Jan Badewien

Apologetische Arbeit im Wandel

Glaubensverantwortung im weltanschaulichen Pluralismus

Zum gesellschaftlichen Umfeld heutiger Apologetik

Im Laufe der letzten 20 Jahre hat sich das Verhältnis der Gesellschaft zum Thema Religion spürbar verändert. Und damit hat sich auch das Verhältnis der Gesellschaft zu den Kirchen verwandelt. Einerseits erleben wir einen großen religiös-weltanschaulichen Pluralismus, andererseits eine große Indifferenz gegenüber konfessionellen Belangen. Als Mitarbeitende in einem sensiblen Bereich der Kirchen müssen Weltanschauungsbeauftragte diese Wandlungen besonders intensiv wahrnehmen und überlegen, wie darauf zu reagieren ist: Gibt es neue Fragestellungen, die wir aufnehmen müssen? Ist es nur ein stures Beharren auf veralteten Privilegien, auf einem überhöhten großkirchlichen Selbstverständnis, das nicht mehr von der derzeitigen Realität abgedeckt wird, wenn bestimmte Kriterien für ökumenisch akzeptierbare christliche Positionen als Voraussetzung für ein Miteinander eingefordert werden?

Es sind Fragen, die sich auf jedem kirchlichen Arbeitsfeld stellen – aber ganz besonders in der apologetischen Arbeit. Denn diese Arbeit geschieht an der Außenlinie zwischen Kirche und gesellschaftlichen Kräften verschiedenster Art, und die Fragen betreffen Grundsätzliches: Von welcher Position aus können kirchliche Beauftragte Ratsuchenden Antworten geben? Mit welcher Legitimität kann versucht werden, Orientierung zu vermitteln? Gibt es einen objektiven Standpunkt, der Beurteilungen anderer Weltanschauungen oder religiöser Bewegungen ermöglicht? Für die Beantwortung dieser Fragen gibt es unterschiedliche Modelle, die im Folgenden zur Sprache kommen sollen.

Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen: Überlegungen zu den Aufgaben, Zielen und Themen der kirchlichen Apologetik sind immer nur Momentaufnahmen, geprägt vom jeweiligen eigenen Standpunkt, von eigenen Erfahrungen und von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen.2

Bis in die 1990er Jahre konnte man von einer weithin akzeptierten Hegemonie der traditionellen großen Kirchen im religiösen Bereich der Gesellschaft reden. Den Kirchen – und damit auch den Sektenbeauftragten, wie die Apologeten damals noch weithin hießen – wurde die Kompetenz zugestanden, über religiöse Fragen zu urteilen, objektive, wissenschaftlich recherchierte Expertisen zu geben nicht nur für kirchliche Zwecke, nicht nur für die Seelsorge oder die Information von Gemeinden, sondern auch für Kommunalpolitiker (Anfragen von Bürgermeistern: Können wir einer Einladung der Gemeinde X folgen?), für Jugendämter (Können wir Kinder in eine Pflegefamilie geben, die der Gemeinschaft Y angehört, oder ist das Kindswohl gefährdet?), im Rahmen von Beratung im großen politischen Raum (Enquete-Kommission des Bundestags) usw.

Es wurde auch seitens der säkularen Gesellschaft weithin die Kompetenz zugestanden, die Grenzlinien von Glauben, Aberglauben und Unglauben, von Kirche, Freikirche und Sekte zu bestimmen. Der Sprachgebrauch „Sekte“ war noch möglich – auch wenn immer klar war, dass dieser Begriff eine pejorative Konnotation hat: Keine Gemeinschaft spricht von sich selbst als Sekte.

Im Laufe der 1990er Jahre wurden dann aus den Sektenbeauftragten „Weltanschauungsbeauftragte“ – eine Veränderung in der Terminologie, die eine Veränderung in der gesellschaftlichen und auch in der kirchlichen Haltung dem Phänomen des religiösen Pluralismus gegenüber anzeigte. Es kam die Rede vom „Markt der religiösen Möglichkeiten“ auf – ein Begriff, der von hegemonialen Vorstellungen abwich und auf die Konkurrenz im Bereich religiös-weltanschaulicher Sinnbildung hindeutete, der sich auch die großen Kirchen zu stellen hatten: Auf dem Markt gibt es unterschiedliche Angebote, man kann sich verschiedene Antworten aus diversen Traditionen oder auch Neuentwicklungen anschauen, sie vielleicht sogar kombinieren. „Patchwork-Religion“ wurde ein häufig verwendeter Begriff.

Vielfältige Angebote im spirituell-religiösen Bereich verunsicherten die Öffentlichkeit und fanden viel mediale Beachtung. Sie wurden teils mit Sorgen, teils mit Euphorie betrachtet. Ich denke an die Phänomene, die zunächst als „Jugendsekten“, dann als „Jugendreligionen“ zusammengefasst wurden: Gemeinschaften, die oftmals ihre Wurzeln in asiatischen Traditionen hatten und als spirituelle Globalisierung zu uns kamen: Hare Krishna, Moonies, Kinder Gottes, Bhagwan – um nur einige zu nennen –, dazu viele hinduistisch und buddhistisch orientierte Richtungen, Schulen, Meditationsformen mit ihren Ausstrahlungen in die Bereiche von Ernährung und Gesundheit, ebenso die vielfältigen Formen von Esoterik und „New Age“. Mit großer Sorge wurde das Auftreten von Scientology und anderer Psychogruppen beobachtet. Auch zahlreiche neue christliche Gemeinden entstanden – evangelikal, vor allem aber pentekostal bzw. charismatisch geprägt.

So unterschiedlich diese Phänomene auch waren – sie trugen dazu bei, dass Religion in der Gesellschaft wieder sichtbar wurde. Man sprach von der „Rückkehr der Religion“. Das war ein anderes Bild, als von Soziologen und Gesellschaftsanalytikern zuvor prophezeit worden war, ging man dort doch davon aus, dass sich Religion in einem kontinuierlichen Prozess der Selbstauflösung, zumindest der Marginalisierung befinde.

Es stellt sich heute angesichts dieser offenen Situation immer drängender die Frage für uns selbst: Von welchem Standpunkt aus stellen wir als Apologeten unsere Expertise? Natürlich – als kirchliche Theologen vom Standpunkt unserer christlichen Kirchen aus. Ist damit aber nicht eine Parteilichkeit verbunden, wie immer wieder von Gemeinschaften formuliert wird, über die in apologetischen Kontexten gehandelt wird? Vertreten wir eine Rationalität bzw. eine Wahrheit, die über den Wahrheiten und Rationalitäten der anderen steht? Haben wir einen Standort, der es uns erlaubt, im Blick auf andere von Irrationalitäten zu sprechen, oder ist das Anmaßung? Dieser Anspruch wird uns heute in der Gesellschaft nicht mehr zugestanden.

Dazu drei Beispiele: Das erste kommt aus der ZEIT, aus den Seiten „Christ und Welt“. Es ging um den geplanten Auftritt Barack Obamas auf dem Berliner Kirchentag und die Frage, ob es angemessener gewesen wäre, den Papst einzuladen. „Obama ist nicht der Papst, er ist größer … Würde das Oberhaupt der Katholiken im 500. Jahr der Reformation … zum Kirchentag kommen, bliebe die Veranstaltung verhaftet im innerkirchlichen Klein-Klein. Womöglich käme es zum gemeinsamen Abendmahl zwischen Protestanten und Katholiken. Das wäre eine Nachricht, keine Frage. Sie wäre allerdings … bedeutend sowieso nur für einige wenige, die sich vom theologischen Tamtam noch beeindrucken lassen, die Fortschritte in der Ökumene für ein prioritäres Ziel halten.“ Diesem „theologischen Tamtam“ hält der Autor dann die großen Themen Klimawandel, Versöhnung der Volker und Religionsfreiheit entgegen – und er schreibt Obama (im Unterschied zum Papst) die Möglichkeit zu, „Säkulare und Religiöse“ zu versöhnen und zu begeistern. „Der Papst interessiert die Kirchgänger, Obama interessiert alle.“3 Der Autor, Hannes Leitlein, Jahrgang 1986, ist Volontär bei der ZEIT und studiert evangelische Theologie!

Das zweite Beispiel ist dem Buch von Ulrich Schnabel, „Die Vermessung des Glaubens“4, entnommen. Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der ZEIT. Er ist – wie er schreibt – christlich sozialisiert, hat dann seit vielen Jahren zum Zen-Buddhismus gefunden, dem er aber nicht unkritisch gegenübersteht. Schnabel beschreibt, wie ein amerikanischer Anthropologe auf einer Tagung über die „merkwürdigen Glaubensvorstellungen“ der Fang in Kamerun berichtet. Ein katholischer Theologe sagt in der Diskussion: „Sie müssen jetzt erklären, wie Leute an so einen Unsinn glauben können.“ „Dem guten Theologen scheint gar nicht in den Sinn zu kommen, dass seine eigene Religion ebenso unglaublich erscheint – zumindest wenn man sie mit den Augen der Fang betrachtet. Die Frage: ‚Wie können Menschen an so etwas glauben?’ trifft eigentlich auf alle Glaubensschattierungen zu“ (13f). „Welcher Glaube ist also der wahre? Diese Frage führt direkt in Teufels Küche“ (15).

Ein drittes Beispiel sind für mich Beiträge in der ARD-Themenwoche 2017 „Woran glaubst Du?“. Hier feiert die Beliebigkeit Triumphe. So in der Talkshow von Sandra Maischberger am 14.6.2017, wo der Vertreter der Giordano-Bruno-Stiftung dominant und mit dem Gestus der Überlegenheit vehement den Abbau kirchlicher Privilegien forderte: das Ende der Kirchensteuer, den Stopp staatlicher Finanzierungen von kirchlichen Kindergärten, von Diakonie und Caritas, die Entfernung von Kirchenvertretern aus öffentlichen Gremien (Rundfunk), die Schließung theologischer Fakultäten, das Ende des christlichen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen, überhaupt die Trennung von christlicher Kultur (kein Kreuz auf dem Berliner Schloss!) und dergleichen mehr. All das ist nicht neu und wird seit Langem von interessierter Seite gefordert. Aber die große Selbstverständlichkeit, mit der das in die Leitmedien der Gesellschaft hineingetragen werden kann, zeigt eine neue Tonart. Die Tendenz ist deutlich: keine Religion im öffentlichen Raum – und schon gar keine christliche, dann wäre die Welt friedlicher und besser. Noch vor wenigen Jahren wären das Außenseiterpositionen gewesen, vertreten etwa vom Universellen Leben, von der Giordano-Bruno-Stiftung oder von anderen extremen Kirchenkritikern, heute werden sie in der Mitte der Gesellschaft formuliert.

Durch die Auseinandersetzung mit dem Islam und der Frage, wie viel islamische Lebensform und welche islamischen Rechtssatzungen mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind, wird die Rolle der Religion wieder diskutiert – allerdings nicht unbedingt mit positiver Konnotation. Gleichzeitig hat im Zusammenhang mit dieser Diskussion die Bedeutung der Kirchen im säkularen politischen und kulturellen Bereich weiter abgenommen – und damit auch das Verständnis für konfessionelle Auseinandersetzungen. Zwar kommen auch die Spitzen unseres Staates gerne zum Evangelischen Kirchentag, aber im gesellschaftlichen Alltag spielen die Kirchen eine immer geringere Rolle.

Der derzeit dominierende Pluralismus hat dazu geführt, dass alles religiös-weltanschauliche Wollen – und auch die Ablehnung jeglicher Spiritualität – gleichberechtigt nebeneinander gestellt wird: die Fang (s. o.) neben das Christentum, die Esoterik neben die Kirchen, der Atheismus neben spirituelle Gemeinschaften. Alles ist offensichtlich möglich, alles ist gültig, alles ist in das individuelle Belieben des Einzelnen gestellt.

Wenn wir diesen Horizont in den Blick nehmen, wird deutlich, dass es bei der apologetischen Arbeit heute nicht mehr nur um die traditionelle Form gehen darf, die bis zum Ende des 20. Jahrhunderts noch weithin gültig war. Also: kirchliche Apologetik als Beobachtung und Beurteilung religiöser und weltanschaulicher Gruppierungen. Diese Aufgabe bleibt eine Kernaufgabe, aber sie reicht nicht aus. Apologetik muss sich mit diesen in der Gesellschaft weit verbreiteten Tendenzen befassen und muss hier vernehmbar und pointiert christliche Positionen vertreten und damit den antichristlichen Atheismus mit seinen vielen Vorurteilen und Halbwahrheiten nach seinen eigenen weltanschaulichen Voraussetzungen befragen. Aber wie hat sie sich zu positionieren in diesem indifferent pluralistischen und zunehmend religions- und christentumsfeindlichen Umfeld?

Der Auftrag der Apologetik

Apologetik bleibt ein wichtiges Handlungsfeld der Kirchen auf der Grenze zwischen innen und außen. Das gilt auch für andere kirchliche Arbeitsgebiete, z. B. für die Akademiearbeit und für die Erwachsenenbildung. Aber der Auftrag der Apologetik ist spezifisch anders: Es geht um die Verteidigung des eigenen Glaubens, um die Darstellung der eigenen Identität im Pluralismus.

Reinhard Hempelmann formuliert: „Apologetik ist die Bezeichnung für die methodisch reflektierte Verteidigung … des christlichen Glaubens, für die Auseinandersetzung mit den das Evangelium bestreitenden Überzeugungen und Gemeinschaftsbildungen der jeweiligen Gegenwart.“ Er spricht vom „Spannungsfeld der Frage nach dem eigenen und dem fremden Glauben“5. Ron Kubsch und Thomas Schirrmacher definieren: „Apologetik ist denkerische Rechtfertigung und Verteidigung des christlichen Glaubens.“6 Apologetik findet also immer auf der Grenze statt, und die Grenze ist – nach Paul Tillich – „der eigentlich fruchtbare Ort der Erkenntnis“. Dies gilt es für die Apologetik zu nutzen.

Innerkirchliche Perspektiven der Apologetik

Besonders in der Verunsicherung der heutigen Zeit, in der die eigene Identität fraglich wird und das Gefühl vorherrscht, Phasen eines Umbruchs zu erleben, in denen noch nicht klar ist, worauf dieser Umbruch, diese Neuorientierung hinausläuft, hat Apologetik für die Kirche und ihre Mitglieder eine stützende, stabilisierende, vergewissernde Aufgabe. Die alten, klar konturierten konfessionellen Strukturen mit ihren Liturgien, ihrer Spiritualität, ihren Bekenntnissen sind weitgehend aufgelöst oder zumindest an den Rändern unscharf geworden – nicht die Institutionen, diese bestehen (noch) weiterhin mit all ihren Ansprüchen auf öffentliche Resonanz, auf Einfluss und Mitsprache. Wohl aber sind sie in ihrer Bedeutung unklar geworden im Bewusstsein vieler Menschen, auch derjenigen innerhalb der Kirchen. Sonst könnte es nicht sein, dass zwischen 20 und 25 % aller Kirchenmitglieder an die Reinkarnation glauben! Sonst könnte nicht auf einer Taufkerze ein Yandala der Göttin Kali prangen, nicht Reiki in Gemeindehäusern stattfinden. Die Beispiele lassen sich vermehren.

Gibt es hier noch Grenzen oder verfließt alles? Sind Abgrenzungen noch angemessen oder zeigen sie eine veraltete Denkweise? Hier gilt es, sich immer neu auf die Suche nach der eigenen Identität im Geflecht der kulturell und weltanschaulich so unübersichtlichen Gegenwart zu machen.

Apologetik hat Orientierung zu geben durch Information und vor allem durch die Bewertung von Informationen zu anderen Glaubensformen, Riten und Lehrinhalten. Damit kann und soll sie zur Stabilisierung und zur Sprachfähigkeit der Gemeindeglieder, aber auch der haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitenden beitragen. Gerade die Beurteilung der zahllosen Informationen, die das Internet bietet, ist hier gefragt.

Natürlich haben wir Apologeten nicht die Kompetenz zu bestimmen, was denn christlich ist und wo Grenzen überschritten werden. Aber die Hinweise, die von apologetischer Arbeit ausgehen, können für Synoden, für Kirchenleitungen, für kirchliche Öffentlichkeitsarbeit, für Gemeinden mit ihren nachbarschaftlichen Problemen im Blick auf neue Gemeinschaften hilfreich sein, Wege zu finden, Wege zu weisen.

Apologetik muss also religiös-weltanschauliche Phänomene, Lehren, Haltungen systematisch-theologisch bewerten. Dazu bedarf jeder, der sich in diese Arbeit begibt, einer immer neuen Bestimmung des eigenen Standpunkts. Denn die eigene Identität wird infrage gestellt durch die Antworten, durch die spirituellen Lebensformen, durch die religiösen Erfahrungen, die in diesem Umfeld vorhanden sind, und nicht zuletzt durch eine feindselige Indifferenz, die mit großer Wucht auf uns einstürmt.

Außenperspektiven

Aufgrund der Bilder, der Texte, der Diskussionen der letzten Zeit wird deutlich, dass ein wesentlicher Teil apologetischer Arbeit in der Vermittlung von Verstehen des christlichen Glaubens in die Gesellschaft hinein besteht. Das ist ganz im Sinn des Grundtextes der Apologetik, der immer wieder zitiert wird: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht“ (1. Petr 3). Es ist wichtiger denn je, nach außen zu vermitteln, was denn die menschenfreundlichen, zum Leben helfenden, tröstlichen und zukunftsweisenden Aspekte des christlichen Glaubens sind. Damit wird deutlich: Es geht Christen nicht um die Erhaltung von Privilegien. Es geht auch im Verhältnis verschiedener Konfessionen und Gemeinden zueinander nicht um Rechthaberei, um dogmatische Haarspalterei oder das „theologische Tamtam“ (s. o.), sondern es geht um Sinnstiftung, um Orientierung, um Werte, die unser Leben und unsere Kultur prägen.

Um die eigenen Anliegen verständlich zu machen, muss daher zunächst nach dem Verbindenden gefragt werden – vorrangig, vor der Diskussion der Differenzen. Konfessionelle Unterschiede, nicht nur zwischen den großen Kirchen, sondern auch zu den Freikirchen und Sondergemeinschaften gelten heute weitgehend als irrelevant, als gestrige, veraltete Aspekte. Und haben die verschiedenen christlichen Ausprägungen nicht ein legitimes Anliegen? Verweisen sie nicht darauf, dass in allen Kirchen und Konfessionen bestimmte Aussagen hervorgehoben, andere dagegen vergessen wurden?

Hinzu kommt, dass die Esoterik in ihren verschiedenen Spielarten, die in den letzten 30 Jahren ein so wichtiges Thema der Apologetik war, mittlerweile in der Gesellschaft weitgehend akzeptiert wird. Die Fakten etwa zu esoterischer Medizin oder zu esoterischer Welterklärung interessieren wenig, das Postfaktische und höchstens ein Schulterzucken über Skurrilitäten beherrschen das Bild. Und die Gefahren von Scientology – wurden sie nicht maßlos überschätzt? Muss sich also die Öffentlichkeit noch um diese Auseinandersetzungen kümmern? Wenn es Probleme gibt, spielen sie im privaten, individuellen Raum. Für die Öffentlichkeit war und ist wichtig, ob hier eine Gefahr für die Demokratie, für den Wirtschaftraum Deutschland oder zumindest für eine große Zahl von Betroffenen besteht – und das scheint nicht der Fall zu sein.

Kirchliche Urteile über andere Glaubensformen gelten verstärkt als Versuche, die Konkurrenz niederzuhalten. Es findet schon lange keine allgemeine Zustimmung mehr, seitens der Kirchen bestimmte Gemeinschaften als „Sekten“ zu bezeichnen und damit ihre Irrtümer, ihr Fehlverhalten, ihre unzureichende Ethik, ihr Konfliktpotenzial, ihren Führerkult zu benennen, zu entlarven und zu kritisieren. Dass hier oftmals neue Offenbarungen und Weisungen der Führung an die Stelle der Bibel gesetzt werden, gilt als innerkirchliches Problem.

Die gesellschaftliche Indifferenz, die für einige Jahre einer gewissen Aufmerksamkeit gewichen war, ist zurückgekehrt, wie oben geschildert verbunden mit einer mal latenten, mal sehr aggressiven Feindseligkeit allem Christlichen gegenüber. Als Apologeten müssen wir damit zurechtkommen, ebenso wie die Kirchen insgesamt.

Themen

Angesichts dieser kirchlichen und gesellschaftlichen Situation darf nicht vergessen werden, dass es für die Apologetik nach wie vor zahlreiche Themenfelder gibt. Ein Blick in das Handbuch der VELKD7 in seiner Auflage von 2015 zeigt das ganze Feld: esoterische Weltanschauung ebenso wie alle Formen des Humanismus, die Exponenten charismatisch-pentekostalen Christentums und fundamentalistische Bewegungen, auch die Ausflüsse der Weltreligionen, die aufgrund der Globalisierung immer häufiger bei uns anzutreffen sind. Und natürlich auch Entwicklungen in der eigenen Kirche.

Eine wesentliche Frage ist, wo denn in dem weiten Bereich religiös-weltanschaulichen Lebens die Suche nach einem angemessenen Ausdruck für das, was mit Gott erfahren wird, zu finden ist. Sind die jeweiligen Lehren, die Frömmigkeitsformen, die Gottesdienste und Meditationsangebote Versuche, etwas über Gottes undefinierbare, unbegrenzbare, Rationales und Irrationales übersteigende Größe zu sagen – oder spiegeln sich darin menschliche Machtinteressen, hypertrophe Selbstverständnisse eines Gurus, eines Propheten, eines Geistesforschers? Hier Unterscheidungen zu treffen, bleibt Thema und Aufgabe der Apologetik.

In diesen Punkten wird es immer Arbeitsteilung geben, Spezialisierungen – das geht nicht anders, wenn es denn sachgerechte Beobachtungen und Beurteilungen werden sollen. Daher ist es wichtig, dass es ein apologetisches Netzwerk gibt, das die Landeskirchen verbindet, und die EZW, die diese Bemühungen gewissermaßen bündelt und wissenschaftlich einordnet. Es ist ebenfalls notwendig, dass die ACK-Kirchen in ökumenischem Geist zusammenarbeiten, ebenso die verschiedenen Ebenen von Land, Regionen und Gemeinden. Das bedarf des Ausbaus, des immer neuen Bemühens und des gegenseitigen Vertrauens.

Was kann, was soll Apologetik in dieser Gemengelage tun?

Apologetik muss vermeiden, was in der Vergangenheit nicht immer vermieden wurde, zum Beispiel, dass der Verdacht entstehen kann, sie schaue auf andere Formen von Religion bzw. Weltanschauung aus der Perspektive der Überlegenheit, der Überheblichkeit und einer gewissen Arroganz herab. Dazu gehört es, harte Polemiken zu vermeiden und nicht durch den Stil der Diskussion zu suggerieren, man nehme die anderen nicht ernst und begegne ihnen nicht auf Augenhöhe.

Es darf auch nicht der Verdacht entstehen, dass die Auseinandersetzung dazu diene, andere Gemeinden und Weltanschauungen aus Konkurrenzgründen zu bekämpfen und sie mit der Macht der großen Kirche aus dem Markt zu verdrängen.

Es darf nicht mehr geschehen, anderen Irrationalitäten vorzuwerfen und für die eigene Position die Rationalität, die Logik, die Vernunft zu reklamieren. Dazu sei das Reclam-Heft von Holm Tetens empfohlen: „Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie“ (2015)8. Es sei aber auch an die oben zitierte Passage aus dem Buch von Ulrich Schnabel erinnert.

Apologetik hat gelernt, dass nicht nur Ehemalige (gern als „Aussteiger“ bezeichnet) glaubwürdige Quellen für Lehre und Leben einer Gemeinschaft sind. Sie darf aber auch nicht ins Gegenteil verfallen und die Aussagen von Ehemaligen generell ablehnen. Die Beschränkung auf die Aussagen von „Aussteigern“ hat lange Jahre im apologetischen Bemühen das Bild der anderen Seite verzerrt und einen gleichberechtigten Diskurs erschwert oder gar verhindert. Die Subjektivität von Enttäuschungen, Einengungen, negativen Erfahrungen wurde unterschätzt. Bedenken wir: Wie reden enttäuschte ehemalige Mitglieder über die Landeskirche oder über die katholische Kirche, ihre Gemeinden, ihre Repräsentanten? Allerdings darf Apologetik sich auch nicht vom Gesprächspartner vorschreiben lassen, auf wen sie sich bezieht, wen sie als Quelle zurate zieht.

Apologetik darf nicht kleinlich, nicht rechthaberisch, nicht „dogmatisch“ sein. In unserer Gesellschaft gibt es seit geraumer Zeit eine Haftungsgemeinschaft aller Christen: Wenn es zum Beispiel in einer Kirche einen Skandal gibt, werden alle dafür haftbar gemacht. Man unterscheidet nicht zwischen den Konfessionen. Ein anderes Beispiel: Kürzlich wurde im SWR eine freie Gemeinde vorgestellt: mit einem fröhlichen Gottesdienst, mit entsprechender Musik und mit jungen Leute, die unkompliziert und ohne Scheu über ihren Glauben sprachen, kurz, aber deutlich. Müssen Apologeten das kritisieren, sogleich nach Lehrunterschieden suchen? Das wird heute – wie oben ausgeführt – nicht mehr verstanden, weder im säkularen Bereich noch in unseren eigenen Gemeinden.

Auch weite Teile der Kirchen haben sich einer charismatischen Theologie und Gemeindepraxis (Lobpreisgottesdienste) oder adaptierten östlichen Meditationspraktiken geöffnet. Auch angesichts solcher Entwicklungen erscheint die Apologetik von EZW und Weltanschauungsbeauftragten oftmals als dogmatisch-rationalistische Auseinandersetzung einer überholten theologiegeschichtlichen Epoche, geprägt von Konfessionalismus und eigenem Absolutheitsanspruch. Dieser Einschätzung muss entgegengewirkt werden.

Wie kann Apologetik sinnvoll arbeiten und hilfreich sein?

Apologetik, die den Dialog will und nicht die Verurteilung des Gegenübers, ist zuallererst beobachtende Apologetik. Was geschieht in den Gemeinden, wie arbeitet ein esoterisches Schulungszentrum, wie gehen Anthroposophen mit den Menschen um, die zu ihnen kommen? Wie gestalten sie Gottesdienste oder religiöse Feiern?

Eine dialogische Apologetik bemüht sich um das Verstehen. Was wird in neuen, in anderen Formen ausgedrückt? Was ist die Grundlage der Lehre? Welche Rolle spielt die Bibel, welche Rolle spielen die Aussagen des Gründers oder der Lehrprophetin? Dabei gilt es, nicht nur die kritischen Punkte zu sehen, sondern auch die Stärken. Dazu gehören die oft positiv erlebten Bindungen und Gemeinschaftsformen in den kleinen Gemeinden. Dass das auch zu Verengungen und Manipulationen führen kann, ist natürlich auch zu beobachten und ins Gespräch zu bringen.

Wichtig ist, das Gespräch zu suchen – nicht nur anhand von Publikationen zu urteilen, allerdings auch zu verlangen, dass die grundsätzlichen Texte ernst genommen werden (Glaubensbekenntnisse, Texte zur Selbstbeschreibung im Internet usw.).

Wichtig ist ebenso die Beachtung und Wertschätzung der Spiritualität einer Gemeinschaft: Wie feiern sie ihre Gottesdienste? Was bedeutet es zum Beispiel, dass im Gesangbuch der Neuapostolischen Kirche ca. 80 Prozent der Lieder evangelischen Ursprungs sind (auch wenn nicht mehr alle im Evangelischen Gesangbuch vorhanden sind)?

Es gilt, den authentischen Glauben der anderen grundsätzlich zu akzeptieren, den Menschen mit Respekt und Achtung zu begegnen: Ist es ein anderes Narrativ, eine andere Begrifflichkeit, um die gleiche Erfahrung vom „Grund des Seins“ auszudrücken? Allerdings darf man diese Haltung auch von der anderen Seite einfordern.

Sind die Differenzen, die nicht verschwiegen werden dürfen, wirklich größer und bedeutender als die Gemeinsamkeiten? Sind sie so groß, dass die gegenseitige Anerkennung nicht möglich ist? Kann man sich als Christen anerkennen, auch wenn die Haltung zur Taufe unterschiedlich beurteilt wird oder wenn eine andere Vorstellung (Theologie) vom Abendmahl gelebt wird? In der Ökumene betonen wir die „versöhnte Verschiedenheit“ – sie gilt auch für neue Formen, die den Anspruch erheben, christlich zu sein. Wo können wir anderen helfen, ihre Vorstellungen, Glaubensweisen, Riten so weit zu verändern oder neu zu interpretieren, dass gegenseitige Anerkennung, Gemeinschaft möglich wird? Gibt es also Möglichkeiten einer positiven Veränderung (Beispiele: Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten, Neuapostolische Kirche)?

Apologetik kann Gemeinden Mut machen zu Begegnungen mit den oftmals recht unbekannten Nachbarn. Eine Apologetik sollte heute eine einladende Apologetik sein: Wir sollten nach Möglichkeiten suchen, mit kleinen Gemeinschaften, die nicht (oder noch nicht) zur großen Ökumene der ACK gehören, eine Gesprächsebene zu finden, sie zu unseren Veranstaltungen einladen und ihre Einladungen ohne Berührungsängste annehmen.

Wie schon gesagt wurde, dient Apologetik ganz wesentlich der Orientierung. Sie soll dabei helfen, in der so offenen und beliebigen religiösen Lage das Verständnis der eigenen Position zu stärken. Was heißt es, ein Christ zu sein – und was macht die Identität der eigenen evangelischen Tradition aus? Über Luther und die Reformation ist in den letzten Jahren viel gesprochen worden – ist dabei ein Verständnis für die Anliegen der Reformation und ihre Bedeutung für heute gewachsen? Können wir dazu Kriterien erarbeiten? Bleibt mehr vom Reformationsjubiläum als Luther-Devotionalien, große Besucherzahlen bei Ausstellungen, touristische Highlights? Was also ist christliche, evangelische Identität im 21. Jahrhundert? Verschließt sie sich an den konfessionellen Grenzen oder kann sie sich selbstbewusst für andere öffnen, fröhlich mit ihnen ein buntes Christsein leben? „Zur Freiheit hat uns Christus befreit, so steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen“, ruft Paulus den Christen in Galatien zu. Das gibt der apologetischen Arbeit die Freiheit, in allem Verstehen und Achten des anderen das Eigene zu stärken: die Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders allein aus Glauben, von der bedingungslosen Liebe Gottes zu uns – um nur zwei Punkte zu nennen.

Nach wie vor gehört auch die abgrenzende Apologetik zu den Aufgaben. Es gilt festzustellen, wo sich eine Gemeinschaft so weit vom Konsens der weltweiten Christenheit entfernt, dass eine Verständigung nicht möglich ist – und in der Regel von solchen Gemeinschaften auch nicht gewünscht wird. Wo muss gewarnt werden? Wo werden neue Fesseln, neue Gesetze auferlegt? Wo werden Menschen ausgenutzt, manipuliert, bedroht? Ist eine Gemeinschaft menschendienlich oder -verachtend? Eröffnet sie Lebensmöglichkeiten oder schränkt sie ein? Baut sie Brücken zu anderen oder mauert sie sich ein? Schränkt sie Informationsfreiheit, Kritik an der Institution ein?

Es ist die bleibende Aufgabe apologetischer Arbeit zu prüfen, wann welche Form der Apologetik angebracht ist. Immer aber muss eine Grundhaltung der Zuwendung und des Verstehenwollens dominieren.

Fazit

Die Aufgaben der apologetischen Arbeit werden nicht enden. Sie wandeln sich mit der allgemeinen Akzeptanz des religiös-weltanschaulichen Pluralismus, sie werden komplizierter. Aber Apologetik bleibt unverzichtbar, wenn es denn darum geht, die eigene christliche und gar evangelische Identität in dieser Gesellschaft zu behaupten. Die wichtigsten Aufgaben scheinen mir zu sein, die Sprachfähigkeit nach innen zu verbessern und den aggressiven oder indifferent-feindseligen Atheismus nach außen zu bestreiten. Ich bin davon überzeugt: Wenn Apologetik im Blick auf andere religiöse und weltanschauliche Bewegungen Kriterien für die Beurteilung findet, die die menschenfreundliche Botschaft des Evangeliums und die Befreiung vom Joch der Gesetzlichkeit in den Mittelpunkt stellen, wird sie innerkirchlich wie gesellschaftlich auch in Zukunft akzeptiert bleiben.

Anmerkungen

  1. Der Text beruht auf einem Vortrag, der beim Abschluss des EZW-Curriculums Religions- und Weltanschauungsfragen II gehalten wurde (Hildesheim, 23.6.2017).
  2. Das zeigt die Literatur zum Thema: Matthias Petzoldt/Michael Nüchtern/Reinhard Hempelmann: Beiträge zu einer christlichen Apologetik, EZW-Texte 148, Berlin 1999; Jan Badewien: Aufgaben und Themen heutiger Apologetik, in: MD 6/2009, 205-213; Jan Badewien: Die Vielfalt von Rationalitäten und die Kritik des Irrationalen, in: Reinhard Hempelmann (Hg.): Die Faszination des Irrationalen und die Vernunft des Glaubens, EZW-Texte 241, Berlin 2016, 61-73; Matthias Pöhlmann, Warum Apologetik nötig ist. Plädoyer für ein kirchliches Profil im weltanschaulich-religiösen Pluralismus, in: MD 3/2016, 100-103.
  3. Hannes Leitlein: Barack vereint, in: Wird er übers Wasser gehen?, Christ und Welt, ZEIT, vom 20. April 2017.
  4. Ulrich Schnabel: Die Vermessung des Glaubens. Forscher ergründen, wie der Glaube entsteht und warum er Berge versetzt, München 2008.
  5. www.ezw-berlin.de/html/3_3045.php .
  6. Ron Kubsch/Thomas Schirrmacher: Apologetik: Den christlichen Glauben denkerisch bezeugen, 1 (Internet-Fassung).
  7. Matthias Pöhlmann/Christine Jahn (Hg.): Handbuch Weltanschauungen, Religiöse Gemeinschaften, Freikirchen, Gütersloh 2015.
  8. Vgl. dazu auch Badewien, Die Vielfalt von Rationalitäten (s. Fußnote 2).