Michael Nüchtern

Adam und Eva wohnen in Baden-Württemberg

Beobachtungen zur säkularen Wirkungsgeschichte eines biblischen Paares

„Adam und Eva leben im Paradies.“ Eine großformatige Anzeige mit dieser Überschrift schaltete das Bundesland Baden-Württemberg im Sommer 2003 über Wochen in überregionalen Tageszeitungen. Man sah die schmunzelnden Gesichter eines Adam J. aus Karlsruhe und einer blonden Eva P. aus Stuttgart. Mit der bekannten Mischung aus Großspurigkeit und Schelmerei unseres Bundeslandes wurde auf aktuelle Studien von McKinsey, ZDF und T-Online hingewiesen, dass „in Baden-Württemberg nicht alles wie im Paradies“ sei, sondern auch „manches viel besser. Beispiel Arbeitslosigkeit: Die betrug im Paradies annähernd 100 Prozent, denn bekanntlich arbeitete man dort nicht. Baden-Württemberg dagegen hat seit Jahren die niedrigste Arbeitslosenquote Deutschlands.“ Im launigen Ton ging es über 20 Zeilen weiter, auch die Apfelbäume wurden erwähnt. „Ein großer Unterschied zum Paradies indes bleibt bestehen: Dort gab es keine Kehrwoche. Wie das endete, ist bekannt.“

Abgesehen von Geschmacksfragen ist an dieser Anzeigenkampagne mindestens zweierlei bemerkenswert: 1. Die Pointe der Anzeige ist nur verständlich, das Schmunzeln stellt sich nur dann ein, wenn die biblische Geschichte bei den Lesenden so in etwa bekannt ist. D. h. die Aktion setzt voraus, dass der christliche Traditionsabbruch nicht vollkommen ist. 2. Die Anzeige ist ein Beispiel für das Weiterwirken biblischer Geschichten und Motive in der populären Kultur. Biblische Geschichte wird in völlig säkularen Zusammenhängen zitiert, nicht als heiliger Text, sondern profanisiert, nicht religionskritisch oder bösartig, sondern postmodern augenzwinkernd mit kleinem Tabubruch, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Genesis 2 und 3 gehören zu den Lieblingsgeschichten der Werbung. Edeka zum Beispiel sagte zum 100. Geburtstag im Mai 2007 „Danke, Eva!“ Die Lebensmittelkette wollte der langen Liste an Wegbereitern für ihren Erfolg danken. „Allen voran natürlich Eva. Eva? Richtig! Eva, die Grande Dame aus dem Garten Eden, Frau von Adam, erste Genießerin der Menschheit und – Sie wissen schon – die mit dem Apfel“ (zitiert nach: Süddeutsche Zeitung vom 30.5.2007). Überall, wo „Einkaufsparadiese“ verheißen werden, eine leicht bekleidete Schöne einen Apfel verlockend präsentiert, handelt es sich um oft nur halbbewusste säkulare Wirkungen der biblischen Szenerie.

Auch das unzählbar variierte und zitierte Fresko Michelangelos aus der Sixtinischen Kapelle „Die Erschaffung des Menschen“ muss in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Die Präsentation von Urlaubsparadiesen, in denen sich ein Paar neckisch unter Palmen tummelt und Tiere die unverfälschte Natur symbolisieren, weckt die Urerinnerungen an jenen Garten in Eden, von dem die biblische Geschichte berichtet. Restaurants, Hotels und Campingplätze unter südlicher Sonne heißen typischerweise auch so wie jener Ort, an dem Gott der Herr im Osten das Paradies für die Menschen herrichtete (Gen 2,8).

Dass ausgerechnet die Geschichte von Adam und Eva es bis in die Tiefen der Alltagskultur gebracht hat, ist nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass sie in der theologischen Tradition doch mit dem Gewicht von Schuld, Schicksal und Tod belastet ist. Johann Peter Hebel resümiert in seinen Biblischen Geschichten die Erzählung Genesis 3 mit den Worten: „Wer die Unschuld verloren hat, kann in keinem Paradies mehr glücklich sein.“2

Ein weites Feld weltlicher Wirkungsgeschichte

Im Folgenden soll die säkulare Wirkungsgeschichte der biblischen Geschichte über einige Stationen an Beispielen verfolgt werden. Dabei werden auch Hypothesen formuliert, wie jene Entkoppelung der Figuren von Sündenfall und Fluch sowie von mythischer Schwere erklärt werden kann. Die biblische Geschichte von Adam und Eva (Gen 2,4b-3,24) hat vielfältige Spuren in unserer Kultur hinterlassen. Man sprach oder spricht noch vom Adams- bzw. Evaskostüm, wenn Nacktheit vornehm umschrieben werden soll. „Verbotene Früchte“, die in der Geschichte eine wenig förderliche Rolle spielen, wurden zum geflügelten Wort. Die Bezeichnung Adamsapfel für den vorstehenden Schildknorpel des Halses geht auf den Volksglauben zurück, dass ein Bissen des berühmten Apfels in Adams Kehle stecken blieb. Das „Feigenblatt“ wurde zur scherzhaften Metapher einer gelungenen oder weniger gelungenen Verhüllung – oft im übertragenen Sinne.

Die biblische Geschichte erzählt Elementares vom Menschen: von dem Verhältnis der Geschlechter und von Mensch und Tieren; sie gibt Würde und Hybris des Menschen zu denken, seine Erdverfallenheit und seine Gottesnähe. Gedanken über die Größe des Menschen finden in den Bildern und Szenen der Geschichte Anhalt wie auch über sein Elend. Die Geschichte von Adam und Eva enthält alles, was das Leben reiz- und spannungsvoll macht: Essen, üppige Gärten, Sexualität, Verführung, Scham, Schuld und Entfremdungsgefühle. Sie erzählt von den Mühen des Lebens, vom Schweiß und vom Kindergebären, von Nacktheit und Tod.

Wer all das im Abendland bedenken wollte oder will, bekam und bekommt von unserer Geschichte Bilder und Szenen geliefert. Wer trivial und tiefsinnig die „condition humaine“ zum Thema machte und macht, dem bot und bietet diese biblische Geschichte Material. Deswegen ist das Urteil zutreffend, dass Rückgriff auf, Auseinandersetzung und Spiel mit dieser Geschichte unsere Kultur geprägt haben. Mit den Worten von Kurt Flasch, der die Wandlungen des Mythos von Eva (!) und Adam untersucht hat: „Die intellektuelle und künstlerische Arbeit an den uralten Erzählungen wurde ein Element der europäischen Identität.“3

Die Geschichte von Adam und Eva – in Verbindung mit anderen kulturellen Wirkkräften und oft gegen die ursprüngliche Gestalt der Geschichte selbst – wurde auch dazu benutzt, ein Bild der Frau zu prägen. Sie wird unter Rekurs auf unsere Geschichte zur „verführerischen Eva“, die – selbst leicht verführbar – ihrerseits den Mann verführt und ins Verderben stürzt. In der Redewendung „cherchez la femme!“, die dazu anleitet, die Frau zu suchen, die hinter einem Übel steckt, spiegelt sich eine Misogynie, die auch in die Wirkungsgeschichte unserer Geschichte gehört.

Eva sei an allem schuld, lässt Theodor Fontane eine seiner Figuren ein Sprichwort zitieren. „Where there is a quarrel, there is always a lady in the case”, lautet die englische Fassung. Interessanterweise gibt es ähnliche Sentenzen ganz ohne Kenntnis der biblischen Geschichten in der römischen Literatur: „Nulla fere causa est, in qua non femina litem moverit“.4 Interessanterweise lässt Fontane seine Figur im Widerspruch und im Protest zu dem Sprichwort fortfahren: „Aber heute nicht!“5 Fontane nimmt seine Effis und Ebbas gegenüber männlichen Verurteilungen in Schutz. Der Dichter rechtfertigt, wo die Gesellschaft sich als Richter betätigt.6

In der Gegenüberstellung von Eva und Maria, der Sünderin und der reinen Magd, konnte sich ein Frauenbild umso mehr verfestigen, als die Gegenüberstellung nicht mehr theologisch heilsgeschichtlich verstanden wurde, sondern moralisch. „Das Eva-Prinzip“ nennt eine ehemalige Nachrichtensprecherin gleichen Vornamens ihr kürzlich erschienenes Buch über die Rolle der Frau.

Die Geschichte von Adam und Eva ist deswegen so wirksam, weil sie nicht in Form einer systematischen Abhandlung oder Lehre daherkommt, sondern als Geschichte, die Spannungen enthält, die sie nicht löst, und Leerstellen, die zum Ausmalen und Weiterspinnen anregen. Johann Gottfried Herder schrieb 1780: Die betreffenden Kapitel der Bibel seien „wie eine Zaubererzählung des glücklichen, leider verlorenen Traumes der Kindheit“, sie enthielten „die simpelste Philosophie über den verflochtenen Knoten der Menschheit, über seine disparatesten Enden und Winkel“.7

John Milton: „Vor ihnen lag die große weite Welt“

Adam und Eva gehören zu den Stoffen der abendländischen Dichtkunst.8 Bis in die Zeit des Barock wird ihr Geschick in erbaulicher Absicht und vorausweisend auf die Erlösung durch Christus erinnert. Von ihrem Schicksal wird zur Warnung der jetzt Lebenden erzählt. Das trifft auch noch mit Einschränkung auf John Miltons „Paradise Lost“ von 1667 zu. Miltons großes Versepos hat auf die deutsche Literatur bestimmend gewirkt, so z. B. auf Klopstocks Messias. Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ ist in Teilen die Übersetzung einer englischen Bearbeitung von Milton. Auch A. Rubinsteins (1872) und C. Pendereckis Opern vom „verlorenen Paradies“ gehen auf Milton zurück. Milton war Politiker und Parteigänger Oliver Cromwells. Der überzeugte Puritaner erblindete mit 40 Jahren. Drei Aspekte von Miltons Werk sollen hier hervorgehoben werden, die für die Wirkungsgeschichte der Adam-und-Eva-Geschichte wesentlich sind:

a) Miltons Epos in zwölf Büchern9 ist ein Beispiel für die Erörterung von Glaubensfragen außerhalb des Kirchenraumes. Der Dichter beschäftigt sich mit der Frage, ob denn der Schöpfer schuld sei am Fall seines Geschöpfs. In dieser Fragestellung zeigt sich das Ende der unbefragten Geltung der Glaubenslehren. Gott trifft nach Milton keine Schuld. Schon gleich am Anfang sieht Gott, als er den Satan erblickt, wie er sich der Welt nähert, voraus, was geschehen wird. Die Freiheit, die der Schöpfer dem Geschöpf zu seiner Vervollkommnung mitgab, enthält auch die Möglichkeit zum Abfall (III, 103ff).

b) Der Satan tritt bei Milton als interessante und spannungsreiche Figur auf. Milton greift dazu auf außerbiblische Überlieferungen zurück. Der Satan will durch die Verführung der beiden Menschen Rache nehmen an Gott, weil dieser die rebellierenden Engel aus dem Himmel verstoßen hat. Nach seinem Flug auf die von Gott geschaffene neue Welt beobachtet er heimlich das schöne Paradies mit dem Menschenpaar und „erschrickt“ vor ihrer Schönheit und Unschuld (IV, 231ff). Milton ist fasziniert von der Schöpfung. In seinen Schilderungen des Gartens Eden sind das Staunen und die Freude über die Schönheit der Welt und der Natur zu erkennen.

c) Miltons Werk ist nicht eine Klage über das verlorene Paradies. „Paradise Lost“ muss ja eigentlich übersetzt werden mit „Paradies verloren“. Das Werk zielt auf das Leben der Menschen, die das Paradies verloren haben, aber ihrer Erlösung durch Christus und der Wiedergewinnung des Paradieses gewiss sein können und jetzt im Alltag der Welt tätig sein sollen. Dies sind die Leser des Epos. Schon Adam und Eva wird mitgeteilt, was die Heutigen wissen können. Unmittelbar vor der Vertreibung von Adam und Eva aus dem Paradies verkündet der Erzengel Michael dem seinen Fehltritt bereuenden Paar die zukünftige Erlösung des Menschengeschlechts durch den Gehorsam und den Kreuzestod des Gottessohnes, der vor dem Thron des Schöpfers für sie um Erbarmen gebeten hat (XII, 785ff).

Bei allem theologischen und apologetischen Interesse ist Miltons „Paradise Lost“ so eine wichtige Etappe auf dem Weg einer Säkularisierung des Adam-und-Eva-Stoffes. Kein geringerer als Max Weber hat dies in seinem berühmten Aufsatz „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“10 gespürt. Weber zitiert Miltons Schluss des Versepos nach der Verstoßung aus dem Paradies:

„Sie wandten sich und sah`n des Paradieses
Östlichen Teil – noch jüngst ihr sel`ger Sitz –

Von Flammengluten furchtbar überwallt,

Die Pforte selbst von rosigen Gestalten

Mit Feuerwaffen in der Hand, umschart.

Sie fühlten langsam Tränen niederperlen,

Jedoch sie trockneten die Wangen bald:

Vor ihnen lag die große weite Welt,

Wo sie den Ruheplatz sich wählen konnten,

Die Vorsehung des Herrn als Führerin.

Sie wanderten mit langsam zagem Schritt

Und Hand in Hand aus Eden ihres Weges.“

Die Gebeugtheit und die Tränen, mit denen mittelalterliche Künstler (z. B. Darstellung am Nordportal des Freiburger Münsters) die Vertriebenen gezeichnet hatten, werden bei Milton überwunden. Die Tränen trocknen bald. Hand in Hand gehen die beiden in den Morgen ihres Alltags. Max Weber betont die Kraft dieses Schlussbilds: „Jeder empfindet sofort, dass dieser mächtigste Ausdruck der ernsten puritanischen Weltzugewendetheit (Weltzugewandtheit11), das heißt: Wertung des innerweltlichen Lebens als Aufgabe, im Munde eines mittelalterlichen Schriftstellers unmöglich gewesen wäre.“ Der alte Gedanke der „felix culpa“ verwandelt sich: Aus felix culpa wird felix labor! Das Paradies ist verloren, aber die Welt ist zu gestalten und zu gewinnen. Damit wird das irdische Leben als Chance und Möglichkeit aufgewertet und fast zu einer neuen Form des Paradieses. Bei Milton ist die „Weltzugewandtheit“ deutlich christlich grundiert. Der Erzengel Michael hatte wenige Verse zuvor (XII, 713ff) zu Adam gesagt:

„... Nur lasse,
Entsprechend deiner Weisheit, Taten folgen;

Nimm Glaube dir, Tugend, Geduld hinzu

Und Mäßigkeit; die Liebe füge bei,

Die Nächstenliebe heißen wird, die Seele;

Von allem Übrigen: dann wirst du nicht

Mit Widersinn dies Paradies verlassen,

Sondern ein Paradies in deinem Innern,

Ein weitaus glücklicheres, dir gewinnen.“

Heinrich Heine: „Vermissen werde ich nimmermehr die paradiesischen Räume“

Wo Milton den Schöpfer entschuldigen wollte, wird das Schicksal von Adam und Eva mit dem Zeitalter der Aufklärung und vollends im 19. Jahrhundert auch polemisch gegen Kirche und Theologie erinnert. Säkularisierungen biblischer Stoffe gibt es nun in unterschiedlicher Zielrichtung. Sie können die völlige Abkehr von den biblischen Inhalten vollziehen und die Form des Protestes gegen diese haben. Säkularisierungen können aber auch ein heiteres Spiel mit dem biblischen Stoff sein und ihn für eine humane, menschliche oder allzu menschliche Botschaft nutzen. Man könnte sagen: Die „Weltzugewandtheit“ Miltons gibt es in der Folgezeit in der Gestalt des Protests gegen Christentum und Kirche, aber auch in der Gestalt einer weiteren Vermenschlichung des biblischen Stoffes. Für die erste Form soll ein Gedicht von Heinrich Heine stehen, für die zweite Mark Twains Tagebücher von Adam und Eva.12

Heinrich Heine legte 1844 in einem Gedicht Adam eine Absage an den Schöpfer in den Mund. Er gab der Gestalt der Genesis dabei einen Königstitel: „Adam der Erste“.

„Du schicktest mit dem Flammenschwert
Den himmlischen Gensd’armen,

Und jagtest mich aus dem Paradies,

Ganz ohne Recht und Erbarmen!

Ich ziehe fort mit meiner Frau

Nach and’ren Erdenländern;

Doch dass ich genossen des Wissens Frucht,

Das kannst du nicht mehr ändern.

Du kannst nicht ändern, dass ich weiß

Wie sehr du klein und nichtig,

Und machst du dich auch noch so sehr

Durch Tod und Donnern wichtig.

O Gott! Wie erbärmlich ist doch dies

Consilium-abeundi!

Das nenne ich einen Magnifikus

Der Welt, ein Lumen-mundi!

Vermissen werde ich nimmermehr

Die paradiesischen Räume;

Das war kein wahres Paradies –

Es gab dort verbotene Bäume.

Ich will mein volles Freyheitsrecht!

Find’ ich die g’ringste Beschränkniß,

verwandelt sich mir das Paradies

In Hölle und Gefängniß.“13

Wie ein kleinlicher Despot erscheint der Schöpfergott. Er jagt den Menschen ohne rechten Grund aus seinem Bereich. Doch sein Paradies war kein wahres! Machtlos kann der Schöpfer nicht verhindern, dass Adam durch den Genuss des Apfels Wissen erworben hat. Adam durchschaut die Ohnmacht dieses Gottes. Er weiß, dass sein Grollen nichts als Wichtigtuerei ist, und hat deshalb nur Spott für Gott übrig. Das wahre Paradies ist ein Land der Freiheit; es ist nicht in irgendeiner Vergangenheit verloren, sondern in der Zukunft zu gewinnen.

In Heines Gedicht sind zwei Motive aufgenommen, die auch sonst die kritische Rezeption der Adam-und-Eva-Geschichte bestimmen: die Beschwer, dass es im Paradies Verbotenes gegeben haben soll, sowie der Fortschritt, den das Kosten vom Baum der Erkenntnis und der Auszug aus dem Paradies bedeuten. Die Vertreibung aus dem Garten Eden ist deswegen nicht Strafe, sondern – viel deutlicher und einseitiger als bei Milton – Gewinn.

Vor allem Immanuel Kant hat diesen Gedanken schon zwei Generationen vor Heine wirkmächtig vertreten:14 Die biblische Geschichte handelt von der Entlassung aus dem Mutterschoß der Natur in die Mühseligkeiten des Lebens. Für den Menschen war dies ein Schritt in den Stand der Freiheit. Friedrich Schiller15 folgt Kant in einem Aufsatz von 1790: „Der Volkslehrer hat ganz recht, wenn er diese Begebenheit als einen Fall des ersten Menschen behandelt und, wo es sich tun lässt, nützliche moralische Lehren daraus zieht; aber der Philosoph hat nicht weniger recht, der menschlichen Natur im Großen zu diesem wichtigen Schritt zur Vollkommenheit Glück zu wünschen ....

Der Philosoph hat recht, es einen Riesenschritt der Menschheit zu nennen, denn der Mensch wurde dadurch aus einem Sklaven des Naturtriebes ein freihandelndes Geschöpf, aus einem Automat ein sittliches Wesen.“

Mark Twain: „Wo immer sie war, da war Eden“

War durch den Fortschrittsgedanken die Vertreibung aus dem Paradies zu einem pathetischen Schritt in ein freieres und besseres Leben geworden, so musste sich mit dem Abnehmen oder mit der Krise des Fortschrittoptimismus die Tonlage noch einmal verändern, in der der biblische Stoff säkular rezipiert wird. In Adam und Eva zeigen sich nun Lust und Last des Menschseins; manchmal wird eher die Lust, manchmal eher die Last betont. Aus dieser Vermenschlichung des biblischen Stoffes sind Heilsgeschichte und säkulare Eschatologie in gleicher Weise verschwunden.

Mark Twains „Auszüge aus Adams Tagebuch“ (Extracts from Adam´s Diary, 1893) kann als Beispiel dafür gelten. Auch hier kommt Adam selbst zu Wort. Aber es ist ein ganz anderer Adam als der Heines. Vielleicht ist es kein Zufall, dass dieser Adam von einem Amerikaner erfunden wurde. Miltons „Weltzugewandtheit“ hat sehr irdisch gesiegt. Wo bei Heine der Stoff noch im Protest unmittelbar mit der theologischen Dogmatik verbunden ist, sind Adam und Eva nun entkoppelt von Dogmatik und Kirchenlehre.

Reizvoll ist die Perspektive des Tagebuchs des ersten Menschen, die Twain gewählt hat, weil er so eine bestimmte Form der Komik erzeugen kann. Sie entsteht dadurch, dass Adam vieles nicht weiß und versteht, was die Leser, denen die Geschichte der Bibel bekannt ist, längst wissen. Der Adam des Tagebuchs ist kein gar zu heller, ein vor allem am Anfang etwas muffliger Geselle. Es braucht lange, bis er etwas begreift: „Dieses neue Geschöpf mit dem langen Haar treibt sich hier herum, verfolgt mich und ist mir ständig im Wege. Ich liebe das nicht, bin an Gesellschaft nicht gewöhnt. Möchte lieber, dass es bei den anderen Tieren bliebe. Heute ist es bewölkt, der Wind bläst von Ost. Wir werden wohl Regen bekommen. Wir? Wie komme ich zu diesem Wort? Jetzt entsinne ich mich – das neue Geschöpf hat es gebraucht ... Baute mir ein Schutzdach gegen den Regen, konnte es jedoch nicht allein in Ruhe genießen. Das neue Geschöpf drängte sich darunter. Als ich es an die Luft befördern wollte, vergoss es Wasser aus den Höhlen in seinem Gesicht, aus denen es sonst guckt.“16

Fast beiläufig, keineswegs besonders tragisch, wird die Geschichte mit dem Apfel bei Twain erzählt. Ausführlich wird dann aber Verwirrung und Staunen des Mannes beim Anblick des kleinen Wesens geschildert, das Eva angeblich gefangen haben will, während er auf der Jagd war: „Wir haben es Kain genannt ... Irgendwie hat es mit uns eine gewisse Ähnlichkeit; vielleicht ist es sogar mit uns verwandt, meinte sie. Aber da liegt sie meines Erachtens völlig falsch. Schon der Größenunterschied lässt darauf schließen, dass es sich um eine andere, möglicherweise neue Tierart handelt.“

Adams Tagebuch wirft einen verfremdenden und gescheiten Blick auf die Welt und das Verhältnis von Frau und Mann. Weder die Klage über das verlorene Paradies noch das Pathos des Fortschritts beherrscht das Buch, sondern die positive Sicht des Lebens der Geschlechter jenseits von Eden. Eine heilsgeschichtliche Perspektive gibt es nicht. Am Schluss heißt es deswegen: „Nach all diesen Jahren ist mir auch klar geworden, wie sehr ich mich von Anfang an in Eva getäuscht hatte: Mit ihr zusammen außerhalb des Gartens zu leben, ist besser als ohne sie drinnen.“17 Dieses Bekenntnis zum irdischen Glück jenseits des Paradieses wird in der Grabinschrift aufgenommen, die Adam Eva gibt: „Wo immer sie war, da war Eden.“18

Verweltlichungen transportieren immer auch die Strahlkraft des Heiligen

Die mit der „Weltzugewandtheit“ einsetzende Verdiesseitigung des Adam-und-Eva-Stoffes muss nicht in der Trivialisierung enden, die etwa die Anzeigenkampagne Baden-Württembergs kennzeichnet. Schilderungen und Verdichtungen des Lebens „jenseits von Eden“ (Gen 4,16) können im bewussten literarischen Spiel mit Motiven aus der biblischen Urgeschichte auch den Schmerz über ein verlorenes Paradies laut werden lassen. An John Steinbecks Familiensaga „Jenseits von Eden“ (1955 verfilmt von Elia Kazan) wäre hier genauso zu erinnern wie an Thornton Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“ (Uraufführung 1942). Das mit Elementen des epischen Theaters komponierte Drama ist die Geschichte von Mr. und Mrs. Antrobus, ihren Kindern Henry und Gladys und ihrem Hausmädchen Sabina. Sie spielen eine typisch amerikanische Familie in den 1930er/1940er Jahren und stehen gleichzeitig für die archetypischen Charaktere von Adam, Eva, Lilith und Kain. Die Familie durchlebt die Katastrophen der Menschheitsgeschichte in drei Akten (Eiszeit, Flut, Krieg). Immer wieder fangen sie von vorne an. „Das ist alles, was wir tun – immer wieder von vorn anfangen! Warum machen wir uns immer wieder etwas vor? Eines Tages wird die Erde eh erkalten, und bis dahin werden all diese Sachen immer wieder geschehen: Noch mehr Kriege, und noch mehr Sintfluten und Erdbeben“ (Sabina, 3. Akt). Weit weg ist in diesen Beispielen der Säkularisierung des Adam-und-Eva-Stoffes der trotzige Fortschrittsoptimismus Heines! Verdiesseitigung ist hier zugleich existentielle Vertiefung – mithilfe biblischer Anklänge. Gerade diese scheinen mit der Absicht gewählt, der Fabel des Dramas die tiefere Bedeutung zu geben.

Im Ton wilder sind die „Goldberg Variationen“19 George Taboris. Hier werden biblische Geschichte und Theatergeschichte zu einer frechen Farce vermengt. Ein Theaterregisseur will die Bibel inszenieren. In einem raschen Reigen voller Pannen führt Tabori die Zuschauer vom Paradies bis zu Kreuz und Auferstehung. In moderner Form wird die Theaterbühne zur Weltbühne. Das Schauspiel als Welttheater bildet verzerrt – aber irgendwie auch fast fromm – Heilsgeschichte ab. „Tabori glaubt an Gott, und er glaubt an das Theater“, schrieb ein Kritiker zu dem 1991 uraufgeführten Werk.

„Adam und Evelyn“ heißt Ingo Schulzes im Sommer 2008 erschienener Roman über zwei Menschen aus der DDR und den Systemwechsel von Ost nach West. Die Namen der Hauptfiguren geben dem Stoff paradigmatischen Sinn. Sie weisen an, im Besonderen Grundsätzlicheres zu entdecken. In der Rezeption des Romans werden sofort weitere biblische Bilder und biblische Sprache assoziiert. „So lässt Adam mit seinem früheren bis ins Sexuelle ,ganzheitlichen’ Leben den Garten Eden hinter sich, weil ihn Evelyn in eine Welt führt, in der man im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen muss“20, fasst die Kritikerin der Süddeutschen Zeitung zusammen. Die Namen des biblischen Paares bringen trotz aller Verweltlichung ein weites Feld von biblischen Assoziationen und Sprachspielen mit!

Der Germanist Albrecht Schöne hat vor 50 Jahren in seiner Studie „Säkularisation als sprachbildende Kraft“21 gezeigt, dass Säkularisiertes Bedeutungsgehalte seines Ursprungs nicht verliert. „Dort wo Sprache geformt wird, treten Bedeutungsgehalte und Wirkungsenergien in sie ein, die sich fest mit ihr verbinden. Löst sie sich ab von ihrem Ursprungsbereich, werden die präformierten Elemente selbständig, so verlieren sie diese Eigenschaften doch keineswegs. Sie halten fest, was in sie eingegangen ist, und stellen es dem neuen Zusammenhang, in den sie treten, gleichsam zur Verfügung. Bleibt der Ursprungsbereich der Sprache bekannt, dann auch seine unsichtbare Mitgift wirksam.“

Niemand säkularisiert biblische Gehalte ohne die zumindest mögliche Nebenwirkung, dass die Kraft des Urbilds sich durchsetzen kann. Schöne präzisiert: „Da also die Sprache bewahrt, was sie empfing, ist immer, wenn die im religiösen Raume ausgebildeten Formen in der Dichtung sichtbar werden, auch ihr Ursprungsbereich selber mit im Spiele. Es bleibt ein fundamentaler Irrtum – nicht nur der Interpreten, sondern gelegentlich auch der Dichter – zu glauben, man würde das Heilige dadurch außer Kraft setzen, dass man die heilige Sprache auf das Profane anwendet.“

Bezüglich Wilder und Tabori wird dies unbestritten sein. Manche mögen den Optimismus des Germanisten hinsichtlich der Wirkkräfte sakraler Stoffe aber nicht in jedem Fall teilen. Bestimmt nicht der Kontext die Botschaft des Textes? Verliert nicht die sakrale Tradition durch den säkularen Gebrauch auch an Bedeutungsanspruch, wenn ihre Motive trivialisiert werden? Die am Anfang zitierte Anzeigenkampagne Baden-Württembergs könnte hierfür ein Beispiel sein. Sie kann aber auch neugierig machen, im Original nachzuschauen, wie das war mit Eva und Adam, dem Garten Eden und der Vertreibung aus dem Paradies. Säkularisierungen sind Herausforderungen und Anknüpfungspunkte für religiöse Bildung.


Michael Nüchtern, Karlsruhe


Anmerkungen

1 Es handelt sich um eine aktualisierte und geringfügig veränderte Fassung des Beitrags: Adam und Eva wohnen in Baden-Württemberg, in: Johannes Ehmann (Hg.), Praktische Theologie und Landeskirchengeschichte. Dank an Walther Eisinger, Heidelberger Studien zur Praktischen Theologie 12, Münster 2008, 239-248.

2 Sämtliche Schriften V, Biblische Geschichten, kritisch hg. v. Adrian Braunbehrens, Gustav Adolf Benrath und Peter Pfaff, Karlsruhe 1991, 8.

3 Kurt Flasch, Eva und Adam, Wandlungen eines Mythos, München 2004, 96.

4 Vgl. Georg Büchmann, Geflügelte Worte, Berlin 351986, 214.

5 Grete Minde, in: Theodor Fontane, Werke, Schriften und Briefe, hg. v. Walter Keitel und Helmut Nürnberger, München 1970ff, Band I,1, 78.

6 Zu Fontane vgl. Michael Nüchtern, „Das neue Christentum ist gerade das alte“, in: ZThK 95 (1998), 517ff.

7 Zitiert nach Flasch, Eva und Adam, a.a.O, 18.

8 Vgl. Elisabeth Frenzel, Stoffe der Weltliteratur, Stuttgart 102005, bearbeitet von Sybille Grammetbauer.

9 John Milton, Das verlorene Paradies, Stuttgart 1968.

10 Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I, Tübingen 1988, 80.

11 So ändert Johannes Winkelmann den Weberschen Begriff in der von ihm herausgegebenen Ausgabe: Max Weber, Die protestantische Ethik I, 1969, 74.

12 Extracts from Adam’s Diary, zuerst erschienen 1893, Eve’s Diary, 1905.

13 Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Band 2, Düsseldorf 1983, 109f.

14 Mutmaßlicher Anfang der Menschheitsgeschichte, Akademieausgabe VIII, 114f.

15 Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der Mosaischen Urkunde, Werke in zwei Bänden, München / Stuttgart, 970ff.

16 Mark Twain, Die Tagebücher von Adam und Eva, mit Bildern von Henri Rousseau, Freiburg 52001, 7ff.

17 Ebd., 35.

18 Auch hier wird fast wieder Milton zitiert! Die Miltonsche Eva bekennt vor der Vertreibung aus dem Paradies (XII, 754ff): „... mit dir zu gehen, heißt bleiben, wo ich bin!“

19 In: George Tabori, Theaterstücke II, Frankfurt a. M. 1994.

20 Ijoma Mangold in: Süddeutsche Zeitung vom 9./10. August 2008, 16.

21 Studien zur Dichtung deutscher Pfarrersöhne, Göttingen 1958, Zitat 250f.