Gert Pickel

Angst vor „dem Islam“ in Deutschland

Islamkritik, Islamfeindlichkeit, Islamophobie

Spätestens seit den in den Medien intensiv diskutierten „Pegida“-Demonstrationen wird die Frage, ob es sich bei den öffentlichen – oft negativen – Positionierungen zum Islam um bloße Islamfeindlichkeit oder berechtigte Islamkritik handelt, virulent. Sehen die einen in den Demonstrationen nur die nun sichtbar gewordene Speerspitze eines latent vorherrschenden Alltagsrassismus und einer weitgehend unbegründeten Islamfeindlichkeit, begründen die anderen ihre Haltung in konkreten sozialen und politischen Problemen, die durch den Islam weltweit und in Deutschland entstehen und bestehen. Neben konkreten Problemlagen an deutschen Schulen und in bestimmten Stadtteilen deutscher Großstädte verweist die zweite Gruppe v. a. auf die Vielzahl an Medienberichten über gewalttätige IS-Kämpfer in Syrien und islamistische Terroranschläge. Gerade die Medienberichterstattung scheint das Bild vom Islam und „den Muslimen“ in der deutschen Bevölkerung stark zu prägen. So ist die Einschätzung eines grundsätzlich Konflikte verursachenden Islam in Deutschland (und teilweise auch in anderen Staaten Europas) mehrheitstauglich. Das Gros der Bürger ist der Meinung, dass der Islam nicht „in die westliche Welt passt“.1 Seine Mitglieder scheinen vernünftigen und rationalen Argumenten gegenüber uneinsichtig zu sein. Zudem wirkt er unmodern. Dies ist eine Einschätzung, die er an verschiedenen Stellen mit den christlichen Konfessionen teilt – aber die in ihrer Skepsis noch erheblich über deren Beurteilung hinausgeht. So hat das westliche Christentum doch zumindest da und dort den Anschluss an die Moderne gefunden, wenn vielleicht auch nicht überall.

Kaum ein Thema wird in den letzten Jahren so emotionalisiert diskutiert wie die Auseinandersetzung über die Gefährlichkeit des Islam und seine fehlende kulturelle Passförmigkeit für moderne, liberale Demokratien. Und kaum ein Thema kann derzeit so starke abgrenzende Einstellungen gegenüber einer anderen Sozialgruppe hervorrufen. Da stellt sich die Frage, ob der Einbezug religiöser Zugehörigkeiten hier eine Rolle spielt. Warum werden gerade eine religiöse Sozialgruppe und deren gemeinsames Merkmal einer Religion als Referenzpunkt für ablehnende Äußerungen genommen? Natürlich führen nicht allein religiöse Zuschreibungen und die Thematisierung von Religion als generell gefährlich zu dieser Emotionalisierung. So ist eine Debatte über den Islam in seiner öffentlichen Ausführung nur schwer von Debatten über Integration, Migration und Asylrecht zu entkoppeln – zumindest in den Köpfen vieler Bürger. Und auch eine in Teilen der Bevölkerung bestehende diffuse politische Unzufriedenheit, die sich vor allem in einer weit verbreiteten Politiker- und Parteienverdrossenheit äußert, motiviert Menschen, sich aktiv auf der Straße zu zeigen.2 Gleichwohl erfolgt die Identifikation der Fremdgruppe, auf die sich Kritik, Sorge und Ablehnung konzentrieren, in starkem Umfang nach Gesichtspunkten einer religiösen Zugehörigkeit. So sind es dann „die Muslime“ und „der Islam“, die als Referenzgruppen bei der Adressierung kultureller und politischer Probleme genannt werden – und weit weniger genauso pauschale Sammelkategorien wie „die Ausländer“ (was noch in den 1970er und 1980er Jahren stärker der Fall war).

Die mit einer solchen Zuschreibung verbundenen Fragen zu religiösen Symbolen und Handlungen, wie zum Beispiel das Tragen von Kopftüchern oder die Schächtung von Tieren, beschäftigen dabei nicht nur die Öffentlichkeit, sondern sie haben auch ihren Eingang in den sich neu konstituierenden Bereich einer expliziten Religionspolitik gefunden.3 Man könnte sogar sagen, dass diese Debatten einen solchen Bereich politischer Auseinandersetzungen und Verhandlungen überhaupt erst hervorgerufen haben. Während noch bis vor wenigen Jahren niemand über so etwas wie Religionspolitik sprach und das Thema Religion innerhalb politischer Parteien aufgrund der scheinbar dominanten Säkularisierung – häufig etwas verschämt – als nachrangige Problemstellung behandelt wurde, scheinen religiöse Zugehörigkeiten und damit verzahnte Positionen nunmehr immer häufiger eine eigenständige Größe in politischen Debatten zu sein.4 Dabei geht es um das Verhältnis religiöser Gruppen zueinander, Konkurrenzen zwischen rechtlichen Ansprüchen der Religionsfreiheit und anderen Gesetzen sowie vermehrt um die übergeordnete Frage gesellschaftlicher Integration.

Entscheidend für diese Entwicklung ist, dass die religiöse Zugehörigkeit als relevantes Merkmal der Eigen- und besonders der Fremdzuschreibung im Bereich der politischen Kultur auftaucht. Wie bereits gesagt, nicht der Fremdarbeiter oder Immigrant ist derjenige, der im Fokus der Skepsis, ja Angst, der einheimischen Bürger steht, es ist vor allem „der Muslim“ und Angehörige einer islamischen Gemeinschaft. Größere Unterscheidungen zwischen den unterschiedlichen Richtungen des Islam sind den meisten Betrachtern nicht wirklich bekannt, geschweige denn deren theologische Ausrichtung. Muslime erscheinen ihnen als anders als man selbst, als fremd und dann scheinbar auch oft noch als potenziell gefährlich. Da stellt sich die Frage, ob es sich um pure gruppenbezogene Vorurteile (wie bestimmte Ausrichtungen in der Sozialpsychologie heißen) handelt, die sich aus Stereotypen und Ängsten ergeben. Islamkritiker, die sich auch wörtlich als solche verstehen, würden hier „nein“ sagen und auf die Realität der Vielzahl der Konflikte in der Welt und auch in Deutschland verweisen. Nach diesen zeigen die aggressiven Salafisten mit ihrer „Scharia-Polizei“ auch in Deutschland, dass der Weg des islamistischen Terrors des Nahen Ostens in das eigene Land kürzer ist, als mancher Politiker denkt. Und sind nicht islamistische Terroranschläge auch in Europa weit mehr als Hirngespinste von fanatischen Islamfeinden?

Egal welcher Deutungsrichtung man angehört, es herrscht weitgehend Konsens, dass in und aus den so entstehenden kontroversen Diskussionen ein erhebliches Problem für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland erwächst. Ob eine Bedrohung dabei real vorhanden ist oder nicht, verblasst vor dem Hintergrund der so erwachsenden Gegensätze. Deutlich wird auch: Religion ist heute keineswegs mehr ein Randthema in weitgehend säkularisierten Gesellschaften, welches zwischen institutionalisierten Vertretern der christlichen Religion und einigen Vertretern humanistischer Verbände weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutiert wird. Religion ist, wenn schon vielleicht nicht Auslöser eines Kampfes der Kulturen oder im Sinne einer Rückkehr der Religionen auch in Westeuropa, zumindest ein hochvirulentes Problem, welches alle Bürger betrifft und zu dem sie eine Meinung ausbilden (müssen).5

Von skeptisch bis ablehnend

Dies wird nur zu deutlich, wenn man kursorisch die Einstellungen gegenüber der als besonders problematisch eingestuften religiösen Gruppe der Muslime in den Blick nimmt. Mit einfachen Worten gesagt, kann man die Haltung vieler Bundesbürger gegenüber „dem Islam“ und „den Muslimen“ als skeptisch bis ablehnend beschreiben. Die Zahl derer, die 2010 eher oder sehr negative Gefühle gegenüber Muslimen besaßen, dürfte sich auch heute nur unwesentlich verändert haben.6 Dies waren damals immerhin 60 % der Bundesbürger, wobei die negativen Aussagen in Ostdeutschland die in Westdeutschland noch leicht überstiegen.7 Deutlicher noch als in dieser allgemeinen Haltung wird die Distanzierung zum Islam in Deutschland in einzelnen Fragen deutlich, die sich auf die konkrete Integration von Muslimen im kulturellen Sektor beziehen: So wie sich drei Viertel der Deutschen explizit gegen Minarettbauten positionieren, sagen die gleichen 75 % nein zu islamischen Feiertagen in Deutschland. Mehr als zwei Drittel der Bundesbürger sind nicht mit neuen Moscheebauten einverstanden, und genauso viele befürworteten 2010 sogar ein Zuwanderungslimit für Muslime.8 Ein Grund ist, dass man den Islam – und damit im pauschalen Übertrag „die zunehmende Zahl der Muslime“ – und damit die Muslime generell – als potenziellen Konfliktverursacher ausmacht, der zudem nicht in diese westliche Welt gehört.9

Diese 2010 bestimmbare Haltung hat sich auch in der Folgezeit nicht wesentlich verändert. So zeigen Ergebnisse der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus) 2012 genauso wie im Bertelsmann Religionsmonitor 2013 recht deutlich, dass die Mehrheit der deutschen Bevölkerung zumindest eine gewisse Skepsis gegenüber Mitgliedern gerade dieser Religion besitzt.10 Die Haltung gegenüber Minaretten oder dem Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Raum ist weiterhin unverändert ablehnend: Bis zu drei Viertel der Deutschen würden dies gerne verboten sehen oder nicht genehmigen wollen. Einem muslimischen Bürgermeister stehen mehr als die Hälfte der Deutschen skeptisch gegenüber, und nicht einmal ein Viertel könnte sich mit diesem Aspekt aktiver Mitbestimmung anfreunden. Diese distanzierten Haltungen zur Etablierung islamischer Kulturmerkmale in Deutschland wie aber auch gegenüber Personen dieses Glaubens scheinen also recht dauerhaft in der deutschen Bevölkerung etabliert zu sein.

Nun muss die Ablehnung von muslimischen Feiertagen und Kopftüchern nicht zwingend die Zurückweisung einer Religion bedeuten, allerdings markiert sie doch ein Problem.11 Wird von manchem Deutschen Religion generell als unberechenbar angesehen und mit Skepsis betrachtet, identifizieren andere allerdings ganz gezielt eine spezielle Religion und deren Mitglieder als Problemfaktor. Dabei kann es schnell zu Mischungen von allgemeiner Xenophobie und Zuschreibungen eines spezifisch religiös identifizierten „muslimischen Sündenbocks“ kommen. Dass solche ablehnenden Haltungen gegenüber Muslimen alles andere als ungefährlich für die gesamtgesellschaftliche Integration sind, zeigen die gelegentlich geforderten Konsequenzen. So schrecken viele Bürger in ihrer Furcht vor dem Islam nicht davor zurück, auch verfassungswidrige Maßnahmen, wie zum Beispiel eine breitflächige Überwachung von Muslimen durch den Verfassungsschutz, einzufordern.

Nun könnte man zur Beruhigung sagen, diese gerade betrachteten Äußerungen seien ja nur Einstellungen und diffuse Haltungen. Wenn es darauf ankomme, dann werde alles wesentlich entspannter und abgeklärter behandelt. Solche Vorstellungen können einen gefährlichen Trugschluss beinhalten, sind doch die beobachteten Einstellungen und Haltungen alles andere als profan oder oberflächlich. So können sie in Volksabstimmungen und Volksentscheiden nachhaltige politische Wirkungen zeitigen, ist doch davon auszugehen, dass sie bei der in diesem Fall recht leicht durchzuführenden Partizipation Manifestationen erfahren. Einwanderungsverbote und Einschränkungen in der Bewegungsfreiheit oder die Ablehnung von Moscheebauten in Stadteilen sind nur Beispiele für solche politischen Konsequenzen. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass politische Parteien und Politiker aufgrund der notwendigen Orientierung am Wählervolk die Mehrheit der vorherrschenden Bevölkerungsmeinungen auf Dauer nicht einfach ignorieren. Dies gilt besonders dann, wenn sich die in der Bevölkerung verbreiteten Einstellungen in sichtbaren Aktionen niederschlagen.

Gründe und Konsequenzen

Was sind nun aber die Gründe für diese Haltungen? Vor allem die empirische Bestimmung der Gründe kann helfen, zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit zu unterscheiden. Für die meisten Deutschen bestimmen nicht konkrete Erfahrungen, die sie selbst mit Muslimen gemacht haben, ihre Bilder vom Islam. So sind speziell in den neuen Bundesländern, wo Menschen aufgrund der schlichten Abwesenheit von Muslimen in weiten Teilen der Region die geringsten persönlichen Erfahrungen mit dem Islam besitzen, die Einstellungen im Bevölkerungsdurchschnitt ablehnender als in den alten Bundesländern. Dies gibt einen deutlichen Hinweis auf eine Erklärung für diese Haltungen: Dort, wo keine konkreten Erfahrungen über „etwas“ oder „jemanden“ vorliegen, versucht man sich aus anderen Quellen ein Bild darüber zu schaffen. In modernen Industriegesellschaften geschieht dies häufig auf Basis von Medienberichten. Speziell das Fernsehen mit seiner Mischung aus Information und visueller Suggestion spielt hier eine entscheidende Rolle. Trotz aller Skepsis, die die Bürger sehr wohl gegenüber medialen Mitteilungen hegen, konstruieren sie doch auf diese Weise ein für sie selbst ausreichendes Bild von einem „generalisierten Anderen“.

Dieses Bild fällt bei „dem Islam“ und „den Muslimen“ nicht günstig aus. Erheblich mehr als die Hälfte der medialen Berichterstattung, in der der Islam oder seine Angehörigen zu sehen oder zu hören sind, ist negativ gefärbt.12 Krieg, Ungerechtigkeit, Gräueltaten und Starrsinnigkeit scheinen die Mitglieder des Islam auszuzeichnen – so zumindest suggeriert es der Blick in den Fernseher.13 Und hier unterscheiden sich die öffentlich-rechtlichen Nachrichtensendungen meist nur unwesentlich vom Privatfernsehen. Den meisten Deutschen ist bewusst, dass die Mitglieder der Moscheegemeinde um die Ecke nicht mit islamistischen Terrortätern gleichzusetzen sind. Ein Zweifel, ob sich nicht doch ein solcher unter ihnen befindet, bleibt jedoch häufig. Zudem scheinen Gewalttätigkeit und Irrationalität ja im Islam angelegt, so zumindest der Schluss aus der Außensicht, der ohne Kenntnis der Religion gerne einmal gezogen wird. Das Gefühl der Fremdheit und die Unkenntnis über die muslimischen Gemeinschaften und ihre Rituale verstärkt die Neigung zu gruppenbezogenen Vorurteilen. Diese Sicht wird auch in Bevölkerungsumfragen deutlich: Mehr als die Hälfte der Deutschen fühlt sich vom „Islam“ bedroht, und drei Viertel halten den Islam für potenziell konfliktträchtig.14

Unkenntnis über eine soziale Gruppe oder auch Religion ist nicht der einzige Grund für Skepsis, Zurückhaltung und gar Abgrenzung gegenüber deren Mitgliedern.15 Das wird daran deutlich, dass gegenüber anderen – mindestens genauso fremden – Religionen und ihren Mitgliedern die Positionen in der Regel moderat bis sogar eher freundlich sind. Selbst wenn viele wohl kaum Buddhisten oder Hindus persönlich kennen – nicht einmal ein Fünftel der Befragten besitzt ihnen gegenüber negative Gefühle oder fühlt sich durch sie bedroht.16 Fremdheit und Unwissenheit alleine können es also nicht sein, die einen Bürger zu Abneigung und Distanzierung führen. Im Übrigen geben auch nur Minderheiten an, sich kein Bild über eine der religiösen Gruppen machen zu können. Einfach gesagt: Viele, die noch nie einen Vertreter einer bestimmten Religion getroffen haben, haben dennoch ein pauschales Bild von Anhängern der Religion und eine Haltung zu ihnen. Hier kommen nun die angesprochenen, als parasozial bezeichneten Kontakte zur Geltung. Besitzt man keine direkten Erfahrungen, dann macht man sich sein Bild über die vermittelten Erfahrungen. Hier spielt das bereits mehrfach erwähnte Fernsehen die entscheidende Rolle.17

Die Relevanz solcher vermittelten Kontakte wird deutlich, wenn man relational konkrete Kontakte betrachtet. Diese wirken sich scheinbar positiv auf das Verhältnis zu anderen Sozialgruppen – auch mit anderer religiöser Zugehörigkeit – aus. Einfach gesagt: Lernt man Muslime kennen, dann stellt man zumeist fest, dass sie gar nicht so anders sind als man selbst. Dies reduziert Angst und Ablehnung. Aber auch wenn dieser Zusammenhang empirisch zu dokumentieren ist, bestehen Einschränkungen. Zum einen sind Personen, die anderen Menschen gegenüber per se offener sind, eher bereit, mit diesen in Kontakt zu treten. Hier ergibt sich das aus der Forschung bekannte „Henne-Ei-Problem“, kann man doch keinen klaren kausalen Bezug herstellen. Zum anderen sind es vor allem Kontakte, die in einem freiwilligen Zusammenhang entstehen, welche sich positiv auf die Einschätzung von Muslimen auswirken. Erzwungene Kontakte wie zum Beispiel am Arbeitsplatz oder in der Schule entfalten eine deutlich geringere Wirkung – wenn überhaupt.18 Doch selbst wenn man die Wirkungsrichtung nicht exakt bestimmen kann, ist es ausgesprochen plausibel, von einer wechselseitigen Stärkung von Vorurteilsfreiheit und Kontakten mit Menschen anderer religiöser Identität auszugehen.

Wie verschiedene empirische Analysen belegen, stärken ausländerfeindliche, nationalistische und auch rechtsextremistisch ausgerichtete ideologische Positionen die Distanz zu Muslimen.19 Diese Mischungen mit Fremdenfeindlichkeit können sehr wohl als Islamfeindlichkeit bezeichnet werden, rekurrieren sie doch eher sporadisch auf konkrete Problemlagen. Wenn dies so ist, dann spielen häufig taktische oder strategische Gesichtspunkte eine entscheidende Rolle. Hier kommt es dann zu einer Verbindung von Bürgern, die ängstlich distanziert zum für sie fremden Islam und seinen Mitgliedern sind, mit Personen, welche ein recht konsistentes islamfeindliches und rechtsextremes Weltbild aufweisen. Nicht zuletzt diese Mischung hat die Diskussion und Betrachtung der Beteiligten bei den Pegida-Kundgebungen in Dresden so erschwert, sind dort doch beide Gruppen beteiligt gewesen. Zudem finden sich auch noch Gruppen, die Religionen an sich nichts Gutes zutrauen und diese generell als gefährlich und unkontrollierbar einstufen. Selbst wenn dies kleine Gruppen sind, lohnt sich doch aufgrund der vorhandenen Ablehnungshaltung allem Religiösen gegenüber ihre Erwähnung.

In diesem Zusammenhang ist ein weiterer Punkt interessant: So wurde gerade in Interpretationen des Phänomens „Pegida in Ostdeutschland“ dieses gelegentlich als Konsequenz einer spezifischen regionalen Entwicklung gedeutet. Diese Folgerung muss nicht per se völlig falsch sein. Gleichzeitig kommt hier aber ein Zungenschlag in die Diskussion, der die Relevanz der religiösen Komponente der Demonstrationen und die dahinterliegende Ablehnungshaltung gegenüber dem Islam zu überdecken droht. Als Erklärung für die höhere Responsivität der Ostdeutschen für diese Frage und ihre Mobilisierung für entsprechende Demonstrationen können mehrere Gründe genannt werden. Sie haben zuerst einmal nicht immer so viel mit spezifischen regionalen Besonderheiten zu tun: Erstens, so ist die beim politischen Umbruch 1989 erlebte Erfahrung, kann eine erhöhte Protestbereitschaft zur Artikulation der eigenen Interessen gegenüber einem Staat hilfreich – und erfolgreich – sein. Diese Erfahrung unterscheidet nicht wenige Ostdeutsche von den Westdeutschen. Zweitens besteht in der Tat in Ostdeutschland eine etwas höhere Distanz zur aktuellen Demokratie, die sich ebenfalls aus persönlichen Erfahrungen im Lebensumfeld im Zuge des Umbruchs, bei manchen Personen auch aus ideologischen Positionen speist. Drittens ist es aber möglicherweise ganz simpel die bereits angesprochene geringere Zahl an realen Kontakten mit Mitgliedern des islamischen Glaubens in Verbindung mit dem medialen Bild, das die Unterschiede erklärt: Ostdeutsche benötigen häufiger die (eher negativen) parasozialen Kontakte, um sich ein Bild von Muslimen (und generell Ausländern) zu machen. Und dass diese eher negativ sind, wurde bereits aufgezeigt.

Fazit

Was hat dies nun für eine Bedeutung hinsichtlich der Beurteilung der beobachteten Phänomene und einer Einordnung als Islamkritik, Islamfeindlichkeit oder Islamangst? Die Demonstrationen von Pegida oder ähnlichen Gruppierungen zeigen dies recht eindrücklich: Die Angst vor einer spezifischen Gruppe, noch dazu einer Religionsgruppe, über die die Allgemeinheit nicht viel weiß und die vielen fremd und in ihrem Verhalten daher schwer einschätzbar ist, birgt einiges an Konfliktpotenzial für eine Gesellschaft. Dabei sind die Demonstrationen gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ nur die Spitze eines Eisbergs, was die Distanz zum Islam angeht.20 Versteht man Islamophobie (ganz im Sinne des Verständnisses von Phobie) als eine diffuse Angst vor einer Bedrohung durch den Islam, dann ist diese Bezeichnung sehr wohl passend. Dabei geht es nicht um die Berechtigung der Begründung einer distanzierten Position. Entscheidend ist die auf Furcht und das Gefühl der Bedrohung gegründete Haltung zu der Referenzgruppe. Warum die Menschen Angst vor dem Islam haben und ob diese Ängste berechtigt oder unberechtigt sind, das bleibt sich erst einmal gleich. Das Phänomen der Islamophobie als vertiefte diffuse Abgrenzung und Ablehnung besteht deswegen trotzdem.

Bei der Bewertung des Islam und damit verbunden auch der Muslime als pauschalisierter Gruppe handelt es sich im Wesentlichen um psychologisch verankerte gruppenbezogene Vorurteile.21 Auch hier ist es relativ egal, ob es reale Probleme im Zusammenleben gibt, die den einzelnen Skeptiker betreffen: Der durch Misstrauen und Bedrohungsgefühle geprägte Blick auf den Islam benötigt zwar Bestätigung, doch die muss nicht aus persönlichen Face-to-Face-Erfahrungen resultieren, sondern kann auch anderweitig gewonnen werden.22 Die Medien leisten ihren Beitrag zu der Ausbildung solcher Positionierungen. Selbst wenn diese mit Fug und Recht auf die Pflicht einer realitätsnahen, objektiven und breiten Berichterstattung verweisen, sind die derzeit noch negativen Effekte auf der Ebene der Wahrnehmung des Islam kaum zu leugnen.23 Vereinzelte konkrete Probleme in Deutschland dienen dann dazu, die eher skeptische Sicht auf den Islam und Muslime zu bestätigen; einzelne Beispiele für das Nichtfunktionieren des Zusammenlebens mit Muslimen dienen als Bestätigung der Vorurteile, die aus den Globalbeschreibungen des Islam resultieren.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Mit dieser Interpretation soll nicht die Berechtigung konkreter Kritik an Strömungen des Islam und einzelnen seiner Vertreter negiert werden. Allein, deren Berechtigung ergibt sich im Austausch der Argumente und aus ihrer empirischen Stichhaltigkeit. Eine islamkritische Haltung stellt dann ein Problem dar, wenn sie eben nicht als sachbezogene und fundierte Kritik, sondern nur als taktische Untermauerung einer sowieso bestehenden Islamfeindlichkeit oder gar generellen Überhöhung der eigenen Ethnie bzw. Nationalität oder Xenophobie verwendet wird. Selbst wenn diese unterschiedlichen Beweggründe manchmal in den Diskussionen nur sehr schwer voneinander zu trennen sind, sind sie doch das entscheidende Kriterium der Unterscheidung zwischen Islamkritik und Islamfeindlichkeit.

Bedenklich ist die in Deutschland zu beobachtende große Verbreitung der diffusen ablehnenden Haltungen gegenüber dem Islam, die dann recht zügig auf „die Muslime“ als Personengruppe übertragen werden. Sicher kann man darauf verweisen, dass einige Vertreter des Islam im Nahen Osten, wie auch in Deutschland, mit ihren Aktivitäten Beiträge zu dieser Furcht leisten. Gleichzeitig gilt es aber nicht zu vergessen, dass es sich eben um einzelne Vertreter dieser Religion handelt und weder um „den Islam“, noch um „die Muslime“ in einer pauschalen Fremdcharakterisierung. Es sind immer Personen, die handeln. Entsprechend gibt eine genaue Analyse des Korans auch nur begrenzt eine Grundlage für eine Einschätzung des Islam als gefährlich oder ungefährlich. Dafür finden sich zu viele unterschiedliche Auslegungen. Dies ist bei heiligen Schriften anderer Religionen erst einmal nicht zwingend anders – auch dort werden die Auslegungen und Deutungen letztendlich von Menschen vorgenommen. Soziologen sprechen hier gerne von einer sozialen Konstruktion der Wirklichkeit. Gleiches gilt aber eben auch für die Betrachter und ihre psychologische Herstellung einer Position zu Mitgliedern einer anderen Religion. So wie Islamkritik erlaubt sein muss, so muss man hinsichtlich der doch bestehenden Islamophobie in Teilen der deutschen Bevölkerung hinterfragen, inwieweit diese nicht eine dauerhaftere und bewusstere Auseinandersetzung mit religiöser Pluralisierung benötigt. Abgrenzungen zwischen Identitätsgruppen, wie sie mit Bezug auf religiöse Überzeugungen oder aber auch in deren Kritik entstehen, können sich schnell zuspitzen – und damit zu manifesten politisch-kulturellen Konflikten führen. Denn Angstzustände sind bekanntermaßen mit die stärksten Antriebskräfte für radikales Verhalten, das Zusammenwachsen der eigenen Identitätsgruppe und die Gefährdung einer politischen Kultur. So kann Islamkritik und Islamophobie schnell zu Islamfeindlichkeit führen. Das aber sollte vermieden werden.


Gert Pickel, Leipzig


Anmerkungen

  1. So wird die Aussage, der Islam passe nicht in die westliche Welt, in verschiedenen Umfragen, wie der Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften 2012 oder dem Bertelsmann Religionsmonitor 2013, von zwischen 50 bis 70 % der Deutschen befürwortet. Ungefähr die gleiche Zahl an Befragten sieht ihn auch als potenziell gefährlichen Verursacher von Konflikten an. Vgl. Gert Pickel, Religiöser Wandel als Herausforderung an die deutsche politische Kultur, in: Zeitschrift für Politik 61/2 (2014), 136-159; ders., Religiöse Pluralisierung als Bedrohungsszenario? in: Katajun Amirpur/Wolfram Weisse (Hg.), Religionen – Dialog – Gesellschaft, Münster 2015, 19-55; Jürgen Leibold/Stefan Thörner/Stefanie Gosen/Peter Schmidt, Mehr oder weniger erwünscht? Entwicklung und Akzeptanz von Vorurteilen gegenüber Muslimen und Juden, in: Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 10, Frankfurt a. M. 2012, 177-198.
  2. So steht schon seit mehr als einem Jahrzehnt das Vertrauen in Politiker bei gerade einmal 10 %, und das Vertrauen in politische Parteien hält sich ebenfalls konstant unter 20 %. Auch andere Aussagen zu Politikern und Parteien unterstreichen das schlechte Allgemeinbild von diesen. Davon zu unterscheiden ist eine hohe Identifikation mit Demokratie im Allgemeinen und auch eine recht breite Zufriedenheit mit der Demokratie. Entsprechend ist es auch keine Politik-, sondern eben eine Politikerverdrossenheit. Vgl. Gert Pickel, Neue Entwicklungen der politischen Kultur, in: Marianne Kneuer (Hg.), Standortbestimmung Deutschlands: Innere Verfasstheit und internationale Verantwortung, Baden-Baden 2015, 155-194.
  3. Vgl. Antonius Liedhegener, „Religionspolitik“ in Deutschland im europäischen Kontext, in: Zeitschrift für Politik 61/2 (2014), 123-135; Yolanda van der Noll, Public Support for Ban on Headscarves, in: International Journal of Conflict and Violence 4/2 (2010), 191-204.
  4. So wurde lange davon ausgegangen, dass nun im Bereich der Religionspolitik verhandelte Probleme ihre Lösungen in der Bildungspolitik, Integrationspolitik und besonders Migrationspolitik besitzen. Vgl. Pickel, Religiöser Wandel (s. Fußnote 1), 138.
  5. Vgl. Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen, Wien 1996.
  6. Vgl. Detlef Pollack/Olaf Müller/Gergely Rosta/Nils Friedrichs/Alexander Yendell, Grenzen der Toleranz. Wahrnehmung und Akzeptanz religiöser Vielfalt in Europa, Wiesbaden 2014.
  7. Vgl. Alexander Yendell, Muslime unerwünscht? Zur Akzeptanz des Islam und dessen Angehörigen. Ein Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland, in: Gert Pickel/Oliver Hidalgo (Hg.), Religion und Politik im vereinigten Deutschland. Was bleibt von der Rückkehr des Religiösen?, Wiesbaden 2013, 212-213; Pollack u. a., Grenzen der Toleranz (s. Fußnote 6).
  8. Pickel, Religiöse Pluralisierung (s. Fußnote 1), 36; Yendell, Muslime unerwünscht? (s. Fußnote 7), 208.
  9. Ebd., 210.
  10. Vgl. Gert Pickel, Bertelsmann Religionsmonitor. Internationaler Vergleich, Gütersloh 2013, speziell 30.
  11. Entsprechende Indizien kann Helbling herausarbeiten. Vgl. Marc Helbling, Opposing Muslims and the Muslim Headscarf in Western Europe, in: European Sociological Review 30/2 (2014), 251.
  12. Vgl. Kai Hafez, Mediengesellschaft – Wissensgesellschaft? Gesellschaftliche Entstehungsbedingungen des Islambilds deutscher Medien, in: Thorsten Schneiders (Hg.), Islamfeindlichkeit. Wenn die Grenzen der Kritik verschwimmen, Wiesbaden 22010, 10; Kai Hafez/Carola Richter (2007), Das Islambild von ARD und ZDF, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 26-27/2007, 40-46; Sabine Schiffer, Die Darstellung des Islam in der Presse. Sprache, Bilder, Suggestionen, Würzburg 2005.
  13. Vgl. Wolfgang Frindte, Der Islam und der Westen. Sozialpsychologische Aspekte einer Inszenierung, Wiesbaden 2013.
  14. Vgl. Pickel, Religionsmonitor (s. Fußnote 10), 29, 33.
  15. Hier von besonderer Bedeutung sind die Social Identity Theory und die Gruppenbedrohungstheorie aus der Psychologie. Vgl. Henri Tajfel, Human Groups and Social Categories, Cambridge 1981; Lincoln Quillian, Prejudice as a Response to Perceived Group Threat, in: American Sociological Review 603 (1995), 586-611; Immo Fritsche/Eva Jonas/Thomas Kessler, Collective Reactions to Threat, in: Social Issues and Policy Review 5/1 (2011), 111-136.
  16. Vgl. Pickel, Religiöse Pluralisierung (s. Fußnote 1), 27, 32.
  17. Auch andere Medien besitzen hier natürlich eine Wirkung, aber die audiovisuelle Kraft des Fernsehens besitzt ohne Frage die stärkste Prägekraft für die Wahrnehmung einer Fremdgruppe.
  18. Vgl. Pickel, Religiöse Pluralisierung (s. Fußnote 1), 19-55.
  19. Vgl. Jürgen Leibold, Fremdenfeindlichkeit und Islamophobie, in: Schneiders (Hg.), Islamfeindlichkeit (s. Fußnote 12) ,149-158; Jürgen Leibold/Andrea Kummerer, Religiosität und Vorurteile gegenüber Muslimen in Ost- und Westdeutschland, in: Gert Pickel/Kornelia Sammet (Hg.), Religion und Religiosität im vereinigten Deutschland. Zwanzig Jahre nach dem Umbruch, Wiesbaden 2011, 311-323.
  20. So stellt die doch eher geringe Zahl an Demonstrationsteilnehmern in ihren Zusammensetzungen weder eine wirkliche Repräsentation der Gesamtgesellschaft noch bestimmter Mehrheiten dar. Gleichzeitig darf man aber auch nicht so blauäugig sein anzunehmen, dass mit einem Ende entsprechender Demonstrationen das Problem aus den Köpfen der Bürger verschwunden ist.
  21. Grundlegend für die Bestimmung gruppenbezogener Vorurteile und von Vorurteilen überhaupt: Gordon W. Allport, Die Natur des Vorurteils, Köln 1971.
  22. Zur Entstehung und Wirkung von Bedrohungswahrnehmungen und Intergruppenkontakten vgl. Fritsche u. a., Collective Reactions (s. Fußnote 15).
  23. Am Rande dieses Themas könnte man sich einmal fragen, inwieweit es nicht ein generelles Phänomen der negativen Berichterstattung gibt – gerade in den populären und die höchste Vertrauenswürdigkeit auf sich vereinenden Nachrichtensendungen.