Astrologie

Astrotainment oder professionelle Beratung?

(Letzter Bericht: 4/2006, 146f) Die zunehmende Popularisierung esoterischer Lebensberatungsangebote im Fernsehen, über Internet und sog. Telefon-Hotlines wird inzwischen auch in der Astrologenzunft kontrovers diskutiert. Jüngstes Beispiel dafür ist das Schwerpunktthema „Hauptsache populär? Die Krise der Gegenwartsastrologie“ in der Juli-/Augustausgabe von Meridian – Fachzeitschrift für Astrologie. Das zweimonatlich erscheinende Magazin mit einer Auflage von 3700 Stück befasst sich in diesem Heft mit den Hintergründen und Erscheinungsformen astrologischer Angebote in den Medien. So konstatiert der Berliner Astrologe Markus Jehle derzeit „etliche ambivalente Tendenzen“: „Auf der einen Seite gab es wohl noch nie in der langen Geschichte der Astrologie so viele so gut ausgebildete Berater wie heute, andererseits aber auch noch nie so viele dümmlich und dreist zu nennende ‚Beratungsangebote’ von zumeist überforderten und sich selbst überschätzenden ‚Beratern’, die sich auf den einschlägigen Geschäftsfeldern in den Massenmedien und im Internet tummeln. Die ‚gute’ Nachricht lautet, dass es in der Bevölkerung anscheinend einen hohen, allerdings sehr unterschiedlich motivierten ‚Beratungsbedarf’ gibt und dass die Bereitschaft, dazu die Astrologie heranzuziehen, größer ist denn je. Müssten dann die ‚Geschäfte’ der Astrologen nicht bestens laufen? Die ‚schlechte’ Nachricht lautet, dass meist das Gegenteil der Fall ist – eine paradoxe Situation. Im Bereich der professionellen Astrologie herrscht bestenfalls wirtschaftliche Stagnation, in vielen Feldern ist die Tendenz seit Jahren rückläufig mit zum Teil erheblichen Einbußen.“ (Meridian Juli/August 2008, 1) Jehle plädiert deshalb für „niedrigschwellige, aber dennoch hoch qualifizierte Beratungsangebote“.

Im gleichen Heft kommen auch zwei Beraterinnen und zwei Berater von sog. Astro-Hotlines zu Wort. Freie Zeiteinteilung, die Möglichkeit zur „Spontandeutung“ am Telefon und das „Geldverdienen“ bilden die Hauptmotive für ihre Tätigkeit. Die Gesprächsdauer variiert im Einzelfall von rund 15 bis maximal 90 Minuten. Der Minutenpreis für ein Beratungsgespräch liegt zwischen 1,48 und 2 Euro. Der Astrologe Holger Faß berichtet: „Wer astrologisches Fachwissen und beraterische Kompetenzen hat, darf durchaus 120 Euro für seine Dienstleistung pro Stunde verlangen. Unfair an der Preisgestaltung ist bestenfalls, dass von diesen 120 Euro nur ca. 40 Euro beim Astrologen ankommen. Den Rest schlucken die Telefongesellschaften und Vermittlungsdienste ... Als besonders sinnvoll erlebte ich, Menschen beraterisch helfen zu können, die sonst keine Ansprechpartner hatten. Der Anteil von Menschen mit geringer Bildung, Menschen, die gesellschaftlich oder sozial ausgegrenzt werden und sich dafür schämen, Menschen, denen der Zugang zu Ressourcen verwehrt wird etc., waren während meiner Zeit auf den Hotlines stärker vertreten als in meinen Beratungen in meinen Praxisräumlichkeiten. Der Hilfebedarf war zum Teil sehr groß“ (ebd., 10). Drei der vier Astrologen berichten, dass sie Hilfesuchende in Grenzfällen auch an Fachleute (Arzt, Drogenberatungsstelle) verweisen. Übereinstimmend begreifen die Befragten ihre Tätigkeit als „seelsorgerlichen Dienst“. Die Astrologin Ina Dommer erzählt: „Ich arbeite z. B. Weihnachten oder an besonderen Feiertagen, und dort erlebe ich immer wieder das Grundbedürfnis nach Kommunikation und seelischem Trost. Die Seelsorge ist häufig ein Austausch über grundsätzliche Lebens- und Sinnfragen, die uns alle beschäftigen ... Für viele Menschen ist Internet-Telefonberatung ein Ersatz (oder eine zeitgenössische Form) der zwischenmenschlichen Kommunikation. Einer unsichtbaren Person gegenüber kann ich mich vielleicht mehr öffnen als der Freundin oder Bürokollegin. Man kann anonym bleiben und doch eine intensive Begegnung haben, auch wenn sie für beide Seiten unverbindlich bleiben sollte, bezüglich allem, was über die Beratung hinausgeht“ (ebd., 54f).

Unter der Überschrift „Bei Nebel auf der Brücke“ berichtet Markus Timm über seine Tätigkeit bei einer Astro-Telefon-Hotline: „Kommt kein Anruf, gibt es auch so zu tun: schriftliche Anfragen, E-Mails, Fachliteratur, meine Kolumnen. Sobald aber das Telefon klingelt, weiß ich, dass auch die Kasse klingelt, und das hält mich über Wasser“ (ebd., 16). An anderer Stelle klagt er über die bestehenden „Astro-Hierarchien“ in der eigenen Zunft: „da gibt es solche, die sich für die besseren halten: psychologisch orientierte Astrologen, die die klassische oder die Stundenastrologie für alten Spuk nehmen und für einen gefährlichen Irrtum halten, und neuerdings wieder klassisch orientierte Astrologen, die die Entwicklung der Astrologie zu einem unglaublich präzisen Instrument psychologischen Menschendienstes anzweifeln und sogar ebenfalls für einen ‚gefährlichen Irrtum’ halten, denn die einzig wahre Astrologie erschließe sich aus einem urtiefen mittelalterlichen Regelwerk, und sonst nirgendwoher. Ganz unten in dieser ‚gefühlten’ Hierarchie stehen jedoch jene Astrologen, die für einen der populären Fernsehsender arbeiten. Sie sind ‚der Straßenstrich der Gegenwartsastrologie’, wie Markus Jehle beim DAV-Kongress in Karlsruhe zu sagen beliebte“ (ebd., 17f). Der Astrologie-Autor Peter Schlapp hält es insgesamt für wünschenswert, „wenn möglichst wenige Astrologen die Kristenthematik nur als eine willkommene öffentliche Plattform missbrauchten, um aus purem Geltungsbedürfnis ihre astrologische Popularität zu steigern“ (ebd., 20).

Die Aussagen der Astrologen, ob sie nun fachlich orientiert oder in medial inszenierten Bereichen arbeiten, lassen erkennen, dass es in den eigenen Reihen noch erheblichen Klärungsbedarf gibt. Ohnehin zeichnen sich in der Gegenwartsastrologie deutliche Pluralisierungstendenzen ab. Zunehmend werden Seriosität und Professionalisierung astrologischer Offerten eingefordert. So weist der Deutsche Astrologen-Verband auf die aus seiner Sicht missbräuchliche Verwendung der Bezeichnung „geprüfter Astrologe“ bei „Astrotelefon-Anbietern“ und „Astroshows“ im Fernsehen hin. Eine rechtliche Handhabe dagegen gibt es jedoch nicht, da die Berufsbezeichnung „Astrologe“, wie auch „Parapsychologe“, nicht geschützt ist. So fordert der Verband mit rund 800 Mitgliedern, dass der Titel „geprüfter Astrologe DAV / geprüfte Astrologin DAV“ eine „geschützte Berufsbezeichnung“ darstellt und nur von Astrologen geführt werden dürfe, „die über sechs Prüfungsabschnitte in einem Zeitraum von ein- bis eineinhalb Jahren vor dem Prüfungsausschuss des Deutschen Astrologen Verbandes nachgewiesen haben, dass sie ihr Handwerk, die Astrologie, in allen Bereichen beherrschen“ (www.dav-astrologie.de). Es bleibt jedoch fraglich, ob es dadurch gelingen wird, die aus seiner Sicht unseriösen Astro-Anbieter aus dem Feld zu schlagen.


Matthias Pöhlmann