Jehovas Zeugen

Aktion in Altenheimen geplant

(Letzter Bericht: 12/2013, 469-472) Im internen Mitteilungsblatt der Zeugen Jehovas „Unser Königreichsdienst“ findet sich in der Juni-Ausgabe 2014 eine interessante Ankündigung. Anlässlich des 100-jährigen Bestehens der „Errichtung der Königsherrschaft Gottes“ (das früher angekündigte Weltendedatum 1914 wurde später als Datum von Gottes Antritt der Königsherrschaft umgedeutet) soll weltweit ein neues Traktat „Wo finden wir Antworten zu den wichtigsten Fragen des Lebens?“ verbreitet werden. Dazu kommt die Aufforderung, den August 2014 (mit seinen fünf arbeitsfreien Wochenenden) besonders intensiv für den Predigtdienst, d. h. das Missionieren zu nutzen.

Solche Aktionen bringen einen besonderen Motivationsschub im sonst eher routinierten Predigtdienst-Alltag und fanden in der Vergangenheit schon öfter einmal statt. Neu ist dieses Mal, dass man mit einer gezielten Aktion die Bewohnerinnen und Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sowie Seniorenresidenzen erreichen will.

Es wird den Zeugen Jehovas vor Ort empfohlen, sich aus Telefonbüchern und örtlichen Katalogen die Adressen der Heime zu besorgen. Ziel ist es, in diesen Einrichtungen ein regelmäßiges „Bibelstudium“ zu etablieren. In einem Gespräch mit der Heimleitung soll das Anliegen dargelegt und dabei besonders betont werden, dass der jeweilige Zeuge Jehovas hier freiwillig seine Zeit für die Bewohner des Heimes einsetzt, die gern in der Bibel lesen würden. Man würde keinen Gottesdienst anbieten, sondern Bibelwissen vermitteln. Dieses Angebot soll dann über den Aushang der Einrichtung bekannt gemacht werden.

Dieses „Bibelstudium“ unterscheidet sich aber stark von dem, was man aus den christlichen Kirchen kennt. Es geht nicht um ein tieferes Verstehen der Bibel, sondern es wird angeregt, Literatur der Zeugen Jehovas zu verwenden, z. B. die Bücher „Mein Buch mit biblischen Geschichten“ oder „Der größte Mensch, der je lebte“. Letztlich geht es darum, die Lehre der Zeugen Jehovas zu verbreiten und neue Mitglieder zu gewinnen. Auf dieses Ziel sind die Literatur und die Auswahl der Bibelstellen ausgerichtet.

Dazu passen auch einige Empfehlungen, die den Leitern solcher Bibelstudienkreise gegeben werden: Am Ende eines Treffens sollen die mitgebrachten Publikationen, aus denen man gelesen hat, wieder eingesammelt werden. Auf diese Weise können besuchende Verwandte nicht durch ein zufällig auf dem Nachttisch liegendes Buch erkennen, womit sich ihre Angehörigen neuerdings beschäftigen. Wenn jemand kritische Fragen oder abweichende Meinungen im Kreis äußert, soll man – wenn einem nicht sofort eine treffende Entgegnung einfällt – sie nicht vor und mit allen im Kreis besprechen oder diskutieren, sondern anbieten, „sich mit ihm im Anschluss darüber zu unterhalten“.

Für Außenstehende eher kurios, für einen Zeugen Jehovas aber wichtig sind die Angaben, wie der Leiter solche Kreise in seiner persönlichen (und monatlich abzugebenden) Statistik-Abrechnung angeben darf: Für jeden durchgeführten Termin darf er auf seinem Bericht einen „Rückbesuch“ vermerken (das sind normalerweise erneute Besuche bei einer Familie, die beim Tür-zu-Tür-Dienst positiv reagiert hat) und jeden Monat ein Bibelstudium.

Für die Bewohner von Altenheimen könnte das Angebot aus verschiedenen Gründen attraktiv erscheinen: Zum einen sind manche froh, überhaupt besucht zu werden und sich mit anderen unterhalten zu können. Dann mögen diese Bibelstudienkreise als eine willkommene Abwechslung im eintönigen Heimalltag erscheinen. Und nicht zuletzt sehnt sich auch mancher nach einem Gespräch über religiöse Themen. Was auffällt, ist allerdings, dass es bei diesem Angebot nur um die Verbreitung der eigenen Lehre und das Gewinnen neuer Mitglieder geht. Die eigenen Bedürfnisse der älteren Menschen sind nicht im Blick. Zum Glück gibt es in vielen Altenheimen auch die „Grünen Damen“ oder den Besuchsdienst mancher Kirchengemeinde, die den Bewohnern auch einmal vorlesen, Briefe für sie schreiben, ihnen beim Erzählen ihrer Erinnerungen zuhören, mit ihnen singen oder auf ihre Anliegen und Sorgen eingehen – ohne die Hinterabsicht, damit neue Mitglieder für die eigene Gemeinschaft zu gewinnen.

Wieder einmal mehr bestätigt sich die Erfahrung, dass die Außenkontakte der Zeugen Jehovas vor allem vom Gruppenegoismus bestimmt sind.


Gerald Kluge, Radeberg