Gesellschaft

Antisemitischer Kabarettist Dieudonné zu Gefängnisstrafe verurteilt

Der populäre französische Kabarettist Dieudonné Mbala Mbala ist am 25.11.2015 von einem belgischen Gericht zu zwei Monaten Gefängnis und einer Geldbuße verurteilt worden. Ihm war vorgeworfen worden, sich 2012 auf einer Veranstaltung wiederholt diskriminierend, rassistisch und antisemitisch geäußert, zum Hass angestachelt und den Holocaust geleugnet zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte sechs Monate Haft gefordert.

Der Auftritt mit dem Titel „Rendez-nous Jésus!“ (Gebt uns Jesus zurück) war im März 2012 vom städtischen „Comité des jeunes“ (Jugendkomitee) des überwiegend von arabisch-muslimischen Einwanderern bewohnten Lütticher Stadtteils Bressoux-Droixhe organisiert und von 1100 überwiegend jugendlichen Zuschauern besucht worden. Gegen die Planung der Veranstaltung hatten bereits im Vorfeld christliche, jüdische und islamische Organisationen der Stadt vergeblich Einspruch erhoben. Der Hauptorganisator und Vorsitzende des Stadtteil-Jugendkomitees, Zacharia El Majdoubi, hatte sich damals ahnungslos gegeben: Er habe Dieudonné „mit Kumpels in Paris gesehen und lustig gefunden“. Der Stadtteil Droixhe gilt seit Jahren als Ort nur noch schwach vertretener staatlicher Ordnung und wurde als phasenweise nahezu gesetzlos beschrieben.

Dieudonné Mbala Mbala (geb. 1966), unter seinem Vor- und Künstlernamen Dieudonné („Gottgegeben“) bekannt, ist der Sohn einer bretonischen Mutter und eines kamerunischen Vaters. Er wuchs bei der Mutter in einem linksbürgerlichen Milieu in Frankreich auf. Während seines Aufstiegs als Kabarettist in den 1990er Jahren – bis 1997 gemeinsam mit seinem Bühnenpartner Elie Semoun, ein Sohn aus Marokko geflohener Juden – engagierte er sich gegen Rassismus, für illegale Einwanderer und Jugendliche in der Banlieue, stand den Grünen nahe. Gelegentlich kandidierte er als Unabhängiger bei Regionalwahlen, um dem Front National etwas entgegenzusetzen. Vielen galt er um die Jahrtausendwende als bester Kabarettist Frankreichs.

Seit Anfang 2002 trat Dieudonné immer häufiger mit antijüdischen Äußerungen in seinen Shows und Interviews in Erscheinung, was ihm zunächst den Vorwurf eintrug, der „Le Pen der Linken“ zu sein, ein Hinweis auf die Nähe des linksextremen („antizionistischen“) und rechtsextremen Antisemitismus. Noch 2005 galt er als ein Mann der Linken. Zunehmend machte er sich diverse verschwörungstheoretische Deutungen zu eigen, z. B. dass der 11. September 2001 das Werk von Juden gewesen sei. Ab 2006 knüpfte er Beziehungen zum Front National und seinem bekennend antisemitischen Gründungsvorsitzenden Jean-Marie Le Pen, auch dieser Bretone wie Dieudonné. Trotz des immer offener zutage tretenden Judenhasses boten sich ihm noch mehrere Jahre Gelegenheiten zu Fernsehauftritten. Gleichzeitig radikalisierte er sich weiter und trat mit einer „Antizionistischen Liste“ bei Wahlen an. Die antisemitische Partei holte bei der Europawahl 2009 im arabisch dominierten Département Seine-Saint-Denis 2,8 %, lokal bis zu 25 % der Stimmen.

Erst als Marine Le Pen 2011 ihren Vater an der Spitze des Front National ablöste, gegen den Antisemitismus in der Partei vorzugehen begann und sich von Dieudonné abgrenzte, wandte sich dieser seinerseits von der Partei ab.

Seit 2005 näherte sich Dieudonné zunehmend muslimischen Milieus an, fand die Nähe des schillernden, im frankophonen Europa einflussreichen Publizisten Tariq Ramadan, der ihn öffentlich verteidigte, traf sich im Libanon mit der Hisbollah, im Iran mit Präsident Ahmadinedschad und sympathisierte offen mit der Hamas. Der einstige radikale Atheist mit Hang zur Verunglimpfung aller Religionen äußert sich nun bisweilen anerkennend über Mohammed und den Islam.

In dem Maße, in dem seine allgemeine Popularität im Laufe der Jahre unter seinen antisemitischen Ausfällen litt, gewann Dieudonné neue Anhänger v. a. unter den maghrebinischen und afrikanischen Jugendlichen der französischen Banlieue. Er hat dort Star-Status. Markant – und bei den Vorstadtjugendlichen beliebt – ist die von Dieudonné 2005 kreierte Geste der „Quenelle“, eine Art nach unten gerichteter Hitlergruß. Es ließen sich auch schon diverse Persönlichkeiten der extremen Rechten mit der Quenelle fotografieren, u. a. Dieudonnés Mitstreiter Alain Soral vor dem Holocaust-Mahnmal in Berlin. Der französische Fußballnationalspieler Anelka feierte damit einst einen Torerfolg, um sich mit Dieudonné zu solidarisieren – illustrierend, wie mainstreamfähig der Antisemitismus in Frankreich ist.

Seit 2002 wurde Dieudonné wiederholt wegen seiner hetzerischen Äußerungen vor Gericht gestellt, aber nur gelegentlich zu Geldstrafen verurteilt. Hier und da erhielt er Auftrittsverbote (für die er im Anschluss manchmal erfolgreich Entschädigungen erstritt). Die Justiz tat sich schwer damit, die Freiheit der Kunst gegen die juristische Relevanz seiner inhaltlichen Aussagen so abzuwägen, dass nennenswerte Strafen zustande kamen. Obendrein ist es dem Staat bislang nicht gelungen, die verhängten Geldstrafen einzutreiben.

Erst in jüngster Zeit wurde man entschlossener. Im März 2015 wurde Dieudonné in Frankreich zu einer zweimonatigen Bewährungsstrafe verurteilt, weil er unmittelbar nach den Pariser Anschlägen vom Januar 2015 auf seiner Facebook-Seite „Ich fühle mich wie Charlie Coulibaly“ geschrieben hatte. Das sollte offensichtlich die Solidaritätswelle für das Magazin „Charlie Hebdo“ parodieren und seine Sympathie für Amedy Coulibaly ausdrücken. Dies war der Attentäter, der mehrere Menschen in einem jüdischen Supermarkt ermordet hatte.

Das jetzige, noch nicht rechtskräftige Urteil ist Dieudonnés erste nicht zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe und vielleicht als Ausdruck eines veränderten Klimas im Umgang mit der Aufstachelung zum Judenhass zu sehen. Vier Tage vor dem Urteil hatten arabisch-französische Muslime bei einem teilweise antisemitisch motivierten Terroranschlag auf eine Pariser Konzerthalle fast 100 Menschen ermordet. Die Täter kamen aus Brüsseler Vororten mit ähnlicher Sozialstruktur wie Bressoux-Droixhe.


Kai Funkschmidt, 10.12.2015