Charismatische Bewegungen

Anskar-Kirche Hamburg als Gastmitglied in die regionale ACK aufgenommen

Eine kleine Notiz in der Zeitschrift der Hamburger ACK lenkte im November 2011 die Aufmerksamkeit auf ein für die Kirchenlandschaft im Norden unerwartetes ökumenisches Geschehen: Die Anskar-Kirche Hamburg wurde einstimmig als Gastmitglied in die regionale Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Hamburg (ACK-Hamburg) aufgenommen. Bereits kurz nach dem entsprechenden Vollversammlungsbeschluss hat die Anskar-Kirche diese Information auf ihrer Homepage verbreitet (www.anskar-hamburg.de). Damit ist das vorläufige Ende eines Weges markiert, der vor über 23 Jahren mit einer Abspaltung von der Nordelbischen Kirche (NEK) begann.

Damals – im September 1988 – verließ Pastor Wolfram Kopfermann die NEK, um eine neue Kirche zu gründen. Bereits in den 1970er Jahren hatte Kopfermann sich in Bayern charismatischer Frömmigkeit geöffnet; seine erste Pfarrstelle hatte er in der Nähe des bis heute für Tagungen der charismatischen Bewegung bekannten Schlosses Craheim. 1974 wechselte er als Pastor an die Hamburger Hauptkirche St. Petri und übernahm 1978 die bundesweite Leitung des Koordinierungsausschusses des Geistlichen Gemeinde-Erneuerung in der evangelischen Kirche (GGE). Zu den sonntäglichen charismatisch geprägten Heilungsgottesdiensten kamen zunehmend mehr Teilnehmer; in den 1980er Jahren waren es oft mehr als 1000 Menschen. Glaubenskurse wurden regelmäßig von 200 bis 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern besucht. Als die Arbeit in St. Petri zu immer stärkeren innergemeindlichen Spannungen führte und auch seine persönliche Entwicklung Kopfermann immer mehr von der Volkskirche und dem von ihm als „Einfallstor des Synkretismus“ bezeichneten Pluralismus innerhalb der NEK entfernte, kam es schließlich zum Bruch.

Ca. 500 Gemeindeglieder folgten ihm in die mit rund zehn Hauptamtlichen startende neue Kirche. Rasch wurden Tochtergemeinden (zwei in Hamburg sowie je eine in Wetzlar und Hochheim/Taunus) gegründet, das nach wie vor bestehende Anskar-Kolleg zur Pfarrerausbildung wurde ins Leben gerufen. In Hamburg fand die neue Kirche für die Hauptniederlassung innenstadtnah ein Zuhause. 1991 schließlich wurde die „Anskar-Kirche International“ (AKI) als freikirchlich-uniert verfasster Dachverband gegründet; die Gemeindeneugründung nannte sich nunmehr „Anskar-Kirche – Evangelische Freie Gemeinde“.

1992/1993 trug Kopfermann die Vision in die Öffentlichkeit, dass eine ganz Deutschland ergreifende Erweckung bevorstünde. Diese würde sich nicht nur durch die Manifestation von Geistesgaben zeigen, sondern auch zu einem Mitgliederzuwachs der Anskar-Gemeinde auf 10 000 Mitglieder im Jahr 2000 führen. Aufgrund dieser Vision wurden Spenden von über einer Million D-Mark für den bis Mitte 1994 zu realisierenden Bau einer „Mega-Church“ mit 2500 Gottesdienstplätzen gesammelt.

In dieser Gemeindegründungs- und Ausweitungsphase ordinierte Kopfermann mehrere Pastoren, jenseits der Hamburger Stadtgrenzen wurden weitere Gemeinden gegründet (1992 in Pinneberg, 1994 in Schenefeld bei Hamburg). Als das prophezeite Wachstum und die vermeintlich von Gott beabsichtigte Erweckung Deutschlands ausblieben, wurde bereits Ende 1993 Abstand vom Projekt einer „Mega-Gemeinde“ genommen; die Spendengelder wurden für andere Bauvorhaben zurückgelegt. Auch der Dachverband „Anskar-Kirche International“ wurde Anfang 1995 aufgelöst; fortan waren die einzelnen Gemeinden organisatorisch in der als evangelisch-charismatische Freikirche konzipierten „Anskar-Kirche Deutschland e.V.“ zusammengefasst.

Ohnehin waren die Jahre 1994 und 1995 eine Krisenzeit für die junge Kirche: Bau- und Grundstücksprojekte zerschlugen sich, mehrere Leitende (u. a. der zweite Mann in der Anskar-Hierarchie, Pastor Ralf Miro) trennten sich nach theologischen und internen Differenzen ebenso wie mehrere Gemeinden von der Anskar-Kirche.

Auf diese turbulenten Anfangsjahre folgte für die Anskar-Kirche eine Zeit der inneren Konsolidierung und Stabilisierung wie der zahlenmäßigen Stagnation.

Ende 2003 verließ die Anskar-Kirche Hamburg das innenstadtnahe Gebäude, erwarb im Hamburger Stadtteil Barmbek einen ehemaligen Lager- und Bürokomplex und bezog dieses neue und renovierte Gemeindezentrum mit einem bis zu 400 Menschen fassenden Gottesdienstsaal und angeschlossenen Gemeinde- und Büroräumen im Jahr 2005. Wolfram Kopfermann zog sich 2008 aus der Leitung der Hamburger Gemeinde zurück und nimmt derzeit – abgesehen von gelegentlichem Predigtdienst und Referententätigkeit bei Seminaren im charismatischen Spektrum – noch Aufgaben in der Gesamtleitung der Anskar-Kirche Deutschland wahr.

Die Anskar-Kirche versteht sich nach wie vor als eine dem reformatorischen Erbe verbundene Kirche, allerdings wird Wert auf die besondere charismatische Prägung gelegt: Prophetie, Zungenrede, Heilungsgebet und Heilungsgottesdienste spielen eine wichtige Rolle. Glaubenskurse als eines der Standbeine der Gemeindearbeit zielen auf die Lebensübergabe an Jesus ab. Grundsätzlich wird zwar die Glaubenstaufe in Verbindung mit der Lebensübergabe gefeiert; allerdings werden Gemeindeglieder, die ihre Taufe als Kind empfangen haben und sich an diese gebunden wissen, nicht zur Glaubenstaufe genötigt.

In der Hamburger Gemeinde übernahm Tilmann Krüger ab 2008 als Pastor die Verantwortung. Strukturell unterscheidet sich das aktuelle gemeindliche Angebot nicht vom Angebot volkskirchlicher Kirchengemeinden: Kinder- und Jugendgruppen, Konfirmandenarbeit, Pfadfinderarbeit (Royal Rangers), diakonische Arbeit (z. B. Suchtberatung, Hamburger Tafel), Seniorengruppen, Glaubenskurse, ein HSV-Fanclub („Totale Offensive“) u. a. Zudem ist die Anskar-Kirche regelmäßig auf dem Hamburger „Lebensfreude-Kongress“ vertreten und bietet an ihrem Stand auf dieser Wellness- und Esoterikmesse die Möglichkeit zum Gebet an.

Von den derzeit knapp 300 Hamburger Gemeindegliedern (hinzu kommen noch über 50 Kinder und Jugendliche) gehörten nach Einschätzung Krügers etwa 50 Prozent früher einer Landeskirche an, viele andere hätten am Ende einer längeren religiösen Suchbewegung in der Anskar-Kirche Hamburg eine religiöse Beheimatung erfahren.

Anfang 2012 gehören nach Auskunft Krügers zur „Anskar-Kirche Deutschland, Evangelische Freikirche e.V.“ rund 700 Mitglieder in fünf Gemeinden (Hamburg, Schenefeld bei Hamburg, Wetzlar, Marburg, Bad Arolsen). Zudem gibt es zwei Gemeindeprojekte in Würzburg und Nürnberg; zwei weitere Projekte (Lüneburg, Dresden) sind derzeit auf Eis gelegt. Die Wetzlarer Anskar-Kirche ist seit Mitte 2011 Mitglied der ACK Gießen-Wetzlar. Zudem gibt es in Hessen Bestrebungen, auch überregional in der ACK mitzuwirken. Bundesweit ist die Anskar-Kirche Deutschland seit 2008 im Gaststatus dem Verband Evangelischer Freikirchen angeschlossen und engagiert sich von Beginn an in der Evangelischen Allianz.

Dass sich der Anskar-Kirche nunmehr in Hamburg die Türen zur Ökumene (und damit implizit auch zur Evangelisch-lutherischen Kirche) öffneten, wurde sicherlich durch den Rückzug Kopfermanns von der Leitung der Hamburger Kirche befördert. Diese Öffnung wäre angesichts der aufseiten der NEK wie aufseiten Kopfermanns nach wie vor bestehenden gegenseitigen Vorbehalte vermutlich nicht möglich gewesen.


Jörg Pegelow, Pinneberg