisieren und obendrein den Behörden die Entscheidungsfindung darüber zu erleichtern, welche Einrichtungen mit Fördergeldern bedacht werden sollen.

Die Notwendigkeit einer Diskussion über islamistische Radikalisierung und deren Eindämmung wird niemand bezweifeln wollen. Doch ist das im Hintergrund stehende parteipolitische Kalkül angesichts des Wiedererstarkens der FPÖ zu offensichtlich, als dass die Islam-Landkarte als neutrale wissenschaftliche Bestandsaufnahme muslimischen Lebens in Österreich eingestuft werden könnte. Die Tür zu einer (von den Initiatoren im Nachhinein öffentlich bedauerten) politischen Instrumentalisierung des Projekts war damit weit aufgestoßen. In besonders provokanter und geschmackloser Form machte sich die rechtsextreme Identitäre Bewegung das Projekt zunutze. Sie montierte in Wien und anderen Städten vor einigen in der Karte erwähnten Einrichtungen Warnschilder mit der Aufschrift „Achtung! Politischer Islam in deiner Nähe! Mehr Infos auf www.islam-landkarte.at“.

Die unsanfte Bauchlandung der parteipolitisch aufgeladenen und überhastet veröffentlichten Landkarte wurde von den unterschiedlichsten Akteuren der Zivilgesellschaft mit scharfer Kritik quittiert. PolitikerInnen und KirchenvertreterInnen sprechen von einer „Steilvorlage für Einschüchterungen und Bedrohungen“, von einem „unsäglichen Denunzierungsprojekt“ oder, etwas nüchterner, von einem „potentiell kontraproduktiven“ Unternehmen. Es müsse, so Daniel Höltgen, Sonderbeauftragter des Europarates für muslimfeindliche Intoleranz und Hassverbrechen, schnellstmöglich vom Netz gehen. Den Kultusgemeinden der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) zufolge habe die Karte das Potential zu einer pauschalen Stigmatisierung aller Muslime und ihrer Einrichtungen als möglicher Gefahr für die Gesellschaft. Sie zeuge zudem von einer problematischen politischen Einflussnahme und Instrumentalisierung der Wissenschaft. Moniert wird darüber hinaus, dass die Gemeinden der IGGÖ zu keinem Zeitpunkt in das seit 2012 bestehende Projekt sowie in die das Projekt flankierende Erstellung dreier Grundlagenpapiere zu ausgewählten muslimischen Verbänden eingebunden oder wenigstens dafür konsultiert wurden. Die Veröffentlichung der Daten schaffe weder Transparenz noch stelle sie „einen Service für Musliminnen und Muslime dar – im Gegenteil“: Sie schüre Hass und fördere eine Politik der Ausgrenzung (ORF).

Auch in Deutschland sind in jüngster Zeit Versuche unternommen worden, einen besseren Überblick über Moscheegemeinden und muslimische Vereine zu bekommen. Auf die Gewinnung größerer Transparenz über deren Auslandsbeziehungen und Finanzierungsströme zielte ein im Januar dieses Jahres von der Arbeitsgemeinschaft Innen und Heimat der CDU/CSU-Bundestagsfraktion formuliertes Positionspapier, das die verfassungskonforme Einführung eines sog. „Moscheeregisters“ in Deutschland prüfen lassen wollte. Doch ist Transparenz, wie die Verwaltungsrechtlerin Maryam Abdulsalam (Uni Bonn) betont, aufgrund der grundrechtlichen Gewährung freier Religionsausübung kein eigenständiges Rechtsgut. Zudem stünden den Behörden zur Verfolgung von Sicherheitsinteressen bereits ausreichende Zugriffsrechte und nachrichtendienstliche Mittel zur Verfügung. Aufgrund der in Art. 3 Abs. 3 GG festgeschriebenen staatlichen Neutralitätspflicht wäre ein Moscheeregister gleichheitswidrig und daher nur schwer realisierbar: Gäbe es ein Register, „müsste es eines für alle geben“ (IZ 311).

Die Problematik, dass es für einen großen Teil der insgesamt ca. 2800 muslimischen Gebetsstätten in Deutschland im Gegensatz zu den ca. 21 000 evangelischen und ca. 24 000 katholischen Gotteshäusern nur wenige öffentliche Informationen (Websites, Gemeindebriefe etc.) gibt und dass davon nur ca. 200 überhaupt als Moscheen erkennbar sind, hat den ARD-Journalisten Constantin Schreiber dazu veranlasst, mit einigen Kollegen das Onlineprojekt „Moscheepedia“ (https://moscheepedia.org) einzurichten, das den muslimischen Gebetshäusern in Deutschland zu mehr Sichtbarkeit verhelfen und muslimische Vereine und Gemeinschaften zur Einstellung eigener Beiträge animieren soll.

Ein ähnliches, jedoch dezidiert wissenschaftlich aufgestelltes Projekt betreibt das Münsteraner Exzellenzcluster „Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation“, an dem neben der Religionssoziologin Christel Gärtner auch Mouhanad Khorchide beteiligt ist, Leiter des dortigen Zentrums für Islamische Theologie und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der kritisierten Wiener Dokumentationsstelle Politischer Islam.

Die aktuellen Projekte zur Kartierung des muslimischen Gemeindelebens in Österreich und Deutschland lassen keinen Zweifel: Die in der teils vergifteten deutschen wie österreichischen „Islamdebatte“ immer wiederkehrenden, mit Markierungen wie „Islamismus“, „Politischer Islam“, „Gefährder“ oder „Hinterhofmoscheen“ versehenen, von Sulaiman Wilms als „Gespenster“ (IZ 310) beschriebenen Problemkreise bedürfen einer besonnenen und wissenschaftlich fundierten Aufarbeitung. Wie zahlreiche religionswissenschaftliche Dokumentationsprojekte in Deutschland, Österreich und der Schweiz übereinstimmend bezeugen, beeinflusst die Qualität der lokalen sozialen Beziehungen die Gründung eines Religionsvereins bzw. die Errichtung einer nichtchristlichen Gebetsstätte sehr viel stärker als das allgemeine Image einer spezifischen Religion. Zumindest hat sich eine systematisch vorausschauende, spätestens jedoch begleitende Kommunikations- und Vertrauensarbeit zwischen den Repräsentanten der Gemeinden und der Zivilgesellschaft als absolut zentral erwiesen. Wo eine aktive Vermittlungs- und Sensibilisierungsarbeit ausbleibt, gestaltet sich auch die lokale gesellschaftliche Anerkennung und Akzeptanz eines fremdreligiösen Gotteshauses oder eben eines regierungsnahen Aufklärungsprojektes schwierig. Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) hat auf die Konflikte um Moscheeregister und Islam-Landkarten mit Überlegungen reagiert, selbst ein entsprechendes Register aufzulegen, um den von ihm koordinierten Moscheen und Verbänden die Möglichkeit zu geben, „zumindest ihr eigenes Selbstverständnis vorzustellen“. Vielleicht wäre das für die Zukunft ein sinnvoller Ansatz. Wer auf Augenhöhe mit staatlichen Behörden kommunizieren will, wird nicht umhinkommen, sich auch auf Augenhöhe zu präsentieren.


Rüdiger Braun, 08.07.2021

 

Quellen: https://islamische-zeitung.de/forderungen-wie-die-nach-einem-moscheeregister-verletzen-rechtliche-grundsaetze; https://religion.orf.at/stories/3206892; www.islamiq.de/2021/06/01/europaratsbeauftragter-will-zurueckziehung-von-islam-landkarte; www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/forschung/projekte/c3-9.shtml (Abruf: 8.7.2021).